Wert-los? – Das Wort zum Wort zum Sonntag ft. Marta, Maria und Jesus, verkündigt von Stefanie Schardien (ev.) am 4.4.2020, veröffentlicht von ARD/daserste.de
Darum geht es
Frau Schardien biegt sich die biblische Legende von Marta und Maria so zurecht, dass diese den Anschein erweckt, für die gegenwärtige Situation relevant zu sein. Weil sie dazu die eigentlichen Aussagen dieses Narratives verschweigt, hätte sie sich die Geschichte auch gleich sparen stattdessen gute Gründe für ihren Standpunkt nennen können.
Die biblische Legende, die sich Frau Schardien heute als religiösen Beitrag zur irdischen Wirklichkeit herausgesucht hat, ist einmal bei Lukas und nochmal bei Johannes zu finden. Wie das bei biblischen Legenden so üblich ist, weichen die Geschichten in etlichen Punkten voneinander ab.
Die Rollen sind so verteilt, wie es dem sozio-kulturellen Entwicklungsstand und den Wertevorstellungen zu den Zeiten, in denen diese Geschichten entstanden waren entspricht:
Die moralische Bewertung des Verhaltens der beiden Frauen nimmt natürlich ein Mann – Jesus – vor.
Marta
In der biblischen Legende ist Marta diejenige, die sich um die praktischen Dinge kümmert. Sie sorgt dafür, dass etwas auf den Tisch kommt und dass die Betten gemacht sind.
Für Frau Schardien symbolisiert Marta offenbar diejenigen, die in der aktuellen Situation durch Ausübung ihres Berufes, aber auch durch ehrenamtliche, freundschaftliche oder auch innerfamiliäre Tätigkeiten dazu beitragen, das gesellschaftliche Leben am Laufen zu halten:
Wir lernen: Martas sind systemrelevant. Da hat sich was in unserer Wahrnehmung verändert, grundlegend: Seit Corona erleben wir, was die Martas dieser Welt leisten. Und wie abhängig wir sind von allen, die uns „überleben“ lassen: Nahrung organisieren, Pflegen, Müll abholen, Betreuen, Heilen, übrigens auch regieren.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Wert-los? – Wort zum Sonntag, verkündigt von Stefanie Schardien (ev.) am 4.4.2020, veröffentlicht von ARD/daserste.de)
Ganz anders die Bewertung durch Jesus: Der lobt das Engagement von Marta nicht deshalb, weil sie „systemrelevante“ Tätigkeiten übernimmt.
Sondern weil sie damit die ihrer Rolle als Frau zukommende Aufgabe des Dienens erfüllt.
Maria
Ihre Schwester Maria hat es der Legende zufolge nicht so sehr mit der praktischen Hausarbeit. Sie setzt sich zu Füßen des jüdischen Endzeit-Sektenführers und lauscht gespannt den Worten des Wanderpredigers. Sehr zum Ärger von Marta. An der mal wieder die ganze Arbeit hängen bleibt.
Mit Maria meint Frau Schardien eine Protagonistin für die gefunden zu haben, die in der aktuellen Krisensituation ebenfalls wichtig für das gesellschaftliche Zusammenleben sind, auch wenn sie gerade keine tatsächlich unmittelbar „systemrelevanten“, also überlebenswichtigen Beiträge leisten: Mitmenschlichkeit, Freundlichkeit, Zuhören, Empathie…
Auch hier interpretiert Frau Schardien wieder Dinge in die Geschichte hinein, die diese beim besten Willen nicht her gibt:
Maria wird von Jesus nicht etwa dafür gelobt, dass sie sich für seine Befindlichkeiten, Sorgen und Nöte interessiert. Sondern dafür, dass sie bereit ist, unterwürfig (zu seinen Füßen…) den Worten des Meisters zu lauschen und als dessen Schülerin seine Lehre anzunehmen.
Das Frauenbild zur Zeit von Jesus
In diesem Zusammenhang ebenfalls erhellende Aufklärung über das Frauenbild des biblischen Jesus bietet Heinz-Werner Kubitza in seinem lesenswerten Buch „Jesus ohne Kitsch“ im Kapitel „Jesus und die Frauen“ ab Seite 153:
- Es ist keine Frage, dass in der Umwelt Jesu Frauen nur als Menschen zweiter Wahl galten. Hatte Gott nicht zuerst Adam geschaffen und dann erst Eva? Hatte Eva nicht die Hauptschuld am Sündenfall? Hatte deshalb Gott nicht den Mann über die Frau gestellt? Frauen
- galten … als besonders schuldbeladen und waren religiöse generell disqualifiziert. Nach verbreiteter Auffassung hatten sie weder eine Seele noch Anteil am ewigen Leben. Deshalb pflegten später fromme Juden Gott dafür zu danken, dass er sie nicht als Frauen hatte auf die Welt kommen lassen.
