Erkenntnis – Teil 1: Der Erkenntnishorizont, oder: Vom praktischen Umgang mit der Wirklichkeit

Lesezeit: ~ 10 Min.

In unserer neuen  Serie Erkenntnis geht es um die Frage, wie Menschen Erkenntnisse erlangen. Was bedeutet eigentlich „Wissen“? Und wie gehst du mit Dingen um, die du (noch) nicht weißt?

Ich lade dich ein, deine Erkenntnislandkarte kennenzulernen und zu erforschen. Du lernst einige Werkzeuge kennen, mit denen du prüfen kannst, wie wahrscheinlich etwas wahr ist.

Und schließlich schlage ich dir noch einen Umgang mit dem Begriff „Wahrheit“ vor, der sich sehr gut als Grundlage eines vernünftigen und rationalen Standpunktes eignet.

In diesem ersten Teil erkunden wir den Erkenntnishorizont.

ErkenntnishorizontGanz allgemein bezeichnet „Horizont“ die Grenze dessen, was du von deinem jeweiligen Standpunkt aus mit deinen Wahrnehmungsmöglichkeiten erfassen kannst.

Stelle dir vor, du wanderst im Gebirge durch ein tief eingeschnittenes Tal. Hier reicht dein Blick gerade bis zu den umgebenden Bergflanken, nur wenige hundert Meter weit.

Es ist ein sonniger, klarer Tag und du steigst auf einen der Berge. Oben angekommen hast du einen weiten Rundumblick. Keine umgebenden Berge versperren jetzt noch deine Sicht. Der Bereich, den du von hier aus überblicken kannst, ist mehrere hundert Quadratkilometer groß.

Als gut ausgerüsteter Wanderer holst du jetzt dein Fernglas aus dem Rucksack. Damit kannst du sogar noch weiter entfernt liegende Berggipfel erkennen, die du mit dem bloßen Auge vorher nicht gesehen hattest.

Wo dein Horizont liegt, hängt also maßgeblich von zwei Faktoren ab: Von deinen Wahrnehmungsmöglichkeiten und von deinem Standpunkt.

Dein Erkenntnishorizont

Was hat es aber nun mit dem Erkenntnishorizont auf sich? Ganz einfach: Dieser markiert die Linie zwischen dem, was du weißt (oder zu wissen meinst) und dem, was du (noch) nicht weißt:

Erkenntnishorizont
Dein Erkenntnishorizont. Grafik: AWQ.DE

Nun gibt es Denker, die gute Gründe dafür nennen, dass es so etwas wie sicheres Wissen gar nicht gibt. Und dass vermutlich nichts so ist, wie es zu sein erscheint.

Auch wenn heute noch niemand weiß, wie die Dinge in Wirklichkeit tatsächlich sind (oder ob sie überhaupt sind), so halte ich es für sinnvoll, ein paar Gedanken zum praktischen Umgang mit der Wirklichkeit darzustellen.

Der Werkzeugkasten der Erkenntnisgewinnung

Um zu bestimmen, was im Zentrum deiner Erkenntnis-Landschaft und was an deren Rand liegt, kannst du verschiedene Werkzeuge verwenden:

Rationales Denken

WerkzeugkastenUnter Rationalität versteht man „ein vernunftgeleitetes und an Zwecken ausgerichtetes Denken und Handeln.“ Wenn du brauchbare Erkenntnisse über deine Wirklichkeit erlangen möchtest, ist rationales Denken die geeignetste Methode. Genauer: Es ist die Voraussetzung. Denn wenn du zum Beispiel von irrationalen Voraussetzungen ausgehst, können die Erkenntnisse ebenfalls nur irrational sein.

Rationales Denken bedeutet nicht, auf Phantasie, Fiktionen oder Gefühle zu verzichten – im Gegenteil. Es gibt viele Bereiche, in denen rationales Denken quasi keine Rolle spielt. Ob es Schlumpfhausen wirklich gibt oder nicht, spielt keine Rolle. Rational solltest du nur einordnen, wie du zum Beispiel mit Comichelden umgehst. Du gehst vermutlich nicht davon aus, Schlaubi oder Gargamel eines Tages „in echt“ zu begegnen.

