Wort zum Wort zum Sonntag: Macht der Musik

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Wort zum Wort zum Sonntag: Macht der Musik, gesprochen von Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am 14.5.16 von ARD/daserste.de

Wissen Sie, was für mich das Schöne am Eurovision Song Contest ist? Man muss nicht im selben Land leben, nicht dieselbe Religion haben oder dieselbe politische Überzeugung, man muss nicht mal dieselbe Sprache sprechen – Musik versteht jeder.*

Interessanterweise räumt Frau Behnken hier zunächst ein, dass Religion – anders als Musik – durchaus zu den Dingen zählt, die Grenzen schaffen und Menschen und Menschengruppen voneinander trennen, statt sie zu vereinen. Das ist tatsächlich der Fall – besonders monotheistische Religionen sind in ihrem Grunde zwangsläufig spaltend und abgrenzend, das jeweils angeblich „auserwählte Volk“ gegen den Rest der Welt.

[…] Musik kennt keine Grenzen. Pfingsten übrigens auch nicht.

Und schon ists wieder vorbei mit der selbstkritischen Sichtweise. Musik als tatsächlich verbindendes Element muss herhalten, um ein biblisches Märchen bedeutsamer erscheinen zu lassen.

Das ist das christliche Fest an diesem Wochenende, an dem wir feiern, dass Menschen sich verstehen können auch ohne gemeinsame Sprache, dass es universale Sprachen gibt, von Herz zu Herz, über alle Grenzen hinweg. Wie zum Beispiel die Musik.

Von einer „Sprache von Herz zu Herz“ ist in der Bibel keine Rede und deshalb hinkt auch der Vergleich mit der Musik. In der Bibel wird ausführlich beschrieben, welche Völker angeblich plötzlich miteinander sprechen konnten.

Auch der eigentliche Sinn und Zweck des ganzen Wunders wird in der Bibel genannt – nicht etwa der Dialog zwischen Völkern mit unterschiedlichen Sprachen (wozu auch? Schließlich hatte ja die Apokalypse angeblich sowieso gerade schon so gut wie begonnen…), sondern die Verkündung Gottes großer Taten. Da steht nämlich:

  • Wieso kann sie jeder von uns in seiner Muttersprache hören: Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadozien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Zyrene hin, auch die Römer, die sich hier aufhalten, Juden und Proselyten, Kreter und Araber, wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden. (Quelle: Apostelgeschichte 2:8-11 EU)

Die Tatsache, dass die Evolution die Menschheit mit erstaunlichen Eigenschaften und Fähigkeiten „ausgestattet“ hat, ist durchaus etwas, das man mal feiern kann. Mit christlichem oder sonstigem Glauben hat das jedoch nichts zu tun.

Eigenschaften wie Mitmenschlichkeit und Einfühlungsvermögen bedeuteten ab einer bestimmten biologischen und sozio-kulturellen Entwicklungsstufe der Menschheit einen evolutionären Vorteil, deshalb entwickelten sich diese Eigenschaften weiter. Dahinter stecken weder Götter, noch Geister und auch keine anderen Phantasiegestalten.

Nach christlicher Auffassung handelt es sich bei der Sprache offenbar nicht um eine von Menschen entwickelte Fähigkeit, sondern um eine von Gott gegebene Gabe, jedenfalls behauptet ein Herr Dr. Joachim Cochlovius dieses:

  • Nach 1. Mose 11,1 hatten die Menschen, die sich in Mesopotamien gelagert hatten, eine einzige Sprache. Woher kam sie? Da die menschliche Sprache genauso wie der Geist kein menschliches Produkt und auch keine Kulturleistung der Völker darstellt, muß sie als eine besondere Gabe Gottes an die Menschheit verstanden werden. Der redende Gott gibt dem zur Gottesebenbildlichkeit berufenen Menschen Anteil am Wunder der Sprache. Indem Gott Adam mit göttlichem Geist ausstattete, übertrug er ihm auch die Sprachfähigkeit (1. Mose 2,7), indem er mit Adam sprach, brachte er ihn zum Reden (1. Mose 2,16f.). Und indem Adam mit Eva sprach, weckte er ihre Sprachgabe. Diese Initialzündungen wiederholen sich seitdem millionenfach auf der Welt, wenn Eltern zu ihrem noch ungeborenen Kind sprechen und dann mit den Neugeborenen das Sprechen einüben.
    (Quelle)**

