Khashoggi: Von der Grausamkeit der Welt – Gedanken zu Nachgedacht 286

Lesezeit: ~ 6 Min.

Von der Grausamkeit der Welt – Sonntagsgedanken von Christina Lander, Gedanken zu Nachgedacht 286 zum Fall Khashoggi, veröffentlicht am 21.10.2018 von Osthessennews

In der vergangenen Woche durchfuhr es mich eiskalt, als ich von dem Fall des getöteten Journalisten in der Türkei gelesen habe. […] Übelkeit überkam mich, als ich den Text zum ersten Mal las. Und natürlich bin ich immer noch fassungslos und ich komme nicht umhin, darüber nachzudenken, welch grausame Menschen es gibt, welch wirklich schrecklich Dinge auf unserer Welt passieren, während mein Alltag so normal ist.*

Ich finde es interessant, wie unterschiedlich die Wahrnehmung, in diesem Fall die Wahrnehmung von Gewalt sein kann. Das ohne Frage schlimme Schicksal eines einzelnen Menschen wie in diesem Fall das von Jamal Khashoggi scheint viele Menschen wesentlich mehr zu berühren als Verbrechen, die zum Beispiel an ganzen Gruppen oder Völkern begangen werden.

Und über die vielleicht auch berichtet wird, allerdings ohne dabei auf das Schicksal einzelner Menschen einzugehen. Wie zum Beispiel in Bezug auf den Bürgerkrieg im Jemen.

Die Hintergründe zum Fall Khashoggi scheinen Frau Lander entweder nicht bekannt zu sein. Oder nicht erwähnenswert.

Der Fall Khashoggi

Jens Berger schreibt in im Zusammenhang mit der Ermordnung von Khashoggi auf der Webseite nachdenkseiten.de:

  • Wenn schon Kriegsverbrechen, Angriffskriege, Entführungen, Mord, Erpressung und Folter nicht ausreichen, um dem Wertewesten einen leisen(!) Protest zu entlocken, warum sollte sich dies dann durch den Mord an dem Oppositionellen Jamal Khashoggi ändern? So grausam der Fall Khashoggi zu sein scheint – er ist nur die Spitze des Eisbergs und stellt qualitativ sicher keinen neuen Tiefpunkt der an Tiefpunkten reichen jüngeren Geschichte saudischer Verbrechen dar. US-Präsident Trump nahm die Saudis gestern schon mal vorsorglich in Schutz. Das ist insofern schon fast wieder verständlich, da die US-Dienste offenbar bereits im Vorfeld erfahren haben, was die Saudis mit Khashoggi planen und Trump ansonsten erklären müsste, warum die US-Regierung den US-Staatsbürger Khashoggi wider besseren Wissens nicht vor den Mördern aus Riad geschützt hat. Die Antwort darauf dürfte selbst Trumps Wählern nicht gefallen. (Quelle: Jens Berger: Saudi-Arabien – der Schurkenstaat in unserem Bett, veröffentlicht auf nachdenkseiten.de)

Und Rainer Schreiber merkt dazu an:

  • Moral ist Moral, aber Geschäft bleibt Geschäft: Wenn Trump auf dem vorletzten Bild [auf dieser Seite, Anm. von mir] marktschreierisch und demonstrativ begeistert mit dem Finger auf eine Tafel mit den von den Saudis umfassend eingekauften Kriegsgerät deutet, die der Saudi-Prinz grinsend in Händen hält und auf der steht: „12,5 Billion in finalized Sales to Saudi-Arabia“, ist alles Wesentliche gesagt. Und: Trump hat für diese Waffen auch noch eine Verwendung vorgesehen, in deren Rahmen die religiöse Diktatur des Saudi-Clans bei Bedarf den Waffenbruder und Kriegsvasallen abgeben soll…

Diese Dimension der Grausamkeit scheint viele Menschen weit weniger zu berühren als die Berichterstattung über die grausame Ermordung eines einzelnen Menschen.

Friede – ein Geschenk?

Auch in unserem Land gab es eine Zeit, in der solche Tötungen in Massen getan wurden. Heute kaum mehr vorstellbar, umso besser, dass wir immer wieder daran erinnert werden, dass Frieden kein Alltag, sondern Geschenk ist.

Frau Lander, Friede ist kein Geschenk. Wie kommen Sie denn auf diese Idee? Nur, weil Sie das Glück hatten, zu einer friedlichen Zeit und in einer überwiegend friedlichen Gesellschaft geboren worden zu sein? Wer verschenkt Ihrer Ansicht nach denn Frieden?

Frieden ist die Folge von klugen, humanistischen (=an der Würde und Freiheit des Menschen orientierten) Handlungen.

