Darf’s ein bisschen fair sein? – Das Wort zum Wort zum Sonntag, Thema Fair Trade

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Darf’s ein bisschen fair sein? – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Fair Trade, verkündigt von Benedikt Welter, veröffentlicht am 12.09.2020 von ARD/daserste.de

Darum geht es

In seiner heutigen Fernsehpredigt betreibt Herr Welter Imagepflege, indem er auf die Bedeutung der Kirche für den fairen Handel hinweist.

Tatsächlich waren es vorwiegend Menschen aus religiösen Gemeinschaften, die in den 1950er Jahren damit begonnen hatten, sich für mehr Gerechtigkeit im Handel zu engagieren. Dieses Engagement war bei den damals jungen Aktivisten auch Ausdruck von Kritik an neoimperialistischen und kapitalistischen Strukturen.

Die damit verbundene Kritik an internationalen Konzernen wie zum Beispiel jüngst Misereor bezüglich Bayer, aber zum Beispiel auch an konventioneller Landwirtschaft ist damit offenbar auch historisch bedingt bis heute bei kirchlichen Hilfsorganisationen anzutreffen.

Gerne inszeniert sich die Kirche zu diesem Zweck als David im Kampf gegen Goliath. Dieses Image passt allerdings weder zu einem Milliardenkonzern, noch ist die Kirche schon allein aufgrund ihres für sie überaus erfolgreichen Geschäftsmodelles der Fremdfinanzierung und auch mangels einer brauchbaren Moralquelle sicher nicht in der Position, die Moralkeule gegen den Kapitalismus zu erheben.

Was hat Fair Trade mit der Wende zu tun?

Betrachtet man die Entwicklung von Fair Trade, so lassen sich Parallelen zum Beispiel zur Deutsch-deutschen Wiedervereinigung erkennen: Hier wie dort waren es zunächst kleine Gruppen, die sich im kirchlichen Umfeld und vermutlich auch aus religiösen Motiven für ihre Anliegen engagiert hatten. Zumindest im Fall der Wiedervereinigung auch gegen den Widerstand ihrer Kirchen, die ihr sowieso fragiles Verhältnis zum DDR-Regime nicht riskieren wollten. Und denen deshalb das rebellische Verhalten einiger ihrer Angestellten mindestens genauso ein Dorn im Auge war wie der Stasi. Erst im Nachhinein erkannte man, dass diese Federn sehr gut geeignet sind, um sich als Institution Kirche damit zu schmücken.

Solche Details werden heute von Kirchenfunktionären, Lobbyisten und Verkündern nach Möglichkeit gerne verschwiegen. Stattdessen arbeitet man an der Legende von der christlichen Moral. Quasi Gebetsmühlenartig stellt man die bedeutsame, ja gar unverzichtbare Rolle der Kirche in den Vordergrund. Natürlich erst im Nachhinein.

Ein Blick in die Geschichte, aber auch in die tagesaktuelle Gegenwart zeigt, dass die selbe biblisch-christliche Religion mindestens genauso gut dazu geeignet ist, um das genaue Gegenteil von Fair Trade zu legitimieren.

Als prominentes Beispiel ist Brasiliens Präsident Bolsonaro zu nennen, der von evangelikalen Freikirchler-Spinnern für seine ausbeuterische und zerstörerische Politik inzwischen wie ein Heiliger verehrt und gefeiert wird.

Einmal mehr ist hier die Unbrauchbarkeit von Religion als Moralquelle deutlich zu erkennen: Fair Trade lässt sich christlich genauso gut begründen wie Unfair Trade.

Geschäftsmodell Fremdfinanzierung

Ein weiterer Umstand, den religiöse Verkünder gerne verschweigen, wenn sie die Kirche als Institution für Gerechtigkeit und Fairness darstellen oder auf den Kapitalismus schimpfen möchte:

Auch in diesem Bereich lassen sich die Kirchen den weitaus größten Teil vom Staat fremdfinanzieren (Hervorhebungen von mir).

  • Misereor:
    Im Jahr 2018 nahm Misereor insgesamt 232,2 Millionen Euro ein. Neben 59,6 Millionen Euro aus Kollekten und Spenden wurden Misereor 165,5 Millionen Euro aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie 7,1 Millionen Euro aus kirchlichen Haushaltsmitteln zur Verfügung gestellt.
    (Quelle: Misereor, Haushaltsbericht 2018)
     
  • Brot für die Welt:
    Die drei wichtigsten finanziellen Säulen von Brot für die Welt waren 2019:

    • Bundesmittel (173,9 Mio. Euro)
    • Spenden und Kollekten (64,4 Mio. Euro)
    • Mittel des kirchlichen Entwicklungsdienstes (58,8 Mio. Euro)
      (Quelle: brot-fuer-die-welt.de, Finanzen & Transparenz)

Sowohl bei Misereor, als auch bei Brot für die Welt tragen die Kirchen selbst den kleinsten Anteil an der Gesamtfinanzierung.

