In einem Artikel der Mainpost, Ausgabe Bad Kissingen vom 7.2.2019 erklärte der evangelische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, dass sich Glaube nicht verordnen lassen würde.
Seine Einsichätzung:
Anders als vor 50 Jahren können die Menschen heute in Freiheit entscheiden, welchen Gemeinschaften sie angehören wollen. Angst vor sozialen Sanktionen müssen sie bei Kirchenaustritt nicht mehr haben. Deswegen sind die heutigen Mitgliedszahlen ehrlicher als früher.*
Nun, das kommt darauf an.
Verglichen mit den Zuständen von vor 50 Jahren hat sich die Situation sicher verbessert. Tatsächlich ist es heute einfacher, sich in Freiheit gegen die Mitgliedschaft in einer Kirche zu entscheiden. Zumindest im Christentum. Gründe dafür liefern die Kirchen selbst mehr als genug. Dazu kommt, dass Religion für die Lebenswirklichkeit von immer mehr Menschen schlicht keine Rolle mehr spielt.
Noch bis vor wenigen Jahrzehnten war die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion oder auch nur Konfession auch hierzulande noch ein Kriterium, das über Leben und Tod, zumindest aber noch über soziale Akzeptanz oder auch über die Auswahl des Lebenspartners entscheiden konnte.
Wenn Herr Bedford-Strohm meint, Menschen hätten heutzutage bei Kirchenaustrtitt keine sozialen Sanktionen mehr zu fürchten, dann irrt er jedoch. Für urbane und andere Regionen mit geringem oder keinem religiösen Einfluss mag das freilich zutreffen.
Zumindest in ländlichen Regionen, in denen Religion wenigstens noch bei den älteren Generationen (meist als dorfgemeinschaftlich-rituelle Folklore) anzutreffen ist, würde man sich allerdings auch 2019 noch ins gesellschaftliche Abseits manövrieren, wenn man die christliche Herde verlassen würde.
Gerade in den genannten Gegenden dürfte dieser gesellschaftliche Aspekt auch heute noch eine spürbare Verzerrung der Mitgliederstatistik zugunsten der Kirche verursachen. Man denke dabei auch an die Politiker der Parteien, die ja sogar damit werben, „christlich“ zu sein.
Glaube lässt sich nicht verordnen? Ohne Verordnung keine Ausbreitung von Religion!
Mit der pauschalen Behauptung, Glaube ließe sich nicht verordnen, ignoriert Bedford-Strohm auch die Tatsache, dass gerade die Verordnung schon immer der einzig wirklich wirksame Weg war, wie sich Religionen ausbreiten konnten.
Hätte sich das Christentum nicht als Staatsreligion für das Römische Reich instrumentalisieren lassen, es wäre heute sehr wahrscheinlich schon längst genauso in der Bedeutungslosigkeit verschwunden wie die allermeisten anderen Sekten und Religions-Neugründungen dieser Zeit.
Keine Religion hat sich je verbreitet, weil sich ihre Lehre als tatsächlich besser im Sinne von wahr(er), bedeutsamer oder als dem Wohle der Gläubigen nützlicher erwiesen hätte.
Die Frage, ob und wenn ja was heute jemand noch glaubt, ist in erster Linie eine geographische, historische und politische Frage. Das gilt für alle Religionen und tradierte Weltanschauungen.
Die von Bedford-Strohm romantisierend dargestellte Freiwilligkeit des Glaubens kann also zumindest geschichtlich gesehen sicher genauso dem Reich der Legende zugeordnet werden wie auch die christliche Moral. Und von dieser, oft unter Androhung von Vertreibung und Mord verordneten Glaubensverbreitung profitieren die Kirchen bis heute.
Recht auf Gedanken- und Meinungsfreiheit
Die einzigen, die das religiöse Bekenntnis bzw. die Weltanschauung heute nicht als persönliche Privatangelegenheit respektieren, sind die Großkirchen. Denn schließlich entscheidet dieses Kriterium darüber, ob sich die Kirchen zum ungefragten, lebenslänglichen Einzug der Mitgliedsgebühren berechtigt sehen oder nicht. Oder auch darüber, ob jemand als Arbeitnehmer in einer kirchlichen Einrichtung in Frage kommt oder nicht.
Mit seiner sinngemäßen Aussage „Wir sind zwar heute weniger, aber dafür glauben wir freiwillig“ möchte Herr Bedford-Strohm der von ihm vertretenen Glaubenslehre vermutlich den Anschein von edler Relevanz verleihen. Oder zumindest von Glaub-Würdigkeit.
Allerdings verschleiert er damit die Tatsache, dass die Kirchen nach wie vor alle Möglichkeiten nutzen, um ihr Angebot trotz schwindender Nachfrage und Bedeutung an den Mann, die Frau und – perfide, aber sehr wirksam und deshalb offenbar unverzichtbar – an das Kind zu bringen.
Würde zum Beispiel die Kindstaufe als rechtsverbindlicher Beginn einer lebenslänglichen und in den meisten Fällen kostenpflichtigen Kirchenmitgliedschaft wegfallen, würden sich die Mitgliedszahlen innerhalb weniger Jahre nochmal deutlich nach unten korrigieren.
Noch ehrlicher würden diese Zahlen, wenn den Kirchen nicht mehr die Möglichkeit zur (früh-)kindlichen Indoktrination in Form von Bekenntnisunterricht zur Verfügung stünde. Gleiches gilt für missionarische Tätigkeiten in zum allergrößten Teil staatlich finanzierten Einrichtungen mit kirchlicher Trägerschaft.
Fazit
Dafür, dass sich Glauben angeblich nicht verordnen lässt, nutzen die Großkirchen erstaunlicherweise alle Möglichkeiten, genau dies zu versuchen.
Und für den Fall, dass die gesellschaftlich noch verankerten Mittel und Wege nicht mehr ausreichen, betreiben die christlichen Kirchen noch ein beispielloses Lobbynetzwerk, um ihre Interessen (allem voran ihr sehr weltliches, pekuniäres Interesse) an den dafür geeigneten Stellen durchzusetzen. Solange sich diese Rädchen noch drehen wie geschmiert, spielt die steigende Zahl der davontrabenden Schäfchen kaum eine Rolle.
*Der als Zitat gekennzeichnete Abschnitt stammt aus dem eingangs genannten Artikel „Glaube lässt sich nicht verordnen“ aus der Mainpost, Ausgabe Bad Kissingen
Vorschlag an Bischof Bedford-Strohm: Im Rahmen der nächsten Ehrlichkeitsoffensive könnten die christlichen Kirchen doch auch auf jede Form von nicht freiwillig erbrachter Finanzierung durch den Staat bzw. die Steuerzahler verzichten.