Jesus ohne Kitsch – Irrtümer und Widersprüche eines Gottessohns – Der AWQ.DE Buchtipp des Jahres

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Jesus ohne Kitsch – Irrtümer und Widersprüche eines Gottessohns – Der AWQ.DE Buchtipp des Jahres

Mit seinem im September 2019 erschienenen Buch „Jesus ohne Kitsch“ legt Dr. Heinz-Werner Kubitza (Der Jesuswahn, Der Dogmenwahn, Der Glaubenswahn) ein weiteres absolut lesenswertes Aufklärungswerk vor.

Aus vielen Gesprächen mit Gläubigen weiß ich, dass der in der Bibel beschriebene Gottessohn für viele Christen so etwas wie der letzte Strohhalm ist, an den sie sich klammern, um ihren Glauben in die Gegenwart zu retten.

Je nach eingeschlagenem religiösem Holzweg sind mir sogar Menschen begegnet, die sich selbst als tief gläubige Christen bezeichnen, obwohl sich ihre gesamte Glaubensgewissheit ausschließlich und einzig auf Jesus Christus beschränkt. Der Vater des Gottessohns spielt für sie genauso keine Rolle mehr wie dessen Mutter.

Bei diesen war dann der Kitsch-Faktor besonders hoch.

Jesus ohne Kitsch

Cover: Jesus ohne Kitsch
Cover – Jesus ohne Kitsch

Mit Kitsch bezeichnet der Theologe in seinem vorliegenden Buch Kubitza alles, womit der möglicherweise tatsächlich historische jüdische Endzeitsektenprediger Jesus posthum nach und nach ausgestattet wurde. Also das, was Menschen ihm andichteten, um ihn zum Übermenschen, zum Gottessohn und schließlich zum zweiten Drittel des Wüstengottes Jahwe hochzustilisieren.

Die Dekonstruktion des Gottessohnes beginnt mit der Feststellung, dass sich dieser mit seiner eigentlichen und hauptsächlichen Verkündigung schlicht geirrt hatte. Denn heute, rund 2000 Jahre später können wir wohl mit Fug und Recht behaupten, dass das von Jesus als unmittelbar bevorstehende Gottesreich nicht gekommen ist.

…und wenn sie nicht gestorben sind, dann warten sie noch heute

Alle Christen warten seitdem auf die Ankunft bzw. Rückkehr ihres Gottes. Vergeblich. Bis heute. Und wohl auch noch in alle Zukunft.

Sie meinen, hin und her gerissen zwischen Angst, Zweifel und Hoffnung, im irdischen Geschehen ständig irgendwelche Anzeichen dafür zu erkennen, dass es jetzt aber doch wirklich soweit sein müsste. Die biblische Mythologie bietet hierfür mehr als genug Stoff, der mit etwas Phantasie hervorrangend für solche Zwecke verwendet werden kann.

Ohne die biblische „Verkitschung“ wäre damit eigentlich schon alles Wesentliche über Jesus gesagt: Ein jüdischer Wanderprediger und Sektenführer, der sich, vermutlich unter Johannes dem Täufer radikalisiert hatte. Einfach einer unter zahllosen anderen Propheten, die sich mit ihrer Vorhersage geirrt haben.

Wundergeschichten, Dämonen und allerlei Magie

In der gewohnt äußerst unterhaltsamen und angenehm zu lesenden Sprache geht Kubitza im Folgenden auf die biblischen Wunderberichte ein. Hier geht der Autor auch auf die in der Bibel beschriebenen nebenberuflichen Tätigkeiten Jesu als Exorzist und Magier näher ein.

Während mir diese Punkte bereits mehr oder weniger bekannt waren, war der nun folgende Abschnitt für mich besonders interessant und aufschlussreich: Das Überkapitel „Die Forderungen Jesu.“

Hier stellt Kubitza die in den biblischen Mythen und Legenden enthaltenen Inhalte der Verkündigung von Jesus auf den Prüfstand. Also das, was die zeitgenössische Theologie bevorzugt für ihre Versuche heranzieht, aus der Bibel brauchbare ethische Standards abzuleiten.

