Gedanken zu: Rebecca Schneebeli: Gebet versetzt Berge – Wie viel trauen wir dem Gebet zu?

Lesezeit: ~ 8 Min.

Gebet versetzt Berge – Wie viel trauen wir dem Gebet zu? – Gedanken zu einer Verkündigung von Rebecca Schneebeli, veröffentlicht von ERF 16.01.2017

Vor einiger Zeit habe ich eine Andacht darüber geschrieben, wie wir damit umgehen können, wenn Gott Gebete nicht erhört.*

Mit der Tatsache, dass Dinge mitunter nicht so eintreten wie gewünscht, obwohl ein angeblich ja sogar allmächtiger Gott darum gebeten worden war, gehen Gläubige meist so um wie Glücksspieler damit umgehen, wenn sie verlieren: Sie marginalisieren, bagatellisieren den Verlust.

Gläubige haben noch eine weitere Bewältigungsstrategie in petto. Denn schließlich können sie alles, was nicht wunschgemäß läuft, auf die angebliche „Unergründlichkeit“ der Wege ihres jeweils behaupteten „Herrn“ schieben. Damit ist Gott aus der Verantwortung. Und die heile Christenwelt wieder in Ordnung. Oh Herr, ich bin nicht würdig…

Gebet nicht erhört? Nicht richtig gebetet!

Doch ob Gebete erhört werden, hat auch etwas damit zu tun, wie wir beten.

Genau. Denn dann kann zum Beispiel Frau Rebecca Schneebeli im Falle einer Nichterhörung jederzeit argumentieren, dass eben nicht richtig gebetet worden war. Diese Strategie ist allzu leicht zu durchschauen. Auf diesen recht einfach zu durchschauenden Trick werden wir weiter unten nochmal zu sprechen kommen.

Als Pastorentochter wurde in unserer Familie bei jeder Gelegenheit gebetet: vor dem Essen, vor einer wichtigen Klausur oder bei Krankheit.

Frühkindliche Indoktrination dürfte wohl die mit Abstand wirksamste und gleichzeitig auch perfideste Taktik zu sein, um Menschen religiöse Illusionen und absurde Glaubensgewissheiten einzupflanzen. Manche Menschen schaffen es ein Leben lang nicht, sich von ihrem naiven Kinderglauben zu befreien. Und hoffen ihr Leben lang auf Unterstützung durch ein imaginäres Wesen aus einer religiösen Scheinwirklichkeit. Wie sie es von klein auf beigebracht bekommen hatten.

Frau Rebecca Schneebeli und ihre Annäherung an die irdische Wirklichkeit…

Wenn ich eine Klausur schrieb, betete ich zwar noch davor, aber ich war trotzdem überzeugt: Mein Erfolg hängt vor allem von mir selbst ab und davon, wie viel ich für die Prüfung gelernt hatte.

Demzufolge befand sich die Autorin schon mal auf dem Weg, die irdische, freilich nicht immer rosige, aber nun mal realistische Wirklichkeit zu erkennen und auch anzuerkennen.

Natürlich hängt der Erfolg bei einer Klausur vor allem von einem selbst ab und davon, wieviel man für die Prüfung gelernt hatte. Würde der jeweils angenommene und angerufene Gott tatsächlich in Klausuren (oder in sonst irgendwas) eingreifen, dann müsste sich das ja irgendwie nachweisen lassen. Was freilich nicht der Fall ist.

Nun rät schon eine alte Kirchenweisheit: „Bete und arbeite“.

Kein Wunder. Während Beten eine bestenfalls hoffnungsstiftende, allerdings auch nicht ungefährliche (Auto-)suggestion (und nebenbei auch eine mitunter gewaltige Zeitverschwendung) ist, bewirkt Arbeit tatsächlich etwas. Den Menschen, die sich diese Aufforderung ausgedacht hatten, schien das sehr wohl bewusst geworden zu sein. Von nix kommt nix.

Und mit entsprechenden theologisch-rhetorischen Winkelzügen lässt sich die Aufforderung zur Arbeit sogar mit der (widersprüchlichen) biblischen Legende vom Schätzesammeln und Sorgen in Einklang zu bringen. Wenns sein muss. Oder man lässt das dann eben an der Stelle einfach mal weg.

…und gleich wieder weit weg davon

Doch wenn ich mit der Haltung bete: „Eigentlich habe ich alles unter Kontrolle, Gott, aber gib bitte auch deinen Segen dazu“, sollte ich vielleicht besser schweigen. Und mich erst recht nicht wundern, wenn Gott Gebete nicht erhört.

