Wenn Krisen zum Normalfall werden – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

Wenn Krisen zum Normalfall werden – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, veröffentlicht am 16.7.22 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Ausgerechnet die religiösen Aspekte machen Herrn Becks Fernsehpredigt zum Thema Umgang mit Krisen unglaubwürdig.

Heute zählt Herr Beck erstmal eine ganze Litanei an verschiedenen Krisen auf, mit denen die Menschheit derzeit zu tun hat. Und dann bekommt kommt Mose aus der altbiblischen Mythologie schon mal einen ersten Gastauftritt:

[…] Die Vielzahl der Krisen und ihre schnelle Abfolge überfordern zunehmend viele Menschen. Die eigene Kraft reicht dann nicht mehr, sich ernsthaft mit einer weiteren Frage zu beschäftigen. Vielleicht ist es ein bisschen wie bei Mose im Alten Testament der Bibel.

Dieser Mose wird nicht nur als derjenige beschrieben, der die Israeliten durch die Wüste führt, nach der Gefangenschaft in Ägypten ins gelobte Land. Er ist auch einer, dem im entscheidenden Moment die Kraft ausgeht und der gestützt werden muss, damit es weitergehen kann. Zur Erfahrung der Befreiung gehört offenbar dazu, dass einem die Puste ausgeht.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Wenn Krisen zum Normalfall werden – Wort zum Sonntag, verkündigt von Pfarrer Wolfgang Beck, veröffentlicht am 16.7.22 von ARD/daserste.de)

Klar – wenn sogar die biblische Mythologie davon berichtet, dass mal jemand gestützt werden musste, dann gehört das offenbar dazu.

Nachdem die biblische Glaubensgrundlage nun schon mal angeteasert ist, gehts erst nochmal zurück in die Gegenwart:

Krisenzeiten: Ein Geschenk für Populisten – und für Heilsverkäufer

Der Soziologe Armin Nassehi macht deutlich, dass die Krise im 21. Jahrhundert nicht mehr die seltene Ausnahme ist, sondern mehr und mehr zum Normalfall wird. In der Krise erlebe ich als Mensch, dass meine Erfahrungen und mein bisheriges Wissen nicht ausreichen, um mit neuen Ereignissen umgehen zu können. Ich habe nicht die Kraft und nicht die Instrumente, die Situation schnell zu klären.

Das heißt auch, dass ich in Krisen immer wieder nach neuen Wegen, nach neuen Antworten suchen muss. Das macht es ja gerade so unglaublich anstrengend. Deshalb sind Krisenzeiten auch ein Geschenk für Populisten. Die geben vor, dass es auch ganz einfach gehen könnte. Klar, dass das attraktiv klingt. Da wird die Krise „weggeredet“. Aber das klappt ja schon zuhause nicht.

Nicht nur Populisten empfinden Krisenzeiten als Geschenk. Sondern auch Heilsverkäufer aller Art.

Verlockende hoffnungsvolle Illusion

Zum Beispiel, wie auch Herr Beck, die aus der christlich-religiösen Branche: Die geben zwar heute für gewöhnlich nicht mehr vor, funktionierende Lösungen für irgendwelche Krisen anbieten zu können. Zu offensichtlich wäre die Diskrepanz zwischen falschem Versprechen und irdischer Realitiät. Dass zum Beispiel Beten tatsächlich irgendetwas bewirken kann, traut sich im christlichen Mainstream heute kaum noch jemand zu behaupten.

Trotzdem geben sie vor, dass Krisen einfacher zu bewältigen seien, wenn man dabei nur auf die Unterstützung ihres Gottes vertrauen würde.

Klar, dass das für entsprechend empfängliche und vor allem christlich vorgeprägte Menschen attraktiv klingt. So brauchen sie in Krisen nicht selbst nach neuen Wegen, nach neuen Antworten zu suchen. Stattdessen geben sie sich mit den längst als falsch entlarvten, aber eben auch so verlockend tröstlichen Antworten zufrieden, die die Religion ihnen serviert.

Im Unterschied zu den Populisten reden Glaubensverkäufer Krisen natürlich nicht weg. Schließlich würde mit dem Verschwinden von Krisen auch ihr wichtigster Verkaufskanal wegfallen: Menschliche Angst und menschliches Leid.

Denn: Je weniger Angst und je weniger Leid, desto geringer die Empfänglichkeit für hoffnungsvoll erscheinende Illusionen aus der religiösen Phantasie-Vorstellungswelt. Und die gilt es ja schließlich an den Mann, die Frau und das Kind zu bringen.

…Aber das geht nicht lange gut

Wer einfach keine Rechnungen mehr öffnet oder Probleme verdrängt, kann sich eine Zeitlang einreden, alles sei in Ordnung. Aber das geht nicht lange gut.

Das Problem meldet sich mit umso größerer Wucht zurück.

Eine triviale Erkenntnis: Ignorieren von Problemen löst diese nicht.

Das Gleiche gilt für Schnaps. Und für Gottvertrauen:

Wer einfach auf imaginäre Himmelswesen vertraut und seine Sorgen samt Verantwortung an dieses Wesen abgibt („…dass ich all meine Sorgen auf dich werfen mag…“), kann sich eine Zeitlang einreden, alles sei in Ordnung.