(Quelle: Segemann, Essener, zit. nach Zager, Jesusforschung, S. 458)
- galten … als besonders schuldbeladen und waren religiöse generell disqualifiziert. Nach verbreiteter Auffassung hatten sie weder eine Seele noch Anteil am ewigen Leben. Deshalb pflegten später fromme Juden Gott dafür zu danken, dass er sie nicht als Frauen hatte auf die Welt kommen lassen.
- […] Je religiöser eine Gesellschaft ist, desto schlechter ist die Stellung der Frau. Frauenbefreiung bedeutet deshalb in erster Linie Zurückdrängung von Religionen. Erst in einer säkularen Gesellschaft gibt es eine (zumindest theoretische) Gleichstellung der Frau.
(Quelle: Heinz-Werner Kubitza: Jesus ohne Kitsch – Irrtümer und Widersprüche eines Gottessohns, Seite 153-154)
Betrachtet und berücksichtigt man den biblischen Kontext und die biblische Gesamtaussage, dann lässt sich mit dieser Bibelstelle lediglich nachweisen, dass Jesus offenbar auch Frauen zugestanden hatte, an seine Lehre zu glauben. Oder eben zu dienen.
Wertschätzung
Diese Wertschätzung für die viele unterschiedliche Arbeit dürfen wir nicht vergessen, wenn der Alltag halbwegs zurückkehrt. Sie wird uns dann etwas wert sein müssen. Das will ich mitnehmen aus dieser Zeit und aus der Geschichte von Marta und Maria.
Die Gründe für diese Wertschätzung sind allerdings andere als die, die die biblische Legende nennt. Nicht, weil es sich dabei um einen Akt des Dienens oder des bereitwilligen Annehmens einer Glaubenslehre handelt.
Sowohl praktische, als auch die geistige bzw. allgemeiner: immaterielle Arbeit verdienen es,wert-geschätzt zu werden. Ihres Wertes wegen.
Und Balkon-Applaus kann dabei höchstens ein erstes, äußeres Zeichen von Wertschätzung sein.
Noch viel mehr wertgeschätzt fühlen sich Pflegekräfte, Versorger und bislang verkanntermaßen „systemrelevante“ Dienstleister zum Beispiel dann, wenn sie angemessen entlohnt werden. Und wenn sie unter humanen Bedingungen arbeiten können.
Und die Kirchen…?
In diesem Zusammenhang müssen sich die Kirchen des Landes derzeit fragen lassen, inwieweit sie denn bereit sind, nennenswerte Teile ihres dreistelligen Milliardenvermögens jetzt einzubringen. Nicht nur als Zeichen der Wertschätzung. Sondern auch im höchsteigenen Interesse.
Und natürlich auch, weil sie es von anderen fordern und selber mehr Möglichkeiten hätten als irgendwer sonst.
Sowohl, was die Bezahlung derer angeht, die in kirchlichen Einrichtungen zum Beispiel medizinisch-pflegerisch tätig sind. Als auch, was eine Unterstützung der Wissenschaftler angeht, die gerade mit Hochdruck daran arbeiten, tatsächlich wirksame Maßnahmen gegen das Virus zu erforschen und zu entwickeln.
Nicht, um einem Gottessohn zu gefallen oder um männliche Besucher zu bedienen, wie das in der Bibelstelle der Fall ist. Sondern weil sie ihre berufliche Aufgabe darin sehen.
Die allzu berechtigte Frage an die Kirchen, warum sie jetzt nicht die Chance nutzen, ihr zum größten Teil auf höchst fragwürdigen Wegen erworbenes Milliardenvermögen mal tatsächlich im Sinne der Nächstenliebe der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, weisen diese gerne empört als Polemik weit von sich. Stattdessen verweist man auf die vielen Menschen, die in kirchlichen Einrichtungen medizinisch-pflegerisch tätig sind.
Die Legende von der Kirche als selbstlose Hilfsorganisation
Dass diese Menschen zum allergrößten Teil gar nicht von der Kirche, sondern vom Staat bezahlt werden, verschweigt man dabei lieber. Es gilt, die Caritas- und Diakonie-Legenden aufrecht zu erhalten, mit denen sich die Kirchen den Nimbus der selbstlosen Hilfsorganisation zu verleihen versuchen.
