Das Wort zum Wort zum Sonntag: Und die Zeit stand still

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Das Wort zum Wort zum Sonntag: Und die Zeit stand still, gesprochen von Elisabeth Rabe-Winnen (ev.), veröffentlicht am 19.03.2016 von ARD / daserste.de

[…] Zwei Fans sacken zusammen. Herzinfarkt. Im Stadion. Auf der Tribüne. Einer überlebt – im Krankenhaus. Einer stirbt – noch im Stadion.
[…]Die Fußballfans haben gezeigt wie das geht: Mit-leiden. Mensch sein. Menschen stehen Menschen bei. Gott sei Dank ist das so.

Wenn schon, dann „Evolution sei Dank“ – erfundenen Göttern (und dann noch gerade dem Christengott) ausgerechnet für mitmenschliche Eigenschaften zu danken, ist geradezu absurd.

Ich glaube: Diese Mitmenschlichkeit ist etwas Göttliches. Ich glaube: Gott selbst ist menschlich.*

Mitmenschlichkeit heißt so, weil man früher Altruismus für eine ausschließlich, wenn nicht sogar für die hauptsächliche Eigenschaft hielt, die Menschen von allen anderen Lebewesen unterscheiden solle.

Heute weiß man, dass auch andere Lebewesen zu altruistischen, empathischen Verhaltensweisen fähig sind. Mitfühlen und auch mitleiden können, bedeutete ab einer bestimmten Entwicklungsstufe einen Entwicklungsvorteil gegenüber rein egoistischem Verhalten. Mitmenschlichkeit beruht auf der Reziprozitätsnorm, die kulturübergreifend festzustellen ist. Außerdem wurden auch schon die genetischen Grundlagen des Altruismus erforscht – weit und breit kein Gott in Sicht.

Egal ob mitleidender Mensch, mitfühlendes Tier oder respektvolle Pflanze: Man sollte sich immer bewusst sein, dass all das in Wirklichkeit bis zum Beweis des Gegenteils nichts mit irgendwelchen Göttinnen oder Göttern zu tun hat.

Wie Gesellschaften mit dem Thema Tod umgehen, ist in erster Linie eine Frage der sozio-kulturellen Entwicklung und kann sich je nach Land, Zeitalter, Wissensstand, kultureller, aber auch religiöser Prägung stark unterscheiden – von einer völligen Tabuisierung bis hin zu jährlichen Totenfesten, zu denen die Toten zum Feiern aus ihren Gräbern geholt werden.

Ein Sozialpsychologe könnte sicher genau erklären, warum die Menschen in diesem Fall mit Schweigen auf die plötzliche Konfrontation mit dem Tod reagiert haben – und in dieser Erklärung wird sicher kein Gott vorkommen.

Er könnte wahrscheinlich auch erklären, ob Betroffenheit tatsächlich ein Ausdruck besonderer Mitmenschlichkeit ist, besonders deshalb, weil es nicht den geringsten seriösen Grund zur Annahme gibt, der Verstorbene würde nach seinem Tod noch irgendetwas mitbekommen und selbst wenn, hätte dürften die menschlichen Regungen der Hinterbliebenen keine Rolle mehr für ihn spielen.

Natürlich kann man, wie Frau Rabe-Winnen, glauben, dass es einen Gott gibt und man kann sich auch irgendwelche Eigenschaften für diesen Gott ausdenken. Genauso wie man sich auch ausdenken kann, dass zum Beispiel der Gestiefelte Kater wirklich Sieben-Meilen-Schritte mit seinen Sieben-Meilen-Stiefeln machen kann. Aber wozu sollte man das tun und welche Konsequenzen hätte eine solche Vorstellung? Irgendwelche realen Schlüsse aus einer irrealen Idee zu ziehen, wäre unredlich und heuchlerisch.

Das ist das Unglaubliche des christlichen Glaubens: Gott selbst wird Mensch.

