60 Jahre „Misereor“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 12 Min.

60 Jahre „Misereor“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Benedikt Welter, veröffentlicht am 18.8.2018 von ARD/daserste.de

Es ist sechzig Jahre her; Sommer 1958: Deutschland ist Wirtschaftswunderland. Es geht rasant bergauf. Der Wohlstand wächst. In Berlin findet der 78. Deutsche Katholikentag statt – und zwar in Ost- und Westberlin; das ging damals noch, drei Jahre vor dem Mauer-Bau. – Motto des Katholikentags: „Unsere Sorge der Mensch – unser Heil der Herr“.*

Wenn der „Herr“ das Heil sein soll, dann ist die Glaubwürdigkeit der Sorge um den Menschen dahin. Denn selbst wenn der Herr, der hier gemeint ist von der Sorge um den Mensch wissen sollte, so scheint ihm das Heil der Menschen völlig egal zu sein. Jedenfalls sieht er sich, trotz angeblicher Allmacht, Allwissenheit und Allgüte augenscheinlich und tagtäglich beobachtbar nicht dazu berufen, irgendwem irgendwelches Heil zu verschaffen.

Anders freilich sieht es in der menschlichen Phantasie und Einbildung aus: Da schreiben Gläubige alles Heil ihrem „Herren“ zu. Das Praktische an göttlichem Heil ist, dass der Gläubige selbst beliebig festlegen kann, was genau er darunter versteht.

Kein Gott hat sich bis heute auch nur ein Mal dazu geäußert, wenn Menschen in seinem Namen und vermeintlichen Auftrag geliebt oder getötet haben. Und kein Gott hat bis heute auch nur ein einziges Leid nachweislich verhindert.

Kardinal Frings Misereor-Eröffnungsrede

Passend dazu hält am19. August der Kölner Kardinal Frings vor den deutschen Bischöfen eine Rede. Und die wird zur Geburtsstunde eines großen katholischen Hilfswerks für die Menschen in den armen Ländern der Welt: Misereor – ein lateinischer Name, aus der Bibel genommen; Jesus sagt „misereor super turbam“ – ein wenig altmodischer übersetzt „mich erbarmt des Volkes“; etwas freier: „mir geht’s an die Nieren, wie es den Leuten geht.“

Worum es Herrn Frings bei der Gründung von Misereor ging und worum angeblich nicht, hatte er in seiner Rede (Quelle der folgenden Zitate aus der Rede: Abenteuer im Heiligen Geist, Rede von Joseph Kardinal Frings zur Gründung von MISEREOR vor der Vollversammlung der deutschen Bischöfe in Fulda, 19.-21. August 1958 Bearbeitung: Bischöfliches Hilfswerk MISEREOR e.V. Aachen) wie folgt formuliert (Hervorhebung von mir):

  • Bei dem hier zu gründenden Werk geht es nicht um ein Mittel der Mission, sondern um die Teilnahme an der Leibsorge des Herrn.

Mit anderen Worten: Brot statt Bibel. Die Leibsorge beruht übrigens nicht etwa auf dem menschlichen Bedürfnis nach Nahrung oder Gesundheit. Aus christlicher Sicht soll man sich nicht primär um des Menschen willen um den Leib sorgen. Sondern weil ja „auch der Leib dem HERRN gehört!“ (Quelle). …aber bitte nicht übertreiben: „Wartet des Leibes, doch also, daß er nicht geil werde!“ . (Röm 13:14)

Kein Mittel zur Mission?

Wessen erster Gedanke jetzt ist: „Das glaubst du doch im Leben nicht, dass die katholische Kirche eine Möglichkeit zur Missionierung ungenutzt lässt“, der liegt natürlich richtig. Und so überlässt es Herr Frings nur wenige Zeilen später seiner Gottesvorstellung, dass die Fringsche Vereinsgründung ja vielleicht doch auch ein bisschen missionarisch sein könnte:

  • Wenn es Gott gefällt, das Werk auch dahin zu segnen, daß es missionarisch wirkt, so ist die Freude umso größer.

