Menschlichkeit an der Grenze – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Seenotrettung, verkündigt von Pastorin Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am .3.2020 von ARD/daserste.de
Darum geht es
Frau Behnken bemüht zum Thema Seenotrettung den barmherzigen Samariter als Vorbild für mitmenschliches Verhalten, obwohl die Kernaussage dieser Geschichte eine ganz andere ist. Dass kirchliche Politikschelte im „Kirchenstaat Deutschland“ schnell zum Eigentor wird, scheint ihr nicht bewusst zu sein. Genauso wenig wie der Umstand, dass sie ihrem Gott moralisch haushoch überlegen ist.
Es war einmal eine Frau. Die war so schön, dass sich ein Gott in sie verliebte. Der Gott hieß Zeus. Die schöne Frau: Europa.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Menschlichkeit an der Grenze – Wort zum Sonntag zum Thema Seenotrettung, verkündigt von Pastorin Annette Behnken (ev.), veröffentlicht am .3.2020 von ARD/daserste.de)
Immer, wenn Anhänger*innen bestimmter Gottheiten von anderen Göttern erzählen, frage ich mich, wie sie es hinbekommen, alle anderen Götter, Geister und Gottessöhne und alle Geschichten über sie zuverlässig als rein menschliche Fiktion zu entlarven.
Um aber gleichzeitig an der Vorstellung festzuhalten, ausgerechnet ihr Gott (der zumeist zumindest dem Namen nach fast immer der gleiche ist wie der, den auch schon die Eltern verehrt hatten) sei natürlich nicht nur ein Phantasiewesen. Sondern der einzig wahre, echte, wirkliche Gott.
Atheisten unterscheiden sich von Monotheisten nur dadurch, dass sie an noch einen Gott weniger glauben als die Gläubigen.
Grundlegende Werte: Menschenrechte und Menschlichkeit
Aber der eigentliche Aufhänger ihrer heutigen Fernsehpredigt ist nicht das griechische Pantheon. Vielmehr geht es um die aktuellen Entwicklungen an den Außengrenzen Europas:
In diesen Tagen zeigt Europa ihr hässliches Gesicht. An Europas Grenzen zeigt sich die Grenze unserer Menschlichkeit. An der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei verkaufen wir in diesen Tagen unsere grundlegenden Werte: Menschenrechte und Menschlichkeit. Es wird mit Menschenleben geschachert im politischen Geschäft zwischen Türkei und EU. Flüchtlinge benutzt als Verhandlungsmasse. In einem dreckigen deal.
Eine Erörterung der europäischen Außenpolitik in dem Umfang, wie es der Komplexität des Themas gerecht werden würde, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Deshalb an dieser Stelle nur einige wenige Eckpunkte eines möglichen humanistischen Standpunktes:
- Grundsätzlich sollte die Fluchtursachenbekämpfung an erster Stelle stehen. Stattdessen werden aber munter weiter Waffen geliefert und Militärhilfe ausgeführt.
- Nach der Ursachenbekämpfung wäre die Aufnahme der Flüchtlinge nahe ihrer Herkunft angesagt. Inkl. Vollversorgung mit Nahrung, Unterkunft und Medizin, darüber hinaus mit Schule/Bildung.
- Und schließlich wäre ein Asylverfahren (und zwar eines, das diese Bezeichnung auch zu Recht trägt) anzuwenden, um feststellen zu können, wer tatsächlich verfolgt wird.
Diesen Maßnahmen stehen jedoch die wirtschaftlichen Interessen der EU, USA und Russland, sowie auch Syriens Machtinteressen entgegen.
Als lesenswerten Beitrag zum Thema empfehle ich den Artikel „Erdogan, der Syrienkrieg und die Flüchtlinge“ von Rainer Schreiber, veröffentlicht am 7. März 2020 auf telepolis.de.
