Kindergebete auf katholisch.de: Einführung in die religiöse Scheinwirklichkeit

Lesezeit: ~ 6 Min.

Kindergebete auf katholisch.de: Die frühkindliche Indoktrination mit der religiösen Scheinwirklichkeit zählt neben der staatlichen Subventionierung in Milliardenhöhe und der umfangreichen Sonderprivilegierung zu den Faktoren, die das Christentum hierzulande noch am Leben erhält.

Denn welcher Lebensabschnitt sollte besser geeignet sein, um Menschen eine mythologisch-fiktive Weltsicht unterzujubeln als das Kleinkindalter? Also die Zeit, in der Kinder noch darauf angewiesen sind, dass das, was ihnen ihre Bezugspersonen vermitteln, auch der Wirklichkeit entspricht und Märchen nicht als wahr ausgegeben werden?

Ein Alter, in dem auch die noch so absurdesten Behauptungen entwicklungsbedingt kritiklos übernommen werden, wenn diese von Vertrauenspersonen oder vermeintlichen Autoritäten aufgestellt und für wahr erklärt werden?

Zwischen Weihnachtsmann, Zahnfee, Osterhase, Eisprinzessin und sprechenden Elefanten passt locker noch ein allmächtiges, allwissendes außerirdisches Wesen, ohne einen Widerspruch zu erzeugen. Während Kinder dann ab einem gewissen Alter früher oder später dahinter kommen, Fiktion von Wirklichkeit zu unterscheiden, schaffen es manche Menschen erst spät oder auch nie, auch die religiöse Scheinwirklichkeit als solche zu erkennen.

Glaube vs. Aberglaube

Nicht ohne Grund gibt es die Unterscheidung zwischen „Glaube“ und „Aberglaube“, wobei der eigene Glaube stets der richtige und alle anderen Glaubensgewissheiten selbstverständlich falscher Aberglaube sind. Würden die Menschen mal die Kriterien, mit denen sie einen beliebigen Glauben als Aberglaube identifizieren auf ihren eigenen Glauben anwenden, würden sie erkennen können, dass sich ihr religiöser Glaube nicht von jedem beliebigen anderen Aberglaube unterscheidet.

Auf der Webseite katholisch.de hat Frau Stefanie Heinrichs „Gebete für Kinder – die schönsten Kindergebete“ aufgelistet. Schaut man sich die Gebete näher an, so lassen sich mehrere wiederkehrende Elemente bestimmen, zum Beispiel:

  • In den Kindergebeten wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass Phantasiewesen wie Götter, Gottessöhne oder auch Engel existieren.
  • Weiter lernen die Kinder, dass sie mit diesen Wesen Kontakt aufnehmen können.
  • Sie lernen, dass es offenbar ganz normal ist, einem bestimmten Gott für alles Positive zu danken, was impliziert, dass alles Gute von diesem Gott kommt (sonst würde man ihm ja nicht für alles Gute danken).
  • Neben Dank sind auch Bitten an diesen Gott, seinen Sohn, seine Mutter oder an „Schutzengel“ sinnvoll. Besonders die Bitte, behütet zu werden, taucht in vielen der Kindergebete auf. Kein Wunder, dass Menschen es später für ganz normal ansehen, sich als Schaf einer Herde zu fühlen…
  • Auch zum Umgang mit schwierigen Situationen wie Trauer, Streit und Wut wird Gott ins Spiel gebracht. Dann jedoch nicht als Verursacher, sondern als derjenige, vor dem man sich zu entschuldigen hat und der Tote „zu sich holt.“

Kindergebete gaukeln fiktive Wirklichkeit als real vor

Alle diese Kindergebete haben eins zum Ziel: Kindern die fiktive religiöse Scheinwirklichkeit als real vorzugaukeln. Es geht darum, Kinder so zu konditionieren, dass sie alles Positive mit Gott in einen ursächlichen Zusammenhang bringen. Negatives wird entweder dem Kind selbst, oder der göttlichen Unergründlichkeit zugeschrieben.

Ich halte es nicht für eine Untertreibung, die Vermittlung einer solch verzerrten Wirklichkeit als geistigen Kindesmissbrauch zu bezeichnen. Denn sollten Eltern sich nicht darum bemühen, ihren Kindern selbst die Geborgenheit zu geben, die sie benötigen? Statt hierzu Phantasiewesen wie Götter und Engel ins Spiel zu bringen? Und sollten sie nicht versuchen, ihren Kindern ein altersgerechtes Weltbild zu vermitteln, das später mit der natürlichen Wirklichkeit kompatibel ist?

