„Von guten Mächten wunderbar geborgen“ – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

„Von guten Mächten wunderbar geborgen“, Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Wolfgang Beck, veröffentlicht am 28.12.2019 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Zum 75jährigen Jubiläum trägt Herr Beck einmal mehr zur Dietrich-Bonhoeffer-Legendenbildung bei. Entgegen der historischen Faktenlage erklärt Beck den Theologen gar zum Vorbild moderner Demokratie.

Bonhoeffer gilt als einer der wohl beliebtesten Berufschristen der jüngeren Kirchengeschichte. Verständlich, dass die Kirche heute lieber vom christlich motivierten Widerstandskämpfer erzählt als von der höchst unrühmlichen Allianz der christlichen Kirchen mit dem Naziregime.

Eine Allianz, von der die christlichen Kirchenkonzerne bis heute völlig ungeniert und wie selbstverständlich profitieren, Stichwort: Reichskonkordat.

Bonhoeffer: Verfemt, verklärt und vereinnahmt

Von guten Mächten wunderbar geborgen - BonhoefferZu den weniger bekannten Ansichten von Herrn Bonhoeffer gibt es schon u. a. diesen Artikel, der an dieser Stelle nochmal zur Lektüre empfohlen sei.

  • Dietrich Bonhoeffer teilt das Schicksal vieler anderer “Heiliger:” Er wurde im Lauf von nur wenigen Jahren “verfemt, verklärt und vereinnahmt:” “[…] Leicht, allzu leicht fällt die Heiligenverehrung, wenn man dem Gegenstand der Verehrung jede Kante und Wunde nimmt.”
    (Quelle: theologiestudierende.de)

Einen weiteren Versuch der Vereinnahmung Bonhoeffers liefert Herr Beck in seiner heutigen Fernsehpredigt. Diesmal soll Bonhoeffer offenbar als Vorreiter eines modernen Demokratieverständnisses ins rechte Licht gerückt werden.

Das erscheint auch besonders deshalb so absurd, weil das Christentum heute gerade in den Ländern die größten Erfolge feiert, in denen es um die Demokratie denkbar schlecht bestellt ist. Es sind die Populisten und Demagogen, die auch heute noch ihren Machtanspruch mit angeblich göttlicher Gnade legitimieren.

Bonhoeffer und die Demokratie

75 Jahre ist es her, dass Bonhoeffer sein Gedicht an seine Verlobte geschrieben hat. Sich an ihn zu erinnern, muss auch die Wahrnehmung für die Gegenwart schärfen. Wieder gibt es Nazis und Feinde der Demokratie in deutschen Parlamenten. Wieder werden Gewalttaten gegen Schwache verharmlost.
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ – Wort zum Sonntag, verkündigt von Wolfgang Beck, veröffentlicht am 28.12.2019 von ARD/daserste.de)

Dietrich Bonhoeffer gehörte der Bekennenden Kirche an. Das waren nicht wirklich Demokraten. Die meisten wollten von Demokratie nichts wissen. Im Gegenteil. Sie waren Feinde der Demokratie.

Es ging da lediglich um einen innerkirchlichen Kampf zwischen der „Bekennenden Kirche“ einerseits und den „Deutschen Christen“ andererseits. Im Grunde ging es da lediglich um die Auslegung und das Verständnis des Evangeliums, wie man es heute auch noch kennt, wenn zwei Religiöse aufeinander treffen und Bibelstunde machen.

  • Dieser theologische Konflikt wurde auf Seiten der Bekennenden Kirche zu einer indirekten politischen Opposition gegen den Staat, insofern er eine Einmischung des Regimes in Glaubensinhalte und Kirchenverfassung abzuwehren suchte. Damit widersprach er dem Totalitätsanspruch der nationalsozialistischen Ideologie. Ein politischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus war damit weder beabsichtigt noch folgte er daraus, von seltenen Ausnahmen abgesehen. Viele Bekennende Christen waren gleichzeitig Antisemiten, Wähler und/oder Mitglieder der NSDAP und begrenzten ihren Widerspruch ausdrücklich auf die Übergriffe des Staates auf innerkirchliche Angelegenheiten.
    (Quelle: Wikipedia, Stichwort: Kirchenkampf)

Unter diesem Hintergrund eignet sich Dieter Bonheffer in keiner Weise, ihn in einen gegenwärtigen Zusammenhang zu bringen mit Feinden unserer heutigen Demokratie. Ob diese wunschgemäß einseitige Darstellung (um es mal höflich auszudrücken) bewusst oder unbewusst geschah, spielt keine Rolle. Das Verschweigen unbequemer, aber nun mal historisch belegter Fakten in kirchlichen Verkündigungen ist allerdings auch nichts wirklich Neues.

Fest steht: Dieter Bonhoeffer war natürlich kein Verfechter der Demokratie.