Nach und nach nimmt er verschiedene Aspekte akribisch, aber trotzdem jederzeit unterhaltsam und nie langweilig unter die Lupe.

Moderne Ethik? Fehlanzeige

Immer wieder wird klar: Moderne ethische Standards sind hier nicht zu finden.

Und nur mit sehr großem Aufwand und einem höchst unredlichen Umgang mit den biblischen Texten lassen sich solche Standards weit mehr schlecht als recht so hineininterpretieren, dass das Ergebnis den Anschein erweckt, die vormittelalterliche Textsammlung hätte damals schon den Stand einer modernen Ethik enthalten.

Den Unsinn der christlichen Nächstenliebe deckt Kubitza genauso auf wie die ausländerfeindlichen Tendenzen des Gottessohnes, seinen Partikularismus und Egoismus sowie die Radikalität und Absurdität seiner Lehre.

Gerade diese Kapitel sollten allen, die bisher vielleicht noch die Vorstellung hatten, Jesus sei wahrscheinlich irgendwie ein Stückweit im Großen und Ganzen schon ganz ok gewesen die Augen öffnen.

Spoiler Alert: Es bleibt wirklich nicht viel übrig. Um nicht zu sagen: Nichts. Jedenfalls nichts, was etwas daran ändern würde, dass Jesus die am meisten überschätzte Figur der Weltgeschichte ist.

Auch die nachfolgenden Kapitel bringen weiteres Licht in die Kitschwelt, in der sich Christen gerne aufhalten.

War Jesus verrückt?

Besonders interessant fand ich hier das Kapitel mit den Überlegungen zur Frage, ob Jesus vielleicht einfach verrückt gewesen sein könnte.

Der Leser erfährt, dass etliche Wissenschaftler aus der psychiologischen und psychiatrischen Forschung diese Annahme aufgrund der biblischen Schilderungen übereinstimmend für sehr wahrscheinlich halten.

Von einem Prophetenwahn ist die Rede, ein Krankheitsbild, das der „damals (gerade noch) angesehene“ Psychiater Leonhard Hochenegg wie folgt beschreibt:

  • Störungen des Denkens und der Wahrnehmung bringen den Kranken soweit, dass er Katastrophen, Kriege und den Weltuntergang vorauszusehen glaubt … Alles wird verändert erlebt und symbolhaft gedeutet. Einige dieser Patienten hatten den Eindruck, es befinde sich die Menschheit in großer Gefahr, es könne nicht mehr lange dauern, dann gehe die Welt unter.
  • [Im Prophetenwahn] denken sich die Kranken … Gott habe ihnen befohlen, die Welt zu beeinflussen, zu warnen und vor dem Untergang zu bekehren. Allmachts- und Begnadigungsgefühle können beobachtet werden …

    (Quelle: Leonhard Hochenegg: „Prophetenwahn bei Schizophrenen“, Archiv für Religionspsychologie 14, Nr. 1 (1980), S. 270-276, Zit. n. Jesus ohne Kitsch, S. 201 ff)

Prophetenwahn: Plausible Erklärung oder Blasphemie?

Auch der Schweizer Psychiater Hans Heimann beschreibt viele Übereinstimmungen zwischen Symptomen, die bei psychisch erkrankten Patienten beobachtet wurden und die sich auch beim biblischen Jesus finden.

Jesus von Nazareth ist ohne Kitsch für die allermeisten Menschen gar nicht zu denken. Als Kulminationspunkt der aktuell größten Weltreligion, als vermeintliche Stifterfigur, als Wundertäter und Charismatiker, als Prophet, Messias, als Weltlerlöser, ja schließlich sogar als Gott und Teil einer Trinität ist er zweifellos die am meisten überschätzte Figur der Weltgeschichte.
(Heinz-Werner Kubitza: Jesus ohne Kitsch)

Versetzt man sich in die Vorstellungswelt eines gläubigen Christen, dann kann man wohl nachvollziehen, dass solche Überlegungen auf ihn wie Blasphemie wirken könnten. Wer möchte schon erfahren, dass das, was über sein angebetetes und zum Gottessohn erhobenes Idol womöglich einfach nur verrückt war?