Wenn es unglaublich ist, warum sollte man es dann glauben? Diese Aussage ist ungefähr so bedeutsam wie die Aussage: „Das ist das Unglaubliche am Froschkönigmärchen: Der Frosch selbst wird Prinz.“ Das kann man natürlich alles tun, aber niemand würde doch auf die Idee kommen, aus solchen fiktiven Annahmen und beliebigen Zuordnungen („Gott wird….“, „…ist etwas Göttliches“ usw.) ernsthaft irgendwelche Schlüsse für unsere reale Wirklichkeit zu ziehen (also für die Wirklichkeit, in der auch Christen nach links und rechts schauen, bevor sie über die Straße gehen).

Und ganz besonders frag- und kritikwürdig finde ich es, wenn, wie in diesem Fall, mitmenschliches Verhalten dazu missbraucht wird, einem Gott, der (zumindest nach der biblischen Beschreibung) nun wahrlich alles andere als human ist, die gewünschten, menschlichen Eigenschaften zuzuschustern. Leichtgläubige Menschen könnten einem solchen Taschenspielertrick auf den Leim gehen und nicht durchschauen, wie hier Wunsch und Wirklichkeit nach Belieben vermischt werden und dass es in Wirklichkeit völlig egal ist, welche Eigenschaften der imaginäre Freund angeblich hat.

Der lacht und lebt und leidet und stirbt.

Ich kann es nur nochmal wiederholen: Um überirdischen Wesen, die noch niemals seriös belegbar in Erscheinung getreten sind, irgendwelche Eigenschaften zuschreiben zu können, müsste man vorher erstmal seriös belegen können, dass es sie überhaupt gibt. Für den Anfang wäre schon mal eine allgemeinverbindliche, einheitliche und aussagekräftige Definition des Begriffes „Gott“ hilfreich. Ohne eine Definition und einen seriösen Beleg müsste man redlicherweise etwa schreiben: „Den ich mir lachend und lebend und leidend und gestorben vorstelle.“ oder „von dem ich mir wünsche, dass er ….“.

Selbst wenn ein Yeshua ben Yosef tatsächlich gelebt haben und gekreuzigt worden sein sollte, so wird  der biblische, erfundene Wunsch-Jesus dadurch kein bisschen realer.

Wenn die Grundlage für die Annahme, Gott sei selbst Mensch geworden, die Bibel ist, dann ist die Aussge, Mitmenschlichkeit sei etwas Göttliches, geradezu Blasphemie an der Menschlichkeit.

Der biblische Gott ist alles andere als mitmenschlich: Im Alten Testament wird Gott als rach- und streitsüchtiges, selbstgerechtes, egoistisches, ungerechtes, kriegerisches, sadistisches Wesen beschrieben. Die angebliche Gottesliebe im Neuen Testament wird nur Menschen in Aussicht gestellt, die sich ganz ihm unterwerfen und selbst dann ist die Liebe Gottes einzig und allein von dessen Wohlwollen abhängig. Für alle Nicht- und Andersgläubigen drohen zeitlich unbegrenzte (!) physische und psychische Höllenqualen.

Außerdem hat der biblische (auch der Neutestamentarische!) Gott eine Vorliebe für Menschenopfer. Um den Menschen seine Liebe zu beweisen und ihnen ihre Sünden zu vergeben, toleriert dieser Gott nicht nur die Opferung seines eigenen Sohnes auf die denkbar grausamste und inhumanste Art und Weise, er fordert dieses Menschenopfer sogar ausdrücklich.

Wer Mitmenschlichkeit als Merkmal ausgerechnet eines solchen Gottes ansieht, der hat ein mehr als seltsames Verständnis von der Bedeutung des Begriffes „Mitmenschlichkeit.“

In der kommenden Woche erinnern Christen das wieder. Am Karfreitag. Stehen unter dem Kreuz Jesu. Stehen bei Gott in Seinem Leiden. Und werden still.

