Das Problem mit dem Glauben

Lesezeit: ~ 3 Min.

Glauben: In seiner Rubrik „Abt. Diskurswerfen“ erklärt Volker Dittmar, warum die Vieldeutigkeit dieses Begriffes ein Problem ist.

Glauben als Synonym zu „vermuten“

Im Alltag, der Philosophie und der Wissenschaft ist es ein Synonym zu „vermuten“, meist als Abschwächung gemeint: eine schwache Vermutung. Es kann aber auch vertrauen, wünschen, hoffen bedeuten. Klammern wir letztere Bedeutungen mal vorerst aus, sonst wird es arg kompliziert.

Im religiösen Glauben geht es aber nicht um eine schwache Vermutung, eine Ahnung, ein Raten. Im Sinne von „Vertrauen“ etc. wird es auch öfters benutzt, aber das beiseite:

„Religiöser Glauben“ bedeutet allgemeiner Vorstellung nach, eine Vermutung zu akzeptieren, für die man keine Beweise hat, kein Übergewicht an Argumenten. Es ist das logische Gegenstück zu Wissen. Wissen, nach philosophischer Definition, ist:

  • Wissen = rational gerechtfertigter Glauben (gemeint: Vermutung)

Das ist diejenige Vermutung, für die mehr Fakten, Argumente, Beweise, Gründe sprechen als für alternative Vermutungen. Es handelt sich also um eine rationale (vernünftige) Abwägung aus für- und widersprechenden Gründen, bei der man zu einem Schluss kommt, bei dem man eine der Vermutungen vorzieht.

Glauben im religiösen Sinn

„Religiöser Glauben“ ist also eine Annahme, für die es KEIN Übergewicht an Gründen, Argumenten, Beweisen etc. gibt. Im Widerspruch dazu geht dieser oft mit einer Sicherheit einher, die sich in den Gründen, Argumenten etc. nicht widerspiegelt. Also:

  • Religiöser Glauben = eine starke, innere, subjektive Überzeugung, deren Stärke die des Wissens oft noch übertrifft, ohne sich (überwiegend) auf Beweise etc. zu stützen.

Da normalerweise die Stärke einer Überzeugung mit dem Grad der Güte ihrer Begründung korrelieren sollte, und da Glaubensaussagen etwas über die äußere Welt aussagen, also als Behauptungen wie Aussagen über Wissen aussehen, lautet die korrekte Definition so:

  • Religiöser Glauben = vorgeben, etwas zu wissen, was man nicht weiß.

Man kann sie (Ausnahme: vertrauen etc.) behandeln, wie eine Aussage über Wissen.

Ich glaube nicht an Gott

Wenn ich also sage: „Ich glaube nicht an Gott“ heißt dies, übersetzt:

„Ich habe keine starke, innere, subjektive Überzeugung, dass ein Gott existiert, ohne dass ich dafür ein Übergewicht an Gründen habe.“ Oder: „Ich gebe nicht vor, zu wissen, dass Gott existiert, weil ich es nicht weiß.“

Atheisten lehnen diese Art von Glauben meist sehr generell ab. Sie spiegeln keine Sicherheit vor, für die es keine ausreichenden Gründe gibt, sich dessen sicher zu sein. Es gibt für sie keine „Glaubensgewissheit“.

Deswegen kann man Atheisten mit Argumenten, die bereits auf religiösen Überzeugungen basieren, nicht überzeugen. Wenn eine Glaubensaussage eine andere stützt, ist das bestenfalls zirkulär, meist sogar redundant.

Atheismus ist keine exakte Spiegelposition zum Theismus. Theismus basiert sehr oft auf starken Überzeugungen ohne Beweise. Atheisten sind nicht vom Gegenteil ebenso stark überzeugt – die Mehrheit der Atheisten waren einmal Theisten, denen die starke Überzeugung abhanden gekommen ist, und durch starke Zweifel ersetzt wurden.

Zweifel und Überzeugung schließen sich aus

Zweifel und Überzeugung schließen sich aber gegenseitig aus: Ich habe starke Zweifel, dass Gott existiert, und nur sehr, sehr schwache Zweifel, dass dies falsch sein könnte – aber ich habe keine Gewissheit und keine starke Überzeugung, weder für die eine noch die andere Position.

Wenn eine Atheist sagt: „Ich glaube nicht ohne Beweise“, so schließt er den religiösen Glauben schon aus. Es bedeutet: Die Stärke meiner Überzeugung hängt von der Qualität der Beweise, Argumente, Gründe etc. ab, es kann nicht unabhängig davon sein. Dasselbe, wenn er sagt: „Ich glaube nicht wegen der fehlenden Beweise“.

Wenn man es sorgfältig analysiert, bedeuten „ich glaube“ für Gläubige und Atheisten verschiedene Dinge.

GlaubenWas Vertrauen angeht: Ich kann darauf vertrauen, dass die Brücke über den Fluss mein Gewicht trägt. Aber das setzt voraus, dass die Brücke existiert.

Sprich: Vertrauen in Gott ist sinnlos, wenn man nicht weiß, dass er existiert. Glauben reicht nicht – denn sowohl die Existenz der Brücke wie auch ihr Vermögen, mein Gewicht zu tragen, ist von der Stärke meiner Überzeugung gänzlich unabhängig.

Diese Unabhängigkeit – das ist es, was Gläubige oft nicht verstehen.

Auch die Qualität eines Arguments hängt nicht von der Stärke meiner Überzeugung ab, sondern besteht aus gänzlich unabhängigen Faktoren. Deswegen kann ein Gläubiger ein Argument für gut halten, das ein Atheist für ausgesprochen schlecht hält – und umgekehrt.

*Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.

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1 Gedanke zu „Das Problem mit dem Glauben“

  1. Es dürfte äußerst schwierig sein, Glauben und Wissen immer exakt zu trennen. Darüber könnte man ganze Bibliotheken voll schreiben! Was wurde nicht schon alles geglaubt und was wurde nicht schon alles gewusst? In jedem Wissensbereich erfolg fortwährend ein Weiterschreiten – aber kaum im Glauben.
    Um aber im Bereich Religion der Wahrheit etwas näher zu kommen, sollte man es einmal mit „Denken statt glauben“ versuchen. Über das Vorgelegte kann man sicherlich nie alles wissen können, aber man kann mit Denken zumindest im Ausschlussverfahren ermitteln, dass da etwas nicht stimmt oder vermutlich nicht stimmt oder so eben ganz gewiss nicht stimmt. Und damit ist es vorbei mit dem Glauben.

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