Wie lange das gut geht und wie groß dann die Wucht ist, mit der sich das Problem zurückmeldet hängt, genauso wie beim Ignorieren oder „Ertränken“ in Alkohol, auch beim Gottvertrauen von verschiedenen Faktoren ab.

Eine Krise, die als Kampf beschrieben wird

Jetzt darf aber nochmal Mose ran:

Der Mose aus dem Alten Testament zeigt zumindest eine alternative Möglichkeit auf. In einer der Krisen, die als Kampf beschrieben wird, lässt er sich von anderen Menschen stützen, damit er nicht müde wird. Das klingt banal. Aber es ist die Ansage, dass in den großen Krisen vor allem eines hilft: Kooperationen zu suchen, sich zusammen zu tun und sich gegenseitig zu unterstützen.

Eine Krise, die als Kampf beschrieben wird!? Oder nicht doch eher ein Kampf, den Herr Beck als Krise beschreibt? Weil er damit einen begrifflichen Anknüpfungspunkt an sein heutiges Thema „Krise“ hat?

In der hier rezipierten Geschichte geht es – wie in den meisten der biblischen Legenden – um eine göttliche Machtdemonstration.

Im Kontext der Geschichte wird beschrieben, dass das Volk Israel schon sehr geschwächt und ermüdet war vom ewigen im-Kreis-Herumlaufen durch die Wüste.

…und Gott so: …

Für den Verlauf des Krieges der Israeliten gegen die Amalekiter, in deren Gebiet sie sich gerade unterwegs waren (was diese dazu gebracht hatte, die Israeliten vorsorglich mal ein bisschen anzugreifen) hatte sich der liebe Gott ein besonders perfides Spielchen ausgedacht:

Mose schickte er auf einen Berg, um sich von ihm mit erhobenen Händen anbeten zu lassen. Sobald dem hochbetagten Kriegsfürsten die Hände schwer wurden, sorgte der Allmächtige Allgütige dafür, dass die Amalekiter im Vorteil waren. Und sobald Mose die Pfoten wie befohlen erhoben hatte, erhielten die Israeliten wieder die nötige göttliche Superpower, um die Bewohner des Landes, in dem sie sich gerade aufhielten im Krieg zu schlagen.

  1. Aber Mose wurden die Hände schwer; darum nahmen sie einen Stein und legten ihn hin, dass er sich daraufsetzte. Aaron aber und Hur stützten ihm die Hände, auf jeder Seite einer. So blieben seine Hände erhoben, bis die Sonne unterging.
  2. Und Josua überwältigte Amalek und sein Volk durch des Schwertes Schärfe.
  3. Und der HERR sprach zu Mose: Schreibe dies zum Gedächtnis in ein Buch und präge es Josua ein; denn ich will die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel austilgen.
  4. Und Mose baute einen Altar und nannte ihn: Der HERR mein Feldzeichen.
  5. Und er sprach: Die Hand an den Thron des HERRN! Der HERR führt Krieg gegen Amalek von Kind zu Kindeskind.
    (2. Mose 17, 12-15 LUT)

Dass Mose bei der Erfüllung der göttlichen Aufgabe gecheatet hatte, schien Gott diesmal egal gewesen zu sein. Hauptsache, diese verd.. Amalekiter sind endlich vollständig vernichtet, die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel ausgetilgt!

All das, worum es hier eigentlich geht, scheint sogar für Herrn Beck völlig irrelevant zu sein. Das einzige Fragment, für das er überhaupt noch eine Verwendung hat, ist die Erwähnung, dass Mose sich bei der Ausführung seiner kriegsentscheidenden Unterwerfungsgeste hatte stützen lassen.

Zentral und lebenswichtig!?

Für mich als gläubigen Menschen und Christen ist dabei die Zusage zentral und lebenswichtig: Da sind nicht nur andere Menschen, da ist auch Gott, der dich stützt, der Kraft gibt und damit auch die nötige Gelassenheit.

Aber genau das geht doch gerade nicht aus dieser Bibelstelle hervor!

In dieser Legende ist es doch Gott, der den Kriegserfolg davon abhängig macht, wie lange Mose bei der Dauerverehrung durch- und die Hände hoch hält. Der gibt keine Kraft und auch nicht die nötige Gelassenheit! Der HERR führt Krieg gegen Amalek von Kind zu Kindeskind!

Wie man es fertig bringt, als Mensch mit akademischer Bildung (bzw. akademischem Titel) einen textlichen Inhalt bis ins Gegenteil zu pervertieren, wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben. Genauso wie die Antwort auf die Frage, wie jemand die Einbildung einer solchen fiktiven „Zusage“ für zentral und lebenswichtig halten kann.

Erfahrung eines stützenden und stärkenden Gottes

Damit sind zwar die großen Krisen nicht einfach zu überwinden. Aber sie sind doch gemeinsam durchzustehen. Diese Erfahrung wünsche ich uns miteinander und die Erfahrung eines stützenden und stärkenden Gottes. Einen guten Sonntag!

