Kommentar zu NACHGEDACHT (12): 48 Stunden Ruhe, Stille und Einkehr

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Kommentar zu NACHGEDACHT (12): 48 Stunden Ruhe, Stille und Einkehr, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 24.03.13 von Osthessennews

[…] Erwartungen hatte ich keine, ganz im Gegensatz zu meiner Mutter, die scherzhaft und überspitzt meinte, ich würde nie wieder herauskommen und Nonne werden.*

Naja, bei einem Lebenslauf mit neun Jahren katholisch-privater Schulausbildung und einem „vorbestimmt und beschlossenem“ Weg zum Theologiestudium könnte man schon spekulieren, ob diese mütterliche Erwartung vielleicht gar nicht so scherzhaft und überspitzt gemeint war?

Sie schreiben, dass nicht viele Menschen auf lange Zeit mit sich selbst allein sein könnten. Woher haben Sie diese Information? Solche Aussagen sind wenig hilfreich, wenn es sich dabei nur um Vermutungen oder Schlüsse aufgrund eigener Erfahrungen handelt und solange keine Quelle angegeben ist, die diese Behauptung belegt. Es wäre interessant zu wissen, ob es dazu repräsentative Umfragen oder Erkenntnisse gibt.

[…] Und: zu viel Einsamkeit hat für mich bedeutet, dass ich auch auf dekonstruktive Gedanken gestoßen bin, gedankliche Endlosschleifen.

Ist hier tatsächlich „dekonstruktiv“ gemeint? Oder vielleicht „Dekonstruktion“ im Sinne Heideggers, oder doch „Destruktivität“, also das Gegenteil von Konstruktivität oder Produktivität?

Der Begriff Dekonstruktivismus wird vorrangig in der Architektur verwendet:

  • „Ein dekonstruktiver Architekt ist deshalb nicht jemand, der Gebäude demontiert, sondern jemand, der den Gebäuden inhärente Probleme lokalisiert. Der dekonstruktive Architekt behandelt die reinen Formen der architektonischen Tradition wie ein Psychiater seine Patienten – er stellt die Symptome einer verdrängten Unreinheit fest. Diese Unreinheit wird durch eine Kombination von sanfter Schmeichelei und gewalttätiger Folter an die Oberfläche geholt: Die Form wird verhört.“
    – Mark Wigley in: Johnson 1988 – S. 11
    (Quelle: Wikipedia)

So gesehen könnte der Begriff vielleicht doch absichtlich gewählt worden sein, wenn man das Bild auf die Gedankenwelt überträgt. Man könnte das dann vielleicht so interpretieren, dass das eigene Weltbild nach einem (vorübergehenden) Wegfall einer dauernden Bestätigung und Verstärkung von außen nicht mehr einer selbstkritischen Betrachtung stand hält. Besonders religiöse Gedanken führen zwangsläufig immer wieder in gedankliche Endlosschleifen, weil sie oft jeder Logik widersprechen.

Tatsächlich zerstörerisch können die unzähligen Widersprüche, Zirkelschlüsse und sonstigen Logikfehler in religiösen Denkweisen wirken, weil es praktisch unmöglich ist, sie mit einer aufgeklärten Weltsicht, aber auch mit einem gesunden Menschenverstand und schon gar nicht mit einem guten Gewissen auch nur halbwegs in Einklang zu bringen. Schon die Frage, wer den angeblichen Schöpfer erschaffen hat, stellt tatsächlich eine Endlosschleife, nämlich einen so genannten infiniten Regress dar.

Einmal in sich zu gehen und ganz ehrlich und selbstkritisch diese, sonst durch alltägliche Ablenkung bewusst oder unbewusst unterdrückten Probleme zuzulassen und sich auch ihrer Ursachen bewusst zu werden, kann ein wichtiger erster Schritt sein, diese Probleme zu lösen. Was religiös verursachte belastende Gedanken angeht, gibt es dabei nichts zu verlieren, aber sehr viel zu gewinnen, zum Beispiel den sehr angenehmen und befreienden Umstand, mit sich selbst im Reinen zu sein und eben nicht länger in gedanklichen Endlosschleifen gefangen zu sein, sobald wir einmal einen ehrlichen Blick auf unsere eigene Gedankenwelt zulassen.

[…] Das ist eine wertvolle Erfahrung – nun weiß ich wieder ein Gespräch zu schätzen, denn die eigene Meinung muss sich auch mit anderen Meinungen vermischen, nur so kann man aus der subjektiven, verengten Sicht in eine weitere Perspektive gelangen, die bereichert.

Eine, wie ich finde, sehr wichtige Erkenntnis, der ich voll zustimme. Besonders bereichernd sind dabei nicht nur Meinungen, die meiner Meinung im Grunde sowieso schon entsprechen und die sie somit bestenfalls bestätigen und verstärken, sondern besonders auch wirklich andere Meinungen, anhand derer ich meinen bisherigen Standpunkt kritisch hinterfragen kann. Ein solcher Austausch setzt die dafür erforderliche Offenheit und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber voraus.

*Das Online-Portal Osthessennews fordert jede Woche unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ mit „liberal-theologischen“ Gedanken zum Nachdenken auf. Alle als Zitat gekennzeichnete Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.

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