wählerisch-sein: Art. 1 (2)

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Auf der Webseite wählerisch-sein.de betreibt das Evangelisch-Lutherische Landeskirchenamt Sachsens laut eigener Darstellung eine „Guerilla-Kampagne für mehr Wahlbeteiligung & Demokratie.“ 

Der Versuch, einigen Artikeln aus dem Grundgesetz irgendwie passend erscheinende Bibelzitate zuzuordnen legt allerdings eher die Vermutung nahe, dass es sich dabei um einen Versuch handelt, die Wahl dazu zu nutzen, die „Heilige Schrift“ noch als irgendwie relevant für die heutige Zeit darzustellen.

Art. 1 (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag. (1.Mose 1,31)

Was für eine arrogante Anmaßung. Welche Verhöhnung der unzähligen Millionen von Menschen, die im vermeintlichen Auftrag und Namen genau dieses Gottes Un- und Andersgläubige verfolgt, ausgebeutet, unterdrückt, gefoltert und ermordet haben.

Nein, für einen allmächtigen, allwissenden, allgütigen Gott ist ihm diese Erde alles andere als „sehr gut“ geraten. Seine einzige Entschuldigung kann sein, dass er nicht existiert.

Es ist wohl kaum untertrieben, die Zuordnung genau dieser Bibelstelle zum Art. 2 unseres Grundgesetzes als eine perfide Pervertierung zu bezeichnen.

Die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte, die die Grundlage von offenen und freien Gesellschaften darstellen, mussten gegen den erbitterten und gewaltsamen Widerstand der Kirche durchgesetzt werden.

Die gut 1000 Jahre, in denen das Christentum an der Macht war, gingen als das „Finstere Mittelalter“ in die Menschheitsgeschichte ein.

Andererseits kommt die Auswahl dieser Bibelstelle einer inhaltlichen Bankrotterklärung gleich. Wenn sich zum Thema Menschenrechte in der Bibel nichts anderes finden lässt als ein Wüstenmythos, nachdem ein erfundener Schöpfergott sein Werk als „sehr gut“ bezeichnet, dann ist das schon reichlich armselig.

Aber auch kein Wunder, wenn man überlegt, dass die Menschenrechte die derzeit höchste Stufe einer ganzen Reihe von Werten sind, die allesamt nichts mit den biblischen Mythen und Legenden zu tun haben:

  • Humanistisches Denken > Rationalität > Säkularität > Rechtsstaatlichkeit > Demokratie > Menschenrechte

Die Webseite wählerisch-sein.de ist ein Projekt der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen. Beim nächsten medienwirksam zelebrierten Ökumenischen Treffen mit den katholischen Glaubensbrüdern (und, falls anwesend, -Schwestern) wäre ein interessanter Tagesordnungspunkt die Frage, wie es sein kann, dass der Vatikan einer der wenigen Staaten ist, die die Menschenrechtscharta der UNO bis heute ablehnen.

Weil die Katholische Kirche bis heute das Recht Gottes höher einschätzt als das Menschenrecht. (Quelle: deutschlandfunk.de)

Gerade monotheistische Religionen wie das Christentum bauen auf einer Aufteilung der menschlichen Gemeinschaft in Zugehörige (Gläubige, die Ingroup) und Nicht-Zugehörige (Un- und Andersgläubige, die Outgroup) auf. Wer möchte, kann seinen partikulären Standpunkt problemlos biblisch begründen (Hervorhebung von mir):

  • Der Herr sprach zu Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich werde dich zu einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. Ein Segen sollst du sein. Ich will segnen, die dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen. Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen. (1.Mose 12,1-3)

Natürlich passt die Vorstellung, einem „auserwählten Volk“ anzugehören, nicht zu dem Frieden und der Gerechtigkeit in der Welt, wie sie in Art. 2 GG beschrieben werden.

Quellen

  • Quelle der Auszüge aus dem Grundgesetz: © Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Stand: 23.12.2014
  • Quelle der als Zitat gekennzeichneten Bibelstellen: © Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung revidiert 2017
  • Quelle der kursiv gekennzeichneten, eingerückten Bibelzitate: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

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