Kommentar zu „Am Heiligenhäuschen“ – Gottesdienst unter freiem Himmel zum Fest der Siebenschläfer

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Kommentar zu „Am Heiligenhäuschen“ – Gottesdienst unter freiem Himmel zum Fest der Siebenschläfer,
veröffentlicht am 01.07.16 von Osthessennews

In seiner Predigt ging er zunächst auf das Schicksal der Siebenschläfer ein, auf die Erzählung von den sieben jungen Männern, die zur Zeit des römischen Kaisers Decius wegen ihres Glaubens in einer Höhle bei Ephesus eingemauert wurden und nach mehr als 150 Jahren von ihrem Todesschlaf wieder erwachten.*

Siebenschläfer
Glaubt nicht an Gott: Siebenschläfer

Was auch immer sich irgendwann vor vielleicht 2000 Jahren irgendwo in Kleinasien abgespielt haben mag: Man kann heute mit Sicherheit davon ausgehen, dass definitiv kein Mensch jemals von einem „Todesschlaf“ nach mehr als 150 Jahren wieder „erwacht“ wäre.

Kein Wunder – bei diesem Märchen handelt es sich um eine damals schon weit verbreitete Legende. Die Geschichte kommt unter anderem sowohl im Christentum, als auch im Islam vor. Die verschiedenen Überlieferungen sind, wie bei Legenden und Mythen nicht anders zu erwarten, voller Widersprüche.

So existieren verschiedene Versionen, was den Zeitraum des Geschehens, die angebliche Schlafdauer (~170 bis ~372 Jahre), die angebliche Zahl der Schläfer und deren angebliche Namen angeht. Wie auch in der Bibel häufig anzutreffen, wurde auch diese Geschichte den Vorstellungen ihrer Verfasser entsprechend beliebig angepasst (Hervorhebung von mir):

  • Im Jahre 402 wurde Theodosius II. von seinem Vater bereits zum Mitkaiser (Augustus) ernannt. Das 38. Regierungsjahr des Theodosius II. ist also das Jahr 440. Rechnet man von diesem Jahr 372 Jahre zurück, ergibt sich das Jahr 68, in dem Kaiser Nero gestorben ist. Unter seiner Herrschaft fand eine Christenverfolgung statt, von der noch Jahre später mit Grauen gesprochen wurde. Die Verwendung der Zahl 372 verstärkt somit den Eindruck der Wunderwirkung beim Leser sowohl durch die sehr lange Zeitspanne als auch durch den Hinweis auf die schlimmen Gräueltaten unter Nero, wodurch die Verfolgung der Jünglinge dramatischer wirkt (Quelle: Wikipedia)

Auch die islamische Version strotzt nur so vor Widersprüchen, dass sogar das Märchen von Dornröschen (wo ja auch lang geschlafen wird) noch plausibler wäre…

Siebenschläfer-Legende als Glaubenszeugnis?

Pfarrer Schmitt hob ihr Glaubenszeugnis als Beispiel hervor.

Ganz offenbar spielt Plausibilität und Beweisbarkeit für ein Glaubenszeugnis keine Rolle. Denn trotzdem scheint Herr Pfarrer Schmitt die Siebenschläfer-Geschichte für so bedeutsam zu halten, dass er sie allen Ernstes erwachsenen Menschen vermutlich klaren Verstandes im Jahr 2016 als Beispiel für ein Glaubenszeugnis verkauft. Oder verkaufen muss, weil, was sollte er auch sonst thematisch zu einer Siebenschläfer-Kapellenfeier beitragen?

Um die Schafe in Staunen zu versetzen, spielten früher Wahrheit, Plausibilität und Glaubwürdigkeit keine Rolle. Im Gegenteil: Je unwahrscheinlicher und wundersamer, desto wirkungsvoller und beeindruckender die Geschichte. „Wow! 150 Jahre geschlafen und wieder fit! Das kann ja nur ein Zeichen Gottes sein!“

Man kann den Menschen dieser Zeit heute keinen Vorwurf mehr machen. Einen Vorwurf müssen sich allerdings die Leute gefallen lassen, die heute noch solche Geschichten für irgendwie bedeutsam halten. Und die Leute, die anderen Leuten diese Geschichten als außerordentlich bedeutsam verkaufen.