Wieder mit anderen Worten: Sollte sich die eine oder andere Bibel zwischen Lebensmittellieferungen verirren, dann hat es Gott eben gefallen. Oder genauer: Denen, die damit ihr Geld verdienen, dass Menschen an diesen Gott glauben. Denn bei denen ist die Freude dann tatsächlich umso größer, wenn sie bei den Beschenkten gleich auch noch ein paar Neumitglieder aquirieren können.

Interessant finde ich auch diese Aussage von Herrn Frings, die sich ebenfalls in der Misereor-Kick-Off-Rede findet:

  • Es geht nicht darum, den oben erwähnten Gefahren [Hunger und Aussatz, Anm. v. mir] auf politischem und religiösem Gebiete zu begegnen, also auch nicht um eine Aktion, um dem Bolschewismus zuvorzukommen, sondern schlicht um die Betätigung der christlichen Barmherzigkeit. Darum soll geholfen werden ohne Unterschied der Glaubenszugehörigkeit und ohne die Frage nach einem Erfolg.
  • […] Das kirchliche Werk als kirchliches Werk wird also nicht die Dinge der weltlichen Ordnung tun, wie z. B. gerechte Bodenverteilung, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Industrialisierung. Es wird vielmehr zu den Werken der Barmherzigkeit rufen. Es wird sich nicht scheuen, auch an den Heroismus zu appellieren.

Abgesehen davon, dass Hilfe ohne die Frage nach einem Erfolg unsinnig ist: Natürlich geht es der Kirche darum, auch politisch und religiös tätig zu werden.

Die Betätigung der christlichen Barmherzigkeit

Da es sich bei Misereor ja zumindest dem Namen nach um ein bischöfliches Hilfswerk handeln soll, muss es ja auch irgendwas geben, das nichts kostet. Und was liegt da näher, als religiös „tätig“ zu werden? Segnungen und Gebete verursachen praktisch keine Kosten und lassen sich hervorragend als bedeutsamen und wichtigen Beitrag verkaufen.

Und die Hilfe, die tatsächlich Geld kostet, überlässt man großzügigerweise den Gläubigen. Damit die eine Möglichkeit zur Betätigung der christlichen Barmherzigkeit haben.

Die von Frings angedachte Misereor-Arbeitsteilung sieht also zusammengefasst so aus: Das Christenvolk zahlt so viel wie irgend möglich für eine nicht nachhaltige Hilfe, um sein Gewissen zu beruhigen.

Die Bischöfe hingegen kümmern sich um politische Einflussnahme und um Dinge, die kein oder wenig Geld kosten. Wie zum Beispiel die religiöse Überhöhung humanitärer Bemühungen, die ohne diese Überhöhung gar nicht zur vollen Wirkung kommen würden (Hervorhebungen von mir):

…dann sind wir Bischöfe zuständig

  • a) Ich glaube, klar gemacht zu haben, daß es nicht nur um eine vorübergehende caritative Hilfeleistung, nicht einmal nur um eine dauernde Hilfeleistung geht, sondern daß die Chance offen liegt und genutzt werden sollte, diese Hilfeleistung vom Evangelium her mit einer religiösen Erneuerungs- und Bußbewegung zu verbinden. Wenn dem aber so ist, handelt es sich um ein seelsorgliches Bemühen erster Ordnung, und dann sind wir Bischöfe zuständig.
    b) Und wenn es weiterhin darum geht, auch denen, die nicht zum enger en Kreis unserer Getreuen gehören, in die Gewissen zu reden, dann sind wir Bischöfe zuständig.
    c) Es sind, wie wir hörten, im außerkatholischen Bereich viele und erfreuliche Bemühungen humanitärer Art im Gange. Es ist nicht gleichgültig, ob es gelingt, auch diesen vom Evangelium her in echter Weise zu begegnen, ihre Motive zu überhöhen und so erst ihr Tun zur vollen Wirkung zu bringen. Auch diese Aufgabe ist der Bemühung der Bischöfe selbst wert.
    d) Ein von den Bischöfen getragenes Werk gibt auch die beste Sicherheit, daß die Zusammenarbeit mit nichtkatholischen Werken nur „in der Spitze“ erfolgt.
  • Denken wir etwa an Maria, Eucharistie, Buße usw., so gruppieren sich auch gleich viele Geheimnisse um das misereor: schon der Name schafft die rechte Voraussetzung dafür, daß die Bewegung eine religiöse wird.
  • […] bb) Katholisches Werk soll bedeuten, daß es sich um eine klare, aus dem katholischen Glauben und dem Evangelium kommende Sache handelt.

