Kommentar zu NACHGEDACHT 97: Novembergrauen, Originalartikel verfasst von Christina Leinweber, veröffentlicht am 16.11.2014 von osthessen-news.de
Kein anderer Monat ist so schwer für mich – das Novembergrauen kommt alle Jahre wieder. Morgens dunkel, abends dunkel. Da hilft es auch nicht, dass man sich eine Tasse Tee machen und in eine Decke kuscheln könnte.*
Allerdings könnte es helfen sich klar zu machen, dass die Veränderung der Tages-/Nachtzeiten, des Wetters und der Vegetation völlig normale und wertfreie Phänomene im November in unseren Breitengraden sind. Diese Phänomene sind, abgesehen von der etwas geringeren Sonnendosis und eines dadurch möglicherweise bedingten niedrigeren Serotoninspiegels, erstmal kein objektiver Grund, sich grundsätzlich schlecht zu fühlen.
Wenn Sie sie tatsächlich als so belastend empfinden, dann könnten Sie Ihr Leben so gestalten, dass Sie zum Beispiel den November irgendwo dort verbringen, wo er nicht die Sie belastenden Phänomene mit sich bringt. Niemand hindert Sie daran, gerade den November zum schönsten Monat Ihres Jahres zu machen, auf den Sie sich das ganze Jahr freuen! Die NACHGEDACHT-Kolumne könnten Sie auch von unterwegs schreiben, ansonsten biete ich gerne an, das für Sie in dieser Zeit zu übernehmen.
Heute dreht es sich um die dunklen Seiten des Lebens. Denn immer wieder wird mir im Wechsel der Jahreszeiten zum jetzigen Zeitpunkt bewusst, dass mein Leben endlich ist.*
Auch diese Erkenntnis ist kein Grund, um StarWars™-mäßig von einer „dunklen Seite“ des Lebens zu sprechen oder um sich deswegen Sorgen zu machen oder schlecht zu fühlen. Die Endlichkeit des Lebens ist eine völlig natürliche Eigenschaft desselben. Der wahrscheinlich hauptsächliche Grund für die „Endlichkeit“ ist die Existenz bzw. das Wirken der so genannten Telomere. Diese Erkenntnis kann helfen, der Endlichkeit jeglichen Lebens sehr gelassen gegenüberzustehen, weil die nun mal einfach so ist wie sie ist, unabhängig davon, wie wir das finden.
Die Endlichkeit des eigenen Lebens macht übrigens nicht den geringsten Unterschied zur Endlichkeit jedes anderen Lebens, auch wenn die Erkenntnis der (intergalaktisch gesehen) absoluten Bedeutungslosigkeit unserer Galaxie, unseres Planeten oder von uns selbst möglicherweise am (übersteigerten) Selbstwertgefühl kratzen mag.
Ihre geäußerten Befürchtungen legen zudem die Vermutung nahe, dass das Heilsversprechen Ihrer Religion, es gäbe nicht nur ein Leben nach dem Tod, sondern sogar auch noch eine Erlösung von dem „Bösen“ im Jenseits für alle Christen gratis mit dazu, bei Ihnen offenbar nicht so wirklich zieht. Eigentlich müssten Sie sich wegen der Endlichkeit Ihres irdischen Lebens doch gar keine Sorgen machen, denn „Wohlan, ihr entschlafenen Brüder, wir sehen einander ja wieder…“
Und da die Natur am Sterben ist, fühle ich mich auch sterblich. Der November ist der einzige Monat im Jahr, an dem ich daran denke, dass ich nicht ewig lebe.*
Die Natur ist zu jeder Zeit „am Sterben“, genauso, wie sie jederzeit auch „am Leben“ ist. Es ist nicht so, dass im November kollektiv gestorben wird, nur weil einige Bäume ihre Blätter abwerfen und einige Pflanzen verblühen. Bedeutet Ihre Aussage im Umkehrschluss, Sie denken an 11 Monaten im Jahr, dass Sie ewig leben würden? Das finde ich dann allerdings bedenklicher als den einen Monat der „Einsicht“ Ihrer Endlichkeit…
Das Sterben der Natur ist ein generell völlig natürlicher Prozess, der kein Grund für Trauer ist. Natur ist nicht „grausam“, „böse“, „gerecht“, „ungerecht“ oder „gemein“, sie ist einfach so, wie sie ist. Auch wenn alles Leben das „Prinzip Eigennutz“ verfolgt (Mehrung des eigenen Wohls und Meidung von Wehe), heißt das nicht, dass die Evolution einen erkennbaren Sinn oder ein bestimmtes, übergeordnetes Ziel verfolgen würde. Das ist einfach so wie es ist und das wars auch schon, alles andere ist Spekulation!
