Kein Bedarf mehr an Exorzismus? Wir schreiben das Jahr 2018. Wie katholisch.de am 24.2.2018 in diesem Beitrag berichtet, hat die „Internationale Vereinigung der Exorzisten“ ein Nachwuchsproblem.
Allein die Tatsache, dass es im Europa des 21. Jahrhunderts noch eine „Internationale Vereinigung der Exorzisten“ überhaupt gibt, wäre eigentlich ja schon absurd genug. Denn: Die meinen das wirklich ernst.
Da ist es auch wenig tröstlich, dass sich der Bericht nicht auf Deutschland, sondern auf Italien bezieht.
Jedes Jahr suchen in Italien schätzungsweise 500.000 Menschen die Hilfe eines Exorzisten.
Diese Zahl lässt befürchten, dass in Italien offenbar noch deutlich mehr Menschen vom christlichen Aberglauben befallen sind als hierzulande. Tatsächlich sollen 80% der Italiener Katholiken sein.
Zumindest scheinen diese Leute (oder vermutlich eher deren ansonsten rat- und hilflose Angehörige) davon auszugehen, es gäbe das in der katholischen Lehre vorhandene personale „Böse“ tatsächlich. Und es handele sich dabei um etwas, das von ein Exorzisten „ausgetrieben“ werden könne. Nicht in irgendeinem übetragenen Sinne. Sondern in Echt.
Zu wenig Teufelsaustreiber?
Verglichen mit dieser Nachfrage gebe es zu wenige Teufelsaustreiber, beklagten die Teilnehmer eines viertägigen Treffens katholischer Exorzisten, das bis Samstag im süditalienischen Palermo stattfindet.
Das halte ich für einen Fehlschluss. Denn verglichen mit dieser Nachfrage gibt es nicht zu wenige Teufelsaustreiber. Sondern zu wenig Aufklärung. Und vermutlich auch zu wenige Angebote in den Bereichen Psychologie und Psychiatrie.
Binnen weniger Jahre habe sich die Zahl der Hilfesuchenden verdreifacht, hieß es. […] Zudem gebe es manche Gutmeinenden [Exorzisten, Anm. v. mir], die jedoch eher Schaden anrichteten.
Die, die den eigentlichen Schaden angerichtet haben, sind diejenigen, die Menschen diesen ganzen Teufel- und Dämonen-Schwachsinn erst eingeredet haben.
Ganz egal, ob ein „Exorzist“ erfolgreich war oder nicht – eines ist bis zum Beweis des Gegenteils auszuschließen: Nämlich dass das, was er vorgab zu tun, nicht die eigentliche Ursache für einen Erfolg (oder Misserfolg) war. Eine Wechselwirkung zwischen der natürlichen und einer wie auch immer gearteten „übernatürlichen“ Welt lässt sich nur behaupten. Und behaupten kann man alles Beliebige sowie das genaue Gegenteil.
Die Vorstellung, physische oder psychische Erkrankungen seinen das Werk von Dämonen, stammt aus einer Zeit, in der es die Menschen einfach noch nicht besser wussten. Damals war eine fiktive, völlig absurde „Erklärung“ offenbar befriedigender als das Nichtwissen um die tatsächlichen Ursachen und Zusammenhänge.
Zumal somit ja eine Hoffnung auf Heilung berechtigt schien, obgleich die Heilungsmethode „Exorzismus“ an sich natürlich genauso illusorisch und irreal ist wie der „Dämonenbefall“ selbst.
Wer glaubt heute noch an das Böse?
„Viele Christen glauben nicht mehr an die Existenz des Bösen“, zitiert Vatican News den Theologen Cesare Truqui, Schüler des 2016 gestorbenen bekannten Exorzisten Gabriele Amorth.
Schön wärs. Wenn in Italien noch 500.000, psychisch vermutlich mehr oder weniger belastete Menschen meinen, ein Exorzismus sei eine sinnvolle Maßnahme, dann glauben zumindest dort doch noch erschreckend viele Menschen das katholische Märchen von der „Existenz des Bösen.“ Solches zu glauben, ist weder schlau noch vernünftig. Es ist vielmehr dumm und unvernünftig.
Wer Menschen hierzulande mit Schauergeschichten über „das Böse“ in die Irre führt und verunsichert, macht sich damit höchstens noch lächerlich. So wie etwa der scheidende Fuldaer Bischof Algermissen.
Dessen öffentliche Verkündigungen legen den Verdacht nahe, dass er selbst der irrwitzigen Vorstellung eines personalisierten Bösen als Gegenspieler seines Wüstengottes (der als allmächtiger Schöpfer ja auch „das Böse“ geschöpft haben müsste) erlegen ist. Wohlgemerkt: Wir sprechen von der Gegenwart. Und von einem ansonsten vermutlich klar denkenden und geistig gesunden Erwachsenen.
