Kommentar zu: Insassen hatten Schutzengel – Schwerer Unfall auf A 7 – Auto mit Anhänger schleudert über Fahrbahn

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Kommentar zu: Insassen hatten Schutzengel – Schwerer Unfall auf A 7 – Auto mit Anhänger schleudert über Fahrbahn, veröffentlicht am 24.5.2016 von Osthessennews

Das regionale osthessische Online-Nachrichtenmagazin berichtete über einen Autounfall und gab in der Überschrift und auch auf Facebook an, dass die Insassen „Schutzengel“ gehabt hätten. Im Bericht war dann allerdings von Engeln keine Rede mehr:

[…] Der Fahrer und die 50-jährige Beifahrerin wurden glücklicher Weise nur leicht verletzt.*

Airbag: Wirksasmer als alle Schutzengel
Airbag: Wirksasmer als alle Schutzengel

Wie dem Bericht zu entnehmen ist, hatten die Insassen wohl wirklich Glück, dass ihnen nicht mehr passiert war. Ganz offenbar hatte eine Reihe von Umständen und Voraussetzungen dazu geführt, dass der Unfall verhältnismäßig glimpflich abgelaufen war.

Womöglich hätte schon ein kleine kleine Abweichung eines kleinen Details gravierende Auswirkungen auf den Ausgang des Unfalls haben können – ein etwas anderer Zustand der Straße, 2 km/h schnellere Geschwindigkeit, ein anderes Auto…

Zum Glück für die Insassen war genau das aber nicht der Fall – sie wurden nur leicht verletzt, obwohl die Art des Unfalles schon bei geringfügig anderem Verlauf sicher auch hätte schlimmstenfalls tödlich enden können.

Ein Unfall ist, genauso wie alles andere, was geschieht, die Folge von etwas (genauer: von einer riesigen Menge „etwas“), was vorher passiert ist und dazu geführt hat. Diesen „Mechanismus“ nennt man „Determinismus.“ Alles ist determiniert, es ist die Folge von etwas, was vorher passiert ist. Dies entspricht dem, wie wir die natürliche Wirklichkeit beobachten, messen und nachvollziehen können.

Manchmal kann man die Zusammenhänge zwischen „Ursache“ und „Wirkung“ ziemlich sicher und einfach erkennen. Wenn man sich mit einem Hammer auf den Daumen klopft, dann kann man ziemlich sicher sein, dass der empfundene Schmerz durch den Schlag verursacht wurde.

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Butterfly-Effekt

Andere Fälle sind wesentlich komplexer. Da passieren Dinge, deren Ursachen vielleicht so komplex sind, dass wir sie schon allein deshalb nicht erkennen und sicher zuordnen können. Auch können sich Ursachen, die sich unserer Kenntnis entziehen und die wir deshalb gar nicht im Zusammenhang mit dem Geschehen wahrnehmen, gravierend auswirken, wie etwa beim so genannten Butterfly-Effekt.

Mit anderen Worten: Vieles, was passiert, können wir uns einfach nicht erklären. Je unwahrscheinlicher uns etwas erscheint, umso unerklärlicher ist es uns meist auch. Dazu kommt, dass Menschen dazu neigen, Situationen zu bewerten und allem einen bestimmten Sinn entnehmen zu wollen.

Für manche Menschen ist der Umstand, vieles nicht erklären oder wissen zu können und dass vieles nach unserem persönlichen Welt- und Wertebild keinen Sinn ergibt, schier unerträglich. Statt dieses „Unwissen“ auszuhalten, neigen manche Menschen dann dazu, sich Gründe auszudenken, die zu etwas „Unerklärlichem“ oder „Unwahrscheinlichem“ geführt haben sollen.

Diese Menschen fühlen sich mit einer erfundenen „Ursache“ wohler als mit dem Umstand, die Ursache/n von etwas einfach nicht zu kennen. Dafür sind sie sogar bereit, diese erfundene Ursache ohne jede Beweise oder tatsächliche, reale Anhaltspunkte zu akzeptieren. Diese intellektuelle Unredlichkeit (an etwas wider besseres Wissen und gegen jede Logik und Vernunft festzuhalten) bezeichnet man als Glauben.

Wen beschütze ich heute...?
Wen beschütze ich heute…?

Wer zum Beispiel an Schutzengel glaubt, der weiß natürlich, dass es bis zum Beweis des Gegenteils keine Schutzengel gibt. Vielleicht ist ihm sogar insgeheim bewusst, dass die Annahme von der Existenz von Schutzengeln jede Menge unbeantwortbare Fragen aufwerfen würde, wenn man das Thema einmal so sachlich betrachten würde, wie man sich in der Regel auch ansonsten mit der realen Wirklichkeit auseinandersetzt: Wer oder was sollen Schutzengel sein? Wie greifen sie ins Geschehen ein? Nach welchen Maßstäben entscheiden sie, wen sie wann, wie und wovor schützen?

Und genauso wie der „liebe Gott“ müssen sie sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie offenbar entweder sadistisch (wenn sie helfen könnten, aber nicht wollen) oder unfähig (wenn sie helfen wollten, aber nicht können) sind, weil es ja nicht nur gute, sondern auch schlechte Zeiten gibt. Und es gibt auch Situationen, in denen jemand Glück, ein anderer dadurch aber Unglück erfährt.

Nichts deutet darauf hin, dass tatsächlich irgendwelche überirdischen Geisterwesen ihre Finger (oder was auch immer) im Spiel haben, wenn Dinge passieren, die wir uns nicht erklären können. Vor gar nicht allzu langer Zeit war die Anzahl der unerklärlichen Dinge noch viel viel größer als heute. Krankheiten wurden Dämonen zugeschrieben, Blitz und Donner waren Zeichen für erzürnte Götter… Niemand würde heute noch ernsthaft behaupten, die über den Horizont wandernde Sonne sei der Wagen des Sonnengottes.

