Das Wort zum Wort zum Sonntag: Vitality Tracker

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Kommentar zu Das Wort zum Sonntag: Vitality Tracker, gesprochen von gesprochen von Gereon Alter (kath.), veröffentlicht am 14.02.2016 von ARD

[…] Aber darum geht es in dieser Zeit doch gar nicht – zumindest nicht, wenn ich mich an Jesus Christus orientiere. Denn der hat nicht gesagt: „Ich bin gekommen, damit ihr leistungsfähiger werdet“, sondern „… damit ihr das Leben habt und es in Fülle habt.“*

In der hier zitierten Geschichte von Johannes, der von allen Evangelisten die blühenste Phantasie hatte und „seinen“ Jesus viele Jahre nach dessen Tod nach seinen (Johannes‘) eigenen Wünschen und Vorstellungen zurechtgeschrieben hatte, geht es um Schafe.

Selbst wenn man die Geschichte nur als Gleichnis sieht, ist es doch trotzdem bezeichnend, dass Menschen als Schafe dargestellt wurden. Es sagt viel darüber aus, wie sich die Kirche ihre An- bzw. Abhängigen wünscht – nicht als selbständig denkende Individuen, sondern als Schafsherde, der man bestenfalls eine gewisse Schwarmintelligenz (oder -hörigkeit) zutraut: Einem Fremden aber folgen sie nicht nach, sondern fliehen von ihm; denn sie kennen der Fremden Stimme nicht. (Joh 10.5, Lutherbibel 1912)

Abgesehen davon hat Jesus angeblich auch noch ganz andere Sachen gesagt, zum Beispiel:

  • Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. (Mat 10,34, Einheitsübersetzung)
  • Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter;
    und die Hausgenossen eines Menschen werden seine Feinde sein. (Mat 10,35-36, Einheitsübersetzung)
  • Brüder werden einander dem Tod ausliefern und Väter ihre Kinder, und die Kinder werden sich gegen ihre Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken. (Mat 10.21, Einheitsübersetzung)

Und, besonders prekär im Zusammenhang mit dem Thema „Leben“:

  • Wer das Leben gewinnen will, wird es verlieren; wer aber das Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen. (Mat 10.39, Einheitsübersetzung)

Was denn jetzt: „…damit ihr das Leben habt und es in Fülle habt“ oder „wer aber das Leben meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ !?

Wenn ich auf ihn und auf seinen Lebensweg schaue, dann sehe ich einen Menschen vor mir, der vor allem eines wollte: lebendig sein. Lebendig sein, präsent sein, das Leben in seiner ganzen Weite und Tiefe leben.

Dazu müssen wir nicht auf den Lebensweg eines Menschen schauen, der vor 2000 Jahren vielleicht gelebt hat und dessen Lebensweg wir nur aus Geschichten von Leuten kennen, die Jesus nur vom Hörensagen gekannt haben, weil es (wahrscheinlich mangels Relevanz) keine schriftlichen Augenzeugenberichte gab. Wenn Jesus wirklich gelebt hat, dann war er, wie jedes andere Lebewesen auch, ein Lebewesen, das leben wollte, unter anderen Lebewesen, die auch leben wollten. Diese Eigenschaft lässt sich mit jedem beliebigen Lebewesen demonstrieren – das zugrundeliegende „Prinzip Eigennutz“ findet sich bei allen Lebewesen, bei Protozellen genauso wie bei Stinkmorcheln, Grottenolmen, Gummibäumen oder Menschen.

Und daran hat er festgehalten, selbst als es für ihn schwer wurde und aus seiner Erfolgsgeschichte ein großer Mißerfolg zu werden drohte.

Es ist wirklich kein Zeichen von besonderer Außergewöhnlichkeit, dass ein Mensch auch in schweren Zeiten überleben möchte – wenn er nicht gerade lebensmüde ist. Abgesehen davon ist diese Aussage nach christlicher „Logik“ mehr als widersprüchlich. Angeblich ist Jesus ja ein Teil des dreifaltigen Gottes. Als solcher hätte er eigentlich wissen müssen, dass sein Vater ihn als Menschenopfer für sich selbst zur Vergebung aller früheren und zukünftigen Sünden aller Menschen vorgesehen hatte.

