Wort zum Wort zum Sonntag: Das Ende der Brüderlichkeit?

Lesezeit: ~ 3 Min.

Wort zum Wort zum Sonntag: Das Ende der Brüderlichkeit?, verkündet von Elisabeth Rabe-Winnen (ev.), veröffentlicht am 25.6.2016 von ARD/daserste.de

[…] Brexit!

Ich hatte mit dieser Entscheidung nicht gerechnet.*

Natürlich liefern der Austritt Großbritanniens aus der EU, sowie die aktuelle (welt-)politische Situation reichlich Diskussionsstoff. Wieso jedoch ausgerechnet die Meinung einer Pastorin, also einer Person, die in einer um erfundene Wesen erweiterten und damit Scheinwirklichkeit lebt, so bedeutsam sein soll, dass sie vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf Staatskosten am Samstag Abend öffentlich verkündet werden muss, bleibt einmal mehr unklar.

Ich will den Traum nicht aufgeben – den Traum vom Weltbürgertum und vom Frieden, den Traum: „Alle Menschen werden Brüder.“ Alle Menschen. Davon träumen Menschen schon immer.

Ob Frau Elisabeth Rabe-Winnen wirklich nicht bewusst ist, dass es gerade Religionen wie auch die ihre sind, die genau diesen Traum von globaler Brüderlichkeit, vom Weltbürgertum und vom Frieden über Jahrhunderte hinweg und auf Kosten vieler Millionen Menschenleben mit aller Macht verhindert haben und bis heute zu verhindern versuchen? Oder ob sie es einfach nicht wahrhaben will?

Dass es gerade die längst überholten religiösen Moralismen aus der Bronzezeit und aus dem Vormittelalter sind, die die Menschheit bis heute spalten und dass es die Religionsdiener sind, die versuchen, Menschen gezielt davon abhalten, an ethischen Standards zu arbeiten, die für alle Menschen, also auch unabhängig von der jeweils bevorzugten (bzw. geerbten) Ausprägung der göttlichen Wahnvorstellung gelten können?

Am massivsten war dieser Traum jedenfalls in dem Jahrtausend unterdrückt worden, in dem das Christentum noch mehr Einfluss hatte und das als das „Dunkle Zeitalter“ in die Geschichte eingegangen ist.

[…] „Alle Menschen werden Brüder.“ Paulus beschreibt diesen uralten Menschentraum in der Bibel so: „Wir alle sind Gottes Kinder. (…) Da ist weder Sklave noch Freier, weder Jude noch Grieche, weder Mann noch Frau.“

Und ob Frau Elisabeth Rabe-Winnen wirklich nicht bewusst ist, dass „Alle Menschen werden Brüder“ etwas anderes bedeutet als „Wir alle sind Gottes Kinder“? Mit „alle Menschen“ sind alle Menschen gemeint und eben nicht die Gruppe „wir alle, die wir uns den gleichen imaginären Freund vorstellen.“

Als theologiestudierte Pastorin weiß Frau Rabe-Winnen sicher auch, welche Rolle der von ihr zitierte Paulus bei der Hellenisierung des Frühchristentums spielte und dass Paulus nicht zufällig Juden und Griechen erwähnte, sondern ganz gezielt diese beiden. Die Paulinischen „Juden und Griechen“ bedeuten eben nicht „alle Menschen“, sondern explizit nur die, die für die Gründung des Christentums berücksichtigt werden mussten und die für eine staatskompatible Religion opportun waren.

Wen es interessiert, der findet zum Beispiel in diesem Buch die Geschichte des Christentums seit den Anfängen im Schnelldurchgang (zur Rolle Paulus ab S. 108 ff). Und wer es gerne ausführlicher hat, sollte sich die komplette Kriminalgeschichte des Christentums zu Gemüte führen.

Berücksichtigt man die biblische Gesamtaussage, so wird noch deutlicher, dass das Christentum wie praktisch jede monotheistische Religion auf Trennung und Spaltung unter Menschen aufbaut und diesen schädlichen Dualismus gründlicher und länger als es irgendeine andere Ideologie bisher betrieben hat und bis heute betreibt.

Heilsversprechen gelten nur für die Zugehörigen der eigenen Gruppe („Gottes Kinder“), die dadurch über alle Un- und Andersgläubigen überhöht wird („auserwähltes Volk“). Biblische Aufrufe zu Brüderlichkeit, die sich halbwegs mit einer modernen Ethik in Einklang bringen lassen könnten, beziehen sich ebenso nur auf die Mitglieder der „ingroup“ –  auf alle Anderen warten systematische Vernichtung (im Alten Testament) oder zeitlich unbegrenzte Bestrafung durch physische und psychische postmortale Höllenqualen (im Neuen Testament).

„Alle Menschen werden Brüder.“ Die Europahymne ist für mich jetzt noch wichtiger geworden.

Dann wäre es doch nur noch konsequent, die Herausforderungen der heutigen Zeit auch mit Mitteln anzugehen, die uns heute zur Verfügung stehen und nicht mit Geschichten, die einem Religionsgründer vor knapp 2000 Jahren mal opportun erschienen und die für die globalisierte Menschheit im 21. Jahrhundert einfach nicht mehr Bedeutung haben als zum Beispiel die Geschichten aus der griechischen Göttersagenwelt.

Die Zeit, die Theologen bis heute damit verbringen, aus den biblischen Märchen und Mythen irgendetwas Bedeutsames herauszudestillieren (oder hineinzuinterpretieren), könnten sie jedenfalls sicher viel sinnvoller und effektiver nutzen.

Die Erkenntnis, dass es auch in der Bibel einen Satz gibt, der, wenn man ihn aus dem Kontext der biblischen Gesamtaussage herauspickt, auch irgendwie etwas mit dem Thema zu tun haben könnte, hilft jedenfalls nicht wirklich weiter und ist für die Beurteilung der heutigen Situation bedeutungslos.

*Die als Zitat gekennzeichnete Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.
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