Unerschütterlich – Das Wort zum Wort zum Sonntag zu Alfred Delp

Lesezeit: ~ 5 Min.

Unerschütterlich – Das Wort zum Wort zum Sonntag zu Alfred Delp, verkündigt von Pfarrer Benedikt Welter, veröffentlicht am 19.12.2020 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Pfarrer Welter berichtet heute von seinem Vorbild Alfred Delp, der von den Nazis ermordet worden war, weil er nicht bereit war, sich vom Jesuiten-Orden loszusagen. Wie sinnvoll ist eine damit verbundene Empfehlung, auf ein imaginäres Wesen zu vertrauen und für diese Überzeugung auch den eigenen Tod in Kauf zu nehmen?

Die Einstellung von Delp bringt Herr Welter mit einem Zitat zum Ausdruck:

„Man muss ganz ruhig liegen, sonst reißen die Dornen des Gestrüpps, in das man gefallen ist, nur neue Wunden. Ganz ruhig liegen und seine Ohnmacht wissen und die heilende Hand Gottes suchen.“ (gesammelte Schriften IV, 292)
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Unerschütterlich – Das Wort zum Wort zum Sonntag zu Alfred Delp, verkündigt von Pfarrer Benedikt Welter, veröffentlicht am 19.12.2020 von ARD/daserste.de)

Diese Zeilen erinnern an den noch bekannteren Dietrich Bonhoeffer. Der sich ja ebenfalls in der gleichen Situation „von guten Mächten wunderbar geborgen“ gefühlt hatte.

Beiden dürfte bewusst gewesen sein, dass ihr Gott seine „heilende Hand“ nicht über sie halten und sie vor der Ermordung bewahren würde. Dabei hätten beide die Möglichkeit gehabt, dem sicheren Tod zu entgehen. Und trotzdem hatten sie sich bewusst für den (in beiden Fällen vermeidbaren) Märtyrer-Tod und gegen ihr Überleben entschieden.

Selbstbestimmtes Sterben

Pater Alfred Delp ist Jesuit. Sein letztes Ordensgelübde hat er Anfang Dezember 1944 abgelegt, im Gefängnis. Die Gestapo hatte angeboten, ihn freizulassen, wenn er sich vom Jesuiten-Orden lossagen würde. Kein Deal für ihn. Er bleibt auf seinem Weg – auch wenn der in den Tod führt.

Anders als aus christlicher Sicht, nach der Menschen nicht über ihr eigenes Lebensende entscheiden dürfen, sei es aus humanistischer Sicht natürlich jedem selbst überlassen, ob jemand für seine Überzeugung den eigenen Tod in Kauf nimmt.

Aber wem war damit gedient, dass Bonhoeffer nicht rechtzeitig vor den Nationalsozialisten ins Ausland geflüchtet war? Und dass Delp nicht aus dem Orden ausgetreten war, wenn das die einzige Chance gewesen wäre, die Inhaftierung zu überleben?

Die Jesuiten hätten ihn garantiert jederzeit sofort wieder an einem sicheren Ort in ihren Reihen aufgenommen.

Und wenn der liebe Gott irgendetwas Menschliches in sich haben sollte, dann hätte er sicher auch nichts einzuwenden gehabt, wenn seine Verkünder zunächst ihr Überleben gesichert hätten. Statt sich seinetwegen ermorden zu lassen.

Wer weiß, was allein diese beiden Männer noch hätten bewegen und verändern können, wenn sie noch ein paar Jahrzehnte länger gelebt hätten?

Die gleiche Frage stellt sich übrigens auch im Fall des biblischen Jesus. Und führt zu der Frage, inwieweit es sinnvoll oder gar erstrebenswert sein kann, für eine Idee zu sterben.

Mit Gott sterben

Für Pfarrer Welter klingen die letzten Aufzeichnungen des Pfarrers Alfred Delp in der Todeszelle auch in Coronazeiten tröstlich:

[…] Sie helfen mir, mit meinem christlichen Glauben dieser Pandemie begegnen zu können. Mit diesem Glauben an den „Herrgott“, wie Delp IHN gerne nennt. Mit Gott – nicht ohne ihn; nicht gegen ihn.

Was ist dieser Glaube anderes als eine Kapitulation vor der Wirklichkeit? So ungerecht, grausam und aussichtslos diese auch sein mag? Mit Gott – nicht ohne ihn; nicht gegen ihn – aber eben tot.

„Es ist kein Grund zu Verzagen … und Betrübnis, sondern Zeit der Zuversicht und des unermüdlichen Rufens.“ Das schreibt der Pater am Vierten Advent 1944. Und: „Wir müssen uns mit Gott gegen unsere Not verbünden.“

Das kann man natürlich tun, wenn es einem tröstlich oder sinnvoll erscheint. Und wenn es einem egal ist, dass dieses Bündnis faktisch nichts an der eigenen Not ändert.

Bestenfalls hoffnungsvolle Illusion

Auch wenn ich persönlich eine solche Zuversicht für eine Selbsttäuschung halte, maße ich mir nicht an, darüber zu urteilen, wie andere Menschen das empfinden.

