Kommentar zu NACHGEDACHT (41) Wollen Sie in der Kirche bleiben?

Lesezeit: ~ 7 Min.

Kommentar zu NACHGEDACHT (41) Wollen Sie in der Kirche bleiben?, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 20.10.13 von Osthessennews

Kurze Antwort auf diese Frage: Nein. Ausführliche Antwort:

Die Kirchenaustritte steigen an. […] den meisten Menschen würden richtig viele Gründe einfallen, der Kirche den Rücken zuzukehren: Kreuzzüge, Hexenverbrennung, Missbrauchsfälle und aktuell Herr Tebartz-van Elst.*

Die genannten Gründe spielen sicher auch eine wichtige Rolle und sicher waren und sind diese Fakten auch der Anlass für viele Kirchenaustritte.

Der eigentliche Hauptgrund, warum die Kirchenaustritte zum Glück kontinuierlich ansteigen, ist aber der, dass immer mehr Menschen bewusst wird,

  • dass auch die christliche Religion nichts anders als ein von Menschen erdachtes und konstruiertes Gedankengebilde ist.
  • Dass es keinen einzigen seriösen Beweis für die Existenz, dafür aber jede Menge schlüssige Belege gegen die Existenz von etwas Übernatürlichem gibt.
  • Dass die moderne Wissenschaft heute in der Lage ist, für alles, was vor wenigen Jahrzehnten noch für unerklärlich oder übernatürlich galt, heute erklären oder zumindest Theorien anbieten kann, die ohne irgendwelche fiktiven Größen auskommen.
  • Dass Religionen nicht geeignet sind, ethische Spielregeln für das globalisierte Zusammenleben der Menschen im 21. Jahrhundert aufzustellen.

Es ist praktisch nicht mehr möglich, den heutigen Wissensstand mit den archaischen Märchen und Mythen aus dem Vormittelalter halbwegs sinnvoll in Einklang zu bringen.

[…] Ich finde nämlich, dass es einfacher ist, etwas schlecht zu reden, als etwas gut zu reden oder positiv zu sehen.

Es geht nicht um schlecht reden, sondern um sachliche, neutrale Aufklärung. Inwieweit die Ergebnisse dieser sachlichen Aufklärung als „schlecht“ empfunden werden, ist eine andere Sache. Was die Kirche angeht, stimme ich Ihnen zu – ich halte es auch für sehr schwer, wenn nicht sogar unmöglich, diese positiv zu sehen, weil die negativen Aspekte so extrem überwiegen.

[…] Nein, diese [die negativen Aspekte der Kirche] stehen weiterhin unentschuldbar im Raum.

Warum unentschuldbar? Bleiben sie einfach unentschuldbar und gut ists? Oder entschuldigt sich vielleicht doch irgendwann nochmal jemand?

Ich gebe ihr [der Kirche] ein kurzes, positives Feedback für die letzten 2000 Jahre, das negative ist omnipräsent und braucht – so denke ich – nicht erläutert werden.

Das sehe ich anders. Obwohl die negativen Auswirkungen der Kirche die ihr zuzuschreibenden positiven Verdienste zum Wohl der Menschen beiweitem überwiegen, wurden diese die meiste Zeit so gut es ging verheimlicht, vertuscht oder einfach geleugnet. Kritiker, die auf Missstände aufmerksam machen wollten, wurden möglichst umgehend und nachhaltig zum Schweigen gebracht.

Nur der Säkularisierung und der Aufklärung ist es zu verdanken, dass die dringend erforderliche Kirchenkritik, auch die an den christlichen Kirchen, schriftlich fixiert und öffentlich zugänglich gemacht werden konnte, was vor wenigen Jahren noch undenkbar war. Wer sich für diese unglaublich brutale Geschichte interessiert, dem seien die 10 Bände der Kriminalgeschichte des Christentums von Karlheinz Deschner zur erschütternden Lektüre empfohlen.**

Natürlich kann und sollte man auch die tatsächlich positiven Aspekte entsprechend würdigen, die Menschen aus dem kirchlichen Umfeld zuzuordnen sind. Festzuhalten ist, dass es sich dabei natürlich ausschließlich um rein menschliche Leistungen handelt, ein überirdischer Einfluss ist auszuschließen.

