(K)Ein Gespräch möglich – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 7 Min.

(K)Ein Gespräch möglich – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 5.9.2020 von ARD/daserste.de

Darum geht es

In einem theologisch-rhetorischen Eiertanz stellt Herr Dr. Beck fest, dass bei Konflikten ein klärendes Gespräch sinnvoll sein kann. Und wenn das, zum Beispiel mangels Gesprächsbereitschaft oder mangels eines gewissen Grund-Konsens nicht möglich ist, dann kann es auch mal erforderlich sein, ein Gespräch zu beenden.

Jesus und Judas: Don’t talk, just kiss

Weil ein religiöser Bezug im „Wort zum Sonntag“ natürlich nicht fehlen darf, bringt Herr Dr. Beck zunächst die biblische Judas-Legende ins Spiel. Allerdings weist er selbst darauf hin, dass diese Geschichte nicht wirklich als Beispiel für kommunikative Konfliktbewältigung geeignet ist.

Dass die anonymen Bibelschreiber nichts von klärenden Gesprächen zwischen Jesus und Judas berichten, kann kaum erstaunen: Ohne Judas kein Verrat, ohne Verrat keine Kreuzigung, ohne Kreuzigung kein Menschenopfer zur Versöhnung Gottes mit seiner fehlerhaften Schöpfung, ohne Opfer keine Erlösung und ohne Erlösungsversprechen müsste das Christentum (intellektuell) Konkurs anmelden.

Neben der mythologischen, faktisch irrelevanten Dimension war bzw. ist die biblische Judas-Legende allerdings gleichzeitig auch Grundstein des christlichen Antijudaismus bzw. Judenhasses, der auch heute noch in gewissen christlichen Abteilungen mehr oder weniger subtil anzutreffen ist bzw. zur biblisch-christlichen „Legitimierung“ entsprechender Sichtweisen herangezogen werden kann.

Am Schluss haben alle recht?

Da er in der Bibel offenbar kein besser geeignetes Beispiel für eine gelungene verbale Konfliktlösung gefunden hat, bemüht Herr Dr. Beck noch Ignatius von Loyola:

[…] Klar, dass am Ende alle einander zustimmen, ist immer eine Illusion. Aber es entspricht doch dem eigenen Verständnis davon, wie Christinnen und Christen mit Konflikten umgehen sollten. Oder? Es ist echt ein hoher Anspruch, immer wieder das Gespräch zu suchen. Ignatius von Loyola hat das im 16. Jahrhundert zum Programm gemacht. Er beschreibt, dass es im Miteinander von Menschen gerade dann, wenn sie sich nicht verstehen, darum gehen müsse, die Aussagen des Gegenübers immer wieder „zu retten“.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: (K)Ein Gespräch möglich – Wort zum Sonntag, verkündigt von Dr. Wolfgang Beck (kath.), veröffentlicht am 5.9.2020 von ARD/daserste.de)

Es entspricht dem eigenen Verständnis von Christinnen und Christen, dass bei Konflikten am Ende alle einander zustimmen? Herr Dr. Beck scheint da auch seine Zweifel zu haben.

In der Epoche, in der die Kirche noch die Macht dazu hatte, sorgte sie mit sehr wirkungsvollen und überzeugenden Mitteln dafür, dass nicht alle einander, sondern alle ihrer Lehre zustimmten, wenn sie mit Liebe nicht weiterkam.

Darum war es auch dem (verhinderten) Missionar Ignatius von Loyola gegangen. Ihm ging es nicht darum, durch einen sachlichen Austausch von Argumenten zur Wahrheit zu finden.

…alle passenden Mittel…

Mit seinem Aufruf, immer wieder das Gespräch zu suchen, wollte er seine Ordensbrüder dazu bringen, hartnäckig zu bleiben. Und so lange nicht aufzugeben, bis der zu Bekehrende vom „rechten Glauben“ überzeugt ist.

