Kommentar zu NACHGEDACHT 107: „60-Minuten-Christen“

Lesezeit: ~ 4 Min.

Kommentar zu NACHGEDACHT 107: „60-Minuten-Christen“,
veröffentlicht am 25.1.2015 von osthessen-news.de

„Wir bitten dich, dass wir dir im Gebet begegnen“ – eine Fürbitte, die ich letztens in einem Buch lesen musste. Im Gebet Gott begegnen, das hört sich ja nicht wirklich verwerflich an.*

Für mich schon, weil ich es schon verwerflich finde, Menschen zu erzählen, es gäbe einen Gott.

Wer will schon nicht Gott begegnen?*

Ich! Mir reichen schon seine selbsternannten „Vertreter“ und Möchtegern-Nachfolger auf Erden, die von ihrer Umwelt verlangen, ihre Gottesfiktion als real anzuerkennen…

Dennoch hat mich diese Bitte auch schmunzeln lassen: Da hat einer noch nicht wirklich verstanden, was Christentum bedeutet.*

Genauer: Er hat nicht verstanden, was Christentum für Sie bedeutet, der kleine Dumme – da kann man schon man schmunzeln, wenn man es doch sogar studiert hat. Da eine Religion ausschließlich auf von Menschen getroffenen Aussagen und Werten beruht, hat der Fürbittende doch genauso wie Sie das Recht, seine Religion seinen Wünschen und Vorstellungen entsprechend zu gestalten, eben genauso, wie Sie das ja auch ständig tun.

Kleiner „Trost:“ Egal ob Völkermord oder Nächstenliebe: Es hat sich noch niemals auch nur einer der gut 3000 Götter, die sich die Menschheit schon ausgedacht hat, über eine Fehldeutung seines angeblichen Willens beschwert.

Oder besser: was Christ-Sein bedeutet. Es bedeutet jedenfalls m.E. nicht, eine stille und heimliche Gottesbegegnung, die nur ganz allein für mich ist und sonst aber für niemanden.*

Genau – m.E. – und s.E. eben nicht. Wenn man Religion als das betrachtet, was sie nur sein kann (nämlich eine Fiktion), dann ist es völlig unerheblich, wessens Erachtens Sie was bedeutet und was nicht, sie ist und bleibt belang- und bedeutungslos, unabhängig von der Auslegung (zumindest, solange Sie Ihre Religion als ihr Privatvergnügen betreiben).

Abgesehen davon steht in der Fürbitte doch gar nichts von „ganz allein“, da steht „wir bitten dich, dass wir dir im Gebet begnen“ – also offenbar eine Gruppe von Menschen, die derselben Illusion erlegen sind wie Sie, deshalb verstehe ich Ihr Problem nicht.

Sie fragen sich vielleicht, warum ich solch einen harmlosen Satz schlecht machen möchte.*

Mich frage ich das nicht, weil mir ja bewusst ist, dass Sie aufgrund Ihrer religiösen Prägung gerne in falsch und richtig einteilen und zudem offenbar für sich beanspruchen, die „wahrere“ Wahrheit zu kennen, obwohl Sie die natürliche Wirklichkeit ja durch Fiktionen wie Götter beliebig erweitern. Das ist so ähnlich, wie wenn sich spielende Kinder mit den tollen Eigenschaften ihrer erdachten Helden zu übertrumpfen versuchen.

Dies ist auch nicht meine Absicht.*

Warum tun Sie es dann?

Ich möchte nur zum Umdenken bewegen.*

Ich auch! Denken würde sogar für den Anfang schon genügen, das Um- käme dann als logische Folge von selbst.

Gott ist nicht nur unser privates Eigentum und Christ-Sein findet auch nicht nur 60 Minuten im Sonntagsgottesdienst statt.*

In Anbetracht der Tatsache, dass Gott bis zum Beweis des Gegenteils nur als Fiktion in den Köpfen von Menschen „existiert“, kann man ihn durchaus auch (genaugenommen eigentlich nur) als „privates (geistiges) Eigentum“ auffassen.

Nein, Christ zu sein ist eine Aufforderung, ein Anspruch. Gerade wenn man aus der Kirche kommt, geht’s mit dem Christ-Sein erst richtig los.*

Und genau das ist das Problem. Gegen das private (oder auch gemeinschaftliche) Ausleben einer Illusion ist grundsätzlich ja gar nichts einzuwenden – wem das reicht, um glücklich zu werden und wer vielleicht sowieso ein Problem mit der Realität hat…

Aber „gerade wenn man aus der Kirche kommt,“ muss es mit dem Christ-Sein auch wieder gut sein und es müssen wieder die Spielregeln gelten, die für alle Individuen auf der Erde gelten, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Glaube, sexueller Orientierung, Wohnort oder Gruppenzugehörigkeit.