Aber nicht nur die Sprache an sich, sondern die „Verwirrung“ der Menschen durch viele verschiedene Sprachen schreiben die Christen ihrem Gott zu (Hervorhebung von mir):

  • Da stieg der Herr herab, um sich Stadt und Turm anzusehen, die die Menschenkinder bauten. Er sprach: Seht nur, ein Volk sind sie und eine Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt wird ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen wir hinab und verwirren wir dort ihre Sprache, sodass keiner mehr die Sprache des anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort aus über die ganze Erde und sie hörten auf, an der Stadt zu bauen. Darum nannte man die Stadt Babel (Wirrsal), denn dort hat der Herr die Sprache aller Welt verwirrt, und von dort aus hat er die Menschen über die ganze Erde zerstreut.
    (Quelle: 1. Mose 11:5-9 EU)

Auch hier bleiben wieder viel mehr Fragen als Antworten, zum Beispiel, warum ein angeblich allmächtiger und allwissender Gott erst herabsteigen musste, um zu sehen, was seine Schöpfung gerade so treibt. Oder warum ein allmächtiger Gott seine Schöpfung erst mit tollen Fähigkeiten ausstattet, sich dann aber vor Anwendung derselben so fürchtet, dass er einschreiten und etwas dagegen unternehmen muss.

Musik kennt keine Grenzen.

Musik nicht – Religion schon, speziell ein monotheistischer Glaube wie das Christentum. Der grenzt seine Anhänger von allen Un- und Andersgläubigen ab. Hoffnung dürfen nur die haben, die an ihn glauben:

  • Und es wird geschehen: Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet.
    (Quelle: Apostelgeschichte 2,21 EU)

Der eigentliche Höhepunkt des Pfingstmärchens ist aber gar nicht das angebliche Sprachverständigungswunder, sondern das vermeintlich kurz bevorstehende „Jüngste Gericht“ (nicht dieses, sondern die Apokalypse), also das Erscheinen Gottes auf der Erde, wie Jesus es als kurz bevorstehend angekündigt hatte (Hervorhebung von mir):

  • […] sondern jetzt geschieht, was durch den Propheten Joël gesagt worden ist: In den letzten Tagen wird es geschehen, so spricht Gott: Ich werde von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch. (Quelle: Apostelgeschichte 2, 16-17 EU)

Heute, knapp 2000 Jahre später, kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, dass sich Petrus mit seiner Ankündigung genauso geirrt hatte wie auch schon Jesus und alle anderen Endzeitprediger vor ihm. Bis heute ist noch keiner der über 3000 Götter, die sich die Menschheit schon ausgedacht hat, jemals auch nur ein Mal seriös belegbar irgendwie in Erscheinung getreten, von einem „Jüngsten Gericht“ ganz zu schweigen.

Dialog statt Mauern hochziehen und Zäune errichten. Wir wissen das doch eigentlich, dass es nur so geht. Wir wissen auch, dass es schwer ist: Miteinander reden, zuzuhören, auch wenn man‘s gar nicht hören will, versuchen, zu verstehen. Kennen wir. Aber: ohne Dialog kein Miteinander.

