Kommentar zu: ALGERMISSEN: „Kirche muss sich für umfassendes Lebensrecht starkmachen“

Lesezeit: ~ 4 Min.

Kommentar zu ALGERMISSEN: „Kirche muss sich für umfassendes Lebensrecht starkmachen“,
Original-Artikel verfasst von bpf/ma, veröffentlicht am 25.12.2015 von osthessennews.de

Die Botschaft der Weihnachtsnacht „Fürchtet euch nicht!“ könne man gerade in diesem schwierigen Jahr, das für viele eine Wende sei, als tröstliches und befreiendes Evangelium auf sich beziehen, so Bischof Algermissen. Diese Botschaft verändere den Menschen, der glaube, von Grund auf.*

Wer einer abgegrenzten Gruppe von Anhängern eines bestimmten Gottes mit falschen Sicherheitsversprechen wie „Fürchtet euch nicht!“ einlullt, der wiegt diese Menschen nicht nur in trügerischer Sicherheit, er befreit sie damit auch vor der unangenehmen Verantwortung, sich sehr wohl zu „fürchten“, nämlich sich mit Ängsten und Problemen auseinandersetzen zu müssen.

Dieses Evangelium ist deshalb weder tröstlich noch befreiend, sondern nichts weiter als ein billiger Taschenspielertrick, ein leeres Versprechen. Wer sich als gläubiger Mensch wirklich von Grund auf verändern möchte, wer echten Trost und Befreiung sucht, sollte zunächst damit beginnen, an sich selbst und nicht an einen angeblichen Gott zu glauben.

„Derart erneuerte Menschen, von Gott gewollt und angenommen, mit einer unwiderruflichen Würde beschenkt, dürfen sich mit den Fakten, die diese Welt setzt, nicht einfachhin abfinden.“*

Diese Aussage ist an Überheblichkeit und Abfälligkeit kaum zu überbieten. Hier wird ernsthaft behauptet, es gäbe einen Gott, der die durch einen Glauben an ihn „erneuerte“ Menschen „wollen“ und „annehmen“ würde und der diese obendrein noch mit einer „unwiderruflichen Würde“ beschenke. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass Menschen, die nicht an diesen Gott glauben, weniger oder zumindest keine unwiderrufliche Würde haben? Wie arrogant und selbstgefällig muss man sein, um so etwas öffentlich behaupten zu können?

Was mit dem überwiegenden Teil der Menschheit (die nicht an diesen Gott glaubt) geschieht, bleibt offen. Erst im nächsten Satz beschreibt Herr Algermissen die Realität, nämlich dass Christen immer häufiger als Fremdkörper empfunden würden, er spricht von

Störenfriede in einer neuheidnischen Gesellschaft, deren Konsense sie nicht mitzutragen bereit seien.*

Offenbar unterscheidet Herr Algermissen in bekannt religiös-dualistischer Art nur zwischen seinem Gott und einem kumulativen „Neuheidentum“. Dass es immer mehr Menschen gibt, die völlig ohne Gedankenkonstrukte und Wahnvorstellungen wie die eines Gottes auskommen, scheint noch nicht zu ihm durchgedrungen zu sein.

Meint er mit „Konsense“ vielleicht die Erkenntnisse und Errungenschaften von Wissenschaft, Philosophie und Kunst? Was diesen Konsens angeht, könnte man Menschen, die noch an einen fiktiven Gott glauben und dessen Existenz als real darstellen und fordern, tatsächlich als „Störenfriede“ ansehen, bedienen sich diese Menschen doch fiktiver Illusionen zur Begründung ihrer Aussagen, statt sich an die allgemein anerkannte Wirklichkeit zu halten. Was diese Menschen natürlich nicht davon abhält, trotzdem fleißig von genau diesen real existierenden Errungenschaften, die ihre Kirche jahrhundertelang mit Wort und Schwert leidenschaftlich bekämpft hat, ausgiebig Gebrauch zu machen.