Auf wen sollte man sich verlassen, wenn nicht auf sich selbst? Und natürlich auf Unterstützung durch Mitmenschen und eine Portion Glück? Wieso sollte ausgerechnet ein Gott Wert darauf legen, dass sich die Krone seiner eigenen Schöpfung nicht auf ihre Fähigkeiten verlässt?

Dem Allmächtigen scheint es jedenfalls völlig einerlei zu sein, ob ihn jemand um etwas bittet oder nicht. Noch niemals hat auch nur einer der vielen tausend Götter, die sich die Menschen schon ausgedacht haben, auch nur einmal seriös belegbar ins Geschehen eingegriffen. Und nachweislich seinen Allmachtsplan geändert, weil ihn jemand darum gebeten hatte.

Die Tatsache, dass es nicht nur un-, sondern sogar im höchsten Maße widersinnig ist, ein angeblich allmächtiges, allgütiges Wesen um irgendetwas zu bitten, ist so offensichtlich, dass ich mich jedes Mal frage, warum Menschen immernoch diese Option überhaupt nur in Erwägung ziehen.

Gebet einer Zweiflerin

Aber manches Mal, wenn ich gebetet habe: „Wenn es dein Wille ist“, habe ich das nur getan, weil ich Gottes Absage sozusagen schon im Vorhinein miteinberechnet habe.

Ein nur allzu nachvollziehbarer Versuch, die Diskrepanz zwischen religiösem Wunsch und irdischer Wirklichkeit zu bewältigen. Wer weniger erwartet, wird weniger enttäuscht.

Denn unabhängig davon, was letztlich geschieht: Ein Kausalzusammenhang zwischen dem „Willen“ eines imaginären Götterwesens und dem irdischen Geschehen kann man nur behaupten. Aber nicht beweisen.

Wer also erlebt hat, dass die Dinge nur manchmal so laufen wie gewünscht und manchmal eben nicht, der kann redlicherweise nicht von einem allgütigen Gott ausgehen. Und wer das noch nicht selbst erlebt hat, der schaue sich einmal kurz in der echten irdischen Wirklichkeit um. Also in der Welt, in der es auch unsägliches Leid und Elend gibt. Die einzige Entschuldigung für Gott ist, dass er nicht existiert.

Ich glaubte schlichtweg nicht daran, dass Gott eingreifen würde. Deswegen schränkte ich mein Gebet mit dieser Floskel ein. Aber ist das die Art, wie man als Christ beten sollte?

Nein, Frau Rebecca Schneebeli, ist es nicht. Aber das ist die Art, wie man mit der Realität umgehen sollte. Jedenfalls dann, wenn einem die eigene intellektuelle Redlichkeit ein Anliegen ist. Nach christlicher Lehre gelten Menschen als umso tugendhafter, je kritikloser und bereitwilliger sie sich auf den Wüstengott aus der Bronzezeit verlassen und auf ihn vertrauen.

Cherrypicking – bzw. Figspicking

In der Bibel lese ich nichts davon. Vielmehr sagt Jesus seinen Jüngern: „Ich versichere euch: Wenn ihr Vertrauen zu Gott habt und nicht zweifelt, könnt ihr nicht nur tun, was ich mit diesem Feigenbaum getan habe. Ihr könnt dann sogar zu diesem Berg sagen: ‚Auf, stürze dich ins Meer!‘, und es wird geschehen. Wenn ihr nur Vertrauen habt, werdet ihr alles bekommen, worum ihr Gott bittet.“ (Matthäus 21,21-22)

Hierbei handelt es sich zunächst mal um eine altbekannte Masche im unredlichen Umgang mit biblischen Mythen und Legenden. Frau Rebecca Schneebeli betreibt hier Rosinenpicken (engl. Begriff: Cherrypicking). Oder, in diesem Fall, genauer: Feigenpicken.

Denn wahrscheinlich nicht aus Zufall oder Platzmangel hat die Autorin den geradezu lächerlich grotesken ersten Teil des hier zitierten Textes einfach mal weggelassen.