Die Lehre und die Praxis der Seelenbefreiung
Daher würden zu wenige dieser speziellen Seelsorger ernannt und gebe es zu wenige junge Priester, die bereit seien, „die Lehre und die Praxis der Seelenbefreiung zu lernen“, so Truqui.
Na wenigstens ein kleiner Hoffnungsschimmer…
Wie man hört, sollen in dieser Branche auch andere Berufe inzwischen etwas aus der Mode gekommen sein: Hexenverbrenner, Henker, Folterknechte, Inquisitoren, Tempelwärter und Priester von früheren Gottheiten – sie alle sind heute – Aufklärung und Säkularisierung sei Dank – arbeitslos.
Und sie alle waren sicher felsenfest davon überzeugt, mit ihrem Tun bestmöglich ihrer vermeintlichen göttlichen Bestimmung gerecht geworden zu sein.
Besessenheit und „diverse Abhängigkeiten“
Auch wenn es in den wenigsten Fällen tatsächlich um Besessenheit gehe und einige Menschen eher unter psychischen Krankheiten litten, steige die Zahl diverser Abhängigkeiten etwa in Sekten extrem an, sagte Benigno Palilla dem Portal Vatican News.
Was auf den ersten Blick wie ein zumindest teilweises Eingeständnis des eigenen Irrtums und der eigenen Täuschung erscheinen mag, ist in Wirklichkeit einfach nur eine weitere Täuschung.
Denn nicht nur in wenigen, sondern in keinem einzigen Fall kann irgendwer so etwas wie eine „Besessenheit“ tatsächlich nachweisen. Es handelt sich dabei bis zum Beweis des Gegenteils um nichts weiter als um menschliche Hirngespinste, die jeder vernünftigen Beweisbarkeit entbehren.
Diverse Abhängigkeiten lassen sich bei Anhängern des Katholizismus genauso beobachten wie bei anderen Glaubensgemeinschaften auch. Anders als hier suggeriert kann das Christentum seinen Anhängern freilich auch nichts weiter als eine bestenfalls hoffnungsvolle Illusion vorzugaukeln.
Das Mittel der Wahl gegen die Irreführung durch Sekten kann demzufolge nicht eine Irreführung durch eine andere Institution sein, die sich von kleinen Sekten nur durch die Anzahl der Anhänger unterscheidet. Oder, wie Sam Harris es formulierte:
- „Es ist eindeutig an der Zeit, dass wir lernen, unsere emotionalen Bedürfnisse zu befriedigen, ohne uns dem Absurden hinzugeben. Wir müssen Mittel und Wege finden, uns auf die Kraft des Rituals zu berufen und die Übergänge, die in jedem Menschenleben nach Tiefgründigkeit verlangen – Geburt, Hochzeit, Tod-, so vollziehen, dass wir uns dabei nicht mehr über die wahre Natur der Dinge in die eigene Tasche lügen. (Quelle: Sam Harris: Brief an ein Christliches Land, S. 114, C. Bertelsmann 2006)
Aufklärung statt Exorzismus
Wenn der katholischen Kirche tatsächlich etwas an den Menschen liegen würde, die sich für „besessen“ halten, wäre es redlicher, ehrlicher und sinnvoller, diese darüber aufzuklären, dass es sich dabei um ein absurdes Hirngespinst handelt.
Andererseits müsste man damit natürlich zugeben, dass die bisher von Exorzisten durchgeführte „Arbeit“ genauso schwachsinnig und realitätsfern war wie etwa Hexenverbrennungen.
Doch wen interessiert schon die Wahrheit, solange es noch Menschen gibt, die sich (oder ihre Angehörigen) für besessen halten? Und die bereit sind, für ein bisschen katholisches Hokus Pokus Fidibus eines Priesters gut (z. B. laut dieser Quelle in Frankreich zwischen 50 und 100 Euro pro Exorzismus) zu bezahlen?
Nein, Wahrheit und Ehrlichkeit wäre da kontraproduktiv. Ohne Dämonen keine Besessenheit. Und ohne Besessenheit kein Bedarf an Exorzismus:
Als Grund nannte der Ordensmann eine steigende Zahl von Menschen, „die sich an Magier wenden, an Hexen, an Leute, die Karten legen“, so Palilla weiter: „Und indem man das tut, öffnet man dem Dämon die Tür – und der Besessenheit.“
Es ist das Gleiche wie mit dem christlichen Erlösungsversprechen, das ja das Vorhandensein einer Sünde zwingend voraussetzt. Ohne Sünde wäre Jesus ganz umsonst gestorben. Um hier ganz sicher zu gehen, hatte man perfide, Menschenverachtende Konstrukt der „Erbsünde“ ersonnen. Somit ist wirklich jeder erlösungsbedürftig. Da soll erstmal einer das Gegenteil beweisen…!
