Kommentar zu NACHGEDACHT (28) Ziemlich beste Freunde: Mensch & Tier

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Kommentar zu NACHGEDACHT (28) Ziemlich beste Freunde: Mensch & Tier, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 21.07.13 von Osthessennews

[…] Wenn ich hier von Tierfreundschaft spreche, meine ich nicht alle unwürdigen Formen von Brutalität, Gefangennahme oder Unterwerfung gegenüber einem Tier.*

„Brutalität, Gefangennahme und Unterwerfung“ ist doch sowieso das Gegenteil von Freundschaft? Und wie würden Sie in diesem Zusammenhang die gezielte Veränderung von Tieren durch Zucht einschätzen?

[…] Vielmehr meine ich, dass man das Tier als eigenes Wesen anerkennt und mit ihm ein fürsorgliches Verhältnis eingeht. Dabei sei erwähnt, dass das eigentlich für alle Formen von Tieren gelten sollte, auch für Tiere, die nicht als Haustiere gehalten werden.

Wieso nur „eigentlich“? Ganz einfach, weil Fleischessende Menschen, also Anhänger des Karnismus, so konditioniert sind, dass sie Tiere in „essbar“ und „nicht essbar“ unterteilen. Der Hund wird gestreichelt, aber das Schweinchen vom Metzger, die Schweinswürstchen oder die Kalbsrouladen zu Weihnachten werden gegessen. Aufschluss über dieses seltsame Verhalten gibt dieses Video, das 2016 veröffentlicht werden wird:

Besonders bei Hunden – die in einer gesunden und ausgeglichen Haltung leben – denke ich manchmal: Sind sie die besseren Menschen?

Da Hunde Hunde sind und keine Menschen, können Hunde auch nicht die besseren Menschen sein. Der Hinweis auf die „gesunde und ausgeglichene Haltung“ deutet schon darauf hin, dass ein vermeintlich menschliches Verhalten bei Hunden nicht dem ursprünglichen Wesen des Hundes entspricht, sondern manchen Hunden beigebracht werden kann.

Deren „Einfühlungsvermögen“ ist dann recht einfach zu erklären – der Hund bekommt beigebracht, dass es ihm einen Vorteil verschafft, wenn er sich möglichst so verhält, wie der Mensch es von ihm verlangt.

Ein gut ausgebildeter Blindenhund, der natürlich einen unschätzbar wertvollen Job zuverlässig erledigt, tut das sehr wahrscheinlich nicht aus Mitleid (also weil er die Notlage des Blinden nachvollziehen kann), sondern weil er beigebracht bekommen hat, dass es für ihn von Vorteil ist, wenn er seinen Klienten sicher lotst.

Welcher Mensch kann sich so komplett auf einen anderen Mensch einlassen? Ein Hund kann das, wozu nicht einmal manche Menschen fähig sind: Mitgefühl.

Tatsächlich weisen Forschungsergebnisse darauf hin, dass auch bestimmte Tiere und sogar Pflanzen zu Empathie fähig sind. Eine wichtige Rolle spielen hier wohl die Spiegelneuronen, die es ermöglichen, dieselben Gefühle zu fühlen wie ein anderes Individuum. Diese Mechanismen sind noch längst nicht vollständig entschlüsselt, trotzdem spricht einiges dafür, dass auch Tiere zu deutlich komplexeren Handlungen fähig sind, als sich die „Krone der Schöpfung“ jemals hätte träumen lassen.

Man könnte natürlich abfällig sagen, Hunde sind abhängig vom Menschen und müssen tun, was er sagt.

Das finde ich nicht abfällig, sondern genau zutreffend. Ein Hund, der sich so verhält, wie ein Mensch es ihm beigebracht hat, der tut das, weil er einen Vorteil davon hat. Das ist übrigens nicht nur bei Tieren so, sondern auch bei Menschen: Jede noch so altruistische Handlung ist nur scheinbar selbstlos – in Wirklichkeit bringt sie auch dem einen Vorteil, der so empathisch handelt.

Das schmälert den Wert einer solchen Handlung keineswegs, vielmehr kann dieser Nutzen für den Handelnden erklären, warum sich Individuen überhaupt altruistisch verhalten.

In einem bestimmten Abschnitt der menschlichen Evolution muss es einen Entwicklungsvorsprung bedeutet haben, nicht nur die eigenen Interessen, sondern auch die seiner Mitmenschen, seines Stammes oder seiner Gruppe zu berücksichtigen.

