Das Wort zum Wort zum Jahresbeginn 2017

Lesezeit: ~ 7 Min.

Das Wort zum Wort zum Jahresbeginn, Originalbeitrag verkündigt von Annette Behnken, veröffentlicht am 1.1.2017 von ARD/daserste.de

2017 fängt anders an. Mit einem Schatten.*

Ideale Bedingungen für Heilsverkäufer aller Art. Denn je größer Angst und Ungewissheit, desto größer die Chance, auch die noch so absurdesten Illusionen an den Mann und an die Frau (und natürlich auch an das Kind) zu bringen. Je hoffnungsvoller, umso besser.

Heilsverkäufer haben Hochkonjunktur zum Jahresbeginn

Schon immer lebte und lebt die Kirche von der Angst. Damit es auch ja nicht an Angst mangelte, erfand man ein ganze Repertoire an Gründen, wovor sich Menschen fürchten sollten. Allem voran natürlich vor dem behaupteten Gott. Gottesfürchtigkeit ist oberstes Gebot für Christen. Auch wenn stattdessen heute lieber das angenehmere Wort ¨Liebe¨ verwendet wird.

Nachdem der Kirche die Macht entzogen war, ihren Gott als einen ¨gerechten Richter¨ über die Menschen darzustellen, als einen, der über himmlische Heerscharen (nicht zu verwechseln mit himmlischen Haarscheren) verfügt und der damit noch seiner besonders im Alten Testament angedichteten Rolle als kriegs-, rach-, streit- und eifersüchtiger, kleinlicher Despot bestens gerecht geworden war, da machte sie aus der Not eine Tugend.

Und funktionierte ihren Gott einfach zum ¨lieben Gott¨ um. Zu einem, der es nur gut mit den Menschen meint. Auf Nachfrage sogar gut mit allen Menschen. Ganz egal, was diese tun oder nicht tun. Ob sie ihn anerkennen oder nicht. Vom christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzept blieb schließlich nur noch der Belohnungsteil übrig. Eine Verweichlichung, gegen die sich Fundamentalisten erwartungsgemäß erbittert zur Wehr setzen.

Aus der Bibel lässt sich indes praktisch jedes beliebige Gottesbild ableiten. Gott selbst ist ein völlig beliebig definierbarer Begriff. Einer Phantasiefigur kann man jede beliebige Eigenschaft andichten, ohne dass sich irgendetwas tatsächlich ändert. Außer natürlich in der Vorstellung von Menschen, die das alles für wahr halten.

Kirchen leben von Angst

Angst ist also ein, wenn nicht der zentrale Dreh- und Angelpunkt der christlichen Lehre. Angst vor Gott, Angst vor Un- und Andersgläubigen, Angst vor dem Tod. Und natürlich Angst davor, dereinst einem Richter ausgeliefert zu sein, der nach seinen eigenen, letztlich unbekannten Maßstäben urteilt. Selbst streng gläubige (also nicht selbst nachdenkende) Menschen können keinesfalls sicher sein, dass ihr Gott dereinst die gleichen Vorstellungen von einer korrekten Lebensführung hat wie sie selbst.

Beängstigende Aussichten

Denn die Wege dieses Gottes sind schließlich unergründlich. Jedenfalls immer dann, wenn es zum Beispiel um Leid und Elend geht, das Gott als allmächtiges Wesen zwar verhindern könnte, es aber nicht verhindert. Um wieviel beruhigender und entspannter ist da doch die Annahme, dass das Leben und damit auch jegliches persönliche Leiden vorbei ist. Aber diesen Luxus dürfen sich gläubige Christen nicht gönnen.

Wer solche Hirngespinste glaubt, sie also tatsächlich für wahr hält, hat allen Grund, Angst zu haben. Und zwar zusätzlich zu der Angst, die er möglicherweise sowieso schon hat. Aus echten Gründen, nicht aus erfundenen.