Und trotzdem erlebe ich ständig, dass Kirchenvertreter den Dialog mit Vertretern der realen, natürlichen Wirklichkeit scheuen „wie der Teufel das Weihwasser.“ Ihre religiöse Scheinwirklichkeit ist ganz offenbar so instabil, dass das ganze religiöse Kartenhaus schon durch einfachste Nachfragen in sich zusammenstürzen würde. Deshalb verbringen die Religionsvertreter ihre Zeit auch viel lieber mit dem interreligiösen Dialog, also mit Gesprächspartnern, die ebenfalls in einer um Phantasiewesen erweiterten Wirklichkeit leben. Wer an Götter, Göttersöhne oder Geister glauben möchte, darf ausdrücklich nicht versuchen, zu verstehen. Kennen wir. Deshalb ist dieser Aufruf zum Dialog nur ein Lippenbekenntnis, eine Heuchelei, jedenfalls, wenn es um den Dialog mit der Wirklichkeit geht.

Was ist los mit Europa? Papst Franziskus, hat wie der ESC auch einen Preis verliehen bekommen, nämlich den diesjährigen Karlspreis, das ist sozusagen der große Bruder der Karlsmedaille.

Zu dieser Verleihung ein Zitat aus einem Beitrag des Humanistischen Pressedienstes:

  • […] Also, was soll ein Karlspreis? Statt europäische Kurz- und Kleindenker mit überzogenen Pensionsansprüchen auszuzeichnen, statt die Rangfolge der Prominenz von oben nach unten abzuarbeiten, statt die Exekution der Geistesfreiheit und die Hinrichtung der Wissenschaften durch einen religionsbesessenen Karolinger zu preisen, statt dessen Zwangstaufen zu ehren, wäre es an der Zeit, die griechischen Künstler und Wissenschaftler, die antike Stadtkultur und das Können römischer Ingenieure auszuzeichnen. Oder die schottisch-französisch-deutsche Aufklärung, die mit den Forderungen nach Freiheit und Menschenrechten die Vorlagen für die westlichen Verfassungen liefert. Denn das eint Europa bis heute. Aber doch nicht Karl.
    (Quelle: hpd)

In seiner Rede zur Verleihung fragt er: „Was ist mit dir los, humanistisches Europa, du Verfechterin der Menschenrechte, der Demokratie und der Freiheit? Was ist mit dir los, Europa, du Heimat von Dichtern, Philosophen, Künstlern, Musikern, Literaten?“

Ich frage zurück: „Europa, warum ist es dir bis heute trotz Aufklärung und Säkularisierung noch nicht gelungen, deine religiöse Bürde abzulegen, unter der du so viele Jahrhunderte lang so sehr gelitten hast? Warum berufen sich so viele derer, die Werte wie Freiheit, Demokratie oder Humanismus gerade mit Füßen treten, bevorzugt auf die angeblichen „christlichen Werte“, wie zum Beispiel in Polen? Wieso herrscht in den Ländern mit dem größten Anteil gläubiger Menschen auch die höchste soziale Ungerechtigkeit? (Quelle, S. 434) Wieso ruft die deutsche Bundeskanzlerin zur religiösen Aufrüstung auf? Wieso behauptet der Bundespräsident, Luthers Blick auf die Rolle des Individuums sei hochmodern?

Meine unverbesserliche Hoffnung ist, dass wir die Grenzen im Kopf überwinden, nationale, kulturelle, religiöse, soziale … immer mehr und dass wir in jedem Menschen, in jedem einzelnen, seine eigene Kostbarkeit und Würde sehen.

Wenn es Ihnen tatsächlich ein Anliegen ist, diese Grenzen zu überwinden, dann beginnen Sie doch gleich selbst damit und überwinden Sie die Abgrenzung, die Ihre Religion schafft. Setzen Sie sich für eine Gesellschaftsordnung ein, in der nicht ein äußerst unsymphatischer Gott, dessen einzige Entschuldigung ist, dass er nicht existiert, sondern die Würde des Menschen an erster Stelle steht. Suchen Sie nach Lösungen in der realen, natürlichen Wirklichkeit, statt Gebete an ein beliebig definierbares, imaginäres Wesen zu richten. Verlassen Sie den Holzweg, der nicht mehr als eine vielleicht hoffnungsvolle Illusion bieten kann und stellen Sie sich der natürlich nicht immer einfachen, aber äußerst faszinierenden und vor allem realen Wirklichkeit!

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Artikel.
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