Die Goldene Rosine am Band geht im Februar 2018 an den Programmierer der Webseite Bibelpyramide.
Am 10. Februar berichtete die Mainpost über ein Projekt von Pfarrer Robert Augustin von der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Hammelburg. Wir erfahren, dass Herr Augustin drei Hobbies hat: Programmieren, Orgel spielen und Fahrrad fahren.
Seine Programmierkenntnisse hat der Pfarrer jetzt genutzt, um die Webapplikation „Bibelpyramide“ zu programmieren (powered by php-einfach.de). Im Intro der Webseite (was möglicherweise eine Reminiszenz an den Anachronismus sein soll, der einer Internetseite innewohnt, die Bibelstellen veröffentlicht) erfährt der Besucher mehr über das, was ihn erwartet:
„Werden Sie vertraut mit immer mehr wichtigen Geschichten der Bibel“,
„Probieren Sie verschiedene Rezepte des Bibellesens aus“,
„Dringen Sie Schritt für Schritt und Tag für Tag tiefer ein…“,
„…in ein Buch voller Geheimnisse und voller Kraft“,
„Verfolgen Sie Ihren täglichen Fortschritt“,
„Verfügen Sie über wichtige Informationen auch als PDF und auf Papier“,
„Vernetzen Sie sich mit anderen Usern“,
„Wenn Gottes Wort auf der Zunge zergeht und im Herzen nachklingt wie Musik“*
Zwei dieser Claims bringen Herrn Augustin die Auszeichnung „Goldene Rosine am Band“ im Februar 2018 ein: Die „wichtigen Geschichten der Bibel“ und „Wenn Gottes Wort auf der Zunge zergeht und im Herzen nachklingt wie Musik.“ Dazu später mehr.
Welche Bibelgeschichten sind wichtig?
Weil die „Bibelpyramide“ so programmiert ist, dass man jeden Tag nur ein Kapitel lesen kann und dieses offenbar auch erst mehrmals gelesen haben muss, um ins nächste Level zu kommen, weiß ich momentan noch nicht, welche Bibelstellen Herr Augustin für „wichtig“ hält und welche nicht.
Update: Die verordnete Zwangspause bis zum nächsten Kapitel kann man ganz einfach umgehen, indem man jedes Kapitel ein paarmal als „gelesen“ abspeichert und dabei ein zurückliegendes Datum angibt. So kann man sich die jeweils nächsten Kapitel ohne Wartezeit freischalten. Netterweise muss man sie auch nicht wirklich gelesen haben. Oder gar auswändig gelernt, wofür es ebenfalls eine Funktion in der Bibelpyramide gibt.
Aber ganz unabhängig davon, welche Stellen letztlich für die Bibelpyramide ausgewählt wurden – allein die Tatsache, dass es im Auge des Betrachters (oder in diesem Fall: des Programmierers) liegt, welche Stellen der Bibel er für wichtig hält und welche nicht, zeigt eines der großen Probleme, das „heilige Schriften“ wie die Bibel mit sich bringen: Die völlige Beliebigkeit.
Mit der Bibel lässt sich praktisch alles rechtfertigen – und das genaue Gegenteil. Wie ein Blick in die 10bändige Kriminalgeschichte des Christentums erschreckend eindrucksvoll zeigt, hielt man früher offenbar ganz andere Geschichten der Bibel für „wichtig“ als heute. Einfach gezielt herauspicken, bei Bedarf passend umformulieren oder umdeuten und schon ist jedes beliebige Verhalten biblisch, bzw. noch besser: göttlich legitimiert. Das Spektrum reicht von Angriffskrieg bis Feindesliebe.
Damit das erstmal klar ist: Ihr seid alle Sünder
Herr Augustin startet auf seiner Webseite mit einem Abschnitt, der ihm offenbar besonders wichtig ist und dessen Aussage er wie folgt zusammenfasst:
Infos und Impulse zu Lukas 15
Unverdiente Gnade in der Bibel
Eine Grundaussage des Neuen Testaments ist: Alle Menschen sind Sünder und leben aus Gottes unverdienter Gnade.