Das macht sich natürlich besser als wenn man keinen Hehl daraus machen würde, dass es sich um religiös instrumentalisierte, überwiegend vom Staat bezahlte soziale Dienstleistung handelt. Lukrativ ist dieses Geschäft in erster Linie für die Kirchen: Nicht nur finanziell, sondern auch durch den Genuss von beispiellosen Sonderprivilegien. Und natürlich der Möglichkeit, auf diesem Wege ihr übergeordnetes Ziel der Missionierung zu verfolgen.
Menschen, die religiös motiviert ehrenamtliche Arbeit leisten, gebührt selbstverständlich ebenfalls Wertschätzung. Eine Wertschätzung, die auch die Kirchen nur allzu gerne für sich beaenspruchen würden.
Wie dünn dieses Eis für den christlichen Kirchenkonzern inzwischen tatsächlich ist, zeigt sich zum Beispiel gerade an der Aktion Maria 2.0: Engagierte Christinnen, die sich gegen die (patriarchialisch-undemokratische) Kirche auflehnen.
Für wen ist eine Milliarde Euro viel Geld? Und für wen nicht?
Jede kritische Nachfrage nach der (nicht wirklich vornehmen) kirchlichen Zurückhaltung, wenn es um eine tatsächlich wertvolle Wertschätzung geht, wäre mit einer einzigen Schlagzeile ganz einfach zu beantworten. Wie zum Beispiel:
- Christliche Kirchen in Deutschland stellen eine Milliarde Euro für die Wissenschaft zur Verfügung
Eine Milliarde Euro. Das klingt nach viel. Und mit einer Milliarde kann man, anders als mit Glaube, sicher auch eine ganze Menge bewegen.
Und trotzdem wäre eine Milliarde nur ein sehr kleiner Bruchteil des Gesamt-Kirchenvermögens. Allein der Kirchen in Deutschland.
Stattdessen verweist man lieber auf das eigene, schlecht bezahlte und durch eigenes Arbeitsrecht benachteiligte Personal im medizinisch-pflegerischen Bereich. Und auf die, die religiös motiviert ehrenamtlich tätig sind.
Dem Oberhaupt der katholischen Kirche ist es nicht peinlich, dem Krankenhaus in Bergamo 60.000 Euro zu spenden. Das Krankenhaus freut es sicher. Aber wer mehrere Millionen Euro allein an Zinsgewinnen täglich zu verbuchen hat, für den ist eine solche Summe geradezu lächerlich.
Andererseits ist natürlich auch schon nur ein Cent mehr wert als jeder ominöse Zauberspruch.
Aber nochmal kurz zurück zu Frau Schardien und ihrer heutigen Bibelverbiegung:
Ich bin mir sicher…
Ich bin mir sicher: Beide [Marta und Maria, Anm. v. mir] haben getan, was sie konnten und liebten. Und sie wussten schon gut, was sie aneinander haben.
Wie sicher kann man sich sein, wenn man es mit biblischer Mythologie zu tun hat?
Zumindest in der Lukas-Version sind Marta und Maria nicht wirklich allzu „dicke.“ Ob sie wirklich „schon gut wussten, was sie aneinander haben“, wie von Frau Schardien behauptet, geht zumindest aus dieser Geschichte keineswegs hervor. Da reden die beiden nicht mal miteinander.
Und in gewohnter biblischer Schwarz-Weiß-Manier scheint es auch hier keinen Kompromiss geben zu können: Entweder Dienen – oder dem Meister zu Füßen sitzen. Mal abwechseln kommt offenbar gar nicht erst nicht in Frage.
Wer behütet wen? Wie, wovor und warum? Fragen an Frau Schardien
Bleiben Sie behütet in allem, was Sie gerade tun können oder lassen müssen.
- Frau Schardien, können Sie bitte mal in eigenen, einfachen Sätzen erklären, wie Sie sich das mit dem „behütet bleiben“ konkret vorstellen? Wer behütet wen? Wie, wovor und warum? Und warum offenbar nicht immer?
- Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass Sie Menschen gezielt in die Irre führen und potentiell Menschenleben riskieren, wenn Sie ihnen suggerieren, sie seien von irgendwem vor irgendetwas „behütet“?
- Halten Sie das Corona-Virus eigentlich für eine Schöpfung Ihres allmächtigen Schöpfergottes?
- Die Corona-Pandemie ist eine Strafe Gottes: Wie kann es sein, dass sich dieser Standpunkt genauso biblisch-christlich bgründen lässt wie die genau gegensätzliche Aussage?
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