Allerdings frage ich mich schon, inwieweit es sinnvoll oder mitmenschlich ist, andere Menschen dazu zu animieren, in Krisensituationen ebenfalls auf einen Gott zu vertrauen, der sich, wie alle anderen Götter auch, aus dem irdischen Geschehen komplett heraushält. Und zu dessen allmächtigem Heilsplan es zu gehören scheint, dass sich immermal Menschen für ihn bzw. seinetwegen umbringen lassen.

Wir beten doch, meint er: „Dein Erbarmen komme über uns, in dem Maß wir auf dich hoffen. Da ist das Maß gesetzt, an das Gott sich bindet. Seine Nähe ist so dicht, wie unsere Sehnsucht echt; sein Erbarmen so groß, wie unser Ruf nach ihm ernst.“ Wie gesagt: Das schreibt Delp mit gefesselten Händen, den Tod vor Augen, am Vierten Advent. Und: Gottes „Befreiung (ist) so nah und wirksam, wie unser Glaube an ihn und sein Kommen unerschüttert und unerschütterlich. Das gilt!“

Das gilt allerdings eben auch dann, wenn die Sache tödlich endet.

Wie du mir, so ich dir?

Wie kann ein Gott als allgnädig bezeichnet werden, wenn er sein Erbarmen (was auch immer konkret damit gemeint sein soll) davon abhängig macht, wie stark jemand auf ihn hofft?

Dass sich zwischen Glaube und Schicksal keine Korrelation feststellen lässt, lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder, Hoffen auf Gott bedeutet nicht, darauf zu hoffen, aus einer ausweglos erscheinenden Situation mit Gottes Hilfe entkommen zu können. Oder aber: Dieser Gott tut deshalb nichts, weil er nur eine rein menschliche Einbildung und Wunschvorstellung ist.

Menschen überstehen mitunter auch dann, manchmal gar auf „wundersame Weise“, scheinbar ausweglose Situationen, wenn sie an andere oder keine Götter glauben und auf sie hoffen. Umgekehrt ereilt auch tief gläubige Menschen mitunter ein qualvolles oder tödliches Schicksal. Selbst dann, wenn sie ganz fest auf Hilfe ihres jeweiligen Gottes gehofft und diesen aufrichtig darum gebeten hatten.

Wenn sich ein Gläubiger nicht von seinem Gott erhofft, dass dieser seiner Bitte um Linderung seines realen, irdischen Leides nachkommt, dann kann seine Hoffnung ja nur darin bestehen, dass sein Leid oder sein Tod irgendeinen tieferen Sinn haben möge. Der sich zwar nicht ihm, dafür aber hoffentlich seinem Gott erschließt. Ein Mensch, der so denkt, hat sich damit aufgegeben.

Bindung auf Verlangen

Wow. Das ist heftig. Weil es mich direkt und ganz persönlich anspricht. Gott ist mir so nah, wie ich eine Sehnsucht nach ihm in mir trage. Gott bindet sich daran, wie sehr ich innerlich nach ihm verlange.

Das Perfide an dieser Logik: Wenn die Dinge nicht so laufen wie vom Gläubigen erbeten, dann hat es natürlich nicht an Gott gelegen. Sondern an der mangelnden Gottessehnsucht des Gläubigen. Und der untätige Gott ist fein raus. Dieses grundlegende religiöse Konstrukt sichert Berufsgläubigen ihr Einkommen und ihre Machtstellung, seit es Religionen gibt.

Darauf bereiten Christinnen und Christen sich vor, wenn es Weihnachten wird. Gott bindet sich an mich und an jeden Menschen.

Nicht Gott bindet sich an jeden Menschen. Sondern gläubige Menschen binden ihre Gottesvorstellung an sich. Genauer: Sie trainieren ihren chronischen religiösen Bestätigungsfehler. Der darin besteht, ihren Gott in einen ursächlichen Zusammenhang mit der irdischen Wirklichkeit zu bringen.

Einladung zum Märtyrertod?

Alfred Delp hat seine Zeit im Gefängnis als „Wüste“ erlebt und seinen „Advent“ genannt. Seine Hoffnung hat er festgehalten und sie über den Tod hinaus an uns weitergegeben. Er sagt: „Das allgemeine Schicksal, meine persönliche Lage, die Botschaft des Festes: (das) alles sammelt sich (in dieser Einladung): Mensch, lass dich los zu deinem Gott hin – und du wirst dich selbst wieder haben.“

Ich ergänze:

  • „Sei dir dabei bewusst, dass die Sache trotz deiner Hoffnung auch tödlich für dich enden kann. Dann hast nicht du selbst dich wieder, sondern die Erde hat dich zurück. Die einzig wirkliche und endgültige Erlösung von allem Leid bringt nicht Gott, sondern der Tod.“

Nimmt man Pfarrer Welter, der die Vorstellungen von Pfarrer Alfred Delp ja auch bezogen auf die Corona-Situation für passend hält beim Wort, dann ist diese Einladung wohl auch als Einladung zu verstehen, voller Gottvertrauen und vermeintlicher göttlicher Bindung für die eigenen Glaubensgewissheiten zu sterben.

