Armut hat viele Gesichter – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 5 Min.

Armut hat viele Gesichter – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Lissy Eichert, veröffentlicht am 17.11.2018 von ARD/daserste

In ihrem heutigen „Wort zum Sonntag“ betätigt sich Frau Eichert als Steinewerferin im Glashaus.

Mit etlichen Beispielen prangert sie den Umstand an, dass Armut auch in Deutschland, einem der wohlhabendsten Länder der Welt nach wie vor ein Thema ist.

Armut als Anlass zur Selbstdarstellung

Statt zum Beispiel mal auf die Ursachen von Armut einzugehen, rückt sie ihren Papst ins rechte Licht. Der diesen Sonntag zum „Welttag der Armen“ erklärt hat.

Und ihr Bischof habe zu einem Gastmahl in die Kathedrale eingeladen. Es gelte, den Armen zu begegnen. Auf Augenhöhe.

Wie glaubwürdig solche Aktionen sein können, werden wir später noch näher beleuchten.

Die falsche Bibelstelle…

Natürlich darf in der religiösen Verkündigungssendung das Bibelsprüchlein nicht fehlen. Diesmal scheint sich Frau Eichert allerdings vertan zu haben:

Vielleicht ja sogar hin zu der Perspektive, die Jesus Christus hat, er sagt: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder und Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan.“ (vgl. Mt 24,40)*

An der genannten Stelle Mattäus 24,40 lassen die anonymen Bibelschreiber ihren Romanheld Jesus jedenfalls nichts zum Thema Armut sagen (Hervorhebung von mir):

  • Die Vollendung als Moment der Entscheidung
  1. Denn wie es in den Tagen des Noach war, so wird die Ankunft des Menschensohnes sein.
  2. Wie die Menschen in jenen Tagen vor der Flut aßen und tranken, heirateten und sich heiraten ließen, bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging,
  3. und nichts ahnten, bis die Flut hereinbrach und alle wegraffte, so wird auch die Ankunft des Menschensohnes sein.
  4. Dann wird von zwei Männern, die auf dem Feld arbeiten, einer mitgenommen und einer zurückgelassen.
  5. Und von zwei Frauen, die an derselben Mühle mahlen, wird eine mitgenommen und eine zurückgelassen.
  6. Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt. (Mt 24, 37-42 EU)

In dieser Geschichte macht Jesus einmal mehr deutlich, dass er bei seiner (?) (erneuten?) Ankunft alle wegraffen wird, die sich nicht von seinem lieben Gott lieben lassen möchten. Ausgerechnet diese Bibelstelle hat mit Armut oder im weiteren Sinne mit Gerechtigkeit so gar nichts zu tun.

Es handelt sich hier lediglich um eines von vielen Gleichnissen, mit denen Jesus seinen Followern klar machen wollte, dass der allgnädige Gott keine Gnade kennt. Und dass er es offenbar gerne spannend macht, wenns ans Wegraffen geht.

….und mit der richtigen wird’s auch nicht besser

Aber auch an der Stelle, die Frau Eichert zitiert hatte (Matthäus 25,40) wird es kein bisschen besser. Dazu braucht man nur einen Satz weiterzulesen (Hervorhebungen von mir):

  1. Darauf wird der König ihnen antworten: Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.
  2. Dann wird er zu denen auf der Linken sagen: Geht weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!
  3. Und diese werden weggehen zur ewigen Strafe, die Gerechten aber zum ewigen Leben. (Mt 25,40-41 + 46 EU)

Zunächst fällt auf, dass Frau Eichert offenbar die „Gute Nachricht Bibel“ verwendet. Denn nur in dieser Ausgabe waren zu den „geringsten Brüdern“ auch noch die Schwestern dazugedichtet worden.

Sowohl Protestanten, die ihre aktuelle Lutherbibel verwenden, als auch Katholiken, die die aktuelle Einheitsübersetzung als „moralische Richtschnur“ für ihr Leben auserwählt (bekommen) haben, können die Schwestern getrost ignorieren. Die kommen dort nicht vor.

Nur „meinen Brüdern“ soll geholfen werden

Das allerdings nur am Rande. Wichtiger ist, dass Jesus für seine Aufforderung zur Mitmenschlichkeit eine bestimmte Zielgruppe nennt:

Nicht etwa allen Menschen in Not soll man helfen. Sondern nur seinen (Jesus‘) Brüdern. (Ob man auch den notleidenden Schwestern des Gottessohns helfen soll, hängt wie gesagt von der verwendeten Bibelausgabe ab.)

Jesus gibt jedoch nicht nur vor, wem geholfen werden soll. Sondern auch, warum man das tun sollte:

Nicht etwa der bedürftigen Mitmenschen wegen soll man ihnen helfen. Sondern um selbst der Strafe zu entgehen, die der liebe Gott für diejenigen vorgesehen hat, die seine Anhänger zu Lebzeiten nicht unterstützt hatten: Zeitlich unbegrenzte Dauerfolter im ewigen Höllenfeuer. Das eigentlich für den Teufel und seine Engel bestimmt ist.

Wer sich also vor postmortaler Dauerbestrafung durch den allwissenden Allgütigen schützen möchte, ist auf die Armut Anderer geradezu angewiesen. Alternativ kann er natürlich auch selbst in Armut leben.

Zwischenfazit – und die Eichertsche Interpretation

Zusammengefasst lautet die Aussage dieser Bibelstelle wie folgt:

Wenn du dich bedürftigen Christen gegenüber nicht mitmenschlich verhältst, kriegt Gott das mit und wird dich dafür nach deinem Tod zeitlich unbegrenzt mit Höllenqualen bestrafen.

