Kommentar zu Bischof Algermissen – Eine Sanduhr klärt auf – Thema Zeit

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Kommentar zu: „Eine Sanduhr klärt auf“- Das Wort des Bischofs Heinz Josef ALGERMISSEN – „Wort des Bischofs“ vom Sonntag, 24. Juli 2016 zum Thema Zeit, Originalartikel veröffentlicht von Osthessennews

Schon der Titel ist diesmal eines Kommentars wert. Eine Sanduhr klärt nicht auf. Sie zeigt lediglich völlig wertfrei und ohne jede Interpretation eine bestimmte, von Menschen festgelegte Zeitspanne an. Sie kann somit bestenfalls dazu anregen, sich Gedanken zum Thema Zeit zu machen.

Das Ergebnis, zu dem Sie, Herr Algermissen letztlich kommen, hat indes ausgerechnet mit Aufklärung nichts zu tun. Vielmehr trägt Ihr Bischofswort einmal mehr dazu bei, den klaren Blick auf die reale, natürliche Welt religiös zu verschleiern und das rationale, realistische Denken über das Thema Zeit zu vernebeln:

Ein Doppeltes zeigt die Sanduhr vor mir: Hinweis darauf, dass mir Zeit geschenkt wird. Und Sinnbild dafür, dass meine Zeit bemessen und begrenzt ist.[…] Im Glauben an Gott, im Vertrauen auf seine Begleitung kann ich sowohl die viele Zeit als auch die bemessene Zeit zuversichtlich annehmen und leben. Weil ich nämlich mit einem alten Gebet der Juden und der Christen so beten kann: „Herr, ich vertraue dir; du bist mein Gott. In deinen Händen liegt meine Zeit“ (Psalm 31,15ff). Und wenn nun in seinen Händen meine Zeit liegt, ist alles, alles gut.“*

Zeit: Ein Gedankenexperiment

Herr Algermissen, wenn Sie es schaffen, sich mal für einen ganz kurzen Moment vorzustellen, es gäbe den von Ihnen verehrten Gott nicht: Was meinen Sie, wie würde sich dadurch für Ihre Wahrnehmung von Zeit ändern? Und was würde sich am Ablauf der Zeit ändern?

Was ist mit den vielen Menschen, die nicht an Ihren Wüstengott Jahwe, sondern an andere oder an keine Götter glauben? Die sich trotzdem (oder gerade deswegen) der schier unvorstellbar großen Unwahrscheinlichkeit Ihrer Existenz, aber auch genauso der großen Einzigartigkeit und Besonderheit ihres irdischen Daseins bewusst sind? Ohne, dass irgendwelche Götterwesen ihre Finger oder was auch immer im Spiel haben? Die die Natur einfach so annehmen, wie sie auch der Wahrnehmung und Erkenntnis am ehesten entspricht?

Niemand hat Ihnen Ihre Zeit „geschenkt“

begrenzte Zeit
begrenzte Zeit

Eine „Zuversicht“, ein Glauben an Gott ändert bis zum Beweis des Gegenteils nichts an der Tatsache, dass auch Ihnen Ihre Zeit von keinem Gott „geschenkt“ wurde.

Ihr irdisches Dasein begann durch das Verschmelzen einer Samen- und Eizelle, rund 10 Monate vor Ihrer Geburt. Nach Ihrem Tod wird Ihr Körper wieder in seine Bestandteile zerfallen, aus denen er zu diesem Zeitpunkt bestanden haben wird. Dies sind die natürlichen Rahmenbedingungen, auch Ihres Lebens. Alles andere ist Spekulation, Hypothese, Illusion oder Wunschdenken.

Übrigens: Dass Sie heute durchschnittlich doppelt so alt werden wie noch vor einigen Jahrzehnten, verdanken Sie zum größten Teil der wissenschaftlichen Forschung.

Also der Forschung, deren Pioniere Ihre Kirche im vermeintlichen Auftrage Ihres Gottes über Jahrhunderte für ihre Ideen in unbekannt großer Zahl für ihre Arbeit mit dem Tod bestrafte. Nur deshalb, weil die Kirche ihre falschen Dogmen und damit ihre Macht gefährdet sah. Diese Befürchtung war durchaus gerechtfertigt, wie sich heute sagen lässt.

Mit Gott wird alles – unlogisch

Die Umstände von Zeit und Leben lassen sich wesentlich eleganter, schlüssiger, logischer, vernünftiger und sinnvoller erklären und verstehen, wenn man nicht versucht, auch noch erfundene Phantasiewesen darin unterzubringen. Das mag vor einigen Jahrhunderten oder Jahrtausenden noch anders gewesen sein.