Ein Misserfolg wäre seine Erfolgsgeschichte geworden, wenn er nicht am Kreuz gestorben wäre – oder wenn kreativen Geschichtsschreibern nicht viele Jahrzehnte später das wundersame Märchen von der Auferstehung und Himmelfahrt des Jesus eingefallen wäre, was seinem profanen Kreuzestod zu einem angeblichen göttlichen Liebesbeweis aufwertete.

Die ganze verwirrende, höchst widersprüchliche, aber offensichtliche Unlogik in diesen Märchen rührt daher, dass alles, was heute noch als angebliche „Erfolgsgeschichte von Jesus“ verkauft wird, der menschlichen Phantasie entsprungen ist. Man kann den Märchenschreibern von damals keinen Vorwurf machen – sie konnten noch nicht absehen, dass ihre Geschichten auch rund 2000 Jahre später immernoch existieren würden und dass man dann genug wissen würde, um all die erfundenen Geschichten als solche entlarven zu können.

[…] Es geht [am Ende des Lebens] nicht darum zu funktionieren, es geht darum lebendig zu sein.

Wenn das Leben zu Ende geht, geht es nicht mehr unbedingt vorrangig darum, lebendig zu sein. Es ist ein völlig legitimes Menschenrecht, über seinen eigenen Tod selbstbestimmt zu entscheiden. Und deshalb ist es auch völlig unerheblich, welche Meinung eine Religion aufgrund ihrer Moralismen dazu hat. Es ist geradezu skandalös, dass selbst im 21. Jahrhundert die Kirche noch so viel Einfluss hat, dass sie sich auch hier noch in das Leben der Menschen (ob gläubig oder selbstdenkend) einmischen kann.

Abgesehen davon ist auch diese Aussage auch aus religiöser Sicht unlogisch: Das Heilsversprechen der christlichen Kirche bezieht sich auf das Jenseits. Der einzige Weg dorthin ist und bleibt der Tod. Deshalb müssten es eigentlich alle Christen gar nicht erwarten können, dass ihr Leben endet, was erstaunlicherweise aber nur selten der Fall ist. Die Menschen, die sich tatsächlich den Tod herbeisehnen, werden durch kirchliches Betreiben daran gehindert, ihrem Leben selbstbestimmt legal ein Ende zu setzen.

Das ist die große Weisheit des Jesus von Nazareth.

Woher wollen Sie wissen, was die „große Weisheit des Jesus von Nazareth“ ist? Etwa aus der Bibel? Die Geschichten in der Bibel haben mit dem möglicherweise historisch belegbaren Jesus bis auf den Namen praktisch nichts zu tun. Besonders alle wundersamen Geschichten, in denen Jesus angeblich übernatürliche Fähigkeiten hatte, sind menschliche Wunschphantasien.

Das ist das Große, für das er gestanden, gelebt und gelitten hat.

Wofür der Jesus, der von den Evangelisten erfunden wurde, gestanden, gelebt und gelitten hat, ist unerheblich, weil es sich beim biblischen Jesus nur um eine Kunstfigur wie König Artus oder Olaf, den Schneemann handelt (der historische Jesus ist nur in einer Erwähnung als Bruder des Joseph indirekt erwähnt.). Wenn es den historischen Jesus gegeben hat, dann war er ein jüdischer Wanderprediger, der die baldige Ankunft seines Gottes ankündigte und der nebenbei als Exorzist tätig war – ein damals nicht unübliches Berufsbild.

Einmal mehr wird hier etwas wie eine Tatsache behauptet, obwohl es sich dabei um nichts weiter als eine beliebige Interpretation eines vormittelalterlichen Märchens handelt. Leichtgläubige Menschen könnten darauf hereinfallen und denken, dass diese Aussagen irgendeinen Wahrheitsgehalt hätten. Deshalb sind solche Aussagen heuchlerisch und irreführend.

Wir brauchen keine archaischen Märchen, um uns der Einzigartigkeit und Einmaligkeit unseres Lebens bewusst werden zu können.

*Alle als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.

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