Wenig erstaunlich, dass das bei Frau Eichert ganz anders klingt. Nämlich so:

Heißt: Wo immer wir einem Hungrigen zu essen geben, einem der friert, eine Jacke schenken, Fremden Obdach gewähren oder Verzweifelte in den Arm nehmen, da begegnen wir – Jesus Christus. Wie großartig ist das! Ich weiß, weder beim Festessen mit Bischof noch mit Suppenküchen oder Notunterkünften packen wir das Übel der Armut an der Wurzel. Aber nichts zu tun wäre doch eine Schweinerei!

Schweinerei ist ein gutes Stichwort. Es bezeichnet meiner Meinung nach (auch wenn es nicht meiner sonst üblichen Wortwahl entspricht) ziemlich treffend den Umstand, wenn sich eine Angestellte ausgerechnet der katholischen Kirche vor eine Fernsehkamera des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stellt um ihr Publikum zu ermahnen, etwas gegen Armut zu tun.

Katholische Schweinereien

Eine Schweinerei deshalb, weil ihr die Armut von Menschen offenbar als Grund nicht ausreicht, um diesen Menschen zu helfen. Großartig wird’s erst, wenn man sich einbildet, dabei noch einem fiktivem Gottessohn zu begegnen.

Und eine Schweinerei natürlich auch deshalb, weil es an Heuchelei und Zynismus kaum zu überbieten ist, wenn ein Milliardenkonzern wie die katholische Kirche mit markigen Worten zum Kampf gegen Armut aufruft, sich daran aber nur zu einem lächerlich geringen Anteil selbst beteiligt.

Vorsichtigen Schätzungen zufolge beläuft sich das Vermögen der katholischen Kirche allein in Deutschland auf 200 Milliarden Euro. Andere Schätzungen kommen auf weit höhere Summen. So ganz genau wissen sie’s vermutlich selber nicht.

Eine Erörterung des Themas Kirchenfinanzen würde den Rahmen dieses Kommentares sprengen. Deshalb hier nur der Verweis auf das „Violettbuch Kirchenfinanzen“ von Dr. Carsten Frerk.

Die wohl cleverste Geschäftsidee aller Zeiten

Fest steht: Ihr beispielloses Lobbynetzwerk betreibt die katholische Kirche nicht zum Vergnügen. Oder aus Nächstenliebe. Die katholische Kirche ist ein Milliardenkonzern.  Mit der wohl cleversten Geschäftsidee aller Zeiten:

  • Maßgeblich für die Kirchenfinanzierung sind neben Einnahmen aus Kirchensteuern, Spenden und Erträgen aus wirtschaftlichen Unternehmungen und Beteiligungen auch staatliche Unterstützungen und Steuervorteile. (Quelle: Wikipedia)

Da setzt man sich lieber mit einer Armenspeisung öffentlichkeitswirksam selbst in Szene. Und prangert, wie der Papst gerade wieder, die anderen Reichen an. Wegen ihres Reichtums. Als ob Reichtum an sich etwas Verwerfliches wäre. Und als ob man selber nicht über ein Milliardenvermögen verfügen würde.

Reichtum ist dann zu kritisieren, wenn dieser auf unfaire oder kriminelle Weise erworben wurde. Bevor die katholische Kirche Reiche wegen ihres Reichtums anprangert, möge sie gefälligst erstmal selbst offen legen, woher ihre Milliarden in Form von Geld, Gold, Immobilien, Kunst und Aktien stammen…

Einige Anregungen

Entwicklung Armut weltweit
Quelle: ourworldindata.org

Statt zum Beispiel mal darüber nachzudenken, was man mit einem Betrag schon im Promillebereich des eigenen Vermögens nachhaltig und wirkungsvoll zur Überwindung von Armut beitragen könnte.

Als Vorbild könnte man sich dabei zum Beispiel an den Milliardären orientieren, die mit der Kampagne „The Giving Pledge“ das Versprechen abgegeben haben, einen Großteil ihres Vermögens fürs Gemeinwohl zu spenden.

Und zwar nicht, um sich einen Platz auf dem Schoß eines magischen Himmelwesens zu sichern. Oder um dessen Dauerbestrafung zu entgehen. Sondern um der Mitmenschen willen.

Oder auch darüber, dass biblische Mythen und Legenden unbrauchbar sind, um Probleme der Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert zu lösen. Aber dazu waren sie ja auch gar nicht erfunden worden.

Erst mal zum aktuellen Stand aufschließen…

Meme MenschenrechteBei der Gelegenheit könnte man als katholische Kirche auch mal darüber nachdenken, ob die Moralappelle nicht viel glaubwürdiger erscheinen würden, wenn der Vatikan mal die Demokratie einführen würde, um anschließend die UN-Menschenrechtscharta unterzeichnen zu können.

Die katholische Kirche hat gerade dieses Jahr wieder so massiv an Glaubwürdigkeit verloren, dass ihr Moralpredigten jeglicher Art denkbar schlecht zu Gesicht stehen.

Da kommt die aktuelle Meldung über einen Pfarrer, der von seiner Kirchengemeinde 120.000 € gestohlen hat nur noch als kleines Mosaiksteinchen oben drauf…

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag „Armut hat viele Gesichter“.
**Quelle Statistik „Armut“: ourworldindata.org
***Quelle Meme: facebook.com/datheisten

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