Du kannst zum Beispiel auch problemlos in die faszinierende Scheibenwelt von Terry Pratchett eintauchen, obwohl du nicht davon ausgehst, dass die Scheibenwelt wirklich existiert. Und, wie im Roman beschreiben, auf dem Rücken der Elefanten Berilia, Tubul, Groß-T’Phon und Jerakeen ruht.

Rationales Denken ist immer dann sinnvoll, wenn du herausfinden möchtest, wie plausibel eine Behauptung ist.

Logik

Je logischer etwas ist, desto wahrscheinlicher ist es. Logik ist das wohl nützlichste Werkzeug im Erkenntnisgewinn. Logik ist nichts weiter als eine Schlussfolgerung als Ergebnis von ordnungsgemäßem Denken. Logisch wahr ist, was nicht den Gesetzen der Logik widerspricht.

Die grundlegenden Gesetze der Logik erscheinen dir wahrscheinlich so „logisch“, dass dir diese Gesetzmäßigkeiten vielleicht gar nicht bewusst sind. Zum Beispiel, dass etwas immer identisch mit sich selbst ist. Logisch, denn sonst wäre es ja etwas anderes.

Noch ein Beispiel? Gerne:

Wenn Eichhörnchen und Igel zu den Säugetieren gehören und Igel und Wildschweine ebenfalls, dann gehören Eichhörnchen und Wildschweine ebenfalls zu den Säugetieren. Würde nun jemand sagen, dass, obwohl Eichhörnchen und Igel zu den Säugetieren gehören und Igel und Wildschweine ebenfalls, Eichhörnchen und Wildschweine nicht zu den Säugetieren gehören würden, dann wäre das unlogisch.

Oder allgemein ausgedrückt: Wenn A = B und B = C, dann gilt auch A = C.

In Wirklichkeit ist die Logik ein sehr viel komplexeres Feld, mit dem man sich problemlos ein Leben lang befassen kann, ohne dass es langweilig wird.

Empirie

Empirie bedeutet das Sammeln und Auswerten von Daten. Vereinfacht gesagt geht es darum, direkte Wahrnehmungen oder Erfahrungen auszuwerten. So kannst du zum Beispiel durch empirische Beobachtung prüfen, ob eine Theorie wahrscheinlich stimmt oder eher nicht. Indem du diese Theorie mit deinen Beobachtungen abgleichst. Oder umgekehrt.

Empirie ist ein sehr mächtiges Werkzeug, weil sie brauchbare Erkenntnisse liefert. Man könnte sagen, dass du die meiste Zeit Empirie anwendest, ohne dass es dir bewusst ist. Denn du sammelst ständig Eindrücke und Wahrnehmungen. Und dein Gehirn sortiert, verknüpft, speichert und interpretiert diesen Datenstrom für dich.

In der Wissenschaft liefern empirische Untersuchungen brauchbare Aussagen darüber, wie wahrscheinlich etwas wahr oder nicht wahr ist.

Evidenz

Evident bedeutet augenscheinlich. Evident sind Dinge, die du unmittelbar als gültig oder zutreffend erkennst. Dass gefrorenes Wasser kalt und Feuer heiß ist, ist evident. Auch hier ist wieder anzumerken, dass es auch Philosophen gibt, die Evidenz nicht als Beleg im wissenschaftlichen Sinne anerkennen. Weil sich ja jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit erst im Kopf erschafft.

Nur, weil etwas so aussieht, wie es auszusehen scheint, muss es noch lange nicht auch tatsächlich so sein, wie es zu sein scheint. Weil deine Wahrnehmungsmöglichkeiten und auch deine Informationsverarbeitung mehr oder weniger fehleranfällig sind, kann es sein, dass etwas gar nicht so evident ist, wie es dir vielleicht erscheint.

Trotzdem ist Evidenz ein wichtiges Werkzeug, das dir die Gestaltung deiner eigenen Erkenntnislandkarte sehr vereinfachen kann. Du musst nicht jedes Mal neu ausprobieren oder erforschen, ob Feuer wirklich heiß ist. Weil Feuer immer heiß ist. Und niemals kalt.

