ACHTUNG: Dieser Artikel enthält brutale Originalzitate aus der Bibel, die auf nicht religiös indoktrinierte Menschen verstörend wirken dürften.
Selbst im 21. Jahrhundert betrachten noch viele Menschen die Bibel als ein besonders bedeutsames Buch. Wie kann es sein, dass eine vormittelalterliche Geschichtensammlung, deren Grundlagen bis in die Bronzezeit zurückreichen, heute noch bedeutsamer als andere Erzählungen aus dieser Zeit sein soll?
Dafür haben Bibelanhänger mehrere Argumente parat:
So sollen die Geschichten zwar von Menschen aufgeschrieben, aber vollumfänglich von „Gott inspiriert“ sein, wovon katholische Fundamentalisten wegen der diesbezüglichen Dogmen auch heute noch ausgehen.
Auch wenn diese angebliche göttliche „Verbalinspiration“ von der heutigen Theologie nicht mehr als unbedingte Tatsache angesehen wird (wieso eigentlich plötzlich nicht mehr?), ist trotzdem allenthalben vom „Wort Gottes“ die Rede.
Und das 2. Vatikanische Konzil kam 1965 in der Dogmatischen Konstitution über die göttliche Offenbarung zu diesem Ergebnis (Hervorhebung von mir):
- Das von Gott Geoffenbarte, das in der Heiligen Schrift enthalten ist und vorliegt, ist unter dem Anhauch des Heiligen Geistes aufgezeichnet worden; denn aufgrund apostolischen Glaubens gelten unserer heiligen Mutter, der Kirche, die Bücher des Alten wie des Neuen Testamentes in ihrer Ganzheit mit allen ihren Teilen als heilig und kanonisch, weil sie, unter der Einwirkung des Heiligen Geistes geschrieben (vgl. Joh 20,31; 2 Tim 3,16; 2 Petr 1,19-21; 3,15-16), Gott zum Urheber haben und als solche der Kirche übergeben sind. Zur Abfassung der Heiligen Bücher hat Gott Menschen erwählt, die ihm durch den Gebrauch ihrer eigenen Fähigkeiten und Kräfte dazu dienen sollten (2), all das und nur das, was er – in ihnen und durch sie wirksam – geschrieben haben wollte, als echte Verfasser schriftlich zu überliefern. (Quelle: Dogmatische Konstitution Dei Verbum, über die Offenbarung, Vorwort, Kap. 3 Abs. 11)
Im Katechismus der Römisch-Katholischen Kirche von 1997 liest sich der entsprechende Abschnitt so (Hervorhebung von mir):
- Denn die heilige Mutter Kirche hält aufgrund apostolischen Glaubens die Bücher sowohl des Alten wie des Neuen Testamentes in ihrer Ganzheit mit allen ihren Teilen für heilig und kanonisch, weil sie, auf Eingebung des Heiligen Geistes geschrieben, Gott zum Urheber [Autor] haben und als solche der Kirche übergeben sind.
- Die inspirierten Bücher lehren die Wahrheit. ,,Da also all das, was die inspirierten Verfasser oder Hagiographen aussagen, als vom Heiligen Geist ausgesagt gelten muß, ist von den Büchern der Schrift zu bekennen, daß sie sicher, getreu und ohne Irrtum die Wahrheit lehren, die Gott um unseres Heiles willen in heiligen Schriften aufgezeichnet haben wollte“ (DV 11).
(Quelle: Katechismus der Römisch-Katholischen Kirche, II. Inspiration und Wahrheit der Heiligen Schrift, Nr. 105 und Nr. 107)
Da es bis heute genau keinen einzigen seriösen Beleg für die Existenz von Göttern gibt, ist es auch (bis zum Beweis des Gegenteils) ausgeschlossen, dass eine Inspiration tatsächlich von einem Gott verursacht wurde. Wer die echten Verfasser der Bibel sind, ist heute für die meisten Texte nicht mehr nachvollziehbar, man weiß nur, dass die meisten Autorenangaben nicht zutreffen.