Im Gegenteil: Sein Ideal eines Staates war der Obrigkeitsstaat, der von Gott und nicht vom Volke, also „von oben“ und nicht „von unten“ gegeben und legitimiert ist. Die Rolle Bonhoeffers als Widerstandskämpfer gegen das Naziregime ist unbestritten; ihn in einen Bezug zur gegenwärtigen Demokratie zu setzen, halte ich allerdings für äußerst fragwürdig. (Vielen Dank an unseren Stammleser Herrmann Hesse für die Ergänzung dieses Abschnittes.)

Glaube versetzt – keine Berge

Solchen Dingen hat sich Bonhoeffer entgegengestellt, mit seinem Glauben.

Dieser Glaube war nicht nur der Grund für den Widerstand. Die Vorstellung: „Egal was kommt, mir kann nichts passieren, weil ich mich ja ‚von guten Mächten wunderbar geborgen‘ fühle“ dürfte eine nicht unbedeutende Rolle für den Theologen gespielt haben bei der Entscheidung, sich bewusst in Todesgefahr zu begeben.

Was hätte Bonhoeffer womöglich noch alles bewirken können, wenn er sich nicht (nur) mit seinem Glauben, sondern (auch) mit seiner Vernunft gegen die Verbrechen der Nazidiktatur gestellt hätte? Statt bewusst das extrem hohe Risiko seiner Ermordung in Kauf zu nehmen, hätte er auch „aus sicherer Entfernung“ noch weiter agieren und so möglicherweise viel Leid (einschließlich sein eigenes und das seiner Angehörigen/Freunde/Verlobten) vermeiden können.

In Extremsituationen kann es vorkommen, dass der Einsatz für eine Überzeugung tödlich endet. Welchen Sinn soll es aber haben, sich für den Glauben oder für sonst irgendeine Idee quasi absichtlich, zumindest aber bewusst umbringen zu lassen?

Sterben für eine Idee

Märtyrer werden in religiösen und religionsartigen Ideologien verehrt. Bei dieser Verehrung geht es primär gar nicht um die Sache, für die sich diese Leute eingesetzt hatten. Im Mittelpunkt steht vielmehr die Tötung: Je drastischer, je unmenschlicher, desto stärker der Beweis der Glaubensstärke. Zahlreiche Darstellungen von brutalsten Todesfolterungsmethoden aller Art zeugen bis heute in vielen (katholischen) Kirchen davon.

Viele der Menschen, die wegen ihres Glaubens geköpft, gepfählt, gekocht, verbrannt, gerädert von Pfeilen durchbohrt oder auf irgendeine andere bestialische Art und Weise ermordet wurden, werden auch im Christentum bis heute als „Heilige“ bezeichnet und gelten als Vorbild für besonders starken Glauben.

Diese Darstellung ist freilich wieder höchst einseitig: Märtyerer aus den „eigenen Reihen“ werden als „Heilige“ verehrt, während der Märtyrertod als höchst erstrebenswertes Lebensziel in anderen Religionen zumeist als archaisch, unmenschlich und kritikwürdig bewertet wird. Solche Widersprüche bewältigen Gläubige in der Regel durch Ignorieren.

Von guten Mächten wunderbar geborgen?

Der Text wurde vielfach als Lied vertont. Vielleicht wird es manchmal ein bisschen unbedacht gesungen, mit wenig Gespür, dass da einer in Todesgefahr seinen Glauben bezeugt. Sein Text endet mit den Worten, die viele als Refrain des Liedes kennen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ Was für ein großes Vertrauen eines Mannes, der schon mit seiner Hinrichtung rechnen muss. Keine billige Vertröstung. Kein romantisches Gerede. Große Nüchternheit und tiefe Gelassenheit. Er weiß, dass Gott ihn begleitet – egal, wie schlimm es wird; egal, was noch kommt. Wie lehrreich beim Übergang von einem alten in ein neues Jahr!
(Quelle: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, Wort zum Sonntag, verkündigt von Wolfgang Beck am 28.12.2019)

Nein, auch Dietrich Bonhoeffer konnte nicht wissen, ob irgendein oder irgendein bestimmter Gott in begleitet. Hätte er es wissen können, hätte er es ja nicht glauben müssen. Der Fernsehpfarrer hat offenbar keine Probleme damit, sowas (sicher wider besseres Wissen) einfach mal zu behaupten. Wissen oder glauben, was macht das schon für einen Unterschied…

Und genau deshalb, weil diese Hoffnung bei Licht betrachtet nichts weiter als eine rein menschliche Einbildung bzw. Wunschvorstellung ist, halte ich sie natürlich für das, was sie laut Dr. Beck angeblich genau nicht ist: Eine billige Vertröstung. Romantisches Gerede. Oder auch: Für einen Selbstbetrug, basierend auf einem zu 100% von Menschen erfundenen Heilsversprechen. Ohne eine Wirkung, die über den Placeboeffekt hinausgeht.