Anders sieht es aus, wenn etwas auch mal anders sein kann. Wenn du herausfinden möchtest, ob ein Weidezaun unter Spannung steht, dann solltest du besser eine andere Methode anwenden, als einen stromlosen Zustand als evident anzunehmen.

Unterscheidbarkeit

Dieses Werkzeug erleichtert dir ebenfalls den Umgang mit deiner Wirklichkeit. Es ist quasi die Grundlage, um Informationen über deine Umwelt überhaupt erst verabeiten zu können.

Denn wenn du einen Apfel nicht von einem Backstein unterscheiden könntest, könntest du keine sinnvollen Aussagen über Äpfel oder Backsteine machen. Weil nicht klar wäre, was genau du denn jetzt eigentlich meinst. Ich gehe davon aus, dass du noch niemals das Problem hattest, einen Apfel nicht von einem Backstein unterscheiden zu können (schon allein wegen der evidenten Eigenschaften von Äpfeln und Backsteinen :)).

Aber es gibt auch Bereiche, in denen das gar nicht so einfach ist, wie es in diesem Beispiel erscheint. Falschgeld ist zum Beispiel mitunter nur sehr schwer von echtem Geld zu unterscheiden. Die Unterschiede sind bei guten Fälschungen nämlich keineswegs augenscheinlich, also evident. Hier hilft nur eine genaue Untersuchung, um Banknoten von Blüten unterscheiden zu können.

Im Bereich des religiösen Glaubens wird die nicht vorhandene Unterscheidbarkeit von Göttern zum Problem (jedenfalls für rational denkende Menschen). Denn woran sollten ein betender Mensch unterscheiden können, ob sein Gebet von seinem oder von einem anderen Gott erhört wurde? Auf dieses Thema werden wir später noch zurückkommen.

Mit diesen Werkzeugen lassen sich durch verschiedene Methoden brauchbare Erkenntnisse gewinnen. Hier einige Beispiele:

Ursache-Wirkung-Zusammenhang

Ein unglaublich mächtiges Werkzeug zum Erkenntnisgewinn ist der so genannte Kausalzusammenhang. Dabei geht es darum, das jede Wirkung die Folge einer Ursache und jede Ursache eine Wirkung hat. Ein Kausalzusammenhang ist ein sehr bedeutsamer Beleg. Denn er setzt ein Phänomen in den Zusammenhang mit einer oder mehrerer Ursachen.

Wenn du deine Hand über eine Kerzenflamme hältst, wird dir das früher oder später Schmerzen bereiten. Die Ursache Flamme hat auf Hände immer dieselbe Wirkung: Sie verursacht Schmerzen. Ein anderes Beispiel für die Bedeutung des Kausalzusammenhangs wäre etwa auch die Schwerkraft. Sie sorgt zuverlässig dafür, dass Dinge auf diesem Planeten nach unten und nicht nach oben fallen. Obwohl sich schlaue Köpfe schon seit der Antike überlegten, warum das so ist, gelang es erst Isaak Newton im 17. Jahrhundert, hinter das Geheimnis dieser Gesetzmäßigkeit zu kommen.

Umgekehrt ist ein fehlender Ursache->Wirkung-Zusammenhang ein untrügliches Zeichen dafür, dass mit einer solchen Behauptung etwas (noch) nicht stimmen kann. Besonders kritisch wird es, wenn jemand behauptet, die Ursache einer bestimmten Wirkung zu kennen. Das ist zum Beispiel immer dann der Fall, wenn ein gläubiger Mensch behauptet, etwas sei durch den Willen seines Gottes genau so und nicht anders geschehen. Auf diese Problematik gehe ich in einem späteren Kapitel noch ausführlich ein.

Verifizierung / Falsifizierung

Wenn du etwas verifizierst, dann erbringst du einen Nachweis, dass eine Behauptung oder Vermutung wahr ist. Umgekehrt belegst du mit einer Falsifizierung, dass eine Behauptung, Hypothese oder Theorie nicht wahr ist. Besonders die Falsifizierung ist ein äußerst wirksames Werkzeug. Stellt ein Wissenschaftler heute eine Theorie oder Hypothese auf, dann untersucht er, was dagegen sprechen könnte, dass seine Behauptung stimmt. Und wenn er selbst es nicht tut, dann tun es sicher andere Wissenschaftler 🙂 So hilft die Falsifizierung dabei herauszufinden, wie wahrscheinlich etwas wahr ist.

