Himmel und Hölle – Das Wort zum Wort zum Sonntag

Lesezeit: ~ 6 Min.

Himmel und Hölle – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Annette Behnken, Hannover, veröffentlicht am 7.12.24 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Heute geht es gar nicht primär um Himmel und Hölle, sondern darum, welche Auswirkungen sich Frau Behnken vom Advent erhofft.

Wer aufgrund des Titels der heutigen Glaubensreklamesendung im Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk eine Erörterung des aktuellen Standes der Theologie in Sachen Himmel und Hölle erwartet, wird enttäuscht: In Wirklichkeit geht es um den Advent und nicht um jene Gedankenkonstrukte, die die Grundlage des biblisch-christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzeptes darstellen.

Die große Flut vor Weihnachten

Nachdem Wischiwaschi-Verkündigungskollegin Schardien im letzten (und gleichzeitig ihrem letzten) Wort zum Sonntag schon von einer Flutung des Alltags im Dezember mit vermeintlich christlichem Symbolismus und vermeintlich christlichen Ritualen gesprochen hatte, sind es diesmal bei Frau Behnken die vielen Menschen, die jetzt die Weihnachtsmärkte fluten.

Wenn der liebe Gott dieses Jahr nicht wieder einen Weihnachtstsunami schickt wie zuletzt 2004, könnte der Begriff also durchaus das Wort-zum-Sonntag-Wort des Jahres werden…

Für das, was Frau Behnken heute zum Besten gibt, haben norddeutsche Landsmänner und -frauen einen passenden Begriff: Gesabbel.

Es folgen gefühlsduselige Wortgirlanden und Lifestyle-Magazin-Phrasen rund um das Thema Advent – von einer für Frau Behnken berufsbedingt eigentlich ob des adventlichen Kitsches nervenden Zeit mit nervenden Blockflötenkonzerten (Augen auf bei der Berufswahl!) bis hin zur anekdotischen Peripetie in Form eines Konzertes, das zur Folge hatte, dass Frau Behnken sich plötzlich berührbarer, sehnsüchtiger, wahrscheinlich auch dünnhäutiger und melancholischer und so offenporig fühlte.

…und wenn auch nur für den Moment

[…] Klar, Advent ist auch Zeit für Weihnachtsmarkt mit Glühwein, Bratwurst, Schmalzkuchen und Erzgebirgsengeln. Die Menschen fluten in diesen Tagen ja geradezu die Weihnachtsmärkte. Weil wir das offenbar gerade sehr brauchen: Die Bratwurst, die so herrlich nach Normalität schmeckt und den Glühwein, der duftet wie alle Jahre wieder und Friede auf Erden und fürchtet euch nicht. Wir saugen Behaglichkeit und Nostalgie auf, weil es guttut und für den Moment die Seele abpuffert. Gegen den Schrecken von hunderttausenden Toten, die in den Kriegen allein in diesem Jahr gestorben sind. Gegen die Zukunftsangst, die ganz viele Gesichter hat. Advent bedeutet aber nicht, das Schreckliche einfach auszublenden. Denn der Advent ist die Zeit für die ganz, ganz großen Sehnsüchte: Dass einfach mal alles gut ist. Und wenn auch nur für den Moment. Dass die Bomben schweigen und Frieden und Gerechtigkeit sich küssen.

(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Himmel und Hölle – Wort zum Sonntag, verkündigt von Annette Behnken, Hannover, veröffentlicht am 7.12.24 von ARD/daserste.de)

Selbst bei größtem Wohlwollen kann ich hier nicht erkennen, dass die Ausführungen von Frau Behnken irgendetwas anderes sein könnten als genau das, was der Advent angeblich gerade nicht bedeuten soll: Das Schreckliche einfach auszublenden. Und wenn auch nur für den Moment.

Solche offensichtlichen Widersprüche sind für Christen selten ein Problem. Die müssen noch ganz andere Gegensätze unter einen Hut bekommen, ohne dass der ansonsten gesunde Menschenverstand Alarm schlägt.

Irdische Realität vs. illusorischer Idealzustand

Die „große Sehnsucht“ nach einem unrealistischen wie illusorischem Idealzustand, wie ihn viele Religionen, darunter auch das Christentum ihren Anhängern in Aussicht stellen, ändert nichts daran, dass es es die Menschen selbst in der Hand haben, ob Bomben schweigen, und ob Frieden und Gerechtigkeit sich küssen. Oder eben nicht.

Menschen, die dafür sorgen, dass Bomben nicht schweigen, sondern töten und die auf Frieden und Gerechtigkeit scheißen, berufen sich dabei nicht selten darauf, so den Willen ihres jeweils geglaubten Gottes zu erfüllen. Der von Frau Behnken ge- und angepriesene Gott macht da keine Ausnahme: Auch in dessen vermeintlichen Auftrag werden Angriffskriege geführt und unvorstellbar viel weiteres Leid verursacht.