Gute Zauberer, schlechte Zauberer
Der Umgang der katholischen Kirche mit dem Thema „Magie“ ist generell ziemlich interessant. Denn als Vertreter einer Glaubenslehre, in der eine bizarre Verwandlungszeremonie von Oblaten in Menschenfleisch und von Wein in Menschenblut zum Zwecke der oralen Verabreichung eine, wenn nicht die tragende Rolle spielt, kann man auf das Konzept „Magie“ freilich nicht verzichten.
Das hat zur Folge, dass man umgekehrt auch die von anderen Magiern angebotene Magie nicht einfach als das bezeichnen kann, was sie nun mal ist: Täuschung, Einbildung, Illusion, Manipulation.
Dabei ist die eigene angebotene religiöse Magie genauso nur von Menschen erdacht und lediglich behauptet wie die von Vertretern beliebiger anderer esoterischer Abteilungen: Entstanden aus Unwissenheit, Einbildung, Wünschen und Hoffnungen, perfektioniert zum Manipulieren von Menschen, die darauf hereinfallen.
So erstaunt es kaum, dass der zitierte Ordensmann die Situation ganz nach seinen Bedürfnissen verzerrt darstellt: Aus seiner Sicht führt nicht-katholische Magie zu Besessenheit. Dass erschreckend viele Menschen sich aber auch heute noch einbilden, bei Esoterikern aller Art tatsächlich wirksame Lebenshilfe erhalten zu haben, ignoriert er.
Dämonen und Teufel sind Teil katholischen Lehre
Und selbstverständlich fällt auch kein Wort über die unzähligen Menschen, die unter religiös verursachten psychischen Belastungen oder gar Erkrankungen litten und bis heute leiden. Direkt oder indirekt.
Denn so sehr Signor Palilla wahrscheinlich von der Wirksamkeit seiner Teufelsaustreibungszeremonien überzeugt sein dürfte (schließlich wähnt er sich ja auf der Seite der „Guten“) – seine Magie ist genauso Einbildung, Täuschung, Illusion, Manipulation wie die aller anderen „Magier.“
Zu untersuchen wäre, inwieweit es tatsächlich das Angebot der „Magier“ ist, das Menschen krank (oder, aus katholischer Sicht: „besessen“) macht. Oder ob es sich nicht bei Menschen, die esoterische Dienstleistungen in Anspruch nehmen, vielleicht einfach überdurchschnittlich oft um Menschen handelt, die erst schon mehr oder weniger große Probleme hatten.
Indem die katholische Kirche an der Praxis des Exorzismus festhält, hält sie auch an der Vorstellung fest, Menschen könnten von irgendwelchen „Dämonen“ „besessen“ sein. Schlimm genug, wenn sich diese Vorstellung noch im Volksglauben erhalten hat.
Was hält die katholische Kirche davon ab, einfach ein für alle Mal unmissverständlich zu erklären:
„Leute, wir haben uns geirrt und ihr irrt euch auch, wenn ihr immernoch glaubt, es gäbe Dämonen, von denen Menschen besessen sein können. Bitte holt euch professionelle Hilfe von Menschen, die Psychologie oder Psychiatrie studiert haben und die frei von esoterischen Wahnvorstellungen sind.“
Bei einem Papst, der seinerseits fest von der Existenz des „Bösen“ überzeugt ist, wird ein solches Eingeständnis wohl noch auf sich warten lassen…
Trotzdem oder deswegen?
In Italien boomt das Geschäft von selbst ernannten Magiern, Zauberern, Geistheilern oder Hexen.
Und das bei einem Katholikenanteil von über 80 Prozent in Italien! …Oder vielleicht gerade deswegen? Womöglich profitieren auch Heilsverkäufer anderer esoterischer Abteilungen davon, wenn Menschen über viele Generationen hinweg immer wieder gelernt haben, dass sie als umso frommer und tugendhafter angesehen werden, je unkritischer sie unbewiesene und unbeweisbare Behauptungen für wahr halten (also „stark im Glauben“ sind). Egal, wie absurd, unplausibel oder unsinnig diese Behauptungen auch sein mögen.
Was macht Menschen anfällig für Magie und Esoterik? Es ist die hoffnungsvolle Illusion, es gäbe irgendeinen verborgenen höheren Sinn hinter allem, geheimnisvolle Zusammenhänge zwischen allem Möglichen… Und so etwas wie eine übergeordnete ausgleichende Gerechtigkeit, die es im Idealfall sogar gut mit einem meint.