Unter Bezugnahme auf das Evangelium mit den Aufrufen Jesu zur Mitarbeit im Reiche Gottes hob er die in der Schrift erzählten Beispiele und auch die vom Judentum zum katholischen Glauben konvertierte Edith Stein als bedenkenswerte Anregungen für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Botschaft Jesu hervor.

Froschkoenig zu Siebenschlaefer
Starkes Glaubenszeugnis:
Der Froschkönig mit seiner Kugel

Eine Auseinandersetzung mit der Botschaft Jesu kann nur dann als „ernsthaft“ bezeichnet werden, wenn sie von realen Voraussetzungen ausgeht. Wer eine um erfundene, übernatürliche Götter, Geister und Gottessöhne erweiterten Scheinwirklichkeit für wahr hält, wird sich mit der Botschaft Jesu bestenfalls so ernsthaft auseinandersetzen können wie ein Märchenforscher, der über den Durchmesser der Kugel des Froschkönigs forscht oder über die Haarfarbe der Zahnfee.

Und er wird nur entsprechend „wertvolle“ Erkenntnisse gewinnen können. Egal, wie hoch wissenschaftlich jemand vorgeht: Wer von unrealistischen, sogar nachweislich falschen Vorausetzungen ausgeht, wird falsche, weil unrealistische Ergebnisse erhalten.

Götterreiche spielen für das Zusammenleben der Menschen im 21. Jahrhundert keine Rolle mehr. Reale Probleme werden durch die „Mitarbeit“ in angeblichen Gottesreichen genausowenig gelöst wie durch Engagement in einem Online-Rollenspiel. So etwas kann bestenfalls noch als Freizeitbetätigung gelten, wenn jemand nichts Besseres zu tun hat und mit der Realität vielleicht sowieso auf Kriegsfuß steht…

Bewältigungsversuch einer Heiligen

Die erwähnte Edith Stein versuchte, den Widerspruch zwischen Erkenntnis und Gottes Nichtexistenz durch diese paradoxe Formulierung zu bewältigen:

  • „Je höher die Erkenntnis ist, desto dunkler und geheimnisvoller ist sie, desto weniger ist es möglich, sie in Worte zu fassen. Der Aufstieg zu Gott ist ein Aufsteig ins Dunkel und Schweigen.“ – (Edith Stein: „Endliches und ewiges Sein – Versuch eines Aufstiegs zum Sinn des Seins“, 1937)

Erkenntnis bedeutet eben nicht Dunkel, Geheimnis und Schweigen. Es bedeutet Licht ins Dunkel bringen, Geheimnisse lüften und Schweigen brechen. Steins Logik würde bedeuten, dass man umso weniger weiß, je mehr man erkennt. Das wäre so, wie wenn man immer langsamer würde, je schneller man rennt. Oder wie wenn das Glas immer leerer würde, je mehr Wasser man hineingießt. Eine solche „Logik“ ist recht einfach als unlogisch und sinnlos zu entlarven.

Ein Gott, der solch unsägliches Leid zulässt wie der, an den auch Frau Stein glaubte, hat vermutlich verdammt gute Gründe dafür, sich in Dunkel und Schweigen zu hüllen, statt sich zum Beispiel mal zur Vereinbarkeit von Allmächtigkeit, Gnade und Auschwitz zu äußern.

Ob sich wohl einer der „sehr vielen Gläubigen aus den Pfarreien Dietershausen, Weyhers und Ried“ auch solche oder ähnliche Gedanken zu den Ausführungen des Herrn Markus Schmitt gemacht hat? Ob jemand die Siebenschläfer-Geschichte mal kritisch hinterfragt hat? Ob auch nur einer der erwachsenen Besucher Märchen einer eine in sich völlig widersprüchliche Pseudoargumentation als Beweis für irgendetwas akzeptieren würde? Vermutlich nicht…

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Artikel.
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