Europa braucht Menschen mit Prinzipien – Das Wort zum Wort zum Sonntag

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Europa braucht Menschen mit Prinzipien – Das Wort zum Wort zum Sonntag von Benedikt Welter, veröffentlicht am 18.3.2017 von ARD/daserste.de

„Ihr habt ja keine Prinzipien!“ Das würde ich gerne denen zurufen, die gerade dabei sind, unseren Heimatkontinenten Europa auseinander zu nehmen.*

Die „Schreihälse, die mit ‚alternativen Fakten‘ Ängste schaffen“ haben auch Prinzipien. Aber eben andere als die Europäischen.

Europa: was wir heute darunter verstehen, ist alles andere als prinzipienlos entstanden.

Die 6 europäischen Werte

Der Ursprung des humanistischen Menschenbildes geht zurück auf die Antike in Griechenland und es wurde in der Renaissance, der Wiedergeburt der Antike, wieder aufgegriffen und weiterentwickelt.

Die Grundlage unserer heutigen Weltbildes ist:

  • der Wert des einzelnen Menschen (humanistisches Denken)
  • der Wert aller Menschen (Menschenrechte)

Die Europäische Hochkultur entstand in 6 Entwicklungsstufen, die den 6 grundlegenden Werten entsprechen. Diese Werte sind:

  1. Humanistisches Denken
  2. Rationalität
  3. Säkularität
  4. Rechtsstaatlichkeit
  5. Demokratie
  6. Menschenrechte

Das Ergebnis über Jahrhunderte hart erkämpften Errungenschaften und Werte in Europa ist ein voll entwickeltes humanistisches Weltbild, das die Basis für unsere heutige Hochkultur bildet.
(Quelle: teamfreiheit.info)

Weitere Infos über die 6 europäischen Werte gibts in diesem Artikel.

Prinzipien allein sagen noch nicht viel aus

[…] Denn wer Prinzipien hat, hat eine tiefe Einsicht in die Wirklichkeit, so verworren sie immer sein mag. Für mich sind Prinzipien die Grundlage dafür, diese Wirklichkeit zum Guten, zum Besseren hin für die Menschen zu verändern.

Wie schon oben angedeutet: Das kommt ganz darauf an, welche Prinzipien jemand als übergeordnete Gesetzmäßigkeit annimmt. Und was jemand unter „Gut, Besser“ versteht. Oder auch, für welchen Teil der Menschheit jemand das, was er für gut oder besser hält erreichen möchte.

[…] Im jahrhundertelangen Dialog von griechischer Philosophie, jüdischer und christlicher Bibel, von Aufklärung mit und gegen Religion hat sich in Europa ein Prinzip herausgebildet: das Prinzip Mensch.

Der Mensch als oberster, grundlegender Wert konnte sich erst (wieder) durchsetzen, nachdem die Kirche durch Aufklärung und Säkularisierung entmachtet worden war. Denn in den Jahrhunderten, in denen die Kirche noch an der Macht war, war natürlich Gott die allem übergeordnete Instanz. An der sich alles auszurichten hatte und die nicht in Frage gestellt werden durfte.

Zu keinem der vielen Herrscher, die ihren Machtanspruch mit „von Gottes Gnaden“ rechtfertigten, hat sich je ein Gott geäußerst.

In der Zeit bis zur Aufklärung war die Dialogbereitschaft auf kirchlicher Seite gelinde gesagt stark eingeschränkt. Wem sein Leben lieb war, der verzichtete besser auf Dialogversuche mit Kirchenvertretern. Später blieb der Kirche gar nichts anderes mehr übrig, als sich dem Prinzip Mensch unterzuordnen.

Der Durchbruch: Abschied vom biblisch-christlichen Verständnis der Nächstenliebe

Einen Grund für dieses Prinzip Mensch beschreibt Robert Schuman so: „Das universale Gebot der Nächstenliebe hat aus jedem Menschen einen Nächsten gemacht … Dieses Gebot und seine praktischen Schlussfolgerungen haben die Welt erschüttert.“

Besonders die klerikale Welt. Denn bis dahin hielt man sich mit der Nächstenliebe an die biblische Lesart. Und nach dieser war der Nächste eben nur der Nächste. Und nicht der Fernste. Was ja auch naheliegend ist.

Denn auch die christliche Lehre baut ursprünglich auf der Abgrenzung zwischen den Zugehörigen (Gläubigen) und allen anderen (Un- und Andersgläubigen) auf. Solange dieser schädliche, weil abgrenzende Dualismus aufrecht erhalten werden konnte (legitimiert durch das „Wort Gottes“), war eine Weiterentwicklung in Richtung Prinzip Mensch quasi unmöglich.

Ich glaube: Auch in einer nicht mehr christlich geprägten Gesellschaft bleibt dieses Prinzip bestehen: aus jedem Menschen ist ein Nächster geworden.

Diese Aussage zeugt von einer ziemlich realitätsfernen Sicht auf die Geschichte. Denn dass aus jedem Menschen ein Nächster wurde, geht eben nicht auf die christliche Prägung zurück.