Damit soll wahrscheinlich erstmal die göttliche Position klargestellt werden: Ich Chef, du nix.
Natürlich sei es jedem selbst überlassen, sich solche bizarr absurden Vorstellungen „auf der Zunge“ zergehen zu lassen. Und womöglich gibt es tatsächlich Menschen, bei denen sowas „im Herzen nachklingt wie Musik.“
Lustgewinn durch Selbsterniedrigung ist somit nicht nur im SM-Studio und bei Katholiken, sondern offensichtlich auch in der Evangelisch-Lutherischen Abspaltung anzutreffen.
Wobei vermutlich auch viele derer Lust empfinden dürften, die Menschen mit solch – pardon das offene Wort – hanebüchenem (Definition von hanebüchen: „So schlecht oder unverschämt, dass man es kaum glauben kann“) Schwachsinn verängstigen und erniedrigen. Und so gleichzeitig ihren Gott (und damit, als dessen Verkünder, auch gleich sich selbst ein bisschen) erhöhen.
Klar: Wem sollte man schon eine Erlösung verkaufen können, der sich gar nicht als erlösungsbedürftig wahrnimmt?
Biblisches Welt- und Wertebild: Völlig absurd und hochgradig inhuman
Deshalb erfrecht sich Herr August, erstmal alle Menschen pauschal zu Sündern erklären. Die sowieso nur in völliger Abhängigkeit von „Gottes unverdienter Gnade“ leben können. Weil er das so aus seiner archaischen Mythensammlung herausliest.
Bei solchen Behauptungen kommen einem kritisch denkenden Menschen immer allerlei Fragen in den Sinn: Was ist mit Menschen, die das Glück hatten, nie mit diesem Gott konfrontiert worden zu sein? Was ist mit Menschen, die keine oder andere Götter verehren, sich aber trotzdem mitmenschlich und fair verhalten? Was ist mit tiefgläubigen Schwerverbrechern? Zählen Neandertaler auch schon zu den Sündern? Homo erectus? Oder erst ab homo sapiens?
Wer definiert eigentlich, was „Sünde“ bedeuten soll? Wie ist es rechtlich oder philosophisch zu bewerten, allen Menschen eine „Erbsünde“ anzulasten? Und wie kann ein ansonsten vermutlich rational denkender, aufgeklärter Mensch im 21. Jahrhundert denn heute noch solche Hirngespinste und Fiktionen für irgendwie bedeutsam oder gar wahr halten?
Wie sieht die „Gnade“ des „Allmächtigen nun konkret aus? Ist es ein Zeichen von besonderer Gnade, sich ein Universum zu erschaffen, um sich dann eine Liebesbeziehung zu und ein bestimmtes Verhalten von einer bestimmten bevorzugten Trockennasenaffenart auf einem bestimmten Miniplaneten zu erhoffen, obwohl Gott diese Lebewesen so geschöpft hatte, dass sie (offenbar zumindest in seinen „Augen“) „Sünder“ sind, also unfähig, sich so zu verhalten, wie er sich das vorstellt?
Lebewesen, die Gott trotz Allmacht und somit also absichtlich unvorstellbarem Leid und Elend aussetzt? Ein Gott, der trotz seiner Allmacht keine andere Möglichkeit hatte, als seine komplette Schöpfung bis auf ganz wenige Ausnahmen wegen Nichtgefallen erstmal zu ersäufen, nachdem er sie geschöpft hatte? Und der sich später seinen eigenen Sohn als Menschenopfer für sich selbst hatte vorübergehend zu Tode foltern lassen, um den Menschen so seine Liebe zu beweisen?