Mittel der Wahl: Kirchenlobbyismus

Auf politischem Gebiet schlägt Herr Frings die Strategie vor, mit der die katholische Kirche bis heute überaus erfolgreich ihre eigenen Interessen durchsetzt: Den Lobbyismus. Freilich nimmt Frings dieses böse Wort nicht in den Mund. Bei ihm klingt das so:

  • Vom Evangelium muß darum denen ins Gewissen geredet werden, die die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse bestimmen.

Übersetzt bedeutet das: Achtet darauf, dass das katholische Lobbynetzwerk weiterhin reibungslos funktioniert, denn:

  • So lange aber politische, wirtschaftliche und soziale Dinge nicht nach dem Willen Gottes geordnet und die Notstände in der Welt nicht behoben sind, haben alle Gläubigen die Werke der Barmherzigkeit reich und überreich zu üben.

Ich übersetze nochmal: Herr Frings ist offenbar der Auffassung, dass die Notstände der Welt deshalb bestünden, weil politische, wirtschaftliche und soziale Dinge nicht nach dem Willen seiner Gottesvorstellung geordnet seien.

Die Jahrhunderte, in denen politische, wirtschaftliche und soziale Dinge nach dem Willen Gottes geordnet waren, sind als das „finstere Mittelalter“ in die Menschheitsgeschichte eingegangen. Sie waren geprägt von Not, Leid, Ausbeutung und Unterdrückung.

Das ist der Knackpunkt, wenn man einen „Willen Gottes“ als Entscheidungsgrundlage ins Spiel bringt: Mit der Bibel lässt sich alles Beliebige göttlich legitimieren – und das genaue Gegenteil.

Zum Zeitpunkt der Rede war es noch keine 20 Jahre her, da hatten nicht wenige Kirchenfunktionäre den damaligen Machthabern des 3. Reichs ins Gewissen geredet, wenn man das so bezeichnen kann. Gerade, aber nicht nur auf bischöflicher Ebene war man überzeugt gewesen, dass politische, wirtschaftliche und soziale Dinge durch die Nazidiktatur jetzt endlich „nach dem Willen Gottes geordnet“ würden.

Handgreifliche Hilfe und Politik

[…] Frings erinnert an die Rentenreform im Jahr zuvor; die habe mehr Menschen wirtschaftlich geholfen als alle katholischen Vereine zusammen genommen. „Eine gesunde Wohnungsbaupolitik,“ sagt Frings, „schafft mehr Wohnungen als aller Appell an die christlichen Gewissen, den einen oder anderen überflüssigen Raum einer Familie zur Verfügung zu stellen.“ Wie aktuell das ist! Und wie realistisch: Frings verlangt handgreifliche Hilfe und Politik. – „Vom Evangelium her muss darum denen ins Gewissen geredet werden“, sagt er, „die die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse bestimmen.“

Wieder eine interessante Aussage. Einerseits gesteht Herr Frings hier ein, dass die Kirche selbst als Moralinstanz wert- weil wirkungslos ist. Und das, obwohl die Kirche damals, verglichen mit heute noch einen ungleich größeren Einfluss auf das Denken der Menschen hatte.