Obwohl wir Menschen hauptsächlich leben und Entscheidungen treffen, als wären wir unsterblich.*
Warum schreiben Sie immer von „uns Menschen“, wo Sie gar nicht sagen können, ob wirklich alle Menschen so ticken wie Sie?
Natürlich müssen wir das so tun, uns bleibt nichts anderes übrig, als ständig weiterzumachen. Das ist auch gut. Denn sonst würden wir Wege einschlagen, die den „nach mir die Sintflut-Gedanken“ in sich tragen.*
Diese Logik verstehe ich nicht. Angenommen, wir verhalten uns unfair und schädlich, machen aber „ständig weiter“ – dann entspricht dieses Verhalten doch genau dem „nach mir die Sintflut“- Denken? Vielleicht wäre es ja viel ethischer, mal mit irgendwas nicht „ständig“ weiterzumachen?
Wir müssen denken, dass Entscheidungen der Zukunft auch etwas mit uns zu tun haben. Auch wenn sie vielleicht nur von unseren Nachfahren gelebt werden.*
Natürlich ist es sinnvoll, die Zukunft zu antizipieren (eine tolle Fähigkeit, mit der die Evolution den Menschen und wohl auch einige andere Tiere ausgestattet hat), sich die Konsequenzen seines Handelns bewusst zu machen und die Konsequenzen nach ethischen Gesichtspunkten (nicht nach religiösen Moralismen) abzuschätzen.
Und was kann man tun, wenn das Grauen hereinbricht? Was kann Abhilfe schaffen?*
Zum Beispiel ein gutes Buch, das keine vormittelalterlichen Schauermärchen, sondern den aktuellen Stand der Wissenschaft enthält. Ein solches Buch kann sehr hilfreich sein, um beklemmende, eingeredete Schuldgefühle zu überwinden und um sich durch Erkenntnis und selbständiges Denken von belastenden, irrelevanten Dogmen und Dualismen zu befreien.
Man kann sich zum Beispiel mit der unglaublich faszinierenden und spannenden Geschichte der Evolution befassen, etwa mit Frank Schätzings Buch „Nachrichten aus einem unbekannten Universum: Eine Zeitreise durch die Meere.“ Danach versteht man sicher vieles viel besser, sieht in vielen Bereichen klarer und hatte zugleich eine äußerst unterhaltsame Lektüre. Und wenn man schon dabei ist, findet man auf awq.de eine gute Auswahl an Buchtipps,** die den eigenen Horizont extrem erweitern können.
Ansonsten kann, wie oben schon empfohlen, auch ein ein- oder mehrmonatiger Auslandsaufenthalt Abhilfe schaffen: Neue Eindrücke, neue Horizonte, neue Begegnungen außerhalb des eigenen Dunstkreises und vielleicht auch mal außerhalb der Komfortzone, weniger „Dunkel“ (je nach Reiseziel), und schon kann es gar nicht schnell genug November werden!
Wer wirklich in jahreszeitlich abhängigen Episoden mit seelische Problemen zu kämpfen hat, sollte auf jeden Fall professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Die Psychologie, die Hirnforschung und auch die Medizin können aufgrund ihrer wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnissen davon betroffenen Menschen heute zum Glück oft sehr gut helfen, solche Episoden gut zu überstehen. Es ist keine Schande, Hilfe anzunehmen und es ist sicher sinnvoller, als in einer depressiven Verstimmung oder gar Depression auf das Anstecken von Kerzen im Advent zu warten.
Eine weitere Möglichkeit, das Novembergrau sinnvoll zu gestalten, wäre es, Freunde einzuladen und statt über Gott über die Welt zu diskutieren. Dabei vergeht die Zeit wie im Flug und, wer weiß, vielleicht bringt ja gerade ein dunkler Novemberabend die grundlegende Wende im Leben weg von den Mythen und falschen Heilsversprechen, hin zum Leben?
Für mich kommt spätestens im Advent dann eine außerordentliche Wendung, nämlich dann, wenn ich die erste Kerze anstecken darf.*
Wer oder was hindert Sie daran, schon im November Kerzen anzustecken, wenn Ihnen das doch so hilft?