In der Legende geht es um einen Feigenbaum, den Jesus himself verfluchte und verdorren ließ. Und zwar nur deshalb, weil er gerade keine Früchte trug. Obwohl der Gottessohn doch Hunger hatte:

  • Als er am Morgen in die Stadt zurückkehrte, hatte er Hunger. Da sah er am Weg einen Feigenbaum und ging auf ihn zu, fand aber nur Blätter daran. Da sagte er zu ihm: In Ewigkeit soll keine Frucht mehr an dir wachsen. Und der Feigenbaum verdorrte auf der Stelle. (Mt 21, 18-19 EU)

Ich stelle es mir nicht allzu einfach vor, mit den Herausforderungen eines Lebens im 21. Jahrhundert klarzukommen, wenn man gleichzeitig noch die Verfluchung eines Feigenbaumes in einer vormittelalterlichen Legende für bedeutsam hält.

Ab einem gewissen Alter hört man ja auch für gewöhnlich mal auf, sich vor dem fiktiven Krokodil unterm Bett zu fürchten. Oder vor den Geistern im Wandschrank.

Gebet versetzt keine Berge

Doch wie ist das jetzt mit dem Glauben, der angeblich Berge versetzen kann? Ganz offenbar gibt es keinen einzigen Menschen, der genug Vertrauen in Gott hat. Denn noch niemals wurde beobachtet, dass jemand einen Berg durch Gottesvertrauen oder Gebet ins Meer hatte stürzen lassen. Nicht mal einen Kieselstein. Was Jesus hier in den Mund gelegt wurde, stimmt einfach (wie so vieles andere auch) nicht.

Gott fordert uns heraus, ihm ganz und gar zu vertrauen. Das bedeutet auch: Gebete zu sprechen, bei denen ich nicht beeinflussen kann, ob sie erhört werden. Und das im festen Vertrauen darauf, dass Gott sie erhört.

Es ist kein Gott, der herausfordert. Denn bei dem Gebete-erhörenden Gott handelt es sich um ein leeres, von Menschen erdachtes, falsches Versprechen.

Durch die Einschränkung „Wenn ihr nur Vertrauen habt,…“ halfen die anonymen Verfasser des biblischen Textes ihrem Gott indes wenig elegant aus der Bredouille. Denn wenn der Berge-ins-Meer-Trick oder sonst irgendwas mal nicht funktioniert wie gehofft, kann man es ja jederzeit bequem auf das mangelnde Vertrauen des Gläubigen schieben.

Wenn wir Gott bedingungslos vertrauen, geschehen auch Wunder

Und wieder prallen religiöser Wunsch und irdische, natürliche Wirklichkeit aufeinander. Auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Zwischen dem, was geschieht – so unwahrscheinlich es auch erscheinen mag – und dem Wirken eines fiktiven überirdischen Wesens lässt sich kein Kausalzusammenhang herstellen. Man kann nur so tun, als ob.

„Ich weiß es (noch) nicht.“ Basta.

Nicht mal Ereignisse, deren Ursachen für den Beobachter völlig unerklärlich und unnachvollziehbar sind, machen die Annahme eines solchen Wesens plausibel. Die einzig redliche und ehrliche Antwort kann dann nur sein: „Ich weiß es nicht.“ Und nicht: „Ich weiß es nicht – und deshalb war es Gott.“ So auch in dem Beispiel, das Frau Rebecca Schneebeli nun zum Besten gibt:

Letztes Jahr habe ich das mal ausprobiert. Eine Freundin von mir hatte ein Problem. Spontan bot ich an: „Lass mich für dich beten!“ Ich wusste schon in diesem Moment: „Das kann ganz schön nach hinten losgehen.“ Denn meine Freundin ist keine Christin und steht dem Glauben eher kritisch gegenüber. Ich hatte also mächtig Bammel beim Beten. Denn was, wenn ich mich zu weit aus dem Fenster lehnte und Gott nicht handelte?

Doch innerhalb eines Tages änderte sich die Situation grundlegend. Als ich das hörte, war ich so begeistert von Gott wie lange nicht mehr. Ich hätte am liebsten laut Halleluja geschrien. Diese Erfahrung hat mich ermutigt, auch für scheinbare Wunder zu beten.

Auf die Gefahr hin, dass sich die Stammleser meiner Beiträge langweilen könnten: In diesem Beispiel von Frau Rebecca Schneebeli haben wir das x-te Beispiel für den altbekannten Bestätigungsfehler (engl. confirmation bias).

Der x-te Bestätigungsfehler

Und so funktionierts: Ich habe für etwas gebetet und mich (oder noch schlimmer: andere) damit in eine Erwartungshaltung gebracht. Dann tritt das, wofür ich gebetet habe, trotz großer Unwahrscheinlichkeit ein. Statt nun zu überlegen, was tatsächlich dazu geführt haben könnte (oder statt mich einfach darüber zu freuen), sehe ich darin eine Bestätigung der Wirksamkeit meines Gebetes. Auf die Idee, dass die grundlegende Veränderung der Situation ganz natürliche und vielleicht einfach nur mir nicht bekannte Ursachen haben könnte, komme ich erst gar nicht.