Um beim Beispiel vom Feuer zu bleiben: Würde irgendwer die Aussage: „Feuer ist heiß“ mit einer empirisch belegbaren Beobachtung falsifizieren (indem er die erste kalte Flamme entdeckt hat), dann würde ab diesem Moment nicht mehr gelten, dass eine Flamme ausnahmslos immer heiß ist.

Ergebnisoffenheit

Bei der Suche nach deinem Erkenntnishorizont muss dir klar sein, dass diese Reise so lange dauert, wie du denken kannst. Im Lauf deines Lebens füllt sich deine Festplatte mit immer mehr Daten, die dein Unterbewusstsein für dich verwaltet. Jede neue Erkenntnis erweitert deinen Horizont. Mit jeder neuen Informationseinheit in deinem Hirn steigt die Menge der Daten, auf die dein Hirn zur Bewertung neuer Wahrnehmungen zugreifen kann.

Vielleicht hast du früher Punkrock gehört und heute Brahms. Dann wirst du vermutlich nicht spontan sagen können, was der Grund für diesen Wandel war. Wahrscheinlich hat sich einfach dein Musikgeschmack mit den Jahren verändert. Das dürfte dann unzählige Mini-Gründe gehabt haben, die sich kaum noch alle einzeln benennen lassen. Und falls du heute immernoch wie damals Punkrock hörst, dann hat auch das seine Gründe.

Während dein Musikgeschmack natürlich deine höchstpersönliche Privatsache ist, spielt die Ergebnisoffenheit in der Wissenschaft eine grundlegend wichtige Rolle. Denn da gilt auch die noch so sicher geglaubte „Wahrheit“ immer nur bis zum Beweis des Gegenteils.

Sollte sich zum Beispiel durch neue (gültige) Forschungsergebnisse herausstellen, dass eine Annahme, die bislang von niemandem in Frage gestellt worden war, doch falsch ist, dann bleibt nichts anderes übrig, als einzugestehen, dass das vermeintliche Ergebnis wohl doch noch nicht „der Weisheit letzter Schluss“ gewesen sein kann.

Rational denkende Menschen haben damit kein Problem. Anders sieht es zum Beispiel oft bei religiös Gläubigen aus. Deutlichstes Beispiel für eine strikte Ablehnung der Ergebnisoffenheit sind die so genannten Dogmen der katholischen Kirche. In über 200 Sätzen werden dort Dinge als wahr definiert, die sich mit den bisher vorgestellten Werkzeugen nicht als wahr erkennen lassen.

Je unwahrscheinlicher der Inhalt einer (dogmatischen) Behauptung, desto klarer und deutlicher müssten die Beweise ausfallen, dass diese Behauptung tatsächlich wahr ist.

Wahrheit

Bei der Gestaltung deiner Erkenntnislandkarte geht es im Grunde darum zu erkennen, was wahr ist und was nicht. Weil dieser Begriff immer wieder für Verwirrung sorgt, ist es wichtig, dass du dir bewusst machst, was Wahrheit bedeutet. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist das wahr, was der Wirklichkeit entspricht. Den Tatsachen, der Faktenlage. Wenn du zum Beispiel eine Behauptung mit den gerade vorgestellten Werkzeugen bearbeitest, kannst du danach zumindest schon mal einschätzen, ob die Behauptung wahrscheinlich eher wahr oder eher nicht wahr ist.

Religionen beanspruchen zum Beispiel oft für sich, im Besitz einer „übergeordneten“, ewig und universell gültigen, unveränderlichen Wahrheit zu sein. Allerdings beruhen diese Wahrheiten ausschließlich auf Behauptungen, die den oben genannten Werkzeugen der Erkenntnisgewinnung nicht stand halten können.

