wählerisch-sein: Art. 5 (1)

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Auf der Webseite wählerisch-sein.de betreibt das Evangelisch-Lutherische Landeskirchenamt Sachsens laut eigener Darstellung eine „Guerilla-Kampagne für mehr Wahlbeteiligung & Demokratie.“ 

Der Versuch, einigen Artikeln aus dem Grundgesetz irgendwie passend erscheinende Bibelzitate zuzuordnen legt allerdings eher die Vermutung nahe, dass es sich dabei um einen Versuch handelt, die Wahl dazu zu nutzen, die „Heilige Schrift“ noch als irgendwie relevant für die heutige Zeit darzustellen.

Art. 5 (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. (Ex 20,16)

Das sollst du nicht. Nur trifft diese Bibelstelle nicht den Inhalt dieser gesetzlichen Norm. Denn solange keine persönlichen Rechte verletzt werden, darf hierzulande jeder auch den gröbsten Unfug und Lügen aller Art ungestraft öffentlich verbreiten. Dazu kommt, dass in vielen Bereichen gar nicht so genau feststeht, was tatsächlich „falsch“ und was „richtig“ ist.

Du sollst kein falsches Gerücht verbreiten; du sollst nicht einem Schuldigen Beistand leisten, indem du als Zeuge Gewalt deckst. (Ex 23,1)

Sollst du nicht. Aber darfst du. Siehe oben. Wer meint, ein überirdisches Wesen habe sich vor rund 2000 Jahren seinen eigenen Sohn als Menschenopfer für sich selbst temporär zu Tode hatte foltern lassen, um damit die Menschen von einer Sünde zu befreien, mit der dieses Wesen die Menschen vorher selbst bestraft hatte, der darf das in Wort, Schrift und Bild frei äußern und verbreiten. Diesem Verkünder ist dann nur zu wünschen, dass er auch seine Freiheit, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, nutzt.

Darum legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, ein jeder mit seinem Nächsten, weil wir untereinander Glieder sind. (Eph 4,25)

Und noch ein Bibelspruch, der mit Meinungs- und Pressefreiheit nichts zu tun hat. Getreu dem wohlbekannten Motto aller Nebelkerzenwerfer: „Wir schreiben einfach mal irgendwas hin, wird schon keiner nachfragen…“

Meinungsfreiheit ist ein rotes Tuch für religiöse Verkündiger. Bis vor wenigen Jahren war es noch gängige Praxis, kirchen- oder glaubenskritische Bücher und unliebsame Werke verbieten zu lassen, indem man sie auf den Index setzte.

Die Kirchenlobby sorgt auch heute noch zuverlässig dafür, dass bestimmte Kirchen dank umfassender Sonderprivilegierung überproportional in den Medien vertreten sind.

Wer auf christlichen Webseiten unterwegs ist, dem könnte aufgefallen sein, dass hier so gut wie nie Kommentare von Besuchern zugelassen sind. Auch der evangelische Online-Fragen-Beantwortungsdienst beantwortet nur Fragen, die ihm in den Kram passen. Gleiches gilt für kritische Kommentare oder auch nur Nachfragen, die nicht nur zensiert, sondern in der Regel gar nicht erst veröffentlicht werden. Was sie freilich nicht davon abhält, bei jeder Gelegenheit Dialogbereitschaft anzumahnen. Wein saufen,…

In der Bibel werden Menschen, die nicht die eigenen religiösen Phantasien teilen bestenfalls nur beleidigt:

  • Ihr Nattern, ihr Schlangenbrut! [gemeint sind Schriftgelehrte und Pharisäer] Wie wollt ihr dem Strafgericht der Hölle entrinnen? (Matthäus 23,33)

Auch dieser Versuch, Bibelverse mit dem Grundgesetz in Verbindung zu bringen, darf wohl als gescheitert angesehen werden.

Quellen

  • Quelle der Auszüge aus dem Grundgesetz: © Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Stand: 23.12.2014
  • Quelle der als Zitat gekennzeichneten Bibelstellen: © Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung revidiert 2017
  • Quelle der kursiv gekennzeichneten, eingerückten Bibelzitate: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart.

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