GebetslogikUnd selbst dann, wenn ich die eigentlichen, wirklichen Ursachen kenne, so kann ich in das Geschehen trotzdem noch das Wirken des von mir zuvor angebeteten Gottes hineininterpretieren. Schließlich hatte ich ihn ja darum gebeten. Und es war ja wirklich nicht damit zu rechnen, dass es tatsächlich so eintritt wie gehofft.

Nun macht aber weder eine subjektive Erwartungshaltung, noch ein unwahrscheinliches Geschehen und schon gar nicht das Nicht-Erkennenkönnen von Ursachen das Wirken oder die Existenz eines überirdischen Wesens auch nur einen Deut plausibler.

Entweder, ich (er-)kenne die Ursachen, die zu etwas geführt haben. Dann weiß ich, wie es dazu kam. Oder ich (er-)kenne sie nicht. Dann weiß ich nicht, wie es dazu kam. Das ist alles, was man redlicherweise dazu sagen kann.

Jeglicher Einfluss von überirdischen Wesen ist bis zum Beweis des Gegenteils nichts weiter als mehr oder weniger naives Wunschdenken. In diesem Fall das Wunschdenken von Frau Rebecca Schneebeli.

Muster oder Zusammenhänge erkennen zu wollen, wo keine sind oder zumindest nicht erkennbar sind, gehört zum täglichen Brot für Gläubige.

„Wenn ihr nur Vertrauen habt“ vs. „mächtig Bammel“

Ganz abgesehen davon widerspricht sich die Autorin mit ihrer Schilderung ihrem vorher zitierten Bibelvers. „Ich hatte also mächtig Bammel beim Beten“ entspricht nun wahrlich nicht der Forderung „Wenn ihr nur Vertrauen habt, werdet ihr alles bekommen, worum ihr Gott bittet.“ Oder wägt Gott ab? Ein bisschen was bekommen für ein bisschen Vertrauen?

Frau Rebecca Schneebeli hatte ganz offenbar eben kein oder nur mangelndes Vertrauen. Nach biblischer Logik wäre damit ja quasi ausgeschlossen, dass sich Gott wohlwollend auf das Gebet dieser Zweiflerin hin für die gewünschte Veränderung der Situation einsetzt.

Auf das christliche Heilsversprechen dürfen nur die hoffen, die sich bedinungungslos dem lieben Gott unterwerfen. Eine ungewöhnliche Art der Liebe.

Denn schließlich ist es Gott selbst, der uns dazu auffordert, herausfordernd und mit bedingungslosem Glauben zu beten.

Hier gibt die Autorin vor, etwas zu wissen, was sie nicht wissen kann. Noch kein Gott ist jemals persönlich irgendwie in Erscheinung getreten. Alle Götter sind Gedankenkonstrukte, die sich Menschen ausgedacht haben. Wovon auch immer sie sich aufgefordert fühlen mag: Es ist bis zum Beweis des Gegenteils kein überirdisches Wesen, das sich da (oder jemals) zu Wort gemeldet hat. Einfach trotzdem so zu tun, zeugt von einem ignoranten oder (selbst-)betrügerischen Umgang mit der irdischen Wirklichkeit.

Cui bono?

Nun sei es selbstverständlich jedem selbst überlassen, mit welchen Methoden jemand die persönliche Wirklichkeit bewältigt. Jedoch stellt sich die Frage, inwiefern Frau Rebecca Schneebeli ihren Lesern mit einer Verkündigung solcher Scheinwahrheiten, Denkfehler und Vermischung von religiösem Wunsch und irdischer Wirklichkeit einen Gefallen tut.

Besonders den Menschen, die daraufhin womöglich tatsächlich auf göttliche Unterstützung vertrauen könnten.
Statt sich der irdischen Wirklichkeit zu stellen und selbstverantwortlich zu denken und zu handeln. Oder statt sich Hilfe zu suchen.

Wofür sollten Sie noch einmal mit ganz neuer Haltung beten? Denken Sie mal drüber nach!

Worüber solltern Sie noch einmal mit ganz neuer Haltung nachdenken? Denken Sie mal darüber nach, Frau Rebecca Schneebeli!

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalartikel.

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