Ganz abgesehen davon: Ausnahmslos allen Göttern einschließlich dem aus der biblisch-christlichen Mythologie ist es, sollte es sie geben, augenscheinlich völlig egal, was Vertreter der von ihnen bevorzugten Trockennasenaffenart hienieden in ihrem vermeintlichen Auftrag und Namen (oder auch sonst so) veranstalten, herbeisehnen und in Fernsehmikrofone salbadern, wenn mal wieder vier Minuten Sendezeit mit theologischer Rhetorik geflutet werden müssen.

Da wir hier ja immer auf der Suche nach den enthaltenen religiösen Aspekten und deren Relevanz sind, halten wir fest, dass bis hierher lediglich Rituale und Symbole (die, nebenbei bemerkt, auch völlig religionsfrei zu haben sind) als geeignet zur kurzfristigen „Abpufferung“ der „Seele“ genannt wurden.

Was nichts anderes ist als eine Möchtegern-psychologische Umschreibung von „Mal kurz das Leid der Welt ausblenden.“

Ohne irgendeine Erwartung, dass sich tatsächlich irgendetwas zum Guten oder Besseren verändert. Und – ganz besonders praktisch – ohne jede Verpflichtung, selbst etwas dazu beitragen zu müssen. Die Parallelen zwischen religiös und zum Beispiel alkoholisch induzierter Realitätsflucht sind offensichtlich.

Adventure-Advent: Fünf Euro in die Wortspielkasse

Und deshalb ist Advent eben auch adventure – Abenteuer, weil es aufregend ist, wenn die Sehnsucht Raum greift und tief Verschüttetes in uns freilegt. Und nicht zu unterschätzen ist, was für eine Kraft darin liegt. Visionäre Kraft. „Aus unendlichen Sehnsüchten steigen endliche Taten“, wusste Rainer Maria Rilke.

Leider hat es Frau Behnken versäumt, von den zahllosen Aktionen zur Herstellung des Weltfriedens zu berichten, die Weihnachtsmarktbesucher nach 4-8 Tassen Glühwein aus ihrer spontanen Ergriffenheit heraus alle Jahre wieder starten.

Aber um Pragmatismus oder Realität gehts bei Frau Behnken nicht. Stattdessen taucht sie nochmal ab in die Tiefen des sehr bedeutsam und geheimnisvoll-esoterisch klingenden Gesabbels.

Mitten hinein in die Wortwolke bestehend aus Begriffen wie Dunkelheit, Kerzen, Zimt, Sehnsucht, Stress, Druck, Zeit anders fließen, Sinne anders kalibrieren, das Innere, das sich meldet, Träume, Dünnhäutigkeit, Aufmerksamkeit nach innen, Tiefenräume der Seele, Möglichkeiten, die schlummern und darauf warten, geboren zu werden.

Eckhart! Ja, Meister? Das Christkind kommt!

Um das Ganze jetzt schnell noch von der allgemein-esoterischen in die christlich-esoterische Spur zu bringen, bekommt Meister Eckhart noch einen Gastauftritt:

[…] Der christliche Mystiker Meister Eckhart hat davon gesprochen, dass die Geburt Gottes etwas ist, das in unserer Seele oder im Herzen passiert. Er hat gefragt: „Wenn diese Geburt nicht in mir geschieht, was hilft es mir dann?“

Klar: Wer sich einbilden möchte, dass die Geburt eines bestimmten Halbgottes für ihn oder für die ganze Welt irgendwie hilfreich sei, der muss dies natürlich irgendwie erstmal in seine persönliche Vorstellungs- und Gedankenwelt integriert haben. Samt aller noch so absurden Prämissen, die dafür erforderlich wären.

Wem es nicht gelingt, das hinreichend zu verinnerlichen, für den ist die christliche Gottessohn-Geburtslegende genauso wenig hilfreich wie vergleichbare Legenden beliebiger anderer Göttergeburten, die sich die Menschheit schon ausgedacht hat.

Für Frau Behnken scheinen Überlegungen, die ihre Wunschphantasien gefährden könnten keine Rolle zu spielen.

Unsere Welt ist Himmel und Hölle?

Ja, was hilft es? Die Welt wird das nicht einfach ändern. Es wird nicht alles gut werden. Unsere Welt ist Himmel und Hölle. Und alles Mögliche und Unmögliche dazwischen. Und wird`s auch bleiben. Der Advent ändert in wenigen Wochen nicht die Welt. Aber uns. Wir stehen anders in dieser Welt, wir gehen anders um mit der Welt, miteinander, wenn wir berührbar, verletzbar und verzauberbar sind.

Das kann der Advent: Uns offenporig machen, nach innen und nach außen. Was für ein Abenteuer, wenn wir ahnen, dass in uns ein neuer Anfang geboren wird.

Unsere Welt ist nicht Himmel und Hölle. Himmel und Hölle sind absurde Sphären und unmenschliche Gedankenkonstrukte, die sich Menschen, die es noch nicht besser wussten ausgedacht hatten, um andere Menschen, die es ebenfalls noch nicht besser wussten einfacher dazu bringen zu können, „freiwillig“ das zu tun, was für sie, also für die Priesterkaste von Vorteil war.