Ein neues Herz zum Jahresbeginn?

Ich hätte es gerne ganz anders: „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“ (Hesekiel 36,26) Genau. So. Wie der Bibelvers es sagt. Mit einem neuen Herzen und einem neuen Geist möchte ich in dieses Jahr gehen. Leichtherzig. Unverzagt.

Das, Frau Behnken, ist allerdings einfacher, als Sie vielleicht denken. Erleichtern Sie Ihr Herz doch einfach von Ihrer religiösen Indoktrination. Verabschieden Sie sich von religiösen Wahngedanken aller Art. Auch wenn daraufhin eine berufliche Neuorientierung vermutlich unumgänglich wäre.

Was hilft wirklich?

Statt fiktive Wesen zu propagieren und zu verehren, könnten Sie sich tatsächlich wirksame Maßnahmen überlegen, mit denen Sie etwas gegen Ihre Ängste unternehmen. Und damit möglicherweise einen tatsächlich wirksamen Beitrag zum Weltfrieden leisten, statt Bibelverse aus ihrem Zusammenhang zu reißen.

Wie auch diesmal wieder. Denn was steht bei Hesekiel, wenn man nur wenige Zeilen nach den von Ihnen herausgepickten weiterliest (Hervorhebung von mir)?

  • Doch nicht euretwegen handle ich so – Spruch Gottes, des Herrn -, das sollt ihr wissen. Errötet und vergeht vor Scham wegen eures Treibens, ihr vom Haus Israel. (Hes 36, 32 EU)

Es geht Gott nicht um die Menschen. Es geht ihm um sich selbst. Jedenfalls laut Hesekiel. Das arme, verfolgte Wüstenvolk sollte sich ja nichts einbilden.

Hoffnung auf himmlische Unterstützung

Der ganze Text legt die Vermutung nahe, dass Gott hier als Projektionsfläche für ein kleines, verzweifeltes Menschengrüppchen gedient hatte. Ein Völkchen, dass sich göttlichen Beistand sehnlichst wünschte. Und ihn wohl auch dringend nötig gehabt hätte.

Da auch dieser Text natürlich von Menschen erdacht und aufgeschrieben wurde (wie alle anderen biblischen und sonstigen Texte auch), spiegelt er lediglich die Ängste und Sehnsüchte des Schreibers wider:

  • Ich befreie euch von allem, womit ihr euch unrein gemacht habt. Ich rufe dem Getreide zu und befehle ihm zu wachsen. Ich verhänge über euch keine Hungersnot mehr. Ich vermehre die Früchte der Bäume und den Ertrag des Feldes, damit ihr nicht mehr unter den Völkern die Schande einer Hungersnot ertragen müsst. (Hes 36, 29-30 EU)

Den Satz mit dem neuen Herz und neuem Geist im Jahr 2017 einfach mal als generelles Angebot für alle Menschen auszugeben, ist also in etwa so realistisch, wie wenn man sich auf Grimms Märchen berufen und behaupten würde, dass jetzt alle Menschen glücklich bis an ihr Lebensende leben würden.

Was ist ¨das Gute¨?

Ja, ich hab Angst. Meinen Glauben an das Gute zu verlieren.

Was ist Ihrer Meinung nach denn ¨das Gute¨? Und warum halten Sie es für ¨gut¨? Sind Sie der Meinung, dass das, was Sie ¨gut¨ finden, alle anderen Menschen auch ¨gut¨ finden (sollten)? Wenn ja, warum?

Und damit meine Courage und Lust, die Welt mitzugestalten.

Wenn Sie tatsächlich Courage und Lust haben, die Welt mitzugestalten, warum orientieren Sie sich dann nicht erstmal an der gleichnamigen Wirklichkeit? Sondern erweitern diese um eine religiöse Scheinwirklichkeit?

Können Sie ein einziges Beispiel nennen, das belegt, dass Ihr Gott tatsächlich schon mal mehr an der Welt mitgestaltet hat, als zum Beispiel der Osterhase? Oder Sindbad, der Seefahrer?