Unweigerlich fühlt man sich an Kishons berühmten Roman „Der Blaumilchkanal“ erinnert: Hier kann ebenfalls nicht sein, was nicht sein darf. Wenngleich auch nicht aus religiösen, sondern aus politischen Gründen.

Dass eine psychische Erkrankung eine viel plausiblere Erklärung für das in der Bibel beschriebene Verhalten und Reden von Jesus ist als eine angebliche Göttlichkeit, wollen Gläubige jedenfalls nicht wahr haben. Schon gar nicht die, die ihre Glaubensgewissheit auf Jesus focussiert haben.

Jesus als dogmatische Projektionsfläche

In den letzten Kapiteln geht der Autor noch auf das Verhalten der Jesus-Nachfolger und auf die Frage ein, was sich anhand der biblischen Aussagen über das politische Wirken Jesu sagen lässt.

In seinem Fazit kommt Kubitza aufgrund seiner ausführlichen Untersuchung zu diesem ent-kitschtem Ergebnis:

Wir werden es vermutlich nie erfahren, und eigentlich ist es auch bedeutungslos, warum genau ein religiöser Phantast vor 2000 Jahren letztlich den Tod gefunden hat. […] Jesus hatte kein Wort für uns. Unsere modernen WErte wiegen mehr als die kruden Vorstellungen antiker Wanderprediger oder irgendwelche Verse in irgendwelchen heiligen Schriften. Die Welt braucht bessere Vorbilder als selbsternannte Propheten. Jesus ist die am meisten überschätzte Person der Weltgeschichte.
(Quelle: Heinz-Werner Kubitza: Jesus ohne Kitsch, S. 248)

AWQ.DE Buchtipp des Jahres 2019

Dieses Buch ist unser AWQ.DE-Buchtipp des Jahres 2019: Gewohnt unterhaltsam, fachlich fundiert und in der gebotenen Tiefe durchleuchtet Heinz-Werner Kubitza das, was die biblische Textsammlung über Jesus zu berichten weiß. Anhand zahlreicher Beispiele legt der Autor offen, was von Jesus übrig bleibt, wenn man den religiösen Kitsch von seinem Bild entfernt.

Gläubige Christen, die an ihrem Glauben an den Gottessohn, der sie wahlweise durch seine temporäre (Selbst-)Opferung schon erlöst hat oder der zu diesem Zweck irgendwann, vielleicht sogar schon sehr bald auf die Erde zurückkommen wird (worauf genau sie warten und worüber genau sie sich freuen, darüber existieren viele, teils sehr unterschiedliche Vorstellungen) festhalten möchten, sollten sich auf eine Ent-Täuschung im wahrsten Wortsinn einstellen, wenn sie sich die Lektüre dieses Buches zutrauen.

Jesus ohne Kitsch

  • Autor: Heinz-Werner Kubitza
  • Taschenbuch: 272 Seiten
  • Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
  • Auflage: 1 (9. September 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3828843395
  • ISBN-13: 978-3828843394

Klappentext

Jesus von Nazareth wird von Gläubigen, aber auch der Kirche Fernstehenden als ein Ideal betrachtet – als Vorbild, guter Mensch und Menschenfreund, dessen Lehre auch heute noch für uns von Bedeutung ist. Die Faszination ist ungebrochen und zeigt sich in einer wahren Flut von verherrlichenden Büchern. Da ist es mehr als angebracht, auch auf die negativen Seiten dieses galiläischen Wanderpredigers aufmerksam zu machen und das bei Gläubigen wie Religionsfreien völlig verkitschte Bild zurechtzurücken.

Genau dies will Heinz-Werner Kubitza leisten: ein Jesusbuch ohne Kitsch und unter Berücksichtigung auch derjenigen Bibelstellen, die von den Kirchen meist verschwiegen werden. Kubitza zeigt einen Jesus, der gefangen ist in seinen Irrtümern, Übertreibungen und gedanklichen Abstrusitäten. Täter und Opfer seines religiösen Extremismus, der ihn schließlich sogar das Leben gekostet hat.

Spannend, sachkundig und mit einem Schuss Ironie vermittelt Kubitza eine ganz neue und sehr kritische Sicht auf Jesus.
(Quelle: ebenda)

Wir bedanken uns beim Autor für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares.

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