Und wiedermal sind es ausgerechnet die religiösen Aspekte, die die Glaubwürdigkeit von Herrn Beck ad absurdum führen und mit denen er sich selbst als ernst zu nehmenden Sprecher disqualifiziert.

Wie sollte man jemand ernst nehmen können, der noch nicht mal in der Lage oder willens ist, zwischen irdischer Realität und religiöser Fiktion zu unterscheiden? Der sein Publikum zwar auf die Gefahren des Ignorierens von Problemen hinweist, dann aber ein paar Zeilen später ein (abgesehen vielleicht von einem Placeboeffekt ebenso sinn- und nutzloses) Vertrauen auf ein mythologisches Phantasiewesen propagiert?

Ausgerechnet der Glaube macht die Glaubwürdigkeit zunichte

Und welche Relevanz kann die biblisch-christliche Mythologie heute noch haben, wenn offensichtlich nicht mal ein erfahrener Theologe wie Herr Dr. Beck in der Lage ist, irgendetwas tatsächlich Sinn- und damit Wertvolles darin zu finden, ohne seine Extrakte auf einzelne Fragmente zu beschränken, die dann zusätlich auch noch komplett umgedeutet werden müssen, um zumindest oberflächlich betrachtet wenigstens scheinbar zum Thema zu passen?

Hätte Herr Beck einfach seinen absurden Götterglauben außen vor gelassen und stattdessen darauf hingewiesen, dass es durchaus sinnvoll sein kann, gerade in Krisensituation die Hilfe anderer Menschen anzunehmen, hätte man ihm uneingeschränkt zustimmen können.

So haben wir einfach nur einmal mehr das, was wir eigentlich immer haben: Eine vierminütige kirchliche Dauerwerbesendung, die ihre Glaubwürdigkeit ausgerechnet durch die Glaubensinhalte verloren hat.

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6 Gedanken zu „Wenn Krisen zum Normalfall werden – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Erstens: Ich halte es für unangebracht, jemand aufgrund eines Theologie – „Studiums“ als „akademisch gebildet“ einzustufen.

    Zweitens: Die Angst der Heilsgaukler spricht aus jeder Zeile. Herr Beck hat gemerkt, dass trotz Krisen und durchgehend negativer Nachrichtenlage die Leute diesmal nicht tun, was sie bisher in solchen Umständen getan haben. Sie laufen NICHT mehr in die Kirchen und gehen Herrn Beck und Kollegen NICHT mehr auf den Leim. Im Gegenteil: Sie bringen in Scharen Distanz zwischen sich und den ganzen unseriösen religiösen Budenzauber.

    Drittens: Und alles, was einem Glaubens-Profi dazu einfällt ist, wie oben herausgearbeitet, eine verschwurbelte und sinnfreie Falschdarstellung der eigenen heiligen Schrift!

    Das heißt: Das TEAM AUFKLÄRUNG hat gewonnen! 🥳

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  2. Alte Cowboy-Weisheit:

    „Für den Fall eines Schlangenbisses sollte man immer eine Flasche Whiskey bei sich tragen…
    und einen Sack voller Schlangen!!!“

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  3. Super Herr Beck,
    Moses ist ein tolles Beispiel, der ist 40 Jahre mit seinen „Goldenes Kalb“ Verehrern durch die Wüste gezogen,
    ins sogenannte gelobte Land, übrigens ausgerechnet das einzige in der Gegend ohne Erdölvorkommen.
    Laut Google Maps dauer der Fußmarsch eigentlich 8 Tage. Juhu folgt mir nach, ich weiß auch nicht wo´s lang geht!

    „Der Mose aus dem Alten Testament zeigt zumindest eine alternative Möglichkeit auf………“. Meinen Sie den Krieg den er führt?
    Und diesem Menschen auf geistiger Sparflamme hat Ihr eingebildeter Gott die 10 Gebote gegeben? Alles klar!

    Deshalb sind Krisenzeiten auch ein Geschenk für Populisten…wie Sie einer sind Herr Beck?
    Sie geben leichtglaubigen Menschen vor, dass es auch ganz einfach gehen könnte: Gott, Jesus, Beten, Nächstenliebe, Gottvertrauen, Bergpredigt , Heilige,…..Hosianna.
    Nenne Sie doch mal nur ein einziges Problem was durch Ihren eingebildeten Gott gelöst wurde! Ganz im Gegenteil, man hat mit Ihrem Gott Probleme, die man ohne ihn nicht hat. In der Kurzfassung: Ich Gott – Du böse – Ich (Er)Lösung.

    Das einzige, lieber Herr Beck, was Ihre Religion überhaupt jemals geschafft hat ist, die Menschen die Ihr auf den Leim gehen vom Denken abzuhalten! Denn der denkende Mensch (im Bezug auf Religionen ist hier keine großartige Intelligenz von Nöten) befreit sich von Religion. In der Kurzfassung: Kein Gott – Ich nix böse – Ich brauche keine (Er)Lösung.

    Das Gute ist, das offenbar in Krisenzeiten die Menschen wenigstens nicht mehr auf religiöse Populisten reinfallen.

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