Falls das mit Liebe nicht klappt, sollte man eben keinen Schlussstrich ziehen und die Diskussion abbrechen. Sondern „alle passenden Mittel“ anwenden:

Damit sowohl der, der die geistlichen Übungen gibt, wie der, der sie empfängt, einander jeweils mehr helfen und fördern, haben sie vorauszusetzen, daß jeder gute Christ mehr bereit sein muß, eine Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verdammen. Vermag er sie aber nicht zu retten, so forsche er nach, wie jener sie versteht, und wenn er sie übel versteht, so verbessere er ihn mit Liebe, genügt dies aber nicht, so suche er alle passenden Mittel, daß jener, sie richtig verstehend, sich rette.
(Quelle: gottliebtuns.com – Ignatius Von Loyola-Exerzitien)

Welche Mittel die katholische Kirche im Mittelalter für geeignet hielt, um Menschen dabei zu helfen, sich vor ihren falschen Ansichten selbst zu retten, kann man unter dem Stichwort „Inquisition“ nachlesen.

Du hast Recht – und ich meine Ruhe…

Dass am Ende einer kontroversen Diskussion alle einander zustimmen, ist natürlich illusorisch, kann aber doch auch nicht das Ziel einer kontroversen Diskussion sein?

Zumindest nicht generell: Angenommen, A stellt eine Behauptung auf, die nachweislich falsch ist. Den Argumenten, die A als Beleg für seine Behauptung bringt, entgegnet B mit besseren Argumenten.

Jetzt kann es doch nicht das Ziel sein, dass B am Ende trotzdem der Behauptung von A zustimmt, die er gerade mit besseren Argumenten als falsch entlarvt hat? Ginge es nach Ignaz von Loyola, hätte B die offensichtlich falsche Behauptung von A „retten“ müssen, um so einen Schein-Konsens herzustellen?

Eine solche Vorgehensweise ist mir in Diskussionen mit Christen tatsächlich schon öfter begegnet, sinngemäß: „Du hast eben deine Wahrheit, und ich habe meine.“

Zumindest was Existenzaussagen betrifft, kann eine Anerkennung mehrerer Wahrheiten nicht das Ziel einer Diskussion sein. Hier kann man bestenfalls versuchen zu verstehen, warum jemand – womöglich sogar wissentlich auch wider besseres Wissen – an seinem Irrtum fest hält.

Anders sieht es aus, wenn es zum Beispiel um Geschmacksfragen geht: Wenn jemand sagt, dass Gelb seine Lieblingsfarbe ist, dann kann ich dem natürlich zustimmen. Selbst dann, wenn meine Lieblingsfarbe nicht Gelb ist.

A propos Ignatius von Loyola: Au weia…

Ob ausgerechnet Ignaz von Loyola generell als Ratgeber für gelingende zwischenmenschliche Kommunikation (oder für sonst irgendwas) geeignet ist, wage ich stark zu bezweifeln.

Wie den Ignatius-von-Loyola-Exerzitien zu entnehmen ist, scheint es sich um einen masochistischen Wirrkopf gehandelt zu haben, dem offenbar jeder Realitätssinn verlustig gegangen war:

  • Erwägen, wer ich bin, indem ich mich mit Hilfe von Vergleichen immer geringer mache. Erstens: was ich schon bin im Vergleich zur Gesamtheit der Menschen. Zweitens: was für eine Bedeutung die Menschen schon haben verglichen mit den Engeln und den Heiligen des Paradieses. Drittens: erwägen, was für eine Bedeutung die ganze Schöpfung schon hat verglichen mit Gott. Was kann ich allein dann noch sein? Viertens: meine ganze Zersetzung und Fäulnis dem Leib nach betrachten. Fünftens: mich ansehen als eine eiternde Wunde und ein Geschwür, aus dem so viele Sünden und Bosheiten entquollen sind und ein so überaus schandbares Gift.
    (Quelle: gottliebtuns.com – Ignatius Von Loyola-Exerzitien)

Wem das noch nicht reicht um nachzuvollziehen, wie ich zu meiner Einschätzung des heiligen Ignaz komme, der möge sich gerne den restlichen Text dieser Exerzitien zu Gemüte führen.