Aber man kann es auch genau anders interpretieren: Sie sind bedingungslos treu und lieben bedingungslos.

Hunde hätten auch gar keine Möglichkeit, Bedingungen zu stellen: Liebe (bzw. Belohnung, Lob, Leckerli…) gibts nur, wenn sich der Hund exakt so verhält, wie der Mensch es von ihm verlangt. Jede geringste Abweichung führt zu Sanktion durch Bestrafung oder Liebesentzug.

Bei vielen Hunderassen wurde das ursprüngliche natürliche Verhalten weggezüchtet und, ebenfalls per Zucht-Selektion, durch ein freundliches Verhalten ersetzt. Bei diesem Vorgang handelt es sich nicht um eine natürliche Selektion wie in der Evolution, sondern um eine vom Menschen gezielt vorgenommene Veränderung.

Darüber, ob Menschen überhaupt das Recht haben, solche Veränderungen vorzunehmen, kann und sollte man diskutieren, besonders dann, wenn es nicht um freundliche Hunde, sondern zum Beispiel um möglichst fette und möglichst schnell wachsende Schweine geht. Christen greifen zur göttlichen Legitimation von unethischem Verhalten Tieren gegenüber gerne auf ihre „Heilige Schrift“ zurück, laut der sich die Menschen ja die Erde „untertan“ machen sollen.

Sie verstellen sich nicht, sind immer 100 Prozent authentisch.

Wenn sie „gut“ erzogen sind, verhalten sich Hunde tatsächlich fast immer zu 100 Prozent „authentisch“, wobei „authentisch“ sich hier nicht auf den Hund, sondern auf die Werte des Menschen bezieht. Aber selbst Hunde, die extrem gut abgerichtet sind (nichts anderes ist die „Erziehung“ von Tieren), zeigen nach einer gewissen Zeit ohne menschliche Vorgaben wieder mehr oder weniger Hundtypisches Verhalten – nämlich spätestens dann, wenn sie merken, dass ihre Handlung keine Konsequenzen in Form von Belohnung oder Bestrafung mehr hat.

Dafür muss der Mensch sich dem Tier gegenüber aber auch 100-prozentig verantwortungsvoll verhalten.

Dass sich ein Tier so verhält wie der Mensch es möchte, ist nicht primär eine Frage von Verantwortung, sondern von Konsequenz. Nur wenn jedes gewünschte Verhalten belohnt und jedes ungewünschte Verhalten sanktioniert wird, wird sich ein Tier seinen Fähigkeiten entsprechend auch so verhalten, wie der Mensch das gerne hätte.

Sie sind dem Menschen ein großes Geschenk: Aufgrund ihrer großen Empathie werden Hunde aber auch Delphine zur Traumabewältigung eingesetzt, Hunde können Leben retten und Blinde begleiten.

Das können sie, wobei man sich aber unbedingt vor einer „Vermenschlichung“ von Tieren in Acht nehmen sollte. Selbst wenn Delphine zur Traumabewältigung eingesetzt werden, verhalten sie sich in ihrer natürlichen Umgebung aber gerne auch so, dass wir dieses Verhalten als äußerst „unmenschlich“ (eigentlich „unfair“) bezeichnen würden.

Delphine machen zum Beispiel gerne mal gemeinsam Jagd auf Robben, aber nicht, um sie zu fressen, sondern um sie stundenlang wie einen Ball „just for fun“ immer wieder durch die Luft zu schleudern. Ähnliches Verhalten kennt man auch von Katzen, die Mäuse quälen, statt sie zu töten.

Trotzdem wäre es natürlich Unsinn, Tiere wegen ihres Verhaltens als „böse“ zu bezeichnen. Für jedes Verhalten gibt es Gründe, eine absichtliche, grundlose „Bösartigkeit“ ist ausgeschlossen.

Auch wenn man ihnen beibringen muss, „bei Fuß“ zu laufen, im Herzen sind sie zumeist immer gleichen Schrittes mit uns unterwegs.

Ja, weil sie gelernt haben, für welches Verhalten es bei dem Befehl „bei Fuß“ Belohnung oder Bestrafung gibt. Dieser rein opportunistische Effekt dürfte wesentlich stärker wirken als eine vielleicht mögliche tierische „Herzensbildung.“

*Unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ fordert Osthessennews jede Woche zum Nachdenken auf. Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.

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