Andererseits geht aus diesen Zeilen hervor, dass man sich kirchlicherseits dafür entschieden hat, seine Interessen durch Einflussnahme auf die Politik durchzusetzen. Denn anders als religiös begründete Aufforderungen gelten politisch begründete Veränderungen tatsächlich für alle. Dabei macht sich die Kirche nicht selbst die Finger schmutzig. Sondern instrumentalisiert die Politik, die tatsächlich einen Einfluss auf die Menschen hat, für ihre Zwecke. Also genau das, was gemeinhin als Lobbyismus bezeichnet wird.

Staatliche Neutralität? Fehlanzeige. Politik sollte auf vernünftigen, evidenzbasierten humanistischen Entscheidungen beruhen und nicht auf religiöser Einflussnahme. Einige Informationen über die politischen Aktivitäten und Absichten von Misereor sind auf dieser Seite von ngo-monitor.org zu finden.

Das Feld dieser Werke ist vorläufig unbegrenzt – außer für die Kirche selbst

Gleichzeitig „…haben alle Gläubigen die Werke der Barmherzigkeit reich und überreich zu üben. Das Feld dieser Werke ist vorläufig unbegrenzt. […]“ „Das Feld dieser Werke ist vorläufig unbegrenzt“ –dieser Satz – 60 Jahre alt – bleibt aktuell.

Wie heuchlerisch diese Aussage aus dem Mund eines Bischofs ist lässt sich leicht daran erkennen, dass sich der Milliardenkonzern katholische Kirche selbst nur in einem vergleichsweise verschwindend geringem Ausmaß tatsächlich mit eigenen Mitteln auf dem „unbegrenzten Feld dieser Werke“ betätigt.

Irgendetwas scheint dieses Feld sehr wohl zu begrenzen. Jedenfalls, sobald die Kirche gefragt wäre, wenigstens einen Bruchteil ihres gut dreistelligen Milliardenvermögens so einzusetzen, wie sie es von ihren Schafen verlangt.

Wie das zum Ende des letzten Jahrtausends in Zahlen aussah, beschrieb Carsten Frerk in seinem 2001 erschienenen Buch „Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland.“

  • Auffallend sind 1998 bei Misereor der hohe Anteil von DM 149 Millionen aus Steuergeldern (Entwicklungshilfe) und der geringe Eigenbeitrag von nur DM 25 Millionen, der aus den Haushaltsmitteln der Diözesen beigesteuert werden.
  • Warum das Hilfswerk, bei 8% aus diözesanen Mitteln, „Bischöfliches Hilfswerk Misereor“ heißt, bleibt unerklärlich, denn 42% bezahlen die einfachen Gläubigen direkt und weitere 48% sind Staatsgelder. Dass dabei das Jahr 1998 kein ‘Ausreißer’ ist, zeigt die Entwicklung der Einnahmen (ohne Zinsen): Erst waren es nur Spenden, dann begannen die Staatsgelder zu fließen, und erst danach gab es auch kirchliche Haushaltsmittel. Bemerkenswert ist dabei, wie sich konfessionelle Hilfswerke (am Beispiel Misereor) mit ‚fremden Federn schmücken‘, d.h. immer stärker mit staatlichen Steuergeldern arbeiten, während der Anteil aus kirchlichen Haushaltsmitteln gleich bleibt.