Das erscheint besonders deshalb äußerst fragwürdig, weil es sich bei den Kirchen ja nicht um NGOs, sondern um Multimilliardenkonzerne handelt. Konzerne, die, wie alle anderen Konzerne auch von der Konjunktur und vom Kapitalismus profitieren. Mit dem Unterschied, dass sie selbst unvorstellbar viel mehr davon profitieren als selbst dazu beizutragen.

Stütze der Gesellschaft?

Die Kirchen selbst sehen sich selbst natürlich ganz anders. Zum Beispiel hier gar als „Stütze der Gesellschaft“:

  • Sie [die Kirchen, Anm. v. mir] stiften und bieten Zusammenhalt und Gemeinschaften des Teilens, die Menschen auch in Krisensituationen auffangen können. Sie vermitteln Werte und Orientierung. Durch ihre Seelsorge helfen sie Menschen mit psychischen Problemen und ganzen Dörfern, mit traumatisierenden Situationen umzugehen. Sie stärken das Verantwortungsgefühl für das eigene Leben, die Gesellschaft und die gesamte Menschheit und Schöpfung und vermitteln eine positive Weltsicht, einen nachhaltigen Lebensstil und Zukunftshoffnung. Ähnliches kann wohl von vielen Religionsgemeinschaften gesagt werden.
  • Der Zusammenhang von Religion und Entwicklung wurde jedoch in den Jahrzehnten zunehmender Säkularisierung in Europa von staatlichen und anderen Entwicklungsorganisationen zunehmend ignoriert, geleugnet oder negativ konnotiert. Die Förderung von Religionsgemeinschaften wurde deshalb sehr strikt reguliert aus Sorge vor Fehlverwendung von Mitteln. In der Tat haben Religionsgemeinschaften auch das Potential, die Diskriminierung von Minderheiten zu befördern, oder hierarchische Strukturen zu überhöhen und damit zu festigen. Manche lassen sich sogar instrumentalisieren, um Gewalt zu legitimieren, manche werden ohne ihr Einverständnis dazu missbraucht. Das alles gehört sorgfältig reflektiert.
  • Ziel der neuen staatlichen Aufmerksamkeit für die Zusammenhänge von Religion und Entwicklung sollte nach unserer Auffassung dabei nicht die Abschaffung der religiösen Neutralität des Staates oder eine Einmischung des Staates in die inneren Angelegenheiten von Religionsgemeinschaften sein, sondern die Sensibilisierung staatlicher Entwicklungszusammenarbeit für die Rolle von Religionsgemeinschaften für eine werteorientierte, menschenrechtsbasierte und nachhaltige Entwicklung.
    (Quelle: brot-fuer-die-welt.de: Kirche als Stütze der Gesellschaft)

Wes‘ Brot ich ess…

Für eine negative Konnotierung (genauer: Bewertung) lassen sich neben den schon genannten noch weitere Gründe anführen. Ein Hauptkritikpunkt ist dabei, dass die Verbreitung des eigenen Glaubenskonstruktes, oder konkreter: die Neukundenaquise übergeordnetes Ziel jeglichen sozialen Engagements im Rahmen des Christentums verfolgt wird oder zumindest verfolgt werden sollte.

Das bietet sich freilich auch an, weil hilfsbedürftige Menschen in schwierigen Situationen oder gar mit akuter Existenznot für gewöhnlich offener für Heilsversprechen aller Art sind.

  • „Wes’ Brot ich es, des’ Lied ich sing“, hat natürlich mit Seelsorge nichts zu tun. Gar nichts.
    (Carsten Frerk: Violettbuch Kirchenfinanzen, S. 184)

Diese Missionierung, bei Misereor gerne mit dem Begriff Bildungsangebot kaschiert,wird dabei genauso mitfinanziert wie die Institution, die zwar angibt, sich für die Menschenrechte einzusetzen, obgleich die oberste Konzernleitung selbst die Menschenrechte bis heute noch nicht mal ratifiziert hat.

Da mein recht ausführlicher Beitrag zum Thema Misereor nach wie vor aktuell ist, belasse ich es an dieser Stelle mit einem Hinweis auf diesen Artikel.

Mehr als fair?