Dass die Kirche die ersten Schriften und Evangelien so bedächtig und unermüdlich aufgehoben und weitergegeben hat, ist wirklich bemerkenswert.

Noch bemerkenswerter ist dies wenn man weiß, wie die Evangelien entstanden und dass die Geschichten nur sehr sporadisch etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben. Viele Gläubige haben die falsche Vorstellung, die Bibel sei das einzige Buch mit Überlieferungen aus dieser Zeit, genauso wie sie meinen, Jesus sei der einzige jüdische Endzeit-Wanderprediger dieser Zeit gewesen.

Natürlich gibt es auch noch viele andere, nichtchristliche und auch noch ältere Quellen als das, was in der Bibel zusammengefasst wurde. Erstaunlicherweise finden sich in diesen nichtchristlichen Quellen praktisch keine Hinweise darauf, dass zum Beispiel Jesus so außergewöhnlich gewesen sein soll, wie ihn die biblischen Geschichten darstellen. Das, was uns da überliefert wurde, hat heute weder eine historische, noch eine sonstwie interpretierte Bedeutung für uns – jedenfalls nicht mehr, als es zum Beispiel auch die Märchen aus Tausendundeiner Nacht haben können.

Die kanonisierte Bibel ist ein Meisterstück der Erzählkunst, ein Stück Kultur und ein Moralkatalog.

In erster Linie ist die Bibel ein Meisterstück der Dicht- und Fabulierkunst. Die Bibel ist das am meisten überschätzte Buch der Welt. Die zu großen Teilen erfundenen, beliebig veränderten, immer wieder neu interpretierten, oft übersetzten und beliebig aus einzelnen Fragmenten von überwiegend unbekannten Menschen willkürlich zusammengesetzten archaischen Märchen mögen bei selektiver Lesart einzelne interessante Aspekte enthalten, wie andere Göttersagen und Mythen auch. Dieser Unterhaltungswert macht die Bibel allerdings keineswegs zu einem „Meisterstück der Erzählkunst“ und als Moralkatalog können Schriften, die aus dem Vormittelalter stammen und die zum Teil bis in die Bronzezeit zurückreichen, für die heute Zeit logischerweise auch nicht mehr dienen.

Ohne diese Schriften wüsste heute niemand etwas von den großen Männern wie Mose und Abraham oder von den großen Frauen wie Elisabeth und Maria.

Welchen Unterschied würde das machen? Diese Geschichten haben keine Relevanz, keine Bedeutung mehr für die Menschen im 21. Jahrhundert. Bestenfalls kann man diese Geschichten auf einer Stufe mit anderen frühgeschichtlichen Märchen wie zum Beispiel griechischen oder ägyptischen Göttersagen sehen. Wir brauchen Moses und Abraham heute höchstens noch in dem Maß, wie wir Odysseus oder König Artus brauchen.

Und das Beste natürlich: Ohne diese Schriften wüssten wir womöglich nichts von Jesus, von seinen Taten und Wundern.

Auch das wäre leicht zu verschmerzen, wissen wir doch heute, dass es den Jesus, wie er in der Bibel beschrieben wird, nie gegeben hat. Weder der historisch wahrscheinlich belegbare Jesus, noch die später erfundene biblische Kunstfigur spielen für die heutige Zeit noch eine bedeutsame Rolle.

Aus mir unerfindlichen Gründen verschweigt die Autorin die tatsächlich nennenswerten menschlichen Leistungen aus dem Umfeld der Kirche, wie zum Beispiel in den Bereichen Architektur, Kunst, Musik, Philosophie und auch Wissenschaft (sofern diese nicht kirchliche Dogmen als Lüge entlarvte).

Dass die Kirche mir die Wahl lässt, sie zu besuchen oder sie zu meiden, ist ein Stück von Freiheit für meinen Glauben, das ich für gesund halte.