Laut katholischer Lehre gilt die Bibel wegen ihrer angeblichen göttlichen Inspiration vollumfänglich „heilig und kanonisch“, also als Maßstab für die Religion festgelegt. Wenn sie, wie oben beschrieben, Gott persönlich zum Urheber haben, sollte man erwarten können, dass die Aussagen darin der Wahrheit entsprechen. Wer sich auch nur einmal objektiv und ehrlich mit der Bibel befasst wird zugeben müssen, dass dies definitiv nicht der Fall ist:
Die Bibel wurde zu einer Zeit verfasst, in der sich die Menschheit am Anfang ihrer sozio-kulturellen Entwicklung befand. Der Wissensstand war, verglichen mit heute, minimal. Sehr vieles, was wir heute wissen, war den Menschen damals so unverständlich, dass ein überirdischer Einfluss die wahrscheinlichste Ursache dafür war. Den Geschichtsschreibern, die ein aus heutiger Sicht lächerlich naives und grundlegend falsches Weltbild hatten, kann man heute keinen Vorwurf mehr machen – sie wussten es einfach nicht besser.
Die Bibel strotzt vor Widersprüchen, Ungereimtheiten und Aussagen, die heute eindeutig als falsch angesehen werden müssen. Niemand, der die Aussagen der Bibel Wort für Wort als wahr ansieht, kann erwarten, heute noch irgendwie ernstgenommen zu werden. Bibelgläubige haben auch dafür eine einfache, wenn auch unredliche Lösung: Alles, was sich nicht mehr ohne größere Verbiegungen mit unserer heutigen Wirklichkeit in Verbindung bringen lässt, wird da einfach als „nicht wörtlich gemeint“ definiert. Dass die Bibel allein schon deswegen nicht mehr ein verbindlicher Leitfaden sein kann, liegt auf der Hand.
Bibelanhänger „argumentieren“ gerne, dass die zahlreichen Widersprüche in der Bibel ja gar kein Problem seien. Gerne weisen sie sogar explizit auf diesen Umstand hin – um ihn dann einfach zu ignorieren, statt die sich daraus zwangsläufig ergebende Fragwürdigkeit zuzugeben. Es sei doch nur verständlich, dass es in einer Geschichtssammlung einige Ungereimtheiten gäbe. Was sie nicht davon abhält, bei anderer Gelegenheit die Bibel trotzdem als Wort für Wort von Gott gegeben und bei Bedarf deswegen auf jeden Fall gültig auszugeben.
Von Bibelgläubigen wird gerne behauptet, die Bibel liefere verbindliche Aussagen darüber, wie wir heute leben sollten. Dabei wird es erst richtig spannend, wenn man die Bibel auf ihre moralisch-ethischen Aussagen hin untersucht. Ganze Heerscharen von Theologen, aber auch etliche Kirchenkritiker haben sich schon mit diesem Thema befasst.
Während Kirchenkritiker zu einem vergleichsweise kompakten, logisch-schlüssigen und einfach zu verstehenden Ergebnis kommen, brillieren die Theologen mit einer schier unglaublich großen, schillernden Palette an Interpretationen, Auslegungen und immer wieder neuen Umdeutungen der biblischen Texte. Selbst an sich sehr klare und unmissverständlich formulierte Aussagen werden da bis zur Unkenntlichkeit, gerne mit hochtrabend-hymnisch-rhetorischem Geschwurbel ganz nach Bedarf unverständlich gemacht oder auch mal ins genaue Gegenteil verkehrt. Aus einem brutalen Menschenopfer wird eine Erlösung, göttliche Grausamkeit ist die „andere Seite der Liebe Gottes“ und so weiter – Orwell lässt grüßen.
