wählerisch-sein: Art. 4 (1)

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Auf der Webseite wählerisch-sein.de betreibt das Evangelisch-Lutherische Landeskirchenamt Sachsens laut eigener Darstellung eine „Guerilla-Kampagne für mehr Wahlbeteiligung & Demokratie.“ 

Der Versuch, einigen Artikeln aus dem Grundgesetz irgendwie passend erscheinende Bibelzitate zuzuordnen legt allerdings eher die Vermutung nahe, dass es sich dabei um einen Versuch handelt, die Wahl dazu zu nutzen, die „Heilige Schrift“ noch als irgendwie relevant für die heutige Zeit darzustellen.

Art. 4 (1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Und er redete zu den Juden und den Gottesfürchtigen in der Synagoge und täglich auf dem Markt zu denen, die sich einfanden. (Apo 17,17)

Einen Satz vorher ist in dieser Bibelstelle zu erfahren, dass der hier beschriebene Paulus in Athen mit anderen religiösen und weltanschaulichen Bekenntnissen wohl arge Probleme hatte:

  • Während Paulus in Athen auf sie wartete, erfasste ihn heftiger Zorn; denn er sah die Stadt voll von Götzenbildern. (Apg 17,16)

Natürlich ist der Zorn dieses literarischen Heldes nicht die einzige Reaktion auf Un- und Andersgläubige, wenn es nach der Bibel geht. Vielmehr besteht die biblische Gesamtaussage aus dem Nicht-Anerkennen der Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses:

  • Wer glaubt und sich taufen lässt, wird gerettet; wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden. (Mk 16,16)

Wenn die Bibel in einer Aussage unmissverständlich ist, dann in dieser, dass Un- und Andersglaube das mit Abstand schlimmste und keinesfalls tolerierbare menschliche Fehlverhalten ist. Wird im Alten Testament noch detailliert geschildert, wie Jahwe seine Anhänger in der Niederschlagung seiner Feinde unterstützt (die von diesen im Auftrag und Namen ihres zornigen Kriegsgottes gemetzelt werden), ist die Bestrafung im Neuen Testament dann Chefsache:

  • So wird es auch am Ende der Welt sein: Die Engel werden kommen und die Bösen von den Gerechten trennen und in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt. Dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen. (Mt 13,49-50)

Sicherheitshalber schiebt wählerisch-sein.de noch einen zweiten Bibelspruch hinterher:

Das Ziel der Unterweisung aber ist Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungeheucheltem Glauben. (1. Tim 1,5)

Die Macher von wählerisch-sein.de scheinen sich sehr sicher zu sein, dass sich niemand die Mühe macht mal nachzuschauen, aus welchen Texten sie ihre Rosinen für ihr Projekt herausgepickt haben. Nur so ist es zu erklären, dass sich eine Bibelstelle wie diese hier findet, und dann auch noch ausgerechnet im Zusammenhang mit Art. 4 (1) unseres Grundgesetzes. Dem gewählten Satz geht nämlich dieser voraus (Hervorhebungen von mir):

  • Bei meiner Abreise nach Mazedonien habe ich dich gebeten, in Ephesus zu bleiben, damit du bestimmten Leuten verbietest, falsche Lehren zu verbreiten und sich mit Fabeleien und endlosen Geschlechterreihen abzugeben, die nur Streitfragen mit sich bringen, statt dem Heilsplan Gottes zu dienen, der sich im Glauben verwirklicht. (1.Tim 1,3-4)

Ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet? Nein. Die wird verboten. Und zwar exakt einen Satz vor dem, der als biblischer „Beleg“ für Religionsfreiheit angeführt wurde.

Einmal mehr sei angemerkt, dass die Bekenntnisfreiheit zu den Werten zählt, die gegen den erbitterten Widerstand der christlichen Kirche erkämpft werden mussten. Heute profitieren die Christen nicht nur selbst davon. Sie tun auch so, als sei diese Freiheit gar aus der christlichen Lehre ableitbar.

Quellen

  • Quelle der Auszüge aus dem Grundgesetz: © Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Stand: 23.12.2014
  • Quelle der als Zitat gekennzeichneten Bibelstellen: © Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung revidiert 2017
  • Quelle der kursiv gekennzeichneten, eingerückten Bibelzitate: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

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