„Christen als Wegbereiter der Zukunft“ – Gedanken zur Pfingstpredigt von Bischof Algermissen

Lesezeit: ~ 7 Min.

„Christen als Wegbereiter der Zukunft“ – Sorge um die Zukunft der Kirche – die Pfingstpredigt von Bischof Algermissen, Originalbeitrag veröffentlicht am 9.6.2017 von Osthessennews, Verfasser nicht genannt

[Bischof Algermissen] „Als Kirche stehen wir heute an einem Punkt, wo wir deutlich spüren: Es wird nicht einfach alles so weitergehen können, wie wir es aus volkskirchlicher Zeit gewohnt sind. – Was aber dann?“*

Gerade für einen Bischof, der sein fürstliches Gehalt ja vom Staat bezieht, könnte die aktuelle Entwicklung tatsächlich besorgniserregend sein. Denn mit dem Verschwinden in der Bedeutungslosigkeit steht auch der eigene Posten früher oder später zur Diskussion. Oder genauer: Zur Disposition.

Immerhin zeugt die bischöfliche Einsicht, dass die Zeiten, in denen sich das Christentum als „Volkskirche“ bezeichnen konnte, vorbei sind, von einem erstaunlich realistischen Blick auf die Faktenlage.

Was wurde aus der Volkskirche?

Tatsächlich hat sich einiges getan in den letzten Jahren: Konnte Algermissen 2007 Un- und Andersgläubige noch weitgehend widerspruchslos öffentlich beschimpfen, so sorgte seine Osterpredigt praktisch gleichen Inhalts letztes Jahr für heftige Kritik von vielen Seiten – sogar aus eigenen Reihen.

Die Sorge um die Zukunft der Kirche war dem Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissem in seiner Predigt am heutigen Pfingstsonntag deutlich anzusehen.

Diese Darstellung könnte den Anschein erwecken, die Kirche habe tatsächlich irgendwelche gravierenden Einbußen zu befürchten. Dabei sprudeln die Gelder trotz sinkender Mitgliederzahlen kräftiger denn je.

Solange sich nichts an der milliardenschweren staatlichen Subventionierung ändert, brauchen sich Kirchenfunktionäre kaum ernsthaft Sorgen zu machen – egal, wie klein die Herde auch sein mag. Ganz im Gegenteil. Und solange niemand etwas dagegen unternimmt, fließen die Milliarden wohl auch in Zukunft erstmal munter weiter.

Des Bischofs Angst vor der Bedeutungslosigkeit

„Wie wird es weitergehen mit dem Glauben in dieser Gesellschaft, mit unseren Gemeinden, unserer Kirche? Immer wieder bewegt mich bei Gesprächen in Gemeinden, mit Priestern und in verschiedenen Gremien diese Frage.

Da wage ich mal eine Prognose, ein „best case scenario“ sozusagen: Immer mehr Menschen werden dank Vernunft (oder natürlich auch Gleichgültigkeit), Aufklärung und Säkularisierung erkennen, dass Götterglaube eine von Menschen zu bestimmten Zwecken erfundene Fiktion ist.

Und dass es ein bestenfalls irgendwie hoffnungsvoller Selbstbetrug ist, an Götter zu glauben und sich auf sie im „wirklichen“ Leben zu verlassen. Durch die kontinuierlich sinkenden Mitgliederzahlen werden irgendwann auch die klerikale Macht und damit auch der Einfluss des Christentums weiter abnehmen.

Ziel könnte ein eingetragener Verein oder eine Interessensgemeinschaft sein, in der die (erwachsenen) Anhänger religiöser Gruppierungen ihre Traditionen pflegen.

Und zwar auf eigene Kosten und ohne die völlig unangemessenen Sonderprivilegierungen wie Parallel-Justiz, eigenes Arbeitsrecht, Bekenntnisunterricht oder Einmischung in gesellschaftliche oder politische Themen. Dass sich sämtliche Aktivitäten dem geltenden Recht unterzuordnen haben, sollte sich von selbst verstehen. Eigentlich.