Götter leben von menschlicher Imagination – und von unverdienter Verehrung
Sollte mit „Sünde“ unethisches Verhalten gemeint sein, so schneidet Gott verdammt schlecht ab: Würde ich zum Beispiel beobachten, dass ein Kind gerade in einen See gefallen ist und droht unterzugehen, dann würde ich selbstverständlich versuchen, es zu retten.
Damit verfüge ich „Sünder“, der ich nicht aus der unverdienten Gnade von Phantasiewesen lebe, über höhere ethische Standards als dieser tatenlos zusehende Gott. Und ich bin weder allmächtig noch allwissend oder allgütig. Gottes einzige Entschuldigung kann sein, dass er nicht existiert.
In einer Mythen- und Legendensammlung kann es einen solchen Plot wie den in der Bibel natürlich geben. Aber Herr Augustin scheint das biblische Alle-Menschen-sind-Gottabhängige-Sünder-Konzept ja für so bedeutsam zu halten, dass er eigens eine Webseite programmiert, um den Menschen seine persönliche Auswahl an (rational betrachtet absurden und irrelevanten) Fiktionen als übergeordnete Wahrheit näherzubringen. Als etwas, das man am besten auswändig lernen sollte.
Die Bibel: Das am meisten übeschätzte Buch der Welt
Tatsächlich gilt die Bibel als das am meisten überschätzte Buch der Welt: Über weite Strecken ermüdend langweilig und/oder unvorstellbar brutal, inhaltlich auf dem Wissens- und Entwicklungsstand eines primitiven Wüstenvolkes zum Ende der Bronzezeit und abgesehen von einer hauchdünnen irgendwie brauchbar auslegbaren Legierung irrelevant für die Lebenswirklichkeit der Menschheit im 21. Jahrhundert. Nicht zuletzt wegen der biblischen Grundlage ist das Christentum moralisch orientierungslos.
Zurück zur Bibelpyramide:
Wer die Bibellektüre so beschreibt: „Wenn Gottes Wort auf der Zunge zergeht und im Herzen nachklingt wie Musik“, der hat sich schon allein damit die „Goldene Rosine am Band“ verdient.
Denn zum „Wort Gottes“, das man genüsslich auf der Zunge zergehen und im Herzen nachklingen lassen soll, gehören genauso auch Worte, die so widerlich, absurd, abstoßend, brutal, ungerecht und menschenverachtend sind, dass sich einem nicht religiös immunisierten Leser die sprichwörtlichen Fußnägel hochrollen dürften.
Zumindest dürften Leser, die die Texte nicht unter dem Einfluss religiöser Indoktrination lesen, diese als höchst verstörend empfinden. Außerhalb des biblischen Rahmens würden diese Texte als jugendgefährdende, weil Gewaltverherrlichende Schriften eingestuft werden.
Da rollen sich die sprichwörtlichen Fußnägel hoch
Eine Sammlung solcher Stellen gibts zum Beispiel hier. Ich bin gespannt, ob eine dieser Stellen irgendwann mal in der Bibelpyramide auftaucht. Und wenn, dann mit welcher Bewältigungsstrategie.
Konfrontiert man Gläubige mit solchen Stellen, dann kommt nicht selten der Vorwurf, der für ihr eigenes Vorgehen genauso gilt: „Das ist ja aus dem Zusammenhang gerissen“, heißt es da oft.
Wieso hat Herr Augustin die Stelle vom verlorenen Sohn herausgepickt? Und nicht zum Beispiel diese Stelle, die ebenfalls im Lukasevangelium wenige Zeilen vorher zu finden ist (Hervorhebung von mir):
- Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu werfen; was wollte ich lieber, als dass es schon brennte! […] Meint ihr, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage euch: Nein, sondern Zwietracht. Denn von nun an werden fünf in einem Hause uneins sein, drei gegen zwei und zwei gegen drei. Es wird der Vater gegen den Sohn sein und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen die Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter. (Lk 12,49-53 LUT)
Aus meiner Sicht wäre es wichtiger zu wissen, dass Jesus der Grund für die Zwietracht auf Erden ist, als dass das erste Drittel seiner tripolaren Persönlichkeit Menschen irgendwann mal liebevoll aufnehmen wird (was laut Bibel bzw. deren jeweiligen Auslegung ja aber auch alles andere als sicher ist).