#WirschickeneinSchiff: Pro und contra Kirchliche Seenotrettung
[…] Bald wird ein Schiff auslaufen. Gekauft und flott gemacht von einem breiten gesellschaftlichen Bündnis, initiiert von der Kirche. Um Flüchtlinge im Mittelmeer zu retten.
Das legt den Finger so richtig in die Wunde. Dass das Selbstverständliche nicht selbstverständlich ist: Menschen in Not zu helfen. Dass man das überhaupt sagen muss! Muss man!
So geschlossen, wie Frau Behnken es hier darstellt, steht „die Kirche“ keineswegs hinter diesem Projekt. Denn nicht nur aus der Politik, sondern auch aus den eigenen, (konservativ-)christlichen Reihen kommt teils scharfe Kritik an dieser Maßnahme:
- Arbeitskreis bekennender Christen: Seenotrettung nicht Kirchenauftrag
Die evangelische Kirche unterstütze das Geschäft der Schlepper – solche Stimmen gibt es auch unter Protestanten. Ganz so scharf würde Till Roth seine Kritik an der kirchlichen Seenotrettung nicht formulieren. Der evangelische Dekan aus Lohr am Main spricht für den Arbeitskreis Bekennender Christen (ABC), eine Arbeitsgemeinschaft theologisch konservativer Protestanten. Der findet: Das Alleinstellungsmerkmal der evangelischen Kirche sei ein anderes. „Es gibt einen vorrangigen Auftrag der christlichen Kirche“, so formuliert es Till Roth, „ein Auftrag, der über allen anderen steht und der besteht in der Verkündigung, in der Verbreitung des Evangeliums, also in der Botschaft, dass Gott in Jesus zu den Menschen gekommen ist und sie rettet.“
(Quelle: br.de: Kritik an EKD nach Schiffstaufe: Schlepper oder Seenotretter?)
Mit anderen Worten: „Wir brauchen niemanden zu retten, weil Gott die Menschen ja schon gerettet hat.“ Was ist eine solche Aussage anderes als eine geradezu widerwärtige Heuchelei und Überheblichkeit?
Das Christentum: Moralisch orientierungslos
Hier zeigt sich einmal mehr das grundlegende Problem, wenn man sich einer Moralquelle bedient, die so diffus ist, dass damit problemlos auch grundlegend widersprüchliche Standpunkte begründet werden können.
Wenn rechtsnationalistische Spinner Morddrohungen gegen Seenotretter-Befürworter aussprechen, dann sind sie sich sicher, damit einen wichtigen Beitrag zur „Rettung des christlichen Abendlandes“ zu leisten. Und sie berufen sie sich dabei genauso auf „christliche Werte“ wie jene, die sich kirchlicherseits für Seenotrettung engagieren.
Welche fatale Folgen es haben kann, wenn sich ein Gläubiger einbildet (oder erzählt bekommt), sein Handeln sei legitim, weil er (oder irgendwer sonst) behauptet: „Gott will es“, zeigt ein Blick in die 10bändige Kriminalgeschichte des Christentums. Und leider auch in die ganz aktuelle Gegenwart.
[…] Wir müssen auf die Straßen gehen! Everyday for future and humanity. Wir müssen die Parlamente stürmen. In denen Neofaschisten sitzen und uns in Schreckstarre verfallen lassen genauso wie das Corona-Virus.
Solange unsere Regierung noch in diesem Ausmaß unter dem Einfluss der Kirchenlobby steht wie das hierzulande der Fall ist und solange sie noch maßgeblich von einer Partei gestellt wird, die sich selbst sogar „christlich“ nennt, wird Politikschelte von Berufsgläubigen schnell zum Eigentor.
Und das gilt nicht nur für Deutschland: Wie hervorragend nationalistische Abschottung und Christentum harmonieren, lässt sich in all jenen Ländern beobachten, in denen sich Machthaber und Demagogen der christlichen Lehre bedienen, um ihre alles anderen als humanitären Ziele durchzusetzen. Und dabei können sie sich der bereitwilligen Unterstützung ihrer christlichen Anhänger sicher sein.
