Kommentar zu NACHGEDACHT 100: Der Sinn des Liebens

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Kommentar zu NACHGEDACHT 100: Der Sinn des Liebens, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 7.12.2014 von osthessen-news.de

Vergebens war ich als dreizehnjähriges Mädchen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens. Schwermütig, ja beinahe an der Welt verzweifelnd wusste ich mir nicht zu erklären: Was wiegt im Leben so viel, dass es den Sinn des gesamten Daseins ausmacht? Familie, Freunde, Gesundheit und Geld – nach welcher Seite schlägt die Waage aus? Du kannst nicht das Gewicht bestimmen, niemand kennt die Formel: Was wiegt Freundschaft, was wiegt Zugehörigkeit? Ich wusste: Du allein musst die Rechnung machen.*

Es ist aufrichtig bedauernswert, dass Sie auf Ihrer Sinnsuche offenbar so wenig brauchbare Unterstützung erfahren hatten, dass Sie darüber beinahe an der Welt (die ja nun wirklich nichts dazu kann) verzweifelt wären.

Doch ohne einen einzigen Hinweis erschien es mir sehr schwer, deswegen fasste ich meinen gesamten Mut zusammen – es war wie jetzt Weihnachtszeit – und fragte unseren Gemeindepfarrer mitten in der Kirche: „Was ist der Sinn des Lebens?“ Wundersamerweise hat er nicht mein Anliegen abgewiesen.*

Das wäre aber auch seltsam gewesen, verdient er doch schließlich sein Geld damit, dass er Menschen einen „Sinn“ ihres Daseins liefert (leider vollkommen unabhängig davon, wie sinnvoll oder wahr dieser Sinn auch sein mag).

Er gab mir auch keine Antwort, sondern seine Hand zeigte auf einen riesigen Banner, der in der Kirche aufgehängt war. „Lies das und nimm es dir zu Herzen!“, sagte er. Ich begann zu lesen: „Gott suchen und Gott finden.“*

Wer einem Menschen auf Sinnsuche empfiehlt, Gott zu suchen und Gott zu finden, der verhält sich äußerst fragwürdig und verantwortungslos. Statt sich mit einer Empfehlung an der Realität und an den Bedürfnissen des Menschen zu orientieren, suggeriert diese Aufforderung, es gäbe einen Gott, den man finden könne und dass es Aufgabe des Menschen sei, diesen Gott zu suchen und dass dieser Gott die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens geben könne. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um ein unterhaltsames Märchen, sondern um nichts weniger als um die Beantwortung der Frage nach des Sinnes des Lebens.

Als dreizehnjähriges Mädchen erschienen mir diese Worte als sehr mächtig und deswegen dachte ich: „Jawohl, jetzt hast du etwas gefunden, das hört sich wirklich „schwer“ an.“*

Kein Wunder. Schwer (bzw. gar nicht) zu verstehen, weil völlig irrational und fiktiv wie eine Märchenstunde. Das kann ein Kind schon belasten, besonders dann, wenn es keinen anderen, realen und nicht frei erfundenen Input bekommt.

Nur leider war dies erst ein Puzzle zu meiner großen Antwort. Das letzte Puzzleteil lieferte mir ein Professor an der Uni. Er hat uns Studenten immer wieder „gepredigt“: „Gott ist die Liebe. Und in jeder Liebe zeigt sich Gott.“*

Selbst wenn Gott entgegen der mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit tatsächlich existieren sollte, hat er sich noch niemals in irgendeiner Art und Weise zu Wort gemeldet, auch ist er noch niemals in irgendeiner Art und Weise in Erscheinung getreten. Da sich die Menschen schon über 3000 Götter ausgedacht haben ist es zudem höchst unwahrscheinlich, ausgerechnet an den „wirklich richtigen“ Gott zu glauben.

Wer da behauptet, Gott sei die Liebe, der lügt nicht nur (weil er es einfach nicht wissen, sondern höchstens glauben oder hoffen kann, und das kann man alles Beliebige), er lässt auch vermuten, dass er wahrscheinlich noch nicht das Glück hatte, wirkliche Liebe selbst zu erleben. Eine solche Aussage setzt außerdem voraus, einen Großteil der Schilderungen der Bibel, nämlich die über das brutale, rachsüchtige und menschenverachtende Wesen Gottes geflissentlich zu überlesen und wegzulassen.