Auch eine solche, für wahr gehaltene Illusion mag Menschen als Quelle für Gelassenheit dienen können. Mit „großer Nüchternheit“ hat das dann allerdings eben nichts zu tun.

Denn wenn mit den „guten Mächten“ „Gott“ gemeint sein soll (und das ist hier ja der Fall), dann ist nicht er es, der das wohlige Gefühl von Geborgenheit erzeugt. Dieses Gefühl erzeugt lediglich die rein menschliche Einbildung, es gäbe diese „guten Mächte“ tatsächlich.

Götter, ihre Eigenschaften und Absichten: Beliebig definierbar

Wer von sich behauptet, „von guten Mächten wunderbar geborgen“ zu sein, obwohl er weiß, dass ihm seine Ermordung unmittelbar bevorsteht, der muss diese „Mächte“ ja auch dann noch für „gut“ halten, wenn deren „Geborgenheit“ auch die eigene Hinrichtung beinhaltet.

Immer dann, wenn Menschen ihre Götter ins Spiel bringen, ist der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet.

Der Gott, von dem sich zum Beispiel Herr Bonhoeffer „wunderbar geborgen“ gefühlt hatte, war (zumindest dem Namen und dem Ursprung nach) der selbe, von dem sich auch die Wehrmachts- und SS-Soldaten Unterstützung erhofften. Ganz im Sinne der Aufschrift „Gott mit uns“ auf ihren Koppelschlössern.

Um Leben und Tod

Während Hitler 1926 der damals noch zum allergrößten Teil christlich gläubigen Bevölkerung und natürlich auch dem christlichen Klerus versprach:

  • „Christus war die größte Kämpfernatur, die es je auf Erden gegeben hat. […] Die Aufgabe, mit der Jesus begann, die er aber nicht zu Ende führte, werde ich vollenden.“
    (Zit. nach Robert Wistrich: Der antisemitische Wahn. Von Hitler bis zum heiligen Krieg gegen Israel. Ismaning bei München 1987, S. 252)

bedankte sich Bonhoeffer später bei eben diesem Gott vorab für alles Leid, einschließlich das seiner eigener Hinrichtung:

  • Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern
    Des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand
    So nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
    Aus deiner guten und geliebten Hand

    (Quelle: Dietrich Bonhoeffer: Von guten Mächten wunderbar geborgen, Zit. n. ekd.de)

Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um irgendetwas Banales. Wie wenn etwa die Fußballspieler zweier gegnerischen Mannschaften beide dem selben Gott für ein erzieltes Tor danken. Hier geht es im wahrsten Wortsinn um Leben und Tod.

Ein Gott für alle Fälle

Diesem Gott scheint es ganz offensichtlich völlig egal zu sein, was Menschen in seinem vermeintlichen Namen und Auftrag tun oder lassen. Ob sie lieben, leiden oder Leid verursachen.

Und denen, die behaupten, in göttlichem Interesse zu handeln oder auf ihn zu hoffen, scheint es ebenfalls nicht zu stören, dass sich die Wirklichkeit nüchtern betrachtet genau so darstellt, als gäbe es (auch) diesen Gott gar nicht. Zwar nutzlos, aber äußerst kompatibel, so ein imaginärer Freund und Helfer.

Entsprechend zurechtgebogene Glaubensgewissheiten können denen, die sie für wahr halten, wohlige Gefühle, etwa von Macht, Erhaben- oder auch Geborgenheit verschaffen. Menschen wie Bonhoeffer werden nicht selten zu Heiligen verklärt, weil sie selbst im Angesichtes ihrer Hinrichtung an ihrem Glauben festgehalten hatten.

In Diskussionen haben mir Gläubige schon öfters erzählt, dass sie sich gar nicht vorstellen können, wie Menschen ohne die Hoffnung auf ihre jeweilige Gottheit gerade existentielle Extremsituationen überstehen könnten. In diesem Zusammenhang weise ich dann auf diese beiden Aspekte hin:

  1. Solange in einer aussichtslos erscheinenden Lage überhaupt noch irgend eine Hoffnung besteht, dann ist das die Hoffnung auf eine vielleicht völlig unvorhersehbare glückliche Wendung. Und natürlich die „Hoffnung Mensch.“
  2. In einer wirklich und unumkehrbar aussichtslosen Lage bleibt einem nicht Gottgläubigen als allerletzter Trost immernoch der, dass mit dem Tod nicht nur das Leben, sondern auch alles Leid endet. Diesen Umstand halte ich für wesentlich tröstlicher als sämtliche Jenseits- und Gute-Mächte-Geborgenheitsphantasien.
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