Und inwiefern das eine sinnvolle, menschliche oder ethisch wertvolle Empfehlung sein soll, erschließt sich mir nicht.

Einmal mehr sei an das diesbezügliche Zitat von Michael Schmidt-Salomon erinnert, das für alle falschen Ideen gilt:

  • Wir müssen falsche Ideen sterben lassen, bevor Menschen für falsche Ideen sterben.
    (Michael Schmidt-Salomon (* 1967), freischaffender Philosoph & Autor – Quelle: „Menschen bei Maischberger,“ ARD)
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3 Gedanken zu „Unerschütterlich – Das Wort zum Wort zum Sonntag zu Alfred Delp“

  1. >>Allerdings frage ich mich schon, inwieweit es sinnvoll oder mitmenschlich ist, andere Menschen dazu zu animieren, in Krisensituationen ebenfalls auf einen Gott zu vertrauen, der sich, wie alle anderen Götter auch, aus dem irdischen Geschehen komplett heraushält. Und zu dessen allmächtigem Heilsplan es zu gehören scheint, dass sich immermal Menschen für ihn bzw. seinetwegen umbringen lassen.<<

    Das ist eben genau der Punkt!
    Zudem, kann jemand der an einem übersinnlichen, überirdischen Wesen glaubt, nur vermuten was es von mir will, oder wie ich mich verhalten soll.
    Wo ist der unbestrittenen, nicht-menschengemachte Beleg für Gottes Handeln? Oder, dass er einen Gebetswunsch konkret umgesetzt hat?
    Und Gottvertrauen, veleitet schnell zu Leichtsinn, schlimmstenfalls sogar zur Untätigekeit.

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  2. So fest wie von den meisten Chrissten behauptet, scheint der eigene Glaube doch nicht zu sein.

    Sonst wäre jede christliche Beerdigung ein rauschendes Freudenfest, da der Verstorbene nun im Himmel ist…

    Aber wohin man schaut, nur Trauer und lange Gesichter!

    Aber es ist doch schön, wenn man sich in Märtyrerphantasien ergehen kann, ist ja ach so inspirierend und der eigene Tod beweist eindeutig, die unendliche Liebe eines Gottes, der Leuten in allen Lebenslagen hilft, z.B. den verlorenen Autoschlüssel zu finden!

    Antworten
  3. Ein toller Artikel, der die Widersprüche gut aufdeckt. Auch der Hinweis auf das Schicksal von Dietrich Bonhoeffer ist gut gewählt.

    Ich möchte noch auf folgendes Detail hinweisen.

    Auf der Bühne stehen also zwei Akteure: Der Märtyrer und Gott.

    All diese Geschichten funktionieren auf die gleiche Weise. Sie verdichten das Szenario, sodass am Höhepunkt der Erzählung nur diese beiden Akteure übrig bleiben: Der Märtyrer, am Ende seiner Möglichkeiten angelangt und in völliger Verlassenheit; und der Gott, der im Jenseits das rettende Netz aufspannt.

    Aber dieses Szenario mit den zwei Akteuren ist eine Täuschung. Es gibt nämlich noch einen Dritten, der leise hinter dem Vorhang steht und die Handlung auf der Bühne bestimmt.

    Es ist der Priester. Ohne den Priester wäre der Märtyrer niemals auf die Idee gekommen, irgendein Gott könnte eventuell etwas darauf geben, zu wem oder was er sich bekennt. Auch die absurde Theorie, dieser Gott würde die Standhaftigkeit seiner Anhänger im Jenseits reich belohnen oder deren Fehlen hart bestrafen, hat dieser Priester verbreitet.

    Und weil ein Gott weit und breit nicht zu sehen ist, sind die tatsächlichen Akteure nicht der Märtyrer und Gott, sondern der Märtyrer und der Priester. Der Priester ist ein wichtiger Teil der Ursache, warum es zu einem Todesfall kam. Erzählt wird die Geschichte aber immer so, als wäre der Priester völlig unbeteiligt. Tatsächlich ist er einer der Täter.

    Die haarsträubende Ironie dieser Konstellation besteht nun darin, dass nicht nur einfache Gläubige auf diesen Trick hereinfallen, sondern auch andere Priester. Etwa Pfarrer Welter.

    Denn Pfarrer Welter denkt allen Ernstes, die Geschichte wäre ein Ausweis der besonderen Verbundenheit zwischen dem Märtyrer und Gott. Tatsächlich handelt es sich aber nur um die Verbundenheit des Märtyrers mit einem Priester. Dies wiederum spornt weitere Priester an, ebenfalls begeistert von dieser Verbundenheit zu predigen. Es ist ein Zirkelschluss.

    Übrigens ist Pfarrer Welter nur deswegen so fasziniert von dieser Verbundenheit, weil er sie selbst nicht spürt. Allerdings würde er das niemals zugeben, auch nicht gegenüber sich selbst. Er möchte es so sehr spüren, dass er anderen davon predigt, in der Hoffnung, dass es real wird. Seinen Zuhörern geht es ebenso. Der Zirkel schließt sich erneut.

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