Wenn Jesus Gott ist, ergibt die Hinrichtung am Kreuz keinen Sinn. Das würde ja bedeuten, dass Gott einen Teil von sich selbst grausam zu Tode foltern lässt, um sich damit selbst zu besänftigen. Aber auch wenn Jesus „nur“ der Sohn Gottes sein soll, wird es nicht besser: Welcher Vater ordnet schon die Hinrichtung seines Sohnes an, noch dazu zu dem einzigen Zweck, anderen Menschen seine Liebe damit zu beweisen?

Die Menschen, die sich diese Geschichte ausgedacht haben, hatten entweder keinen blassen Schimmer von einfachster Logik, oder aber sie nahmen die zahlreichen, unüberwindlichen Ungereimtheiten billigend in Kauf, um ihr gewünschtes, erfundenes Gottesbild konstruieren zu können. Wahrscheinlich treffen beide Vermutungen zu.

Man kann den vormittelalterlichen Geschichtsschreibern heute keinen Vorwurf mehr machen. Allerdings muss man es Menschen vorwerfen, wenn sie heute noch solchen inhumanen Mythen und grausamen Märchen irgendeine besondere Bedeutung zuschreiben und sie so ins Gegenteil pervertieren, dass sie am Ende gar ein Beleg für eine angebliche göttliche „Mitmenschlichkeit“ sein sollen.

[…] Und – wenn der Weg zu Ende geht – wie bei dem Fan im Stadion, dann, auch dann wird der Mensch niemals alleine gehen. Das glaube ich. Nach dem Tod formt sich – aus der Stille – wieder Gesang.

Foto: Katharine Sparrow
Friedhof. Foto: Katharine Sparrow

Ob ein Mensch alleine oder umgeben von 80.000 anderen Menschen stirbt, ist keine Frage des Glaubens, sondern eine Frage der Umstände, unter denen er stirbt. Erfahrungsgemäß wird auch nach dem Tod eines Menschen wieder gesungen. Das hat aber nach allem, was wir heute wissen, keinen Einfluss mehr auf den Verstorbenen, von dem außer Atomen, möglicherweise weitergegebenen Genen und den Erinnerungen an ihn nichts übrig bleibt.

An dieser Stelle muss einmal mehr darauf hingewiesen werden, dass sich die christliche Kirche bis heute das Recht herausnimmt, ein legales, bei Bedarf assistiertes, selbstbestimmtes Lebensende in Würde allen Menschen (nicht nur ihren Anhängern!) verbieten zu lassen – eine Ungeheuerlichkeit.

Fazit: Ob Einhorn, Fee oder Gott – wer gerne an von Menschen erdachte Phantasiewesen glauben möchte, kann dies natürlich tun – die Gedanken sind frei, Redlichkeit ist keine Pflicht und Realitätsverlust ist kein Verbrechen. Wer diesen Wesen irgendwelche Eigenschaften zuschreiben und sich ihnen unterwerfen möchte, kann auch dies tun.

Man muss solche kindlich-naiven Gedankengänge nicht mal erklären, solang man keinen Wert darauf legt, von irgendwem ernst genommen zu werden und solange man diese Scheinwelt für sich behält. Welche Gründe es für ein solch irrationales Verhalten (abgesehen vom Broterwerb) geben könnte, wäre trotzdem ein interessantes Diskussionsthema.

Und bei der Gelegenheit könnte man auch mal darüber diskutieren, warum solche Gedanken mit völlig unangemessener finanzieller staatlicher Subvention und Priveligierung im „Öffentlich-rechtlichen“ Fernsehen verkündet werden.

Die Religionsfreiheit beinhaltet auch die Freiheit von Religion und sie legitimiert nicht die Bevorzugung einer bestimmten Religion.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.

**Teaserbild: By Jörg Behrens (Own work) [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

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