„In jeder Liebe zeigt sich Gott“ ist eine arrogante Beleidigung der Evolution, die den Menschen und wohl auch einige andere Tiere mit der Fähigkeit zur Liebe ausgestattet hat, kompett ohne göttlichen oder sonstigen übernatürlichen Einfluss. Gilt diese Pauschalisierung eigentlich auch für homosexuelle, lesbische oder außereheliche Liebe? Laut Bibel müssen Schwule ja zu Tode gesteinigt werden, das wäre auch eine Form von „In jeder Liebe zeigt sich Gott“, allerdings weißgott keine ethisch Korrekte.

Außerdem ist das eine beliebige Zuordnung seitens des Professors („Professor“ scheint somit keine Garantie für Aufrichtigkeit, Objektivität oder Wahrhaftigkeit zu sein). Mit derselben Sicherheit und tiefen Überzeugung behaupte ich: „Das Fliegende Spaghettimonster ist die Liebe. Und in jeder Liebe zeigt sich das Fliegende Spaghettimonster.“ – und bin damit im Vorteil, weil im Namen und Auftrag des Fliegenden Spaghettimonsters noch kein einziger Mensch jemals verfolgt, verleumdet, vergewaltigt oder ermordet wurde und weil es evidentere Beweise für die Existenz des Fliegenden Spaghettimonsters als für die Existenz eines Gottes gibt.

Demnach hatte ich das schwere Rätsel des Pfarrers gelöst: Ich müsste lernen, zu lieben. Wirklich zu lieben. Echt. Rein. Bedingungslos.*

Genauso „Echt. Rein. Bedingungslos“ wie Ihr Gott, der seine komplette Schöpfung bis auf ein Boot schon mal eliminiert hat, weil sie ihm nicht mehr gefallen hat? Der immer wieder darauf hinweist, dass er ein eifersüchtiger, menschenverachtender, rassistischer und unglaublich brutaler Gott ist (Hervorhebungen von mir):

  • Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; (Ex 20,5, Einheitsübersetzung)
  • Und er sprach zu ihnen: So spricht der HERR, der Gott Israels: Ein jeder gürte sein Schwert um die Lenden und gehe durch das Lager hin und her von einem Tor zum andern und erschlage seinen Bruder, Freund und Nächsten. Die Söhne Levi taten, wie ihnen Mose gesagt hatte; und es fielen an dem Tage vom Volk dreitausend Mann. (2. MOSE 32,27, Luther Bibel 1984)

Oder, wenn Sie Jesus für Gott halten und meinen, er habe Nächstenliebe gepredigt:

  • Wenn jemand zu mir kommt und haßt nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein. (LUKAS 14,26, Lutherbibel 1984)

[…] Aber jeden einzelnen anderen Menschen zu lieben, ihm bedingungslos zu begegnen, keine Grenzen vor ihm aufzubauen, sondern ihm ohne Angst zu begegnen – das ist schwer.*

Besonders, wenn man von einer Religion indoktriniert ist, die auf einem abgrenzenden Gut-Böse-Dualismus aufbaut und damit solche Grenzen erst künstlich aufbaut. Außerdem ist es ziemlich unwahrscheinlich jeden einzelnen anderen Menschen zu lieben, aber das ist auch gar nicht erforderlich. Es würde reichen, mit jedem einzelnen Menschen (ob nah oder fern) fair umzugehen.

Und bisher ist dies in der reinsten Form nur einer Person gelungen: Jesus von Nazareth. In diese Nachfolge sollten wir uns begeben und versuchen, auch den Kranken, auch den Ausgestoßenen, auch den „Sünder“ anzunehmen.*

Kranke und Ausgestoßene kann man zum Glück auch annehmen, ohne sich in die Nachfolge des Jesus von Nazareth begeben zu müssen. Wieder ist es eine arrogante Beleidigung aller liebenden Menschen zu behaupten, ausgerechnet eine zwielichtige Person aus dem Vormittelalter, die angeblich von einem Geist gezeugt und von einer Jungfrau geboren wurde und von der völlig unklar ist, ob es sie überhaupt gegeben hat, hätte „jeden einzelnen anderen Menschen geliebt“ und sei ihm bedingungslos begegnet usw. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde es die Menschheit heute wahrscheinlich schon gar nicht mehr geben, wie uns die Bibel berichtet:

  • Doch jene meine Feinde, die nicht wollten, daß ich über sie herrschen sollte, bringet her und erwürgt sie vor mir! (LUKAS 19,27, Lutherbibel 1912)
  • Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. (MATHÄUS 10,34f, Lutherbibel 1912)

Wer auch den „Sünder“ annehmen möchte, muss sich erstmal darüber klar werden, was „Sünde“ überhaupt bedeutet. Wikipedia weiß dazu: „Die Sünde besteht nach christlichem Verständnis in einer willentlichen Abkehr von Gottes gutem Willen, im Misstrauen Gott gegenüber, im Zulassen des Bösen oder im Sich-Verführen-Lassen. Bei Paulus erscheint die Sünde als eine unheimliche Macht, die das Leben sowie das Zusammenleben bestimmt und die Menschen zu Sklaven ihrer Leidenschaften macht, denen sie entsprechend ausgeliefert sind (Röm 6,12-14 EU).“

Da es keine „willentliche Abkehr von Gottes gutem Willen“ geben kann und weil die Vermutung einer „unheimlichen Macht“ schlicht und ergreifend Humbug ist, stellt sich berechtigterweise die Frage, was „Sünde“ überhaupt sein soll.