Leider garantiert ein Label wie Fair Trade (genauso wie viele andere Label auch) noch nicht, dass die Herstellung und der Handel solcher Waren auch dem entspricht, was sich der Kunde womöglich darunter vorstellt.

Wer hier auf Nummer Sicher gehen möchte kommt nicht umhin, selbst zu recherchieren, wie es beim jeweiligen Anbieter um die Fairness tatsächlich bestellt ist.

Ein Beispiel, dass es mitunter sogar „Mehr als Fair“ gibt, liefert das Projekt „Frederic – Hilfe für Peru e.V.„, das unter der Marke PERÚ PURO Schokoladenprodukte aus peruanischem Edelkakao in Europa auf den Markt bringt:

Wer hat’s erfunden? Wer genau?

Nochmal zurück zu Herrn Welters Kernaussage:

Fair Trade. Fairer Handel. Ein von Misereor und Brot für die Welt gut begonnener Weg. Mittlerweile gehen viele Organisationen und zahllose Menschen diesen Weg mit.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Darf’s ein bisschen fair sein? – Wort zum Sonntag zum Thema Fair Trade, verkündigt von Benedikt Welter, veröffentlicht am 12.09.2020 von ARD/daserste.de)

Soweit ich das beurteilen kann, verhält es sich wohl eher so, dass es, wie oben schon beschrieben, zunächst nur einige kleine Gruppierungen waren, die sich den gerechten Handel zum Thema gemacht hatten.

Bei den kirchlichen Organisationen war es offenbar zunächst nicht primär um Fair Trade gegangen. Sondern um die Versorgung von unterernährten Menschen mit Nahrungsmitteln – und um die Glaubensverbreitung:

  • Über das Päpstliche Werk der Glaubensverbreitung in Aachen richtete er [Priester Jakob Holl Anm. v. mir] ein Postscheckkonto mit dem Stichwort „Reis für Kalkutta“ ein und sammelte Spenden. Als sein Bericht in der Kirchenzeitung veröffentlicht wurde, hatte er bereits 75.000 DM gesammelt, die er an Mutter Theresa weiterleitete.
    (Quelle: Wikipedia: Misereor)

Vermutlich hatte sich im Lauf der Zeit herausgestellt, dass einseitige Hilfe („Reis für Kalkutta“) und als Nächstenliebe ausgegebene Verherrlichung menschlichen Leides („Mutter“ Theresa, auch bekannt als Todesengel von Kalkutta) nicht geeignet sind, um die Situation von benachteiligten oder leidenden Menschen nachhaltig, das heißt mittel- und langfristig zu verbessern.

Religiöser Beitrag: Entbehrlich bis hinderlich

Die Frage, wie die Weltbevölkerung fair miteinander umgehen kann, ist keine religiöse Frage. Sondern eine gesellschaftliche und damit politische. Es geht hier um humanistische ethische Werte.

Dank der quasi beliebigen Auslegbarkeit ihrer „Heiligen Schriften“ können freilich auch religiös motivierte Menschen hier Beiträge leisten. Erforderlich ist Religion dafür allerdings nicht.

Und wie oben schon angedeutet, beinhalten gerade die monotheistischen Religionen immer auch Potential für Spaltung, Trennung und alles, was eben nicht als fair bezeichnet werden kann.

Sogar die viel gepriesene christliche Nächstenliebe steht hier eher im Weg als dass sie dem Christentum Relevanz verschaffen kann: Erstens kann beliebig definiert werden, wer denn nun „Nächster“ ist und wer nicht. Zweitens ist es unrealistisch (und auch gar nicht nötig), alle Menschen zu lieben. Und Drittens ist die Auffassung darüber, was alles als „Liebe“ oder Ausdruck davon bezeichnet werden kann alles andere als einheitlich.

Fair Trade – Fair Thinking – Rational & Humanistic Thinking

Ich meine: Zum FairTrade müsste noch „Fair Thinking“ dazukommen, faires Denken. Da ist es ja ganz gut, dass fair gehandelte Schokolade auch als gute Hirnnahrung gilt.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und danach eine noch fairere Woche.

Und ich meine: Zum Fair Trade und Fair Thinking müsste noch „Rational & Humanistic Thinking“ dazukommen, vernunftbasiertesm humanistisches Denken.

Das christliche Belohnungs-Bestrafungskonzept ist jedenfalls keine brauchbare Basis für moderne ethische Standards, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht und keine Götterphantasien und Jenseitsfiktionen.

Die Probleme, vor denen die Weltbevölkerung heute steht, lassen sich nicht mehr mit den Narrativen beheben, die zur einfacheren Führung von halbnomadischen Wüstenstämmen erdacht und konzipiert worden waren.

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