Keine Hilfe von oben

Ein klarer, nicht religiös vernebelter Blick auf die irdische Wirklichkeit mag ernüchternder sein als sich in hoffnungsvolle Illusionen zu flüchten und zu verlieren. Er ist aber unerlässlich, wenn man tatsächlich etwas verändern möchte. Alle Götter beteiligen sich nämlich an der Erden Lauf durch permanente Untätigkeit.

Auch Ihrem Gott scheint alles egal zu sein, was seine Schöpfung veranstaltet. Daran ändert auch ein Auferstehungsmythos nichts, der zudem nur von früheren, verblüffend ähnlichen Lebensläufen angeblicher Gottessöhne abgekupfert wurde.

Die Welt jenseits des Tellerrandes

Ich hab Angst, dass ich aufhöre, mich für Welt jenseits meines Tellerrandes zu interessieren.

Auch diese Angst können Sie recht einfach überwinden. Verlassen Sie doch zum Jahresbeginn Ihren Teller und begeben Sie sich in die irdische, natürliche Wirklichkeit. Das ist die, in der vermutlich auch Sie nach links und rechts schauen, bevor Sie eine stark befahrene Schnellstraße zu Fuß überqueren.

Oder dass auch ich mich irgendwann freue, wenn einer kommt, der sagt, wo’s langgeht mit viel zu einfachen falschen Wahrheiten.

Aber genau das tun Sie doch jetzt auch schon? Sie vertreten doch vermutlich die Auffassung, dass Ihnen ein höheres Wesen sagt, wo es langgeht. Mit viel zu einfachen falschen Wahrheiten. Worüber Sie sich offenbar auch jetzt schon freuen. Denn sonst würden Sie ja wohl nicht dazu beitragen, diese falschen Wahrheiten auch noch zu verbreiten.

Quelle: Facebook

Innerlich scheintot

Kann alles sein. Ist alles menschlich, verständlich. Aber so will ich nicht leben. So innerlich scheintot. Ich brauche etwas, das mein Herz stark macht und meinen Geist mutig.

Dann gehen Sie doch einfach mal ganz offen und ehrlich in sich. Und gestehen Sie sich ein, dass Sie, vermutlich schon als Kleinkind, einfach nur einem großen, perfiden Schwindel aufgesessen sind. Es gibt Ihren Gott nur in der Phantasie von Menschen.

Werden Sie sich Ihrer eigenen Stärken und Schwächen bewusst. Und der Tatsache, dass es Ihr eigenes Herz und Ihr eigener ¨Geist¨ sind, die Sie dazu nutzen können, die Welt so zu gestalten, wie Sie sie sich wünschen.

Sie brauchen dazu kein Phantasiewesen mit einer angedichteten, offensichtlich gravierenden Persönlichkeitsstörung, das sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten. Der Jahresbeginn ist ein guter Anlass für einen solchen persönlichen Fortschritt. Erkennen Sie, dass Freud und Leid Ursachen haben. Auch wenn Sie diese Ursachen nicht immer erkennen oder nachvollziehen können, können Sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass keine imaginären Wesen ihre Finger oder was auch immer im Spiel haben.

False Dilemma: Mehr als nur zwei Möglichkeiten

(…) „Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“ Der Satz ist mehr als ein Satz. Er ist eine Verheißung. Und ich kann auf sie antworten. Mit meinem Glauben und Vertrauen. Dann entfaltet sie ihre Kraft und trägt mich, auch über Durststrecken hinweg. Die Verheißung, dass es noch einen anderen Herzschlag in uns gibt, als den der Angst und Resignation.