Denn in dieser, täglich beobacht- und erlebbaren Wirklichkeit lässt sich redlicherweise nichts mit dem Wirken von „überirdischen“ Wesen in einen ursächlichen Zusammenhang bringen. Die frühkindliche Indoktrination mit solchen Vorstellungen, die zumindest außerhalb des religiösen Kontextes als Wahngedanken bezeichnet werden würden, erschwert es Kindern, das klare, vernünftige und verantwortliche Denken zu erlernen.

Damit schafft die Kirche die Grundlage dafür, dass Menschen später bereit sind, auch das absurde christliche Belohungs-Bestrafungskonzept mit Sünde, Erlösung, Auferstehung und ewigem Leben für wahr und bedeutsam anzuerkennen. Das Vorgehen, sich dazu den besonderen Vertrauensstatus der Eltern oder sonstiger Bezugspersonen zu Nutze zu machen, halte ich für äußerst perfide und hinterhältig.

Was ist von einer Ideologie zu halten, die solche Methoden nötig hat, um ihre angeblich doch sowieso übergeordnete, absolute, weil göttliche (wahlweise auch nur: göttlich inspirierte) Wahrheit an die nächste Generation weiterzugeben?

Von katholisch.de empfohlene Kindergebete

Hier nur einige Beispiele aus der Sammlung der Kindergebete, die katholisch.de für empfehlenswert hält:

Heiliger Schutzengel mein, lass mich dir empfohlen sein.
Auch an diesem Tag bitte ich dich, beschütze und behüte mich.
Quelle: Unbekannt*

Über dieses Gebet dürfte sich auch die nicht religiöse Esoterikbranche freuen. Denn schließlich zählen Schutzengel zu den Topsellern, auch bei nicht religiös gebundenen Menschen mit einem Faible für Phantasiewesen.

Lieber Gott, und dass sie [meine Eltern] mich trotzdem lieben, wenn ich es habe  schlimm getrieben. Amen!

Besonders fies: Das Grundvertrauen in die Eltern wird hier in Frage gestellt. Das Kind bekommt beigebracht, dass es sinnvoll ist, Gott darum zu bitten, die elterliche Liebe wiederherzustellen, wenn es „es schlimm getrieben“ hat.

 

Alle guten Gaben...
Quelle: imgur.com

Dir sei, o Gott, für Speis und Trank,
für alles Gute Lob und Dank.
Du gabst, du willst auch künftig geben.
Dich preise unser ganzes Leben.
Amen.
Quelle: Gotteslob Nr. 17/4

Und was ist mit allem Schlechten? Was ist mit denen, die nichts bekommen? Wem gebührt eigentlich Dank für Speis und Trank?

O Gott, von dem wir alles haben,
wir danken dir für diese Gaben.
Du speisest uns, weil du uns liebst.
O segne auch, was du uns gibst.
Quelle: Gotteslob Nr. 16/8

Heißt im Umkehrschluss: Menschen, die nicht von Gott „gespeist“ werden und verhungern, liebt Gott nicht? Oder: Weil Gott Menschen nicht liebt, lässt er sie verhungern, statt sie zu speisen?

Deine Gnad und Jesu Blut machen allen Schaden gut

Müde bin ich, geh zur Ruh,
schließe meine Augen zu.
Vater lass die Augen Dein,
über meinem Bettchen sein.
Hab ich Unrecht heut getan,
sieh es lieber Gott nicht an.
Deine Gnad und Jesu Blut,
machen allen Schaden gut.
Quelle: Louise Hensel

Wird Unrecht dadurch besser, dass ein sowieso allwissender Gott es nicht ansieht? Und gibt es heute wirklich noch Eltern, die ihren Kindern beibringen, Gottes Gnade und die Todesfolterung seines Sohnes würden „allen Schaden gut“ machen? Zumindest empfiehlt katholisch.de diese bizarre Vorstellung als Kindergebet.

Beim Streit
Heute gab es Zank und Streit.
Lieber Gott – es tut mir leid.
Gib uns zum Vertragen Mut,
dann wird alles wieder gut.
Quelle: Unbekannt

Krisenintervention à la katholisch.de: Ein Schuldeingeständnis vor Gott ist wertlos, weil Götter keine Schuld vergeben. Nebenbei wird der Grund für „Zank und Streit“ damit an das Kind übertragen. Kinder neigen dazu, sich für „Zank und Streit“ verantwortlich zu fühlen, wenn sie die eigentliche Ursache nicht kennen. Dies wird mit diesem Kindergebet noch verstärkt.