Herr Samariter, Ihr Auftritt bitte…
Wir verkaufen billig, was uns menschlich macht. Allzu menschlich ist das und nichts Neues: Man hat schon vor zweitausend Jahren diese Geschichte erzählt: Der Mann, der verprügelt im Straßengraben liegt und alle gehen vorbei. Jeder hat gute Gründe, warum er nicht hilft. Nur einer handelt, ohne groß Bedenken zu wälzen und macht einfach das Naheliegende: Helfen. Wo es geboten ist. Nachzulesen in der Bibel.
Die eigentliche Aussage, um die es im hier bemühten biblischen Narrativ vom „barmherzigen Samariter“ geht, ist für das gegenwärtige Thema Seenotrettung irrelevant. Es geht dabei nämlich nicht darum, Mitmenschen in akuter Not oder Gefahr ihretwegen und ohne Wenn und Aber zu helfen. Sondern darum, dass Hilfeleistung deshalb geboten sei, weil darin die Liebe zu Gott konkret werden würde.
Und bei noch hellerem Licht betrachtet ist diese Geschichte nicht nur irrelevant: Zusätzlich schwächt Frau Behnken damit ihre vermutlich beabsichtigte Darstellung, Glaube würde Menschen zu altruistischem Verhalten motivieren. Denn pikanterweise sind es ja ausgerechnet religiöse Gründe, die in der Geschichte den vorbeilaufenden Priester und später den Levit davon abhalten, dem in Not geratenen Fremden zu helfen.
Ebenfalls eher ungünstig für die beabsichtigte Aussage ist der Umstand, dass der Samariter einerseits zwar als „Fremder“ angesehen werden kann, andererseits aber letztlich eben doch zur Gemeinschaft der Juden gehört. Aus der Sicht von Jesus handelt es sich also um einen Volks- bzw. Glaubensgenossen, der sich schließlich als einziger mitmenschlich verhält.
Der Samariter verkörpert genau die Zielgruppe, auf die sich die biblische „Feindesliebe“ bezieht. Denn selbst wenn er aufgrund seines abweichenden Weltbildes vom gläubigen Mainstream mitunter sogar verachtet wird, so ist er ja trotzdem Teil der jüdischen Solidargemeinschaft. Aus jüdischer Sicht kann der Samariter somit als Symbol für Jesus gedeutet werden: Er hat andere Ansichten als ihr, ist aber trotzdem einer von euch.
Primär gehts um eigene Interessen
Die Hilfsaktion des Samariters, die detailliert und als geradezu übertrieben umfangreich beschrieben wird, gilt nur vordergründig dem Mitmenschen. Eigentlich ist dieser nur Mittel zum Zweck.
Denn mit dieser Geschichte beantwortet der biblische Gottessohn die Frage, was man tun müsse, um die eigenen Chancen auf das „ewige Leben“ zu erhöhen.
Die Unbrauchbarkeit der Geschichte im Zusammenhang mit europäischer Außenpolitik zeigt sich darin, dass dieses Narrativ offenbar nur noch dann zitiert werden kann, wenn man den Kontext und die eigentlich beabsichtigten Aussagen des Verfassers ignoriert und verschweigt.
Diese kurzen Überlegungen sollen genügen um zu zeigen, dass biblische Erzählungen kaum bis gar nicht geeignet sind, Aspekte zu Themen beizutragen, mit denen die Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert zu tun hat.
Mit Verlaub
Und die EU zahlt 700 Millionen Euro „Soforthilfe“ – aber nicht etwa, um zu helfen. Sondern um uns Menschen in Not vom Hals zu halten. Mit Verlaub: Ich könnte kotzen!
Mit Verlaub: Dann legen Sie sich doch bitte zunächst mal ein wirklichkeitskompatibles Weltbild zu, Frau Behnken.