Diese Freiheit haben Sie ursächlich nicht der Kirche zu verdanken, sondern der Säkularisierung und der damit verbundenen Verringerung des vormals mächtigen Einflusses der Kirche. Vor der Säkularisierung und der Aufklärung hätten Sie nämlich keine Freiheit gehabt, Ihren Glauben beliebig zu gestalten.

Heute existieren zwar immernoch Dogmen und andere Vorschriften (in aktueller Fassung zu finden im Katholischen Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) von 1997) – inwieweit Sie diese respektieren, ist aber Ihnen überlassen. Um als Christ gezählt zu werden reicht es, nicht aus der Kirche ausgetreten zu sein (was die Zahl der aktuell noch angeblich gläubigen Christen in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt).

Ich kann frei glauben, frei in die Kirche gehen.

Und das Tollste: Sie haben sogar die Freiheit, gar nichts mehr glauben zu müssen und nicht mehr in die Kirche zu gehen und stattdessen mehr zu wissen und sich mit der natürlichen Wirklichkeit statt mit erdachten Göttern zu beschäftigen! Diese reale Freiheit ist so groß, dass Sie Ihnen natürlich auch zugesteht, trotzdem und wider besseres Wissen und gegen jede Vernunft zu glauben was immer Sie möchten – aber müssen tun Sie’s nicht.

Die Kirche lässt uns in Deutschland und Europa wirklich frei sein.

Die Kirche hat gar keine andere Wahl mehr, als es Ihnen zu überlassen, wie Sie sich Ihren Glauben zusammenbasteln. Diesen Vorgang nennt man „Cherry picking“ – gemeint ist das Herauspicken der Kirschen als Bild für das beliebige Auswählen von Inhalten, die einem in den Kram passen und Weglassen von dem, was einen stört.

Kein vernünftiger, halbwegs aufgeklärter Mensch wird heute noch ernsthaft an die religiösen Dogmen glauben wollen, die die Kirche eigentlich ihren An- bzw. Abhängigen vorschreibt. Würde man alle, die sich heute noch selbst als Christen bezeichnen, einen Fragebogen mit nur etwa 10 Fragen ausfüllen lassen, dann würde sich sicher herausstellen, dass nur noch die allerwenigsten Christen tatsächlich die grundlegenden Dogmen und Inhalte glauben.

Das ist zwar dem Grundgesetz zu verdanken, aber trotzdem dürfen wir uns freuen.

Nicht „zwar“ und „trotzdem“, sondern „ausschließlich“ und „genau deswegen“ (!) dürfen wir uns freuen – nämlich darüber, dass mit der Säkularisierung unserer Gesellschaft auch der Einfluss der Kirchen so zurückgedrängt werden konnte, dass er heute zumindest für unsere Gesellschaftsordnung keine wirkliche Bedeutung mehr hat.

[…] Das würde für Deutschland bedeuten, weil hier am meisten Christen leben: Die Bibel ist unser Gesetz und nicht mehr das Grundgesetz.

Da wollen wir aber gleich mal den unzähligen tapferen Männern und Frauen herzlich danken, die bis zum Einsatz ihres Lebens über Jahrhunderte gegen die Kirche gekämpft haben und die damit die Säkularisierung so weit voranbrachten, dass wir heute unabhängig von Glaube, Geschlecht und Weltsicht heute die Freiheit genießen dürfen, die in unserem Grundgesetz basierend auf humanistischen Werten verankert ist. Ohne die großen Verdienste dieser Menschen gäbe es vermutlich auch bei uns heute noch Steinigungen, Kreuzigungen und alle anderen Arten von menschenverachtender Gewalt wie bei anderen Religionen, die noch keine Säkularisierung durchlaufen haben.

[…] Na dann wäre aber einiges anders, wenn das Alte Testament für Christen gelten würde.