Finanzieren könnten sich diese Vereinigungen dann über Spenden. Oder sicher noch einige Generationen lang aus dem unermesslichen Reichtum der Vatikanbank.

Es geht weiter!

Im vollbesetzten Dom ging Algermisssen auf die künftigen Veränderungen ein, denen sich auch das Bistum Fulda in den nächsten 15 bis 20 Jahre zu stellen habe. „In der Phase der Verunsicherung ziehen sich die einen in Mutlosigkeit und Resignation zurück. Andere versuchen, unter allen Umständen das Bisherige festzuhalten. Wieder andere stürzen sich in zahllose Aktivitäten, in fast atemloses Schaffen. Jedes Mal heißt die eindeutige Antwort: Es geht weiter!

Klar gehts weiter. Auch für die Hersteller von Dampfeisenbahnen gings weiter – halt ohne Dampfeisenbahnen. Und auch für Menschen, die im 21. Jahrhundert noch einen bestimmten Wüstengott, den sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten, für wahr halten, gehts weiter.

Genaugenommen ist es schon viel weiter gegangen. Die Menschheit steht heute vor ganz anderen Herausforderungen als zu der Zeit, in der man sich noch auf das Wohlwollen von Phantasiewesen verlassen hatte. Oder Menschen noch mit Bestrafung durch diese Wesen zu bestimmten Verhaltensweisen zwingen konnte. Und natürlich stehen heute auch ganz andere Werkzeuge zur Verfügung, um mit diesen Herausforderungen umzugehen.

Dessen ungeachtet könnten sich die Mitglieder eines Vereins Katholische Christen Fulda e.V.  ja auch weiterhin wöchentlich treffen. Um sich gegenseitig in ihrem Glauben zu bestärken, zu verkleiden, in Menschenfleisch verwandelte Oblaten zu essen oder was man eben sonst so macht als Katholik. Nichts und niemand soll sie daran hindern!

Wegbereiter der Zukunft?

Denn Gottes Geist ist bei euch.

Diesem Irrtum sitzen Christen schon seit Erfindung des Christentums auf. Denn redlicherweise lässt sich nichts in einen Kausalzusammenhang mit dem Wirken von Geistern bringen. Es ist nicht erkenn- oder gar nachvollziehbar, dass irgendwelche Geister bei bestimmten Menschen „sind.“ Auch nicht der Geist eines bestimmten Gottes. Es sei denn, man definiert „Geist“ irgendwie zu „Vorstellung“ oder „Kollektiv-Illusion“ um.

Christen seien nicht Nachlassverwalter der Vergangenheit, sondern Wegbereiter der Zukunft, betonte Algermissen weiter.

Und schon hat sichs wieder mit dem realistischen Blick auf die Wirklichkeit. Denn wie sollte ausgerechnet eine Glaubensgemeinschaft, die auf archaischen Moralismen und auf Fiktion beruht, Wegbereiter der Zukunft sein? Die Zeiten, in denen das Christentum tatsächlich „Wegbereiter“ war, sind als das finstere Mittelalter in die Menschheitsgeschichte eingegangen.

Beiträge zur Gestaltung der Zukunft erwartet heute niemand mehr vom Christentum. Wer nicht mal bereit ist, sich an die irdische, natürliche Wirklichkeit zu halten und stattdessen von einer religiös erweiterten Scheinwirklichkeit ausgeht, kann kaum erwarten, als „Wegbereiter der Zukunft“ anerkannt zu werden.

Der „Finger Gottes, der uns führt“

Was nicht heißt, dass eine offene, pluralistische Gesellschaft nicht auch Raum für Anhänger des Christengottes hätte. Selbst wenn sie noch so weit von jeglicher Realität entfernt sein sollten:

Die Gläubigen müssten unbedingt lernen, diese Fragen noch viel häufiger bei all den Gesprächen und Planungen zu stellen, „damit in uns gegen alle Selbstüberschätzung die Einsicht wach bleibt, dass wir uns dem Geist als dem „Finger Gottes, der uns führt“, verdanken.