Rund 50% Steuergelder, 42% direkte Spenden und 8% Bischöfliche Zuschüsse

  • Seit 1990 hat sich anscheinend ein ‚Schlüssel‘ etabliert: rund 50% Steuergelder, 42% direkte Spenden und 8% Bischöfliche Zuschüsse. In dieser Abhängigkeit von Staatsgeldern ist die lobbyistische Kritik des Misereor-Hauptgeschäftsführers zu verstehen: „Wieder schränkt die Bundesregierung den Handlungsspielraum der Entwicklungszusammenarbeit durch massive Etatkürzungen ein. […] Ich fordere deshalb Bundeskanzler Schröder zu einer glaubwürdigen Politik nachhaltiger Zukunftssicherung auf.“
  • Der staatliche Zuschuss für Misereor wurde von 1999 auf 2000 um 3,6% gekürzt. Verschwiegen wurde allerdings in der Kritik an der Bundesregierung, dass der Zuschuss aus kirchlichen Haushaltsmitteln im gleichen Zeitraum um 5,2% gekürzt wurde.
  • Bezeichnend ist auch eine Aufstellung über die Anteile und Herkunft der ausgezahlten Gelder für Projekte. Während 1998 von den Projektbewilligungen 62,4% aus Staatsgeldern finanziert wurden, waren es nur 37,6% aus Spenden und kirchlichen Haushaltsmitteln. Da nicht alle Einnahmen sofort weitergeleitet werden können, werden im Vergleich zwischen Einnahmen und Ausgaben die ‘Fremdmittel’ sofort ausgegeben, während von den Spenden erst einmal ein Anteil ‘auf die hohe Kante’ gelegt wird. (Quelle: Carsten Frerk: Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland. Alibri-Verlag 2001)

Dass das Hilfswerk Misereor keineswegs nicht missionarisch tätig ist, hatte ich oben bereits dargestellt. Umso frag- und kritikwürdiger erscheint deshalb der Umstand, dass sich dieses Werk etwa zur Hälfte aus den Steuergeldern eines Säkularstaates speist, der als solcher natürlich neutral sein sollte.

Was vom katholischen Volk erwartet wird

Darüber, wie und in welchem Umfang das Christenvolk tätig werden soll, gab Frings in seiner Rede ausführlich Auskunft (Hervorhebungen einiger Highlights von mir):

  • 5. Was vom katholischen Volk erwartet wird
  • a) Eine große Sparaktion, die das ganze Jahr begleitet. Wenn es auch phantastisch klingt: das Sonder-Sparbuch und die Sonder-Sparbüchse im einzelnen Hause. Bei jedem sich bietenden Anlaß einer vernünftig zumutbaren Einschränkung: die Spende misereor! Wie die alten Heiden den Göttern von jedem Glas Wein etwas opferten. Kinder und Jugend und Erwachsene, Einzelne und Familien, vorübergehende Zusammenkünfte und ständige Gemeinschaften: Alle wissen um die Verpflichtung gegenüber der Not Christi. Das Sparen der Barmherzigkeit soll die stete Gegenwärtigkeit des Evangeliums bei allem Tun bedeuten.
  • b) Das Fastenopfer: hier geht es um die Aufgreifung der bereits zahlreichen Initiativen, erstmalig zur Fastenzeit 1959.
  • Zu a) und b) Der Ertrag kann von den Gläubigen an bestimmte Sammelstellen geschickt werden oder bestimmten Opferkästen anvertraut werden, die in jeder Kirche aufgestellt sind. Er könnte auch in feierlicher Weise, etwa in der Osterwoche und dann noch einmal etwa zum Feste der heiligen Elisabeth eingesammelt werden, je nachdem in einer mit der Liturgie locker oder fester verbundenen Form. Es wird weniges und viel gespart. Es soll den Gläubigen zum Bewußtsein gebracht werden, daß der, der Anrecht und Geld auf bzw. für vier Wochen Ferien hat, sich mit dreien begnügen möge, wenn ihn nicht Krankheit behindern sollte; und das Ersparte gehört der Not Christi. Wer den Volkswagen fuhr und sich jetzt den Mercedes erlauben kann, bleibe beim Volkswagen; und die 3000 oder 4000 DM gehören der Not Christi. Usw. Bei dieser Art des Sparens bedarf es nicht des Vereinsgebetes; es wird ja das ständige Sparen im Gedanken an den Herrn und unter Gebrauch seiner Worte misereor super turbam vollzogen.