Nichts mehr zu retten

Dann geht es wirklich darum, Kraft und Zeit zu investieren, weil ich ja vielleicht den anderen nicht oder nicht richtig verstanden habe. Das ist ein enormer Anspruch. Das ist richtig anstrengend, wenn da jemand wirklich so ganz anders tickt als ich. Und bei aller Kraftanstrengung ist es bitter zu erleben, dass es manchmal eben doch nicht funktioniert. Die Meinungen sind so verschieden, die Konflikte so groß, dass es nur noch möglich ist, eine klare Grenze zu ziehen.

Also doch nicht, wie von Ignatius empfohlen, die Aussagen des Gegenübers immer wieder „retten“? Zur Not „mit allen passenden Mitteln“? Offenbar nicht.

Um jetzt aber doch noch irgendwas Christliches unterzubringen, macht Herr Dr. Beck die Not zur Tugend. Und deutet die fehlende biblische (und natürlich auch außerbiblisch fehlende) Überliefung eines klärenden Gespräches zwischen Jesus und Judas passend zu seinem Standpunkt um:

Auch wenn was in der Bibel fehlt, kann es trotzdem tröstlich sein

Jesus und Judas haben sich eher ausgehalten als ausgesprochen. Da wird von keinem Gespräch berichtet.Ich finde das verstörend, weil ich mir manchmal auch ein von Harmonie geprägtes Bild von Jesus mache. Es ist zugleich aber auch ein bisschen tröstlich, weil es zeigt: Es gibt Grenzen des Gesprächs! Wenn sich auf der anderen Seite nicht auch ein wenig Bereitschaft dazu findet, funktioniert es nicht.

Natürlich könnte man das so interpretieren, wenn es einem ins Konzept passt. Da es sich bei den biblischen Schilderungen nicht um belegbare Tatsachen, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach um später eingefügte, von Menschen erdachte Legenden handelt, hat man hier besonders viel Spielraum.

Der Theologe Wolfgang Treitler etwa bastelt sich aus der göttlich geoffenbarten „Heiligen Schrift“ ein ganz anderes Bild von Judas:

  • Für den Theologen [Wolfgang Treitler, Anm. v. mir]ist Judas also nicht der böse Verräter, sondern einer, der Jesus besonders nahe war und der ihn vor allem als Messias unmittelbar erleben wollte – und nicht als Gescheiterten. Insgesamt will Treitler zu einem neuen Blick auf die biblische Figur des Judas ermutigen. Man könne von Judas durchaus etwas lernen, so Treitler, denn in seiner Hartnäckigkeit, an Jesus als Messias festzuhalten, könne er als Vorbild christlichen Glaubens stehen. (Quelle: religion.orf.at – Wolfgang Treitler: Judas: Ein Verräter, der keiner war)

Das ist das Praktische an Mythen und Legenden: Sie lassen sich quasi beliebig umdeuten, ohne dass sich faktisch etwas ändert.

Humanistische, christliche und demokratische Ideale

Wir erleben in diesen Wochen an verschiedenen Stellen, dass Menschen zum Ausdruck bringen: Wir möchten nicht sprechen. Wir möchten nicht gemeinsam nach Erkenntnis und Einsicht suchen. Wir wollen uns nicht mal verunsichern lassen, weil wir uns lieber in der eigenen Meinung verbarrikadieren. Das ist schwer auszuhalten, weil es humanistischen, christlichen und demokratischen Idealen zuwiderläuft.

Welche christlichen Ideale sollen das denn sein?

Ist es nicht gerade die Religion, die Menschen dazu verleitet, Dinge zu glauben, die bei Licht betrachtet nicht wahr, geschweige denn glaubwürdig sind?

Das bedeutet freilich nicht, dass nicht auch Christen nach Erkenntnis und Einsicht suchen.

Aber seitens der Religion ist es eben nicht das kritische, ergebnisoffene Denken, das als fromme Tugend gilt. Sondern das Festhalten an der angeblich einzigen, übergeordnetenWahrheit. Weil diese Wahrheit nicht mit der irdischen Wirklichkeit übereinstimmt, wurde sie sicherheitshalber in Glaubensdogmen zementiert.

Nicht Stark im Zweifel lautet die Devise. Sondern stark im Glauben. Welche christlichen Ideale sollen hier also gemeint sein?

Wann hatten Sie Ihre letzte allgemeine Verunsicherung?