Wir können doch nicht nur das Glaubensbekenntnis sprechen, aus der Kirche kommen und einen Hund treten.*

Steht im Glaubensbekenntnis, dass man keinen Hund treten darf? Wer hat nochmal angeordnet: Macht euch die Erde untertan! ? Wer sorgt mit einer unsinnigen Erhöhung der Trockennasenaffenart „Mensch“ über die restliche Spezies dafür, dass sich Menschen als die „Krone der Schöpfung“ fühlen, obwohl sie genauso Säugetiere sind wie alle anderen auch? Wer genau?

Ob man einen Hund treten darf oder nicht hat absolut nichts mit den Inhalten Ihres Glaubensbekenntnisses zu tun sondern sondern damit, dass es unethisch wäre, dies zu tun – wiegesagt völlig unabhängig davon, was in Ihrem oder auch in jedem anderen Glaubensbekenntnis dazu steht. Was, wenn der Hund gerade dabei ist, ein Kind zu zerfleischen? Dann wäre es, ganz unabhängig von Ihrem Glaubensbekenntnis, möglicherweise schon angebracht, ausnahmsweise mal einen Hund zu treten, oder?

Ganz überspitzt gesagt. „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ In Gemeinschaft erleben wir Gott.*

In der Gemeinschaft mit Menschen erleben wir Gemeinschaft mit Menschen. Gott erleben wir in der Gemeinschaft mit Menschen genauso, wie wir das Fliegende Spaghettimonster in der Gemeinschaft erleben. Nur, weil Sie sich einen emphatischen Gott wünschen, dürfen Sie sowas nicht einfach als Tatsache behaupten, dadurch wird Ihr Gott auch nicht realer.

Und viel wichtiger: Gott wird offenbar, er ist tatsächlich in der Welt mitten unter uns, wenn wir dem Nächsten helfen.*

Durch Tatsachenbehauptungen werden verklärte Lügen nicht wahrer. Der Fehlschluss, die menschliche Fähigkeit zur Empathie sei ein Beweis für die Existenz eines Gottes, ist eine beliebige Falschzuordnung von Wunsch und Wirklichkeit. Sie machen damit Menschen, die dem Nächsten helfen lächerlich, indem sie dieses rein menschliche Verhalten ausgerechnet Ihrem Gott zuschreiben, weil es Ihrer naiven Wunschvorstellung eines liebevollen Gottes entspricht.

Leider ist „dem Nächsten helfen“ eine leere Wortaneinanderreihung geworden.*

Es liegt an Ihnen, was „dem Nächsten helfen“ für Sie konkret bedeutet.

Keiner weiß mehr, die Worte richtig mit Inhalt zu füllen. Und mit Handlung sowieso nicht.*

Achso, dann muss ich mir ja auch keine Gedanken mehr um Nächstenliebe machen, praktisch.

Wir müssen jedenfalls nicht Unsummen an Geld investieren, um Nächstenliebe zu tun.*

Interessanterweise tritt auch hier wieder einmal mehr der religiöse Dualismus zutage. Gefordert wird Nächstenliebe, was ist mit den Fernsten? Diese auf den ersten Blick marginale Differenzierung ist tatsächlich äußerst prekär, ermöglicht sie es doch dem guten Christenmensch, sich voller Nächstenliebe um seine Nächsten zu kümmern, während er sich um das Leid derer, die nicht in seiner Nähe sind (zum Beispiel die, die seine Kleider genäht, seine Rohstoffe ab- oder seine Nahrung angebaut haben) nicht so wirklich Gedanken machen muss. Je ferner, umso besser.

Bei Jesus hat manchmal schon eine Umarmung alles geändert.*

Weil auch er als Angehöriger der Trockennasenaffenart „Mensch“ zu Emphatie in der Lage war – wie jeder andere Mensch auch. Abgesehen davon ist diese Aussage wie so oft wiedermal viel mehr „Wunsch“ als „Wirklichkeit.“ Egal, wen ein bestimmter apokalyptischer Wanderprediger im Vormittelalter angeblich mal umarmt haben soll – dieser Vorgang, so er denn stattgefunden hat – hatte mit allergrößter Wahrscheinlichkeit keinen gravierenden Einfluss auf der Welten Lauf, auch wenn sich das Menschen bis heute noch ausmalen.

*Das Online-Portal Osthessennews fordert jede Woche unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ mit „liberal-theologischen“ Gedanken zum Nachdenken auf. Alle als Zitat gekennzeichnete Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.

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