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Systematischer Selbstbetrug

Ein weiterer, häufig in diesem Zusammenhang anzutreffender Denkfehler wird als „confirmation bias“ bezeichnet: Menschen haben eine bestimmte „Wunschvorstellung“ und deuten alles, was sie wahrnehmen, als eine Bestätigung für die Richtigkeit ihrer Annahme, für die es allerdings keinen einzigen seriösen Beweis gibt.

Das klassische Beispiel sind Gläubige, die in allem, was sie positiv empfinden, die Liebe ihres Gottes erkennen und in allem Negativen ebenfalls – da sind dann eben die „Wege des Herrn“ unergründlich. Das wäre so, wie wenn man akzeptieren würde, dass 2+2 = 4, aber auch 2 + 2 = 22 ist.

Und so gibt es auch heute, im Jahr 2016 und im an sich aufgeklärten Nordwesteuropa noch Menschen, die offenbar tatsächlich von der Existenz von Schutzengeln ausgehen. Sie scheinen so fest von deren Existenz überzeugt zu sein, dass sie auf eine einfache, sachlich formulierte Nachfrage, woran man denn erkennen könne, dass zum Beispiel die Insassen eines Unfallwagens nicht nur einfach „Glück“, sondern tatsächlich „Schutzengel“ gehabt hätten, mit Beleidigungen und üblen, persönlichen Beschimpfungen reagieren.

Solche Reaktionen wären nachvollziehbar, wenn ich nicht nur nachgefragt hätte, sondern wenn ich mich zum Beispiel über den Glaube an Schutzengel lustig gemacht hätte, was nicht der Fall war.

Der tatsächliche Grund für die unangemessenen Reaktionen dürfte die so genannte „kognitive Dissonanz“ sein. Damit bezeichnet man den als mitunter sehr unangenehm empfunden Konflikt zwischen dem, was man weiß und dem, was man glaubt. Gläubige Menschen (egal ob religiös, esoterisch oder sonstwie gläubig) haben Strategien, dieses unangenehme Gefühl zu bewältigen – meist ignorieren sie den Konflikt zwischen Wunsch (es gibt Schutzengel) und Wirklichkeit (es gibt keine Schutzengel) und verzichten einfach darauf, weiter darüber nachzudenken..

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Lass meine Scheinwelt in Ruhe!

Wird ihre Scheinwirklichkeit dann doch mal mit der natürlichen Wirklichkeit konfrontiert, reagieren sie nicht sachlich, sondern wie ein beleidigtes kleines Kind. Selbst intelligente, ansonsten anständige und freundliche Menschen sind dann plötzlich zu Beleidigungen und Beschimpfungen fähig, die man ihnen sonst nie zugetraut hätte.

Der innere Konflikt ist für sie ein „wunder Punkt“, ein „rotes Tuch“, deshalb versuchen sie, ihm möglichst aus dem Weg zu gehen.

Ein Diskussionsteilnehmer lieferte einen interessanten Beitrag. Man wisse nicht, auf welche Art und Weise Schutzengel „arbeiten“, ob sie auf Gebete hören (können) und nach welchen Kriterien sie entscheiden, wen sie wovor schützen und wen nicht. Damit ist kein Unterschied zwischen dem, was wir „Zufall“ nennen und dem Wirken von „Schutzengeln“ erkennbar.

Der eigentliche Grund dafür, dass der Unfall so und nicht anders verlaufen ist, war weder der Zufall, noch der Eingriff von überidischen Wesen. Es war das sehr komplexe Zusammenspiel sehr vieler Faktoren, die dazu geführt haben. Dieses Zusammenspiel ist aus Sicht der Betroffenen natürlich „Glück“, trotzdem ist der Determinismus genauso neutral wie zum Beispiel die Schwerkraft, der es auch egal ist, was jemand von ihr hält – die wirkt einfach.

Wenn etwas passiert, was wir als positiv empfinden, es uns aber nicht erklären können, so gibt es keinen vernünftigen Grund, einen Grund dafür zu erfinden oder an einen offensichtlich erfundenen Grund zu glauben. Wenn es einen interessiert, kann man natürlich versuchen herauszufinden, was tatsächlich die Gründe für etwas waren, man kann sich aber auch einfach darüber freuen und glücklich sein.

Zusammenfassung:

  • Schutzengel sind, genauso wie alle anderen Götter, Geister und Gottessöhne bis zum Beweis des Gegenteils nichts als rein menschliche Fiktion und Illusion, für die es keinen einzigen seriösen Beleg gibt.
  • Was passiert, passiert, weil etwas, was vorher passiert ist, dazu geführt hat.
  • Wenn wir den Zusammenhang zwischen dem, was passiert und dem, was dazu geführt hat, nicht erkennen können, sprechen wir von Zufall.
  • Das Nicht-Erkennenkönnen von Zusammenhängen zwischen Ursache(n) und Wirkung(en) macht es nicht erforderlich noch rechtfertigt es es, Gründe für solche Zusammenhänge zu erfinden oder an erfundene Gründe zu glauben. Bei rationaler, wissenschaftlicher Betrachtung gilt im Zweifelsfall und nur bis zum Beweis des Gegenteils die Hypothese, die mit den wenigsten unbekannten Größen und Unwahrscheinlichkeiten auskommt (Sparsamkeitsprinzip, Ockhams Rasiermesser).

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Artikel.
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