Dass Gott in seiner Offenbarung offenbar keinen großen Wert auf Verständlichkeit und Eindeutigkeit gelegt hat, ist für Bibelfreunde kein Problem, im Gegenteil. Gerade durch ihre Vieldeutigkeit ermöglicht die Bibel eine praktisch beliebige Auslegung. Außerdem finden sich in der Bibel Aussagen, mit der sich jedes beliebige Wertebild untermauern lässt. Dazu muss man einfach nur die Sätze oder Halbsätze herauspicken, die die gewünschte Aussage untermauern und den Rest weglassen und hoffen, dass niemand den Kontext der herausgepickten Aussagen liest oder so mit den Bibeltexten vertraut ist, dass er eine gegenteilige Behauptung finden kann. Die Kirchenführer im Mittelalter hatten gewichtige Gründe, Laien die Bibellektüre strikt zu verbieten.
Objektiv lässt sich die moralisch-ethische Aussage der Bibel etwa wie folgt zusammenfassen:
Die Bibel kann schon allein aufgrund der Zeit ihrer Entstehung nichtmal den grundlegendsten human-ethischen Standards unserer heutigen Zeit entsprechen. Das Alte Testament liefert ein Gottesbild, das Gott als ein rach-, blut- und kriegsüchtiges, sadistisches, selbstgerechtes, inhumanes – insgesamt also höchst unangenehmes Wesen beschreibt. Heilsversprechen gibt es nur für die Angehörigen des „auserwählten Volkes“, alle Anders- oder Ungläubigen sind allein schon deswegen gnadenlos und vollständig zu vernichten.
In den 10 Geboten, die noch heute von vielen Menschen als bedeutsam und wichtig angesehen werden, sind neben dem absolutistischen Herrschaftsanspruch Gottes vor allem Dinge geregelt, die sich auch in den Verhaltensregeln vieler anderer Gruppen und im „gesunden Menschenverstand“ genauso finden, sowie Dinge, die für heute zum Glück keine Bedeutung mehr haben (zum Beispiel Vorschriften zur Sklavenhaltung). Hingegen fehlen viele elementare Punkte, die unsere heutige Ethik ausmachen, zum Beispiel Meinungsfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau, respektvoller Umgang mit der Natur u. v. m. in der Bibel komplett.
Im Neuen Testament kommt mit dem biblischen Jesus eine Kunstfigur ins Spiel, der die Schreiber auch einige Eigenschaften zuschreiben, die sich auf den ersten Blick mit heutigen ethischen Standards in Verbindung bringen lassen. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich aber die inhumane, unethische Dimension auch im Neuen Testament:
- Jedem Heilsversprechen steht die permanente, massive Androhung zeitlich unbegrenzter (!) physischer und psychischer Höllenqual gegenüber.
- Die angebliche Liebe Gottes ist keineswegs bedingungslos, sondern wird nur den Menschen in Aussicht gestellt, die sich diesem Gott vollkommen unterordnen: Menschen haben keine Möglichkeit, selbst etwas für ihre „Erlösung“ zu tun – sie sind vollständig auf die Gnade ihres Gottes angewiesen.
- Für vergleichsweise geringe Vergehen („den Bruder einen Narr nennen“), gibt es völlig unangemessene Strafen (Hinrichtung).
- Die Begründung der Forderung von Nächstenliebe ist nicht der Nächste, sondern die angebliche Gottgefälligkeit dieses Verhaltens.
- Die zentrale Grundlage des christlichen Glaubens ist ein unvorstellbar grausames Menschenopfer, das sich ein Gott in Form eines Menschen, zu dem er ein Vater-Kind-Verhältnis hat selbst darbringt, um damit seine Liebe zu den Menschen zum Ausdruck zu bringen.
Während die individuelle Freiheit und die Würde des Menschen in unserer heutigen Ethik den höchsten Stellenwert haben, ist laut Bibel Gott die höchste Instanz. Da natürlich längst nicht alle Menschen an diesen speziellen christlichen Wüstengott glauben, können christliche Moralismen genausowenig als für alle Menschen als verbindlich proklamiert werden wie die Moralismen anderer Religionen.