Ein schweres Erbe und man wird wohl ein Leben lang brauchen, um diesen Sinn des Lebens umzusetzen.*

Fürwahr ein schweres Erbe, wenn man sich in der Nachfolge dieses Menschen wähnt. Ansonsten ist es ziemlich einfach, den ziemlich einfachen und offensichtlichen, weil natürlichen Sinn des Lebens kreativ und mit viel Liebe und Leidenschaft umzusetzen: Der Sinn des Lebens eines jeden Individuums ist es, das eigene Wohl zu mehren und Wehe zu vermeiden. Wer das unter Berücksichtigung der gleichberechtigten Interessen Anderer als Ziel verfolgt, hat sowohl einen Sinn, also auch kein Problem mit seltsamen Moralismen, die auf archaischen Märchen und Mythen basieren und deren Ziel es ist, die Menschheit in Gut und Böse zu spalten.

In der irdischen Wirklichkeit ist die Sinnfrage also vergleichsweise einfach und vorallem schlüssig zu beantworten. Alternativ kann man sich natürlich auch mal mit der Zahl 42 intensiver beschäftigen, es deutet einiges darauf hin, dass sie der wahre Sinn des Lebens, des Universums und des ganzen Restes ist.

Interessant ist auch noch die recht einfache Erklärung zur Überschrift „Sinn des Liebens“, die der Artikel eigentlich gar nicht wirklich liefert: Die Liebe ist, bildlich gesprochen, ein „Geschenk“ der Evolution an die Menschheit und an weitere Tierarten. Sie ist nichts außer- oder Überirdisches, sondern basiert auf rein natürlichen, in erster Linie biochemischen Abläufen, was nicht heißt, dass sie nicht auch noch viel mehr als das, nämlich vermutlich auch eine Emeregenz aus diesen Abläufen ist. Das mag wenig romantisch klingen, ist aber nun mal so, egal, ob man es romantisch findet oder nicht. Wer liebt, steigert damit sein Wohl (und im Idealfall auch des Wohl der oder des Geliebten), das ist der Sinn des Liebens.

Wenn mit „Lieben“ körperliche Liebe gemeint sein soll, dann ist der Sinn entweder wiederum das persönliche Wohl in Form von Lust (die eigene und/oder die des Partners oder der Partnerin), oder auch die Weitergabe seiner Gene an die nächste Generation, was ebenfalls dem natürlichen Grundprinzip des Eigennutzes entspricht. Ganz einfach.

Dass der Mensch in besonderer Weise (was allerdings auch noch gar nicht feststeht) zur Liebe fähig ist dürfte darauf zurückzuführen sein, dass diese Fähigkeit in bestimmten Situationen zu Beginn des Zusasmmenlebens von Menschen einen Vorteil für den Menschen (oder einen seiner Vorgänger) brachte, der emphatischer war als die anderen. Weder ist Gott die Liebe, noch zeigt sich Gott in der Liebe. Wer das behauptet, lügt (bis zum Beweis des Gegenteils) dreist, ganz unabhängig vom akademischen Grad.

AN MEINE LESER: Es wird Zeit, Danke zu sagen. Danke, dass seit 100 Wochen viele Leser jeden Sonntag mit mir „nachdenken“. Danke, dass ich die Möglichkeit habe, jeden Sonntag etwas von mir weiterzugeben. Danke an alle Leser von „Nachgedacht“! Ich wünsche Ihnen viel Liebe im neuen Jahr 2015!*

AN DIE AUTORIN: Da ich Ihre Beiträge von „neu nach alt“ lese und kommentiere, stehen mir Ihre ersten 99 Artikel noch bevor. Gerne denke ich jeden Sonntag mit Ihnen nach und gebe etwas von mir weiter. Ich wünsche Ihnen ebenfalls viel (echte, diesseitige) Liebe!

*Das Online-Portal Osthessennews fordert jede Woche unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ mit „liberal-theologischen“ Gedanken zum Nachdenken auf. Alle Zitate stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.

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