Guten Tag Herr Pfarrer Schmitt,
wie osthessennews.de berichtete, hatten Sie, wie Ihre Kollegen auch schon in den Jahren zuvor, vor Beginn der jährlichen Ferrari-Rundfahrt durch die Rhön über 70 Sportwagen mit Weihwasser gesegnet:
Freilich darf in der Domstadt Fulda der Reisesegen nicht fehlen: Um 9:30 Uhr segnete der Fuldae Pfarrer Christian Schmitt die Sportwagen mit Weihwasser. (Quelle: osthessennews.de, 13.07.19: „Mit Weihwasser (und Regen) geht es auf die Panoramafahrt durch die Rhön“, Seitentitel: „Mit Gottes Segen geht es auf die Panoramafahrt durch die Rhön“)
Wie dem Bericht weiter zu entnehmen ist, war die Rundfahrt diesmal erfreulicherweise ohne Un- oder Zwischenfälle verlaufen.
Mindestens zwei Ferrari-Ausfahrten mit Unfällen
Anders bei der Ferrari-Rundfahrt 2017: Hier hatte ein Frontalunfall mit über 150.000 Euro Schaden das Fuldaer Ferrari-Treffen überschattet. Auch damals hatte es vorab eine segnende christliche Wasserzeremonie gegeben.
Auch 2014 war der Ferrari-Corso trotz Reisesegen nicht vor einem 50.000-Euro-Crash inkl. Personenschaden verschont geblieben.
Wir fassen zusammen:
- Jede der nunmehr 14 Ferrari-Rundfahrten dürfte in der Domstadt Fulda mit einem kirchlichen „Reisesegen“ begonnen haben.
- Die Besprenkelung der Sportwagen mit verzaubertem Wasser dürfte mit der Bitte an Gott verbunden gewesen sein, er möge Autos und Insassen vor Schaden bewahren.
- Bei mindestens zwei dieser 14 Veranstaltungen war es zu schweren Unfällen gekommen.
Herr Schmitt, wir skizzieren hier mal kurz zwei denkbare Szenarien. Und wir würden uns freuen zu erfahren, welches Ihnen plausibler erscheint:
Szenario 1:
Dass nur bei zwei von bisher 14 Ausfahrten schwere Unfälle passiert sind, steht in ursächlichem Zusammenhang mit dem jeweils vorher ausgesprochenen „Reisesegen“ und der christlichen Zauberwasserzeremonie.
Mit anderen Worten: Der Gott, an den Sie glauben, hatte dafür gesorgt, dass bisher nicht mehr passiert ist. Und zwar deshalb, weil Sie oder Ihre Kollegen ihn zuvor darum gebeten und die Autos mit Weihwasser benetzt hatten.
Jede unfallfreie Ferrari-Ausfahrt werten Sie als eine Bestätigung der Wirksamkeit Ihrer Zeremonie.
Dass es bei bisher zwei Ausfahrten doch Unfälle gegeben hatte, führen Sie entweder auf den menschlichen „freien Willen“ zurück, sich auch gegen göttliche Unterstützung entscheiden zu können.
Oder auf das Wirken von obskuren „bösen Mächten.“ Die (à la Ex-Bischof Algermissen oder Papst Franziskus) ja beständig das Werk Ihres lieben Gottes sabotieren.
Und zur Not bleibt Ihnen immernoch die „Unergründlichkeit“ der Wege Ihres Gottes. Also der Wege, von denen Sie an anderer Stelle vorgeben, sie sehr genau zu kennen.
Vielleicht hatte sich ja auch ein verunfallter Ferrari-Fahrer später in eine Krankenschwester verliebt oder so.
Sie beziehen Ihre Gottesvorstellung ins Geschehen mit ein, weil Sie davon ausgehen, dass Ihr Gott das irdische Geschehen vielleicht in Ihrem Sinne verändert. Wenn Sie ihn darum bitten.
Das mündliche Verwandeln von Wasser in „Weihwasser“ zum Behuf der Benetzung von italienischen Sportwagen halten Sie für eine sinnvolle Handlung. Auch für einen erwachsenen, gebildeten Menschen im 21. Jahrhundert.
Szenario 2:
Die Vorstellung, ein Götterwesen, das trotz angeblicher Allmacht, Allwissenheit und Allgüte keine Veranlassung hat, das Leid von zum Beispiel verhungernden, ertrinkenden oder von unter unvorstellbaren Schmerzen leidenden Menschen zu lindern, würde seinen Allmachtsplan ändern und Ferrari-Unfälle verhindern, wenn es ein Priester vorher darum bittet und Autos mit Weihwasser bespritzt, ist nichts weiter als eine höchst absurde und zudem arrogante, rein menschliche Einbildung.
Mit einer solchen Zeremonie gaukeln Sie Ihrem Publikum nur etwas vor: Sie tun so, als seien in der Lage, durch esoterische Wasserspiele und Segenssprüche einen Wüstengott, den sich Menschen in der Bronzezeit ausgedacht hatten dazu bewegen zu können, in Ihrem Interesse von seinem möglicherweise ganz anders gestalteten Allmachtsplan abzurücken.
In Wirklichkeit lässt sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Ihrer Vorführung und der Unfallhäufigkeit redlicherweise nicht feststellen. Jedenfalls nicht in der angenommenen Art und Weise. Weil (auch) Gebete keine Wirkung haben, die über den Placeboeffekt hinausgeht.