Die allermeisten Werte, denen auch Sie es zu verdanken haben, dass Sie Ihren friedlichen Alltag heute als Normaliltät bezeichnen können, waren gegen den erbitterten Widerstand der Kirche erkämpft worden, die Sie vertreten.

Frieden ist kein Geschenk. Sondern er ist die Folge vom Engagement der Menschen, die sich für die Werte eingesetzt haben und bis heute einsetzen, auf denen unser Frieden basiert.

Tötung in Massen

Ich vermute mal, dass Sie mit „…gab es eine Zeit…“ die Verbrechen der Nazidiktatur meinen. Keine Frage: Hier waren Menschen wegen ihrer Herkunft, Weltanschauung und auch wegen ihres religiösen Bekenntnisses in großer Zahl systematisch ermordet worden.

Die rund 1000 Jahre, in denen die Kirche, die Sie vertreten an der Macht war und ihrerseits für unvorstellbar viel Leid und Grausamkeit gesorgt hat, werden Sie wahrscheinlich nicht gemeint haben.

Monotheistisch-religiöse und absolutistisch-nationalistisch-diktatorische politische Ideologien ergänzen sich perfekt. Sie unterscheiden sich praktisch nur durch die Besetzung des Chefpostens. Wobei auch hier schon immer Lösungen gefunden wurden, beide Ideologien effektiv miteinander zu verbinden. Was die Rolle der christlichen Kirchen im Dritten Reich, aber natürlich auch in den Jahrhunderten vor der Aufklärung erschreckend eindrucksvoll belegt.

Der vermeintliche und angebliche Wille Gottes diente schon immer zur Untermauerung praktisch jeden beliebigen Verhaltens. Gott will es! – egal, was. Gott mit uns! – so lautete die Aufschrift auf den Koppelschlössern der Wehrmachtssoldaten bis 1945.

Noch kein Gott hat sich je dazu geäußert, was Menschen in seinem vermeintlichen Auftrag schon alles verbrochen haben.

Regelrechte Traurigkeit angesichts der Übermacht des Bösen

In all diesen Gedanken überkam mich eine regelrechte Traurigkeit, dass das Böse so übermächtig ist, dass es Menschen gibt, die zum Opfer werden. Auch bei uns.

Die Idee, es gäbe „das Böse“, das als Gegenspieler zum „Guten“ Menschen dazu bringt, sich grausam oder unfair zu verhalten, ist in der katholischen Lehre tief verwurzelt. Nicht nur der aktuelle Papst ist ein glühender Verfechter dieser wahnwitzigen Idee. Auch der gerade in den Ruhestand gegangene Fuldaer Bischof Algermissen verbreitete regelmäßig seine absurden diesbezüglichen Vorstellungen.

Das irdische Geschehen besteht nicht aus einem Kampf „Gut gegen Böse.“ Schon dieser Begrifflichkeit liegt ein gravierendes Problem zugrunde. Denn auch die, die die anderen als „böse“ bezeichnen, halten sich selbst für „gut.“ Und umgekehrt. Zu diesem Thema empfehle ich das Buch: Michael Schmidt-Salomon: Jenseits von Gut und Böse – Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind

Frau Lander, wie ich Ihren weiteren Ausführungen entnehme, halten Sie das Christentum ja offenbar für das „Gute“ in der Welt. Die Kriminalgeschichte des Christentums passt zusammengefasst gerade so auf 5000 Buchseiten. Es ist kaum zu ertragen, die Schilderungen der unzähligen Gewaltverbrechen zu lesen, die die christliche Kirche zu verantworten hat.

Erst, nachdem die Kirche, die Sie vertreten, durch Aufklärung und Säkularisierung weitgehend entmachtet worden war, blieb ihr quasi nichts anderes übrig, als sich nach außen hin den Anschein einer Friedensbewegung zu geben.

Die qualvolle Hinrichtung von Khashoggi erscheint aus heutiger Sicht unvorstellbar brutal und grausam. Was sie zweifelslos auch ist. Doch gerade Vertreter monotheistischer Religionen gelten als Vorreiter in Sachen Folter und qualvoller Hinrichtung. In der oben genannten Kriminalgeschichte finden Sie detaillierte Beschreibungen.

Während viele Christen bis heute ihrer Kirche die Legende von der christlichen Moral abnehmen und sich auch fraglos fair und friedlich verhalten, unterstützen sie durch ihre Mitgliedschaft auch eine Institution, die anderen Menschen eine Ideologie zur Legitimierung von Verbrechen aller Art bietet.

Das von Jesus für uns Menschen vorgesehene Reich Gottes

Mit dieser Ungerechtigkeit der Welt fällt auch einmal das Glauben schwer: Mein Glaube daran, dass das Reich Gottes, so wie Jesus es für uns Menschen vorgesehen hat, größer anstatt kleiner, immer schwindender wird.