Liebe mich, oder ich bestrafe dich ewig
Und es ist ganz egal, welche Bibelstellen man mit oder ohne Kontext betrachtet. Denn die Grundaussage des Neuen Testaments, auf den Punkt gebracht in Mk 16,16 lautet:
- Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. (Mk 16,16 LUT)
Mit anderen Worten: Liebe mich, oder ich bestrafe dich mit zeitlich unbegrenzten Höllenqualen.
Was für eine wundervolle, aufrichtige und wertschätzende Basis für eine intensive Liebesbeziehung. Dafür kann man sich auch schon mal hinsetzen und eine Bibelpyramide zusammenprogrammieren. Wobei Fahrrad fahren und Orgelspielen vielleicht sinnvoller gewesen wären…
Wie vielen Despoten, Idioten und Fanatikern wohl das mit dem „Feuer auf die Erde werfen“ schon auf der Zunge zergangen ist und im Herzen wie Musik nachgeklungen hat? Deus lo vult. Gott will es. Immer und egal was.
Goldene Rosine am Band** im Februar 2018 geht an Herrn Augustin und seine Bibelpyramide
Für die Verwendung von Technik und von Wissen, das die Menschen erst erlangten, nachdem die Kirche so weit entmachtet worden war, dass sie die Wissenschaft nicht länger mit ihrer absurden und bis zum Beweis des Gegenteils schlicht falschen christlich-dogmatischen Wüstenmythologie unterdrücken konnte, für diese Verwendung also zum Zweck, eine Webseite zu programmieren, um Menschen mit einer „Bibelpyramide“ seine persönlich für wichtig gehaltenen Bibelstellen als etwas besonders Bedeutsames zu vermitteln und dabei so zu tun, als handle es sich beim „Wort Gottes“ um etwas, das man sich auf der Zunge zergehen lassen könne und das im Herzen nachklinge wie Musik, verleihen wir Herrn Augustin die Goldene Rosine am Band im Februar 2018.
Herzlichen Glückwunsch.
Einladung zum Bibelquiz und zu wenigerglauben.de
Erwachsene, die ihr Bibelwissen testen möchten, sind hiermit herzlich zu unserem Bibelquiz für Erwachsene eingeladen.
Wer ganz mutig ist, kann seine eigenen Glaubensgewissheiten auf der Webseite wenigerglauben.de kritisch hinterfragen.
Und wem immernoch nicht klar ist, aus welchen Werten offene und freie Gesellschaften entstehen können, findet hier eine Erklärung.
*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte und der Screenshot stammen von der Webseite bibelpyramide.de.
**Mit der virtuellen „Goldenen Rosine am Band“ zeichnen wir in unregelmäßigen Abständen Religionsverkündiger aus, die überdurchschnittliche Fähigkeiten in der wunschgemäßen Auswahl („Cherry Picking“, „Rosinenpicken“) und ebenso wunschgemäßen Umdeutung von Bibelstellen unter Beweis gestellt haben.
Dürfen Nutzer der Bibelpyramide eigentlich Bibelstellen zur Aufnahme in die Pyramide vorschlagen? Ich hätte da ein paar Ideen … 😇
Man kann sich tatsächlich auch eigene Pyramiden zusammenbasteln – ob man diese dann auch „teilen“ oder sonstwie veröffentlichen kann, werde ich mal erfragen 🙂
Das schreit nach Atheisten-Teamwork! 😈
Ich bin sicher, unsere Pyramide wäre die lustigste.
Sehr Unterhaltsam!