Wir verdanken uns dem Geist als dem „Finger Gottes, der uns führt“? Nein. Wir verdanken uns der Tatsache, dass unsere Eltern Sex hatten. Da hatten keine Götter ihre Finger oder was auch immer im Spiel. Wer sich ernsthaft von dem „Finger Gottes“ geführt fühlt, ist sicher gut beraten, mal professionelle, nicht-religiöse Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Wenn wir so an die vielfältigen Aufgaben herangehen, werden wir Gottes Geist in der Vielfalt erfahren, in der ihn unsere Kirche preist: Als Ermahner und Beistand, als Tröster und Mutmacher“.

Wenn wir uns bewusst machen, dass Gott trotz angeblicher Allmacht und Allgüte nichts gegen das Leid und Elend unternimmt, dann werden wir Gott erfahren als das, was er bis zum Beweis des Gegenteils ist: Eine menschliche Fiktion mit Eigenschaften, die sich gegenseitig ausschließen und die nicht mit der natürlichen Wirklichkeit in Einklang zu bringen sind.

Gott ermahnt nicht, er leistet keinen Beistand, er tröstet nicht und er macht keinen Mut. Ein solcher Gott ist nichts weiter als die Projektion menschlicher Hoffnung und Sehnsucht. Wer behauptet oder so tut als gäbe es dieses Wesen tatsächlich, führt Menschen in die Irre.

Vorgeschriebene Denkmuster

[…] Wie steht es, so sollten wir von Paulus herausgefordert fragen, mit unseren Denkmustern von Laien und Amtsträgern, von Männern und Frauen, von hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeitern in unseren Gemeinden? Appelle allein helfen nicht.

Zum Glück. Denn wer möchte sich heute noch vorschreiben lassen, nach bestimmten Denkmustern zu denken? Und das ausgerechnet von einer Institution wie der katholischen Kirche?

Im Sinne des Hl. Paulus geht es gut mit uns weiter, wenn wir dieses Bild ganz ernst nehmen: Gottes Geist ist Leben in unserer Kirche. Darum lohnt es sich, nicht nur an Programmen und Konzepten zu arbeiten und immer neue Aufgaben festzulegen. Stattdessen lädt uns das Fest des Heiligen Geistes ein, uns auf die Suche zu machen: Was können wir tun, wo können wir mithelfen, dass wir eine lebendige Gemeinde bleiben und es immer mehr werden? Auch dann, wenn vielleicht auf Dauer kein Priester mehr am Ort wohnt und er vielleicht seltener als bisher in der Gemeinde anwesend sein kann?“ fragte Algermissen.

Herr Algermissen scheint eine große Angst vor dem Engagement von Laien zu haben. Immer wieder bringt er seine Bedenken vor pastoralen Initiativen zum Ausdruck, stellt diese als gefährlichen, blinden Aktionismus dar. Vielleicht dämmert ihm schon, dass sein Posten mehr und mehr überflüssig wird?

Weil die Menschen auch einfach von sich aus Gutes tun können? Im eigenen und im Interesse der Mitmenschen? Und nicht, weil sie sich davon einen Bonus für eine posthume Ewigkeit erhoffen? Oder weil sie sich vor einer ebensolchen angeblichen Bestrafung fürchten? Es braucht keine Götter mehr, um Menschen dazu zu bewegen, bestimmte ethische Standards einzuhalten.

Die Rolle der Kirche in postreligiöser Zeit

Wenn die Kirche tatsächlich Wegbereiter für die Zukunft sein möchte, dann könnte sie doch mal anfangen darüber nachzudenken, wie sie sich in postreligiösen Zeiten für die Ziele von offenen und freien Gesellschaften einsetzen kann.