Umgekehrt: Zum Glück für die Menschheit sind immer weniger Menschen bereit, religiöse „Konsense“, die in Wirklichkeit eben keine „Konsense“, sondern Dogmen, Moralismen und Dualismen und verantwortlich für mehr Leid in der Welt als irgendetwas anderes sind, mitzutragen. Dafür verzichten sie gerne auf das Wohlwollen eines fiktiven Gottes.

Um das verwendete Bild vom Lichtstrahl, der den dunklen Raum erhellt und der dem sich darin befindlichen Kind die Angst nehmen kann, aufzugreifen, müsste man sich nur bewusst werden, dass der Lichtstrahl die Wirklichkeit und die Dunkelheit das religiöse Weltbild ist.

Denn wenn bei uns etwas leuchtet, dann stammt dieses Licht niemals von irgendeiner göttlicher Quelle, sondern es handelt sich dabei um den für das Auge sichtbaren Teil der elektromagnetischen Strahlung, was inzwischen jedem halbwegs aufgeklärten Menschen bekannt sein sollte.

Gerade das Johannesevangelium ist denkbar ungeeignet, um halbwegs belegbare Aussagen darüber zu machen, was Jesus, so er denn gelebt hat, wirklich wollte. Kein Evangelium ist dermaßen nach den Vorstellungen des oder der Evangelisten ausgeschmückt, verändert und umgestaltet worden wie das Johannesevangelium. Als Jude, der Jesus war, hätte er sich selbst niemals als Erlöser dargestellt, sondern nur als Ankündiger der kurz bevorstehenden Erlösung (die, wie wir wissen, bis heute noch nicht eingetreten ist.)

Karl Rahners Aussage, dass alles an diesem Fest vom Glauben an die Menschwerdung Gottes lebe, stimmt insofern, als dass es tatsächlich nur vom Glauben lebt, dem Glauben an etwas, wofür es weder Beweise, noch irgendeinen einzigen seriösen Anhaltspunkt gibt – im Gegenteil. Da nicht von der Existenz eines Gottes auszugehen ist, ist auch eine Menschwerdung eines Solchen bis zum Beweis des Gegenteils ausgeschlossen. Es handelt sich dabei, wie von Rahner richtig bemerkt, um eine Illusion, ein archaisches Märchen, wild zusammengemixt aus Realität, nachträglich eingefügten alttestamentlichen Aussagen, religiösen Dogmen und freien Erfindungen des oder der Autoren.

Nicht Gott oder Jesus machen unsere Nacht hell, sondern Licht, also der für das Auge sichtbare Teil der elektromagnetischen Strahlung. Auch im übertragenen Sinn erhellt uns Gott nicht, im Gegenteil, er verschleiert den klaren Blick auf die Wahrheit und auf die Realität – und er wird von Menschen zur Schaffung von künstlichen Gräben zwischen „Gläubigen“ und „Un- oder Andersgläubigen“missbraucht.

Eine andere als eine fiktive Hoffnung kann er ebenfalls nicht bieten, da noch kein Gott jemals auch nur einmal nachweisbar in Erscheinung getreten ist und weil noch niemals auch nur ein Gebet je erhört wurde. Wer Menschen etwas anderes erzählt, täuscht sie und wiegt sie in gefährlicher, weil falscher, illusorischer Sicherheit. Und er entbindet sie damit von ihrer Aufgabe, sich kritisch und offen mit sich und ihrer Umwelt auseinanderzusetzen.

Inwiefern sich die Kirche für ein „umfassendes Lebensrecht“ stark machen möchte, geht aus dem Artikel leider nicht hervor. So bleibt zum Beispiel offen, ob diese Forderung wieder nur für Gläubige, oder für alle Menschen gilt und wie es eigentlich mit dem umfassenden Recht auf selbstbestimmtes Sterben aussieht. Dass die bisherige Haltung der christlichen Kirche zum Thema „Lebensrecht“ wahrscheinlich für mehr Tod als Leben gesorgt hat, dürfte auch hinlänglich bekannt sein…

*Die Zitate in diesem Kommentar stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel von osthessen-news.de.

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