In der Philosophie gibt es auch hier wieder unterschiedliche Ansichten, was denn nun unter Wahrheit zu verstehen ist. Ob es eine absolute Wahrheit überhaupt gibt, lässt sich (noch) nicht sagen. Ich schlage für die tägliche Praxis folgende Definition vor:

Wahrheit ist die größtmögliche Annäherung an die Wirklichkeit.

Also an die Wirklichkeit, die du zum Beispiel beobachten, messen, nachprüfen, logisch begründen und empirisch belegen kannst. In der die so genannten Naturgesetze gelten.

  • Naturgesetze sind aus Beobachtungen abgeleitete menschengemachte Modelle, die beschreiben, wie sich die Natur verhält, unabhängig von der Position eines Beobachters in Zeit und Raum. (Volker Dittmar)

Oder auch die, in der auch die Menschen, die auf Götter vertrauen, links und rechts schauen, bevor sie eine vielbefahrene Schnellstraße zu Fuß überqueren. Und in der auch Kirchtürme Blitzableiter haben.

Die Frage nach der Wahrheit ist niemals eine Ja/Nein-Frage. Vielmehr geht es dabei um ein anderes Phänomen: Die

Wahrscheinlichkeit

Auch dieser Begriff spielt eine wichtige Rolle, wenn du deine Erkenntnislandkarte erkunden möchtest. Je wahrscheinlicher etwas ist, umso wahrer ist es so, wie es zu sein scheint. Oder anders: Umso genauer stimmt deine Definition mit der Wirklichkeit überein.

Umgekehrt wird etwas umso unwahrscheinlicher, je weniger wahr etwas so ist, wie es zu sein scheint. Gerade im Zusammenhang mit Wahrheit ist es sinnvoll, nur von Wahrscheinlichkeiten auszugehen. Denn das Spektrum von Wahrscheinlichkeit reicht von „höchst unwahrscheinlich“ bis hin zu „höchst wahrscheinlich.“

Deine Erkenntnislandkarte kannst du gedanklich nach Wahrscheinlichkeit anordnen: Je wahrscheinlicher etwas ist, umso näher an deinem Standpunkt. Und je unwahrscheinlicher, desto weiter weg, in Richtung Erkenntnishorizont.

In der Natur wird die Sicht mit zunehmender Entfernung immer unklarer. Das ist beim Erkenntnishorizont ähnlich: Während du die Dinge in deiner näheren Umgebung als sicheres Wissen betrachten und behandeln kannst, nimmt an den Rändern deines Erkenntnishorizontes die Wahrscheinlichkeit ab, dass die Dinge tatsächlich so sind, wie sie dir erscheinen.

Nicht-wissen

Du fragst, wie Nicht-wissen zum Erkenntnisgewinn beitragen kann? Die Erkenntnis: „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ wird Cicero zugeschrieben. Dass wir wahrscheinlich niemals etwas mit absoluter Sicherheit wissen können, hatte ich weiter oben schon angedeutet. Was ist aber so wichtig am Nicht-wissen?

Ganz einfach: Sicher wurmt es dich, wenn du etwas nicht weißt. Und du hättest gerne eine Erklärung für das, was du nicht weißt. Für den Umgang mit den weißen Flecken auf deiner Erkenntnislandkarte hast du verschiedene Möglichkeiten:

Du kannst versuchen, das, was du (noch) nicht weißt, herauszufinden. Schon Adenauer wusste: „Meine Herren, es kann mich doch niemand daran hindern, über Nacht klüger zu werden.“ Für manche Punkte reicht einfach schon eine kurze Recherche, eine Beobachtung oder ein gutes Buch. Zu anderen Phänomenen sucht die Menschheit bis heute vergebens nach Erkenntnissen. So handelt es sich zum Beispiel bei der Dunklen Materie oder bei Dunkler Energie derzeit noch um Platzhalter für etwas, das man einfach noch nicht weiß.

Eine andere Methode kann sein, dass du dir einfach eine Hypothese ausdenkst, die das erklären könnte, was du nicht weißt. Diese solltest du dann allerdings auch als solche behandeln – rein hypothetisch. Denn es könnte sein, dass deine Annahme falsch ist. Das haben Annahmen so an sich. Als rational denkender Mensch wirst du natürlich in der Lage sein, Hypothesen kritisch zu hinterfragen und sie bei Bedarf womöglich komplett aufzugeben, falls sie sich doch als falsch herausstellen sollte.