Katholiken mögen beim beim Volkswagen bleiben, statt sich einen Mercedes zu leisten – und die Differenz an Misereor spenden

  • c) Die gelegentliche Kollekte: sie muß für diejenigen sein, die weder gespart noch gefastet haben. Sie könnte mit einer Einsammlung der Sparergebnisse verbunden werden.
  • d) Beziehungen von Mensch zu Mensch: auch diese könnten auf die Dauer hergestellt werden, wenn auch nicht so leicht wie bei den Patenschaften der Seminaristen in den Missionsländern. Aber es werden sich Möglichkeiten der Betreuung Einzelner und einzelner Familien „drüben“ durch einzelne Gläubige hier ergeben; oder von Paketaktionen, wie sie zwischen hier und der Ostzone laufen; zwischen einzelnen Einrichtungen „drüben“ und einzelnen Pfarrgemeinden hier usw. Selbst Besuche sind ja heute nicht mehr ganz unmöglich geworden.
  • e) Es gibt Gläubige, die imstande sind, aus ihrem eigenen Vermögen oder Einkommen Einrichtungen der Barmherzigkeit in den Ländern der sogenannten sich entwickelnden Völker zu begründen oder zu unterhalten. Ihnen werde zugerufen: „Gott will es!“ Aber auch das: “ Wehe den Reichen!“. Vielleicht darf so mancher Reiche seine Seele retten. Die Bücher in den Geschäftsbetrieben trugen noch um die Jahrhundertwende auf der ersten Seite den Vermerk: „Mit Gott!“. Im späteren Mittelalter und in der frühen Neuzeit aber figurierte in den Geschäftsbüchern der großen katholischen Häuser „der stille Teilhaber“, und der war Gott. Ein Teil der Einnahmen gehörte ihm ohne weiteres und wurde entsprechend vorweg eingeplant. So entstand z. B. die Fugger Siedlung in Augsburg. (Die kostenlos untergebrachten alten Leuten waren aber zu bestimmten längeren Gebetsübungen für die Spender verpflichtet. Auf diese Weise wurde ihnen das Empfinden genommen, daß sie einseitig Beschenkte seien.) Warum sollen unsere großen katholischen Betriebe nicht wieder das Konto des stillen Teilhabers errichten?
  • f) Das Wachhalten des eigenen, aber auch der fremden Gewissen. Der Einsatz in der Öffentlichkeit, besonders für den, der in einer Schlüsselstellung steht; zumal, wenn ihn der Beruf ins Ausland führen sollte.

Wehe den Reichen! …ausgenommen die katholische Kirche

„Gott will es!“ – „Wehe den Reichen!“ scheint für den Kirchenkonzern selbst nicht zu gelten. Und was Gott nicht schon alles wollte… Das Argument, man solle irgendetwas tun, weil ein Gott es wolle, erscheint geradezu wie eine Verhöhnung derer, die der Hilfe bedürfen.

Deshalb unterstützt Misereor im Südsudan den Aufbau von Schulen. Denn der Bürgerkrieg hat eine Generation von Analphabeten hinterlassen. Auf den Philippinen forsten Fischer mit Hilfe von Misereor Mangrovenwälder wieder auf; das hilft ihnen gegen die Bedrohung durch Überschwemmungen und Klimawandel.. Und am Amazonas wehren sich Ureinwohner mit Hilfe von Misereor gegen Riesenstaudammprojekte, die ihren Lebensraum bedrohen. Nur drei Beispiele von Hilfe zur Selbsthilfe.

Offenbar scheint man auch bei Misereor erkannt zu haben, dass zum Beispiel Reislieferungen an Bedürftige als „Werk christlicher Barmherzigkeit“ in erster Linie dem Spender das wohlige Gefühl verschaffen, etwas für sein eigenes „Seelenheil“ getan zu haben. Ganz im Sinne von Mutter Teresa, die als „Todesengel von Kalkutta“ ihre rechte Freude hatte, wenn Menschen dem von ihr verehrten Gottessohnes gleich litten.

Wenn nicht wir, wer dann?