Nach Meinung des Bischofs sind viele Menschen „geprägt vom Geist des Auferstandenen, ihren täglichen Aufgaben nachgehen, um Leben zu ermöglichen und zu fördern: Mütter und Väter mit ihren Kindern, Menschen in Sozialdiensten an Kranken, Suchtgefährdeten, Obdachlosen und Flüchtlingen“.

Noch mehr Menschen gehen ihren täglichen Aufgaben nach, ohne von diesem Zombiegeist geprägt zu sein. Selbst unter denen, die es bis jetzt noch versäumt haben, aus der Kirche auszutreten. Oder die zur Mitgliedschaft gezwungen sind, weil sie sonst aufgrund ihres Denkens (!) keine Arbeitsstelle bei einer religiös kontrollierten Einrichtung bekommen hätten.

Pfingsten wolle den Menschen den neuen Blick schenken: Die Offenheit füreinander, die Freude aneinander, den aufmerksamen Blick, wo und wie wir einander immer besser Leben ermöglichen können.

Für all das braucht es keine Götter, Geister und Gottessöhne. Das kann und sollte man einfach so tun, ganz unabhängig davon, an welche Geister man glaubt.

Lebensatem für Wegbereiter

Pfingsten sei ein „Fest zum Aufatmen“, weil Gott uns schenke, dass wir seinen Geist, seinen Lebensatem, wieder in uns aufnehmen können.

Unser Lebensatem besteht hauptsächlich aus Sauerstoff. Den haben wir nicht von Göttern, sondern von Lebewesen, die dereinst Methan verstoffwechselten und Sauerstoff als Ausscheidungsprodukt produziert hatten.

Es lässt sich nicht unterscheiden, ob ein geschenkter „Geist“ in Form eines göttlichen „Lebensatems“ tatsächlich von dem jeweils behaupteten Gott stammt. Oder von irgendeinem anderen, oder ob er einfach nur der menschlichen Phantasie entsprungen ist.

In diesem Geist könnten alle neu anfangen, „damit es mit uns in der Nachfolge Christi und mit unserer Kirche auch in dieser Zeit gut weitergeht. Was hätten wir wohl nötiger als einen Neuanfang!“

Wie passt die hochtrabende Selbsteinschätzung, „Wegbereiter für die Zukunft“ sein zu wollen zu der Aussage, die Kirche hätte nichts nötiger als einen Neuanfang? Ein Neuanfang ist ja wohl dann nötig, wenn sich die bisher vertretene Ideologie als dysfunktional erwiesen hat. Wie dieser kirchliche Neuanfang, abgesehen von einer drastischen strukturellen Verkleinerung aussehen soll, verrät Algermissen nicht.

Möglicherweise ist die Theologie an einem Punkt angekommen, an dem es ihr endgültig nicht mehr gelingt, die katholische Glaubenslehre mit der gegenwärtigen natürlichen Wirklichkeit noch irgendwie in Einklang zu bringen. Was einer inhaltlichen Bankrotterklärung gleich kommt.

Wegbereiter ohne funktionierendes Moralsystem

Wer Wegbereiter für die Zukunft sein möchte, bräuchte zumindest mal ein verlässliches, stimmiges Moralsystem, das idealerweise auch noch besser sein sollte als alle anderen Moralsysteme. Die christliche Lehre erfüllt nicht mal den „kleinsten gemeinsamen Nenner“, um den Anforderungen an ein Moralsystem gerecht zu werden, wie Dr. Edmüller in seinem Buch „Die Legende von der christlichen Moral„** ausführlich begründet.

Moralische Grundannahmen müssten demnach drei Eigenschaften haben:

  •   Klarer Umfang: Es muss deutlich sein welche Regeln und Werte zu den Grundannahmen gehören und welche nicht
  •   Klarer Inhalt: Es muss deutlich sein, was die jeweiligen Grundannahmen bedeuten
  •   Stimmigkeit: Die Grundannahmen müssen zusammenpassen und sollten sich nicht grundsätzlich widersprechen

Schon wegen dieser drei grundlegenden Punkte scheidet das Christentum als „Wegbereiter für die Zukunft“ aus.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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