Um diese Konstrukte einer Überprüfbarkeit zu entziehen, waren sie eben gerade keine weltlichen, sondern frei erfundene und damit nicht überprüfbare Phantasie-Kategorien.

Gott ist egal, auf den Götterglauben kommt es an?

Frau Behnken, verstehe ich SIe richtig: Anders als an anderer Stelle gerne von Christen suggeriert oder behauptet, hat das in der biblisch-christlichen Gottessohn-Geburtslegende geschilderte Geschehen gar keine tatsächliche direkte Auswirkung auf das irdische Geschehen? Sondern nur eine indirekte, weil es Menschen, die das glauben berührbar, verletzbar, verzauberbar, offenporig macht und die dann deswegen besser mit der Welt umgehen?

Demzufolge ist es gar nicht Gott, der irgendetwas macht, sondern nur der Götterglaube, der etwas bewirkt – ganz unabhängig von der Frage nach der Existenz des geglaubten Gottes?

Dann ist doch die Passiv-Formulierung „dass in uns ein neuer Anfang geboren wird“ missverständlich und suggestiv, weil es ja dann kein von außen verursachtes Geschehen, sondern nichts weiter als eine behauptete fixe Idee ist, die Gläubige dazu bringt, anders mit der Welt umzugehen, weil sie sich wegen dieser fixen Idee berührbar, verletzbar und verzauberbar fühlen?

Und noch ehe das heute Wort zum Wort zum Sonntag vorbei ist, bemühe ich ein drittes Mal den Begriff „Gesabbel.“ Wenn das mal kein Zeichen ist!

Ob die Welt eine bessere wäre, wenn Menschen besser verzauberbar wären halte ich für sehr unwahrscheinlich – was auch immer konkret damit gemeint sein soll.

Fazit

Das ganze Um-den-heißen-Brei-Gerede mit verunklarenden Metaphern und bewusst vage gewählten Formulierungen könnte sich Frau Behnken ganz einfach sparen, wenn sie sich nicht noch irgendwie ein Hintertürchen offenhalten müsste, durch das sie dann den geglaubten Gott eben doch wieder als eine eigenständig handelnde Entität hineinschmuggeln kann.

Und zwar selbst dann, wenn sie es sicherheitshalber bei so nebulösen Andeutungen belässt wie der, dass irgendetwas in uns geboren wird. Andeutungen, die zumindest dem Namen nach irgendwie mit der biblisch-christlichen Geburtslegende in Zusammenhang gebracht werden können. Mehr ist nicht mehr übrig geblieben, mehr wird nicht mehr gebraucht.

Umgekehrt zeigt die geballte Ladung an eben solchen Formulierungen, dass das an sich freilich unterstützenswerte Plädoyer für Empathie und Achtsamkeit nur vorgeschoben ist und in Wirklichkeit dem Zweck dient, Religion im Allgemeinen und den Advent im Besonderen als doch noch irgendwie bedeutsam verkaufen zu können.

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3 Gedanken zu „Himmel und Hölle – Das Wort zum Wort zum Sonntag“

  1. Ja die tolle Weihnachtszeit und die schönen Weihnachtsmärkte…

    3 Stichworte:

    Magdeburg, Anschlag, Massaker

    Es graut mir jetzt schon wieder davor, welche Lobpreisungen ihres ach so „lieben-Gottes“ demnächst wieder auf uns zukommen werden.
    Wie erklärt werden wird, dass das überfahrene Kind und die anderen Opfer ja nun bei ihrem Gott sind, der sie in seiner grenzenlosen Liebe in Matsch auf dem Asphalt verwandelt… äh, ich meine natürlich zu sich geholt hat.

    Und dann wieder die frohe Botschaft, dass dem Volke Israel (und nur denen) ein göttlicher Held geboren wird, der sie von der Tyrannei der Römer befreit und alle anderen Völker, die keine Juden sind, vernichtet!
    Während Isaraels Truppen im vermeintlich göttlichen Auftrg gerade die ganze Region um sich tyrannisieren um mehr Platz für illegale Siedlungen zu schaffen…

    Diese GOTTVERDAMMTE HEUCHELEI!

    Denn der allwissende, gütige, hat ja in seiner grenzenlosen Liebe nen pefekten, wenn auch unergründlichen Plan und all das Leid ist ja nur Mittel zum Zweck, damit wir die Kirchen noch reicher machen und seinen unsichtbaren heiligen Arsch küssen.

    Welch Harmonie und Friede auf Erden… NICHT!!!

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  2. Wenn ich mir diesen pseudo-tiefgründigen, küchenpsychologischen, christlich-dekadenten Sermon anhöre, dann kommt mir das Wintersonnenwende-Stonehenge-Theater wie ein wissenschaftlicher Kongress vor.

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