Theodizee für Kinder: Bitte hilf mir, dass ich deine Liebe spüre…

Lieber Gott, … ist gestorben. Ich hatte sie/ihn sehr lieb. Ich verstehe nicht, warum du sie/ihn zu dir geholt hast und bin sehr traurig. Warum geschieht so etwas Schreckliches? Warum lässt du sowas geschehen? Bitte hilf mir, dass ich deine Liebe spüre und trage mich durch die schwere Zeit. Amen.
Quelle: katholisch.de

Hier könnte man einfach das „,…“ entfernen und schon hätte das Kindergebet zumindest ansatzweise einen Sinn. Die Frage, warum ein Gott, der ja angeblich allmächtig und allgütig ist, nichts gegen den Tod unternimmt, wird freilich nicht beantwortet. Die Theodizee-Frage, also warum Gott trotz Allmacht und Allgüte Leid zulässt, bleibt auch hier offen. Stattdessen soll das Kind darum bitten, Gott trotzdem auch weiterhin anzuerkennen zu können (seine Liebe spüren).

Auch dies ist eine krasse Verzerrung der irdischen, natürlichen Wirklichkeit. Götter holen keine Tote „zu sich.“ Und die Liebe, die Menschen spüren, stammt nicht von Göttern, sondern von Lebewesen.

Hier geht es nicht um etwas Harmloses wie die etwa Frage, ob es wirklich der Osterhase ist, der die Ostereier bringt. Also eine Vorstellung, die Kinder ab einem gewissen Alter problemlos aufgeben können. Sondern es geht um den Umgang mit dem Verlust eines geliebten Menschen.

Fazit

Besonders problematisch finde ich, dass die verzerrte religiöse Scheinwirklichkeit hier verpackt in Kindergebete dargeboten wird. Selbstverständlich sei es jedem Menschen zugestanden, sich seine Wirklichkeit beliebig so zu gestalten, wie sie ihm sinnvoll, tröstlich oder einfacher zu bewältigen erscheint. Kinder mit solchen Fiktionen und Illusionen in die Irre zu führen, halte ich jedoch für äußerst kritikwürdig. Diese Kindergebete suggerieren dem Kind eine Weltsicht, die nicht der natürlichen Wirklichkeit entspricht.

  • Es ist nicht nur un-, sondern sogar widersinnig, einem allmächtigen allgütigen allwissenden Wesen für etwas zu danken oder es um etwas zu bitten.
  • Eine Vergebung durch Jahwe ist genauso nichtig wie eine Vergebung durch Zeus, Anubis oder Rumpelstilzchen.
  • Kinder durchschauen Märchen oft schon recht früh als Fiktion und wissen sie dementsprechend im Reich der Phantasie anzusiedeln. Eltern erschweren ihren Kindern das klare Denken, wenn sie religiöse Fiktionen als wahr behaupten und damit quasi eine Ausnahmeregel in der Firewall des kritischen Denkens ihres Kindes etablieren.
  • Dieses Vorgehen ist so effektiv, dass es manche Menschen ein Leben lang nicht schaffen, religiöse Scheinwirklichkeit als von Menschen erdachte Fiktion zu entlarven, sondern sie für so wahr und bedeutsam halten, dass sie sie ihrerseits an die nächste Generation weitergeben. Zum Beispiel in Form von absurden Kindergebeten.
  • Aufgeklärte, verantwortungsbewusste und klar denkende Erwachsene sollten nach Möglichkeiten suchen, ihre Kinder altersgerecht und einfühlsam so auf die Welt vorzubereiten, wie sie nun mal ist.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus diesem Beitrag über Kindergebete auf katholisch.de.
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2 Gedanken zu „Kindergebete auf katholisch.de: Einführung in die religiöse Scheinwirklichkeit“

  1. Das Problem ist, dass der Inhaber dieser Webseite selber schon verblendet ist und die Wahrheit nicht erkennt. Er hält eine Welt ohne Gott als real was er natürlich genauso wenig beweisen kann. Schade das er seine unrealistische Sicht auch Kindern zugänglich machen will.

    Antworten
    • Wenn du die Existenz von etwas behauptest, bist du in der Beweispflicht, nicht ich. Warum ich die biblisch-christliche Gottesvorstellung nicht für glaub-würdig halte, begründe ich in praktisch allen Beiträgen auf AWQ.

      Und wenn dir eine realistische Weltsicht ein Anliegen ist, dann kommen darin Götter bis zum Beweis des Gegenteils nur als mythomotorisches Phänomen in der menschlichen Phantasie und Vorstellung (bzw. Einbildung) vor. Das Gegenteil wäre zu beweisen.

      Antworten

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