Um der Bibel überhaupt noch für die heutige Zeit relevante Aussagen entnehmen zu können, ist ein unredlicher Umgang mit den Geschichten erforderlich. Nur wer hochselektiv einzelne Halbsätze, Sätze oder manchmal auch Abschnitte aus dem Kontext reißt, kann diese dann durch entsprechende Interpretation so darstellen, als handle es sich dabei um bedeutsame Aussagen. Hier ein Beispiel aus dem Matthäusevangelium:
- „Und seine Jünger kamen zu ihm [Jesus] und sagten: Erkläre uns das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker. Er antwortete: Der Mann, der den guten Samen sät, ist der Menschensohn; der Acker ist die Welt; der gute Samen, das sind die Söhne des Reiches; das Unkraut sind die Söhne des Bösen; der Feind, der es gesät hat, ist der Teufel; die Ernte ist das Ende der Welt; die Arbeiter bei dieser Ernte sind die Engel. Wie nun das Unkraut aufgesammelt und im Feuer verbrannt wird, so wird es auch am Ende der Welt sein: Der Menschensohn wird seine Engel aussenden und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen. Dann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten. Wer Ohren hat, der höre!“
– Matthäus 13,36-42 EU
Je nachdem, welchen Abschnitt man aus diesem Text entnimmt, ergibt sich eine völlig andere Aussage:
- Der Menschensohn wird seine Engel aussenden und sie werden aus seinem Reich alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und werden sie in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen.
– Allein mit diesen beiden Sätzen wurde schon die Ermordung mehrerer Millionen Menschen gerechtfertigt.
- Dann werden die Gerechten im Reich ihres Vaters wie die Sonne leuchten. Wer Ohren hat, der höre!
– Ohne den Kontext des vorhergehenden Textes erscheint diese Aussage völlig harmlos. Gerecht…Vater…Sonne…leuchten… – alles prima. Dass vorher aber erstmal alle angeblich nicht Gerechten ermordet werden müssen, geht aus diesem Satz nicht hervor.
Anhand dieses Beispiels, das sich noch durch praktisch beliebig viele weitere Beispiele ergänzen lässt, soll gezeigt werden, dass die Bibel eben keine brauchbare Quelle für eine moderne, global verwendbare humane Ethik sein kann.
Praktisch alle religiöse Aussagen werden heute wahlweise mit „persönlichen Empfindungen“ oder eben mit Bibelversen untermauert. Selbst wenn die heutige Theologie praktisch die komplette christliche Lehre vollständig umgedeutet und beliebig neu interpretiert hat, hält die Kirche trotzdem an der besonderen, übergeordneten Bedeutung der biblischen Texte fest. Solange das noch der Fall ist, steht Menschen mit der Bibel jederzeit eine angeblich übergeordnete Instanz zur Verfügung, die sie zur Rechtfertigung jedes beliebigen Wertebildes herannehmen können.
Abschnitte, die mangels Kompatibilität zum aktuell vorherrschenden, aufgeklärten Weltbild derzeit ignoriert, weggelassen, überlesen oder umgedeutet werden, könnten dann plötzlich wieder als relevant, wörtlich zutreffend und bedeutsam angesehen werden.
Die Bibel liefert eben keine verbindlichen Wahrheiten, sondern nur eine Sammlung beliebig ausleg- und selektierbarer Aussagen für alle Anlässe – von Nächstenliebe bis zum Völkermord.
So einfach geht das. Intellektuelle Redlichkeit ist keine Pflicht. Wer sich heute noch auf die Bibel beruft, hat sie entweder nicht gelesen oder er nimmt die Unredlichkeit in Kauf. Und wer seine Moralvorstellung aus einer einzigen archaischen Geschichtensammlung unklarer Herkunft ableitet, sollte unbedingt nachdenken, ob das tatsächlich so eine gute Idee ist…
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