Ich selbst nehme es als Anlass für die kritische Gewissensfrage danach, wann ich mich eigentlich aufgrund der Argumente anderer habe verunsichern lassen und meine Meinung korrigiert habe. Das kommt vermutlich auch nicht häufig genug vor.

Zumindest nicht dann, wenn es um die Glaubensgewissheiten und deren Grundlagen geht. Kritisch und rational darf Glaube nur bis zu dem Punkt sein, an dem er sich in Luft auflösen würde, wenn man nicht doch wieder auf die intellektuell unredliche Methode des Glaubens zurückgreifen würde.

Herr Dr. Beck, wenn Sie sich sicher sind, dass Sie mit Ihrer Meinung richtig liegen und Ihre Argumente dafür Ihnen plausibler und stärker erscheinen als die Argumente Anderer, warum sollten Sie dann Ihre Meinung korrigieren?

Und es zeigt: Das Gespräch ist ein anspruchsvolles zwischenmenschliches Unterfangen, es ist ein spiritueller Anspruch und es ist ein demokratisches Gut, das manchmal auch durch eine Grenzsetzung, ein klares „Nein, so nicht!“ und „Jetzt reicht’s“ geschützt werden muss.

Was konkret meinen Sie mit „spiritueller Anspruch“, Herr Dr. Beck? Ist das Ihr Hintertürchen, durch das Sie versuchen, Ihre Religion doch noch als irgendwie relevant hineinschmuggeln?

Fazit

  • Einerseits empfiehlt Herr Dr. Beck, sich durch Argumente anderer verunsichern zu lassen und die eigene Meinung zu korrigieren (ohne zu verraten, warum man das tun sollte).
  • Falls die Gegenseite jedoch nicht gesprächsbereit ist oder Antisemitismus auslebt, dann muss man das demokratische Gut des Gespräches durch eine Beendigung desselben schützen.
  • Weder das genannte biblische Beispiel von Jesus und Judas (ausgerechnet Judas, dessen biblische Legende dem Antisemitismus eine biblische Legitimation liefert), noch die Erwähnung des Ignaz von Loyola erscheinen geeignet, um die Aussage von Dr. Beck zu stützen – im Gegenteil.

Einmal mehr halte ich ausgerechnet den religiösen Beitrag in dieser Verkündigung nicht nur für entbehrlich, sondern diesmal sogar für besonders widersprüchlich in Bezug auf die eigentliche Aussage.

Anmerkung

Herr Dr. Beck hatte tatsächlich schon mal auf einen meiner Kommentare zu einer seiner „Wort zum Sonntag“-Verkündigungen recht ausführlich geantwortet. Allerdings zeigte diese Antwort, dass Gläubigen mitunter die Bereitschaft fehlt, gewisse Fragen ehrlich zu stellen und zu beantworten.

Dr. Andreas Edmüller nennt dies die Kompartmentalisierung des Denkens. Ohne diese Strategie kämen Selbstbild, Weltbild und Lebensentwurf massiv unter Druck, bis hin zu existentiellen Krise.

Um trotzdem ergiebige Gespräche mit Gläubigen über ihren Glauben zu führen, ist die Gesprächstechnik der Street Epistemology geeignet. Zum Erlernen gibts die App ATHEOS.

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2 Gedanken zu „(K)Ein Gespräch möglich – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Tja, der (Berufs-)Christ geht nunmal davon aus, dass sein Standpunkt/Glaube der einzig richtige ist und sieht sich dadurch ermächtigt, den Standpunkt/die Meinung anderer korrigieren zu dürfen, ohne dabei Zweifel an der eigenen aufkommen zu lassen.

    Blos übersieht er dabei stets, das sein Standpunkt/Glauben lediglich auf frühkindlicher Indoktrination beruht, welche gedankenlos akzeptiert wird!

    Somit wird jegliche Form rationaler Konversation meist bereits im Keim erstickt!!!

    Antworten
  2. Wir sollten mal ganz klar sehen, auf was diese Weltanschauung und Stammpunkte (der komplette Glaube) basieren! Außer der Bibel und irgentwelchen eingebildeten Bauchgefühle, bleibt da nicht viel übrig!

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