Das Prinzip Mensch musste gegen diese Prägung mit großem Einsatz erstritten werden. Es ist eben kein Überbleibsel christlichen Einflusses. Denn an die Stelle von Gott oder dessen Sohn ist der Mensch gerückt. Aus christlicher Sicht ein unverzeihbares Sakrileg.

Auch Empörte und Beleidigte berufen sich auf Prinzipien

Im Meinungsrauschen von so vielen Empörten, Beleidigten und Erregten, im prinzipienlosen Dahergelärme braucht es die beharrliche sonore Stimme der Prinzipienfesten: Ein Mensch ist ein Mensch ist mein Nächster!

Wie schon geschrieben: Auch die Empörten, Beleidigten und Erregten berufen sich auf irgendwelche Prinzipien. Auch bei den Leuten, denen Herr Welter vermutlich ihre Prinzipienlosigkeit zurufen möchte, sind zum Beispiel Bibelstellen wie Mt 12,30 sehr beliebt:

  • Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut. (Mt 12,30 LUT)

Ich frage mich und auch Herrn Welter: Welche Rolle könnten, welche Rolle sollten Religionen in einer offenen und freien Gesellschaft noch spielen? Denn natürlich gehört auch die Freiheit, beliebige Götter und/oder deren Söhne für wahr zu halten und sie zu verehren, zur individuellen, persönlichen Freiheit dazu.

Und deshalb könnten Kirchen ja ein optionales, spirituelles Angebot für Erwachsene sein. Wofür sie keine staatliche Sonderprivilegierung wie das Recht, Kinder zu indoktrinieren oder auch milliardenschwere Subventionierung mehr nötig hätten. Und solange sie bereit sind, sich dem Prinzip Mensch unterzuordnen.

Trotzdem beinhalten auch säkularisierte Religionen wie das Christentum immernoch ein enormes Gefahrenpotential, das man nicht unterschätzen sollte.

America first – aus Prinzip

Ich erinnere hier zum Beispiel an die Antrittsrede von Donald Trump. Denn dessen „America first“ unterstützten die anwesenden Religionsvertreter mit Statements, in denen sie sich von Trump „Schutz“ für Amerika erhoffen.

Und der biblische Partikularismus eines vormittelalterlichen Wüstenvolkes lässt sich eben auch hervorragend für modernen Nationalismus instrumentalisieren. Zur einfacheren Führung von Völkern, die sich als „auserwählt“ fühlen. Egal ob von Göttern oder von Populisten.

Es ist also alles andere als sicher, dass jemand wie offenbar Herr Welter über die christliche Ideologie zu einem säkular-humanistischen Weltbild gelangt. Denn wenn das zugrunde gelegte Prinzip der vermeintliche Wille eines Gottes ist, der diesen seinen Willen vor 2-3000 Jahren in Form einer beliebig auslegbaren Mythen- und Legendensammlung hatte mitteilen lassen, dann ist dieses Prinzip alles andere als geeignet als Grundlage von modernen ethischen Standards offener und freier Gesellschaften.

Denn geht man von der biblischen Lehre aus, dann scheint dieser Gott ja gerade nicht das „Prinzip Mensch“ zu verfolgen. Sondern das „Prinzip Gott.“ Das christliche Wertebild baut auf dem behaupteten Wille eines behaupteten Gottes auf. Und zwar eines Gottes, der es – obwohl er ja angeblich der einzige Gott sein soll – nötig hat, seinen eigenen Machtanspruch als oberstes Gebot zu definieren.

Ihnen einen guten Sonntag.

Keine Segnung diesmal? Na dann: Ebenso! 🙂

Passend zu diesem Wort zum Sonntag hier noch ein Zitat von Barbara., gefunden auf Facebook (Hervorhebung von mir):

  • Unsere Gesellschaft sollte noch viel deutlicher machen, dass Religion Privatsache ist und in der Politik nichts verloren hat.
    Ein guter Anfang wäre, wenn die CDU sich von dem „C“ in ihrem Namen verabschieden würde.
    Mal ganz ehrlich: Es geht doch (zum Glück!) schon lange nicht mehr um „Christliche Werte“, sondern um die Werte einer humanistischen, toleranten und freien Gesellschaft.
    Auf Werte wie „Nächstenliebe“ gibt es schließlich kein christliches Patent. Ganz im Gegenteil:
    Viele dieser Werte, allen voran die Freiheit, auf die sich unsere heutige Gesellschaft beruft, mussten sogar erst gegen den christlichen Glauben erkämpft, durchgesetzt und verteidigt werden.
    Ich kann mir ungefähr vorstellen, was für einen Aufschrei die Gründung einer Islamischen Partei (IDU oder so) in Deutschland mit sich bringen würde …
    Aber solange es eine CDU gibt, müsste auch eine IDU akzeptiert werden. Gleiches Recht für alle.
    Mein Vorschlag wäre: Um die Konfliktpotentiale unterschiedlicher Glaubensrichtungen nicht in die Politik zu tragen und bereits im Titel hervorzuheben, sollte sowohl das „C“, als auch das „I“ aus der Politik herausgehalten werden.
    Wir leben im Jahr 2017 und sollten mittlerweile soweit sein.
    Peace, Barbara. (Quelle: Facebook)

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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