Religiös Gläubige füllen die weißen Flecken auf ihrer Erkenntnislandkarte gerne mit ihren Göttern. „Ich verstehe es nicht, deshalb muss Gott die Ursache sein.“ Wie du dir wahrscheinlich schon selbst vorstellen kannst, ist diese Methode weder redlich, noch zielführend. Denn nur, weil ich die wahre Ursache von etwas nicht (er-)kenne, heißt das noch lange nicht, dass eine lediglich behauptete überirdische Macht ihre Finger oder was auch immer im Spiel hatte. Welche Probleme religiöser Glaube für das rationale Denken bedeutet, werde ich später noch ausführlich beleuchten. Manche Erkenntnis besteht aus einer Nicht-Erkenntnis.

Die beste, weil redlichste Aussage zu Dingen, die du nicht weißt oder wissen kannst, ist: „Ich weiß es (noch) nicht.“

Zusammenfassung

Über die Dinge, die innerhalb deines Erkenntnishorizontes liegen, kannst du sagen: „Das weiß ich.“ Oder auch: „Das halte ich für wahrscheinlich wahr.“ Um herauszufinden, ob oder wie wahr etwas ist, kannst du dich der oben vorgestellten Werkzeuge bedienen. Nur was der Bearbeitung mit diesen Werkzeugen stand hält, kannst du als den aktuellen Stand deines gesicherten Wissens betrachten.

Um Missverständnisse zu vermeiden, schlage ich noch folgende Unterscheidung vor:

  • Realität: Das, wie die Dinge unabhängig von unserer Wahrnehmung sind (wenn sie denn überhaupt sind). Für uns vermutlich niemals erkennbar. In der Alltagssprache wird Realität oft als Synonym für Wirklichkeit verwendet.
  • Wirklichkeit: Das, wie sich die Realität uns darstellt. Unser Abbild der Realität, sozusagen. Das, wie die Realität auf uns wirkt.

Nochmal, weil es so wichtig ist: Ob das, was du für wahr hältst, tatsächlich auch wahr ist, lässt sich mit diesen Werkzeugen zwar meistens ziemlich gut bestimmen. Und trotzdem kannst du nicht ausschließen, dass sich irgendwo Fehler eingeschlichen haben. Und dass sich etwas, was du vielleicht schon immer für wahr gehalten hast, bei genauerer Betrachtung, durch Veränderungen oder durch neue Erkenntnisse doch noch als falsch herausstellt.

Deshalb ist es für einen rationalen Standpunkt so wichtig, kritisch zu denken. Und Wahrheiten ehrlich und möglichst objektiv zu hinterfragen. Bediene dich der Werkzeuge, um zu erkennen, was sich innerhalb deines Erkenntnishorizontes befindet und was nicht!

Diese Aufforderung ist übrigens nicht neu. Sapere aude!, Wage es, dich deines Verstandes zu bedienen! – das wusste schon Horaz, 20 v. u. Z.

Denn nicht deine Wünsche, Hoffnungen oder Vorstellungen sind es, die dir brauchbare Erkenntnisse über die Wirklichkeit liefern. Sondern dein Verstand.

Fassen wir diesen ersten Teil zusammen, ergibt sich folgendes Bild:

Erkenntnishorizont
Erkenntnishorizont: „Das weiß ich.“ Grafik: AWQ.DE

Vielen Dank für dein Interesse bis hierher! Im nächsten Teil erweitern wir den Erkenntnishorizont um den Vorstellungshorizont.

Fragen, Ergänzungen, Korrekturen?

Das Thema Erkenntnis ist ein ziemlich komplexes Thema. Ich habe versucht, einige wichtige Aspekte möglichst einfach und verständlich darzustellen. Meine Artikel erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Richtigkeit. Wie schon angedeutet, sehen verschiedene Philosophen und Wissenschaftler einige Dinge grundlegend anders als von mir dargestellt.

Deshalb freue ich mich über deine Fragen, Ergänzungen und Korrekturen.

Bis bald!

 

 

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