Ja. Ihren eigenen Herzschlag. Und keine falsche Versprechung eines erfundenen Gottes. Die Wirklichkeit mag auf den ersten Blick depremierend erscheinen. Auf den zweiten Blick eröffnet sie aber auch ungeahnte Möglichkeiten. In dem Moment, in dem man anfängt, selbstverantwortlich und selbständig zu denken und zu handeln. Statt auf einen abwesenden, weil erfundenen Gott zu hoffen. Und auf diesen, statt auf sich und auf die Entwicklungsfähigkeit der Menschheit zu hoffen.

Hilf dir selbst, denn Gott hilft nicht

Die Kraft, die Sie trägt, auch über Durststrecken ihnweg, können Sie selbst entfalten. Es ist keine Schande, sich dabei auch helfen zu lassen. Manchmal reicht es schon, ein gutes Buch zu lesen. Eins von außerhalb des biblischen Tellerrandes. Denn Ihre Gottesillusion ist nicht die einzig mögliche Antwort auf Ihre Angst. Und beiweitem nicht die hilfreichste.

Und dass ein anderer Geist in uns weht, frisch und neu und unbelastet vom Schatten des letzten Jahres.

Ein Jahresbeginn bewirkt keinen Reset. Es geht erstmal einfach weiter. Auch 2017 wird aller Wahrscheinlichkeit nach wieder kein einziger Gott ins Geschehen eingreifen. Kein Gott wird Ihnen ein neues Herz schenken oder Sie mit einem neuen Geist ausstatten. Auch wenn Sie sich das vielleicht ganz sehr wünschen. Menschen werden das tun, was sie für ¨gut¨ halten. Oder auch nicht. Mit Gottesvorstellung oder ohne.

Die Verheißung Hesekiels  wird sich nicht erfüllen. Wieder nicht. Und auch dann nicht, wenn es nun mal die Jahreslosung Ihrer Arbeitgeberin ist. Ein aus dem Zusammenhang gerissener Bibelvers, den Sie offenbar in Ihrer Verkündigung zum Jahresbeginn irgendwie unterbringen mussten oder wollten.

Verbrauchte Zeit

Voller Courage und Liebe für diese Welt und dieses Leben. Und voller Lust, die frische, unverbrauchte Zeit zu gestalten.

Frau Behnken, was schätzen Sie: Wieviel Zeit haben Sie bis jetzt in Ihrem Leben damit verbracht, ein Phantom zu verehren? Einen Gott, den es bis zum Beweis des Gegenteils gar nicht gibt? Von dem Sie nur wissen und das Sie nur für wahr halten, weil man es Ihnen erzählt hat? Und weil man Ihnen beigebracht hat, dass es eine Sünde sei, diesen Gott nicht für wahr zu halten?

Dazu noch die Zeit der Leute, die Sie dazu animiert haben, diesen Gott sinnloserweise gemeinsam mit Ihnen zu verehren? Haben Sie eine ungefähre Vorstellung, wieviel Zeit Sie damit insgesamt bisher schon verbraucht haben?

Natürlich ist es Ihnen selbst überlassen, wofür Sie Ihre Lebenszeit verwenden. Nur, wenn Sie schreiben, dass Sie voller Lust sind, frische, unverbrauchte Zeit zu gestalten, dann erlaube ich mir diesen Hinweis.

Billige Vertröstung

Das (neues Herz, neuer Geist) ist keine billige Vertröstung.

Doch. Genau das ist es. Weder das Wüstenvolk bei Hesekiel, noch Sie oder sonstwer hat je von einem Gott irgendetwas bekommen. Das komplette christliche Heilsversprechen ist eine billige (und absurde) Vertröstung. Genauso wie die Angst vor einer möglichen göttlichen Bestrafung völlig absurd ist. Nichts weiter. Billig ist sie auch in der Hinsicht, dass sie die, die damit ihr Geld verdienen, keinen Cent kostet.

Daran ändert sich auch dann nichts, wenn Sie es nicht wahrhaben wollen. Oder wenn Sie es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zum Jahresbeginn verkündigen und auf Staatskosten ausstrahlen lassen.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.
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