Der Wunsch, dass es sich dabei nicht nur um eine Illusion, sondern um reale Phänomene handelt, ist bei Kunden der Esoterikbranche stärker als Vernunft, Verstand und intellektuelle Redlichkeit zusammen.
Außerdem müssen Leute, die die Dienste von Magiern in Anspruch nehmen dem Magier glauben, dass dieser in er Lage ist, einen wie auch immer gearteten tieferen Sinnzusammenhang erkennen und/oder manipulieren zu können.
Menschen auf Sinnsuche
Nun gibt die katholische Kirche ja ebenfalls vor, eine sinnstiftende Einrichtung zu sein. Also, nicht irgendeine von vielen gleichberechtigten. Sondern die einzige mit dem richtigen, weil göttlich begründeten Sinn.
Genauso wie alle anderen, die in der Esoterikbranche ihr Geld verdienen, geben auch katholische Priester vor, Dinge zu wissen und bewerkstelligen zu können, die sie nicht wissen oder bewerkstelligen können.
Die Backoblate ist auch nach der Verwandlung genau dieselbe Backoblate wie vorher. Das Weihwasser ist nach der Weihung dasselbe Wasser wie vorher. „Verwandelt“ wird es höchstens, wenn 20 Kirchenbesucher ihre ungewaschenen Finger hineingetaucht haben.
Und dann war es auch nicht der Weihe-Zauberspruch, der das Wasser verändert hat. Sondern die Kontaminierung mit Erregern aller Art (je nachdem, an welchen Stellen sich die Kirchenbesucher vorher gekratzt hatten). Wer dann mit diesem Wasser in Berührung kommt, kann durchaus „besessen“ werden. Aber nicht von Dämonen. Sondern von Staphylokokken.
Der Sinn, den die katholische Lehre zu bieten hat, ist ein grotesk absurder Sinn: Erlösung von vorher eingeredeten Sünden durch ein innerfamiliäres Menschenopfer in Form einer temporären Todesfolterung und ewige postmortale Belohnung/Bestrafung abhängig von der Glaubensbereitschaft zu Lebzeiten. Basierend auf bis zum Beweis des Gegenteils falschen, nicht minder absurden Prämissen wie Gott, Sünde, Seele, Auferstehung, Jenseits…
Fazit
Kaum vorstellbar, dass man sich im Europa des 21. Jahrunderts noch mit Themen wie Exorzismus auseinandersetzen muss. Also außerhalb von entsprechenden Kinoschinken. Was kommt als Nächstes? Mitarbeiterschwund bei der katholischen Flacherde-Kommission? Nachwuchssorgen im Fegefeuer-Fachausschuss?
Der Glaube (bzw., je nach Position, Aberglaube), der magischen Zeremonien wie dem Exorzismus zugrunde liegt, sollte längst überwunden sein. Sollte man meinen.
Da mag man es dann doch als Hoffnungsschimmer auffassen, wenn die Exorzistenvereinigung Nachwuchssorgen hat.
Dass offenbar viele Menschen nur den Anbieter gewechselt haben und statt zum katholischen Priester jetzt eben zu anderen Vertretern der Esoterikbranche gehen zeigt allerdings auch, wie wichtig Aufklärung und Anleitung zum rationalen, vernunftbasierten Denken auch heute noch sind. Und zwar auch in Europa.
Wer ein Geschäftsmodell verfolgt, das auf Magie und Esoterik basiert, der kann kein Interesse daran haben, dass sich Menschen ihres Verstandes und ihrer Vernunft bedienen. Egal, ob er mit Backoblaten, „Weihrauch“ und „Weihwasser“ oder mit Tarotkarten, Pendel und Kaffeesatz hantiert.
Anders als absurde Fiktionen aus der christlichen Mythenwelt kann ein wirklichkeitskompatibles Weltbild enorm dazu beitragen, tragfähige Antworten auf Sinnfragen zu finden.
*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag von katholisch.de, abgerufen am 24.2.18
Interessant in diesem Zusammenhang: Die Regierungspartei CDU versucht gerade eine Positionierungsdebatte zu führen. Ministerpräsident Laschet hat dabei als Kernidee das „christliche Menschenbild“ ins Spiel gebracht. Meine Frage: Wissen die auch nur ansatzweise, worüber sie reden bzw. plappern?
Die profitieren genauso von der Legende von der christlichen Moral wie alle anderen auch. Jeder Politiker, der irgendwas von „C“ erzählt, sollte verpflichtet werden schriftlich darzulegen, was genau er damit meint. Schließlich gehts hier nicht um die persönlichen Hirngespinste von Realitätsverweigerern, sondern um politische Entscheidungen, die die Allgemeinheit betreffen.