Mir gefällt, dass die Gründungs-Rede für Misereor genau das sagt, statt anmaßend zu behaupten: lasst uns nur machen, dann schaffen wir das Paradies. Ganz im Gegenteil: Wir brauchen auch 2018 dringend Menschen, die sich berühren lassen. Das ist das Wichtige. So wie Jesus nicht einfach mal mit einem Wunder allen Hunger ausgerottet hat, sondern sich hat berühren lassen von denen, die ihm da hungernd begegnet sind.

Die Kirche käme ja auch in arge Nöte, wenn sie erklären müsste, warum sie es nicht schafft oder zumindest versucht, das „Paradies“ auf Erden zu schaffen. Obwohl sie ja behauptet, den allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gott auf ihrer Seite zu haben. Statt wenigstens mal einen nennenswerten Bruchteil des Milliardenvermögens für eine nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation von Menschen aufzuwenden, lässt man sich lieber berühren. Das kostet erstmal nichts und klingt gut.

Das Argument, dass Jesus ja auch nicht einfach mal  „mit einem Wunder allen Hunger ausgerottet“ habe, unterschlägt den Umstand, dass Jesus, anders als der Rest der Menschheit, ja durchaus die Möglichkeiten gehabt haben soll, so etwas zu bewerkstelligen. Wer sich als zweites Drittel des allmächtigen, allwissenden und allgütigen Gottes von Leid nur berühren lässt und es ansonsten bei ein paar vermehrten Broten und Fischen belässt, der hat keine Entschuldigung.

Nicht die menschliche, sondern die Not Christi hatte Herrn Frings gedrängt

Im Abschlusssatz seiner Rede stellte Herr Frings nochmal klar, was ihn zu seiner Vereinsgründung bewegt hatte:

  • Ich bin mir bewußt, etwas vorgeschlagen zu haben, das eine Last bedeuten wird. Mögen Sie meinen Vorschlag annehmen oder ablehnen: eines wollen Sie mir bitte glauben, daß mich die Not Christi gedrängt hat.

Nicht etwa die Not der notleidenden Menschen hatte ihn gedrängt. Oder gar ein schlechtes Gewissen in Anbetracht des damals schon überaus umfangreichen Vermögens seiner Kirche. Sondern die Not Christi.

Fazit

Trotz der Behauptung von Herrn Frings, dass es sich bei Misereor nicht um ein missionarisches Projekt handeln solle und dass man nicht politisch und religiös eingreifen wolle, war genau das die erklärte Absicht.

Frings setzte dabei auf eine „Arbeitsteilung:“ Das katholische Fußvolk sollte soviel wie möglich sparen und spenden, was dann von der Kirche für höchst fragwürdige Hilfsprojekte („ohne die Frage nach einem Erfolg“) verwendet werden sollte. Während sich die Bischöfe der kirchlichen Einflussnahme auf die Politik widmeten.

Im Vordergrund stand bei Frings ganz offensichtlich nicht die nachhaltige Verbesserung der Lebenssituation von Menschen. Sondern die Profilierung der Kirche als Hilfsorganisation auf Kosten ihrer Mitglieder und der Allgemeinheit. Sowie die Möglichkeit für Katholiken, ihr wegen ihres Wohlstandes schlechtes Gewissen durch „Werke christlicher Barmherzigkeit“ zu erleichtern.

Heute gibt es viele Möglichkeiten, zur Verbesserung der Lebenssituation von Menschen beizutragen, ohne dabei einen Milliardenkonzern wie die katholische Kirche mitzuunterstützen. Der sich selbst bei der Beteiligung an der Hilfe (wenig) vornehm zurückhält.

Anders als zum Beispiel fast 100 US-Amerikanische Milliardäre. Die ihr halbes Vermögen der Philantropie spenden. (Quelle: welt.de, Hintergründe: https://givingpledge.org/)

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
** Die Zitate aus der Misereor-Gründungsrede von Herrn Frings stammen aus dieser PDF-Datei auf misereor.de

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