Frau Lander was genau meinen Sie mit „Das Reich Gottes, so wie Jesus es für uns Menschen vorgesehen hat?“

Biblisch gesehen besteht dieses fiktive „Reich“ aus dem Versprechen, dass Menschen, die bereit sind, sich dem Wüstengott Jahwe unterzuordnen, dafür nach ihrem Tod ewig belohnt werden. Unabhängig davon, was sie sonst so getan oder gelassen haben.

Und die ihre ewige himmlische Belohnung genießen, während derselbe Gott gleichzeitig andere Menschen zeitlich unbegrenzt mit physischen und psychischen Höllenqualen bei vollem Bewusstsein dauerbestraft. Nicht dafür, dass sie sich möglicherweise falsch ihren Mitmenschen gegenüber verhalten hatten. Sondern dafür, dass sie sich ihm zu Lebzeiten nicht untergeordnet hatten. Zusammengefasst nachzulesen in Mk 16,16.

Mit dieser Ungerechtigkeit sollte es Ihnen schwer fallen, an diese Lehre zu glauben. Und vielleicht fragen Sie sich ja mal selbstkritisch, wie sinnvoll es ist, diese Lehre hauptberuflich verbreiten.

Religionen sind Teil des Problems, nicht der Lösung. Immer wieder.

Und ist Ihnen wirklich nicht bewusst, dass auch im Fall Khashoggi Religion nicht Teil der Lösung ist? Sondern – wie so oft – grundlegender Teil des Problems?

  • Aber das Kernproblem liegt viel tiefer. Es liegt im Prinzip darin, dass es es sich bei Saudiarabien de facto um eine Theokratie handelt. Der jeweilige König, „Hüter der heiligen Stätten von Mekka und Medina“, bezieht seine Legitimation vor allem aus dem Bündnis mit der hohen sunnitischen Geistlichkeit. Darauf ist der Staat gegründet. (Quelle: Helmar Dumbs: Saudiarabien: Die Reform der Theokratie wäre ihre Abschaffung, diepresse.com)

Nochmal: Wie stellen Sie sich das mit dem „Reich Gottes“ konkret vor? Dass das Zusammenleben der Menschen friedlicher und gerechter wäre, wenn alle Menschen Katholiken wären? Geht der biblischen Mythologie zufolge diesem Reich Gottes nicht erst eine komplette Zerstörung und Vernichtung irdischen Lebens voraus? Und zwar in Form einer unvorstellbar grausamen Gewaltorgie? Mit einer Brutalität, wie sie in der Offenbarung detailliert beschrieben wird?

Selbst wenn sich eines Tages herausstellen sollte, dass von den vielen tausend Göttern, die sich die Menschheit schon ausgedacht hatte ausgerechnet dieser eine Wüstengott tatsächlich existiert und mit seiner verpfuschten Schöpfung so unzufrieden ist, dass er sie (wiedermal!) praktisch erstmal komplett vernichten muss:

Es liegt an uns Menschen selbst, die Welt friedlicher und fairer zu machen.

Wie oben schon kurz erwähnt: Das Christentum hatte gut 1000 Jahre Zeit, die moralische Überlegenheit seiner Lehre unter Beweis zu stellen. Diese Zeit war geprägt von Grausamkeit und Leid. Sie ging als das „finstere Mittelalter“ in die Menschheitsgeschichte ein.

Und wenn es schon die Anhänger dieses Gottes nicht schafften (genauer: schaffen wollten), mit ihrer Ideologie die Welt fairer und friedlicher zu machen: Für einen allmächtigen allgütigen Gott wäre genau das ein Kinderspiel. Irgendetwas scheint ihn davon abzuhalten. Wenn Sie mich fragen: Seine Nicht-Existenz.

Keine Götter erlösen uns von „dem Bösen.“ Egal, wie oft sie darum gebeten werden. Religiöse Mythologie bringt die Menschheit nicht weiter. Im Gegenteil. Moderne ethische Standards beruhen nicht auf erfundenen Göttern und deren ebenso erfundenen Absichten. Sondern auf der Würde und Freiheit des Individuums.

Frau Lander, wenn Sie an etwas glauben möchten, dann glauben Sie doch an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen! Denn dafür gibt es tatsächlich viele gute Gründe, trotz aller Grausamkeit und Ungerechtigkeit in der Welt.

Dazu empfehle ich Ihnen das gerade erschienene Buch von Steven Pinker: Aufklärung jetzt – Für Vernunft, Wissenschaft, Humanismus und Fortschritt. Eine Verteidigung

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.

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