Da glaubte man auch noch, dass der Donner vom Donnergott verursacht wird. Weil man es noch nicht besser wusste. Heute wissen wir es besser. Es ist allerhöchste Zeit, auch Jahwe in den längst überfälligen Ruhestand zu schicken. Weder zur Beantwortung der „großen“ Fragen der Menschheit, noch zum Füllen von Wissenslücken braucht man in der heutigen Zeit noch Götter.

Die christliche Lehre von Erlösung und ewiger Herrlichkeit setzt Annahmen über die Zeit voraus, die nicht mehr dem heutigen Wissens- und Erkenntnisstand entsprechen. Durch den Wegfall eines „ewigen Lebens“ entfällt auch die posthume Erlösung, Dauerqual oder Bestrafung.

Rosinenpicken im Psalm 31

Der von Ihnen zitierte Psalm verrät einiges über den rach- und eifersüchtigen Wüstengott Jahwe, in dessen Händen Sie Ihre Lebenszeit wähnen. Laut des von Ihnen gewählten Psalms hasst Gott zum Beispiel Andersgläubige:

  • Dir sind alle verhasst, die nichtige Götzen verehren, ich aber verlasse mich auf den Herrn. (Psalm 31, 7 EU)

Eines von vielen Beispielen dafür, dass Religionen durch Abgrenzung, Überhöhung (ingroup) und Erniedrigung (outgroup) Zwiespalt unter die Menschen bringen, worin ja auch Jesus seine Aufgabe sah:

  • Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter; und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig, und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig. (Mt 10,34-37 EU)

Scheitern sollen die Frevler

Weiter im Psalm: Der angeblich allmächtige und liebende Gott ist entweder unfähig, gleichgültig, Sadist oder nicht existent. Er sieht wohl das Elend seiner Anhänger (das der anderen scheint ihn sowieso nicht zu interessieren), tut aber nichts dagegen:

  • Ich will jubeln und über deine Huld mich freuen; denn du hast mein Elend angesehn, du bist mit meiner Not vertraut. (Psalm 31,8 EU)

Warum das so ist, wird weder erklärt, noch hinterfragt. Kaum zu glauben, aber leider wahr: „Leiden ist in Ordnung, das wird schon seinen Sinn haben“,  „Alles wird gut und solange noch nicht alles gut ist, ist es noch nicht zu Ende“, so denken selbst heute noch eigentlich aufgeklärte Menschen ansonsten klaren Verstandes.

Und reagieren beleidigt wie ein kleines Kind, wenn man sie darauf hinweist, dass dies bedeutet, dass ihr Gott ein Sadist ist. Der Allmächtige muss sich mindestens unterlassene Hilfeleistung vorwerfen lassen.

Weiter gibt der Betende seinem Gott eine Empfehlung, wie dieser mit Un- und Andersgläubigen (Frevlern) verfahren möge (Hervorhebung von mir):

  • Herr, lass mich nicht scheitern, denn ich rufe zu dir. Scheitern sollen die Frevler, verstummen und hinabfahren ins Reich der Toten. (Psalm 31, 18 EU)
  • Liebt den Herrn, all seine Frommen! Seine Getreuen behütet der Herr, doch den Hochmütigen vergilt er ihr Tun mit vollem Maß. (Psalm 31, 24 EU)

Beten Sie diese alten Gebete der Juden und Christen auch? Oder verwenden Sie sie nur zur Inspiration für Ihre Osterverkündigungen? Wenn nicht: Wieso halten Sie den einen zitierten Satz über die Zeit in Gottes Händen für bedeutsam, die anderen Sätze aber offenbar nicht?

Jahwe als Wettergott

Nebenbei bemerkt: Der Psalm 29, also wenige Zeilen vor dem zitierten Psalm, gibt einen Hinweis auf den damaligen Tätigkeitsbereich des jordanischen Wüstengottes Jahwe. Der wurde zu dieser Zeit ganz offenbar als Wettergott gedacht und angebetet (siehe Psalm 29 EU).