Sowohl für die Unfälle, als auch für die unfallfreien Fahrten lassen sich plausible und ganz natürliche, rein irdische Ursachen feststellen. Zu deren Erklärung sind keine magisch-religiöse Wirklichkeitserweiterungen erforderlich.
Selbst wenn Ihnen das eigentlich zumindest insgeheim bewusst sein sollte: Sie nutzen die Gelegenheit trotzdem gerne, einmal mehr in Form einer Schlagzeile und vielleicht sogar mit Bild zumindest in der Lokalpresse aufzutauchen. In der Hoffnung, das Verschwinden der von Ihnen vertretenen Institution und deren Lehre in der Bedeutungslosigkeit damit noch ein klein wenig länger hinauszuzögern.
Herr Schmitt, welches dieser Szenarien erscheint Ihnen plausibler?
Und sollten Ihrer Meinung nach beide Szenarien nicht zutreffen: Wie stellen Sie sich konkret die Wirkungsweise Ihres „Reisesegens“ vor? Wenn Sie eine solche Zeremonie durchführen, dann müssten Sie ja von einer wie auch immer gearteten Wirksamkeit überzeugt sein. Wie lässt sich eine Wirksamkeit von einer rein menschlichen Einbildung unterscheiden? Einer Einbildung, bei der religiöse Wunschvorstellung und irdische Wirklichkeit munter durcheinandergewürfelt werden? Und die durch einen chronischen Bestätigungsfehler immer weiter verstärkt werden?
In diesem Zusammenhang erklären Gläubige und Glaubensverkünder ja gerne, dass man sich einen Segen bzw. ein Bittgebet selbstverständlich nicht wie eine „Wunschmaschine“ vorstellen dürfe. Nein – so funktioniere das natürlich nicht.
Aber: Was wenn nicht die Hoffnung auf Erhörung mag einen Gläubigen motivieren, sich trotzdem mit Bitten an seine jeweilige Gottesvorstellung zu richten?
Herr Pfarrer Schmitt, was meinen Sie: Wäre es weniger wirksam als Ihr Ferrari-Reisesegen gewesen, wenn Sie den Fahrerinnen und Fahrern einfach eine gute und sichere Fahrt gewünscht hätten?
Und wenn Sie sie, statt ihre Autos mit verzaubertem Wasser zu bespritzen vielleicht lieber nochmal darauf hingewiesen hätten, dass die teils kurvigen und schmalen Straßen in der Rhön besondere Aufmerksamkeit und Vorsicht erfordern?
Ich habe das vor vielen Jahren bei der „Einweihung“ einer Lufthansa Maschine erlebt. Da stand tatsächlich ein als Priester verkleideter Typ und bespränkelte unter Abmurmeln von Zaubersprüchen ein nagelneues Flugzeug mit Weihwasser. Als zuständiger Ingenieur wäre ich beleidigt gewesen. Als Pilot sowieso.
Vielleicht wurden nach der Segnung, mit dem auf die Autos besprenkelten Weihwasser, die Scheiben gereinigt und die bessere Sicht sorgt für weniger Unfälle?
Bei Geschichten wie diesen bin ich hin und her gerissen zwischen Hoffnungslosigkeit und Zuversicht.
Hoffnungslosigkeit, weil mir klar wird, wie stark religiöse Scharlatanerie noch in der Gesellschaft verankert und akzeptiert ist. Weder die Zuschauer, noch die Veranstalter, noch die einzelnen Fahrer konnten sich dazu durchringen, einfach zu sagen: „Ne, lass mal stecken“. Der noble Herr Pfarrer kann sich absolut sicher sein, bei seiner Aktion nicht ausgelacht zu werden. Das finde ich deprimierend.
Zuversicht, weil ich mir denke, dass die „säkulare Bewegung“ einfach Erfolg haben MUSS, wenn die „Gegenseite“ mit derart lächerlichem Blödsinn aufwartet.
Interessant finde ich, wie sich religiöse Riten ihre Nischen suchen, in denen sie unangreifbar sind. Beim Anfeuchten der Autos geht es nicht so sehr um Theologie als um ein Ritual, welches den Fahrern Glück wünscht, etwa als würde man sagen: „Toi, toi, toi!“. Wer das kritisiert, muss sich sofort fragen lassen: „Hast Du etwa was dagegen, dass man den Fahrern Glück wünscht?“ Es ist eine Situation, in der kaum Widerspruch zu erwarten ist, weil, hey, was kann schon passieren? Schädlich ist so ein Segen sicher nicht. Und sich Glück zu wünschen ist menschlich und nobel.
Interessant ist auch der Gottesdienst, der ganz besonders gut besucht sein wird, wenn’s dann doch mal richtig gekracht hat. Dort wird kein Wort darüber zu hören sein, dass Gott den Unfall hätte verhindern müssen, sondern nur, dass er sich in seiner unendlichen Güte der armen Seelen erbarmen wird. Erneut ist es tabu, auf den Unsinn und die Scharlatanerie hinzuweisen. Denn in Not und Trauer will niemand solche kritischen Worte hören. Hat man denn kein Herz?
Trotzdem sollte man sich bemerkbar machen, etwa mit Offenen Briefen wie hier bei AWQ, oder indem man sich kurz und freundlich an den Veranstalter wendet.