Wenn Sie in einer Debatte um europäische Werte oder allgemein ethische Fragen ernst genommen werden möchten, dann lassen Sie bitte alle magisch-esoterischen Behauptungen aus dem Spiel. Und verzichten Sie auf Argumente, die solche Behauptungen voraussetzen.
Für eine humanistisch-altruistische Einstellung benötigen Sie keine beliebig interpretierbare „Heilige Schrift.“
Im Gegenteil: Sobald Götter, Geister, Gottessöhne und deren angebliche An- und Absichten ins Spiel kommen, ist der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet. Denn auf eben jene berufen sich auch die, die genau gegensätzliche Ansichten vertreten wie Sie.
Moralische Prinzipien für und gegen Seenotrettung
Jetzt müssen Politiker zeigen, wes Geistes Kind sie sind. Was sie leitet. Was ihre moralischen Prinzipien sind.
Wetten, dass in diesem Zusammenhang einmal mehr die ominösen „christlichen Werte“ ins Feld geführt werden? Und zwar von Seenotrettungsbefürwortern und -Gegnern gleichermaßen? Die beide von sich behaupten, ganz im Sinne der christlich-moralischen Prinzipien zu handeln.
[…] Wir dürfen Europas Schönheit nicht billig verkaufen: den Glauben an Menschlichkeit. Solidarität. Gerechtigkeit. Und ich ergänze: Barmherzigkeit. Vor 2000 Jahren hat einer gesagt: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit (…) Selig sind die Barmherzigen.“
Frau Behnken, inwiefern soll denn „Seligkeit“ ein brauchbarer Maßstab für allgemeinverbindliche ethische Standards sein?
Ist Ihnen nicht bewusst, dass Sie hier Ihre religiös erweiterte Phantasiewelt mit der irdischen Realität vermischen? Was unter dem Etikett „Barmherzigkeit, Seligkeit und (göttliche) Gerechtigkeit“ so alles auch möglich ist, zeigt die oben schon erwähnte „Kriminalgeschichte des Christentums.“
Statt einer religiös-emotionalen Aufladung des Themas halte ich eine sachliche, rationale Auseinandersetzung mit dem Thema für sinnvoll und erforderlich.
Die 6 europäischen Werte und ihre Bedeutung für eine offene und freie Gesellschaft
Dazu empfehle ich, sich zunächst mit den sechs europäischen Werten auseinanderzusetzen, auf denen eine offene und freie Gesellschaft entstehen kann.
Anders als archaische Wüstenmythologie, die Menschen aus Unwissenheit, Angst und Hoffnungslosigkeit zum vorrangigen Zweck der einfacheren Führung eines primitiven Wüstenvolkes in der ausgehenden Bronze- und beginnenden Eisenzeit erfunden und später durch die Ernennung zur Staatsreligion vor dem Verschwinden bewahrt hatten, sind die Europäischen Werte eine religionsunabhängige Basis für ethische und gesellschaftliche Standards. Und sollten es natürlich auch politische Entscheidungen sein.
Frau Behnken, Ihrem Gott können Sie ja trotzdem noch abends ein Kerzlein anzünden. Und ihm erzählen, wie Sie (im Unterschied zu ihm) heute dazu beigetragen haben, dass die Welt fairer, mitmenschlicher und friedlicher geworden ist.
Immerhin sind Sie ihm moralisch haushoch überlegen, wenn Sie sich für Ihre Mitmenschen engagieren. Da kann sich der tatenlose Allmächtige aber mal eine gehörige Scheibe abschneiden!
Nachtrag
Der Plan von Frau Behnken, durch Vulgärsprache wie „ich könnte kotzen“ und drastische Aufrufe wie der zur Stürmung der Parlamente, in denen Neofaschisten sitzen, die sie mit dem Coronavirus vergleicht Aufmerksamkeit zu erregen scheint aufgegangen zu sein, wie diesem Beitrag auf welt.de zu entnehmen ist.
Klar: Was bei Populisten funktioniert, funktioniert bei Berufsgläubigen erst recht.
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