Das heißt, das Alte Testament, immerhin nach wie vor ein Teil der angeblich von Gott geoffenbarten Bibel, die die Christen gern als „sinnvolle Richtschnur“ für das Leben der Menschen ansehen, gilt in Wirklichkeit gar nicht? Wieso ist es dann noch immer Teil der Bibel? Und gilt dann der Rest der Bibel auch nicht mehr? Woher wissen Sie, welche Teile der Bibel heute noch gelten und welche nicht?

Der Koran ist zwar etwas jünger als die Bibel – er stammt aus dem 7. Jahrhundert – aber adäquat für eine an die moderne Zeit angelehnte Gesetzgebung kann man das auch nicht nennen.

Mit beiden Büchern lässt sich beliebig praktisch jedes Verhalten begründen und rechtfertigen. Während der Islam noch nicht säkularisiert wurde, hat das Christentum diesen wichtigen Prozess schon hinter sich. Heute werden aus der Bibel nur noch die Auszüge verwendet, die zu einem halbwegs aufgeklärten Weltbild passen. Trotzdem gibt es auch heute noch Fundamentalisten, die die Bibel sehr wohl als wörtlichen Leitfaden für die heutige Gesellschaft ansehen – Altes Testament inklusive.

Interessant aber: Ein Teil der 10 Gebote aus dem Alten Testament sind dennoch wichtiger Bestandteil in der Grundgesetzgebung und können auch heute noch als adäquat angesehen werden.

Damit würde man allerdings der Grundgesetzgebung unrecht tun. Die 10 Gebote stammen aus einer Zeit, in der sich die Menschheit noch in einer sehr frühen Stufe ihrer kulturellen Entwicklung befand. Menschenrechte und Grundgesetze wurden erst viele hundert Jahre später erfunden. Die Wissenschaft konnte damals zwar schon einiges, aber noch nicht einen Hauch dessen erklären, was wir heute wissen.

So wundert es nicht, dass in den 10 Geboten die grundlegenden Menschenrechte wie Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, Gleichberechtigung von Mann und Frau, Freiheit der religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses und natürlich auch kein Recht auf Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit einfach noch nicht vorhanden waren, stehen sie doch in einem unaufhebbaren Widerspruch zur gesamten Ausrichtung der Bibel!

Umgekehrt legitimiert das Grundgesetz weder Religionszwang noch Sippenhaft, weder Sklaverei noch Unterordnung der Frau unter den
Mann – allesamt Inhalte der Zehn Gebote
. (Quelle mit weiteren Infos zu den 10 Geboten)

So gesehen bin ich doch recht froh, dass die Kirche meine „Privatsache“ ist.

Und ich wäre noch viel froher, wenn Kirche bzw. Glauben tatsächlich nur „Privatsache“ wäre – dann wäre nämlich kaum etwas dagegen einzuwenden! Leider ist sie das immer noch nicht, nicht im Entferntesten (auch 2016 noch nicht). Kirche ist ein von der Gesellschaft gegen deren Willen unvorstellbar umfangreich subventioniertes Machtkonstrukt mit extremer Gewinnsucht, einem lächerlichen Anspruch auf Unfehlbarkeit und einem ebenso lächerlichen Heilsversprechen. Die Kirchen sind eng mit der Politik verzahnt und greifen in sehr vielen Bereichen direkt oder indirekt auch heute noch in das weltliche Leben ein.

Allein schon wegen dieser Zusammenhänge verdient die Institution Kirche so massive Kritik, dass man meinen sollte, dass sich niemand mehr freiwillig zu ihr bekennen kann.

Und dass ich Christin in einem demokratischen Land sein darf. *

Dabei ist Ihnen hoffentlich bewusst, dass auch die Demokratie gegen den erbitterten Einfluss Ihrer alles andere als demokratischen Kirche mühsam und auf Kosten vieler Opfer eingeführt werden musste. Diese Verdienste, von denen auch Sie als Christin heute profitieren, sind auf jeden Fall wesentlich höher zu würdigen als eine erfundene Erlösung durch einen angeblichen masochistischen Kreuzigungstod in der Eisenzeit.

*Unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ fordert Osthessennews jede Woche zum Nachdenken auf. Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.

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