Zurück zum Thema Zeit: Herr Algermissen, wie stellen Sie sich das konkret vor, dass Ihre Zeit in den Händen eines Provinzialgottes aus der Bronzezeit (zuständig für Wetter, Berge, Kriege) liegt? Welchen Zusammenhang sehen Sie zwischen der realen, natürlichen Welt und Ihrer Gottesvostellung? Wie gehen Sie persönlich damit um, dass noch kein Gott jemals seriös belegbar irgendwie in Erscheinung getreten ist? Dass vermutlich auch Sie es einzig den Umständen Ihrer Sozialisierung zu „verdanken“ haben, dass Sie Jahwe für den allmächtigen, lieben Gott halten?

Und wieso machen Sie sich überhaupt so viele Gedanken über Ihr irdisches Dasein, wo das doch sowieso nur ein kurzes Vorspiel der zeitlosen Zeit ist, in der Sie die Herrlichkeit Ihres Herren von Angesicht zu Angesicht schauen werden (oder was auch immer Sie glauben, was er sich für Sie ausdenken wird)?

Wichtige Erkenntnis: Zeit ist begrenzt

Die Erkenntnis, dass das irdische Dasein ein äußerst unwahrscheinliches, seltenes und vor allem zeitlich sehr begrenztes Gastspiel ist, kann sicher dazu beitragen, diese kurze Zeitspanne möglichst beglückend zu gestalten und bewusst wahrzunehmen.

Wozu brauchen Sie dafür aber dann noch einen aus dem Zusammenhang gerissenen Satz aus einem vormittelalterlichen Mythos und die Vorstellung, ein Gott habe irgendetwas mit „Zeit“ (oder mit sonstwas) zu tun?

Wieviel Lebenszeit haben Sie schon dafür verwendet, einen bestimmten dreiteiligen Gott und möglicherweise noch dessen/deren Mutter anzubeten und zu verkünden? Was, meinen Sie, haben Sie damit für sich und für die Welt tatsächlich bezweckt?

Alles, alles egal

Wieso soll dadurch „alles, alles gut“ sein? Es ist nicht „alles, alles gut“ – wenn Sie sich mal ein wenig in der realen Welt umsehen möchten…? Durch die Vorstellung, irgendetwas sei „in Gottes Hand“, entledigen Sie sich Ihrer eigenen Verantwortung. Sie gaukeln sich etwas vor, das nicht mit der realen Wirklichkeit übereinstimmt. Sie beschwichtigen sich selbst (und durch Ihre öffentliche Verkündigung auch Andere) mit einer bestenfalls hoffnungsvollen Illusion.

Dadurch wird eben nichts „alles, alles gut“, sondern dadurch kann Ihnen „alles, alles egal“ sein, weil ja sowieso alles im Sinne Ihres allmächtigen Gottes geschieht. Über Gott als Sadist hatte ich ja schon weiter oben geschrieben. Wer allmächtig ist und nichts gegen Leid tut, muss sich diesen Vorwurf gefallen lassen.

Widersprüchliche Angaben

Herr Bischof Algermissen, in Ihrer Neujahrsansprache zum Jahr 2016 ging es ebenfalls schon um Zeit und um den Umgang mit der Realität. Dort kritisierten Sie den Umgang mancher Menschen mit der Wirklichkeit:

  • Man umgebe sich gleichsam mit abgedunkelten Scheiben, um das Außen nicht wahrnehmen zu müssen. (Quelle)

Wie passt Ihr hier zitierter Vorwurf vor gut einem halben Jahr zu Ihrer heutigen Aussage, dass alles, alles gut werde, wenn nun in seinen Händen meine Zeit liegt? Was ist diese kindlich-naive Vorstellung anderes als ein Versuch, das Außen nicht wahrnehmen zu müssen? Sich keine Gedanken machen zu müssen? Alles so hinzunehmen, wie es ist, weil es ja sowieso Gottes Plan ist? Könnte es sein, dass Ihr eigener Vorwurf genau auf Ihre eigene Aussage zutrifft?

Religion: Privatsache

Natürlich ist es Ihre Sache, Ihre Probleme mit der Realität zu bewältigen, indem Sie sich in Scheinwelten flüchten. Aber warum müssen Sie diese Gedanken dann noch veröffentlichen?

Einfach gestrickte, unkritische oder auch religiös vorgeprägte Menschen könnten Ihnen auf den Leim gehen und Ihren öffentlich verkündeten Gott für eine reale Größe halten. Etwas oder Jemand, wovon man sich tatsächlich, also in Echt irgendwas erwarten könnte. Das ist bis zum Beweis des Gegenteils nun mal nach wie vor nicht der Fall. Und öffentlich einfach so zu tun, als sei es doch so, ist Heuchelei und Irreführung.

*Der als Zitat gekennzeichnete Abschnitt stammt aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.

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