Licht tritt ins Dunkle. Und die Kerzen werden mehr und mehr, das Licht wird immer größer und immer mehr erleuchtet es das dunkle Dasein.*
Das Dasein ist weder dunkel noch hell, höchstens Ihre Stimmung.
Das Licht Gottes potenziert sich dann am 24. Dezember, am Heiligabend, wenn zu dem Licht des Tannenbaumes die Liebe der Nächsten hinzukommt.*
Da es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott (und auch keinen Engel, der das Licht tragen könnte) gibt, hat er auch kein Licht, das sich anlässlich eines ursprünglich heidnischen Festes kurz nach der Wintersonnwende potenzieren könnte. Das Licht am Tannenbaum haben Trockennasenaffen vom Typ Mensch dort angebracht und auch die Liebe der Nächsten ist die Liebe der Nächsten und hat nichts mit einem Gott zu tun. Ist es nicht geradezu wundervoll, dass der Mensch ganz ohne göttlichen Einfluss zu solch schönen Empfindungen fähig ist?
Weihnachten- die Geburt Jesu am 25. Dezember- ist ein wunderschönes Fest.*
Weihnachten ist nicht die Geburt Jesu, sondern die jährliche Aufrechterhaltung eines vormittelalterlichen Mythos, für den es nichtmal wirklich belegbare Beweise, sondern nur sehr widersprüchliche, mehrfach unterschiedlich interpretierte, übersetzte und verfälschte Berichte aus unzuverlässigen bzw. unbekannten Quellen gibt. Die Bedeutung dieser Geschichte ist somit irgendwo zwischen Grimm’s Märchen und der Nibelungensage zu verorten. Aber das ist natürlich kein Grund, nicht trotzdem mal ordentlich zu feiern!
Ich liebe es und es hält mich wahrhaftig am Leben.*
Wenn Ihre Leben von der Feier der Geburt eines Menschen, der vor rund 2000 Jahren von einem Geist gezeugt und von einer Jungfrau geboren wurde abhängt, dann wäre es vielleicht tatsächlich eine sinnvolle Idee, den November in wärmeren Gefilden zu verbringen, vielleicht an einem Ort, wo im November gerade Sommer ist?
Genauso wie Gott es mit der Geburt seines Sohnes gewollt hat: Leben auch in den düstersten Zeiten des Todes.*
Woher wissen Sie so genau, was Gott mit der Geburt seines Sohnes gewollt hat, dass Sie es einfach so behaupten können, als handle es sich dabei um eine reale Tatsache? Dass alle Aussagen der Bibel quasi beliebig ausgelegt werden können und die Bibel bei einer selektiven Lesart für alle Sichweisen die erforderlichen Begründungen und Rechtfertigungen liefert, habe ich in vielen Kommentaren schon zu genüge ausgeführt. Tod an sich ist nicht düster, Tod ist die natürliche Folge von Leben. Nur Hinterbliebene können durch Tod eine „düstere Zeit“ haben, aber die leben ja sowieso schon (sonst könnten sie keine Zeit als „düster“ empfinden) – auch ohne eine angebliche Geburt eines Gottessohns.
Die Zeiten, in denen Jesus angeblich auf Erden wandelte, waren sicher „düsterer“ als die unserigen (damals befand sich die Menschheit noch in der „Kindheit“ ihrer Entwicklung, wie man unschwer am Welt- und Wertebild der Bibel erkennen kann), aber deswegen waren es doch nicht die „Zeiten des Todes“ ? Das Leben geht, egal ob düster oder nicht, so lange, wie es geht und dann ist es vorbei, völlig emotionslos und ohne „Gut“ oder „Böse“, sondern einfach so.
Für mich persönlich ist die Zeit von September bis November die schönste Zeit des Jahres, sie hat diese „besondere Etwas“ dessen, was die Hälfte gerade überschritten hat, wie Max Goldt es einmal so schön formuliert hat. Außerdem nimmt man sich dann wieder mehr Zeit zum Lesen, wenn es abends früher dunkel ist. Und auch im November gibt es in unseren Breiten immer wieder herrliche Sonnentage, zumindest auf den Bergen.
*Das Online-Portal Osthessennews fordert jede Woche unter der Rubrik „NACHGEDACHT“ mit „liberal-theologischen“ Gedanken zum Nachdenken auf. Alle als Zitat gekennzeichnete Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Original-Artikel von Christina Leinweber.
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