Ein Gastbeitrag zum Thema Religionsunterricht von Ingo Eitelbach
Den konfessionsgebundenen Religionsunterricht gibt es seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Die Verknüpfung bzw. Beeinflussung durch die beiden beherrschenden Konfessionen des Christentums scheint im Bewusstsein der Bevölkerung nicht sehr präsent. Religion ist einfach Teil des Bildungsangebotes der Schulen und gehört sozusagen zur Grundausstattung wie Mathe, Deutsch, Erdkunde u.ä. dazu.
Mir begegnen regelmäßig Aussagen von Lehrkräften und Eltern, die hervorhoben, dass hier nicht indoktriniert wird, die Evolution nicht geleugnet wird, dass dies doch zur Kultur gehöre und die Kinder wissen müssen, was es damit auf sich hat.
Wer sich mit den Regelungen im Bezug auf den Religionsunterricht jedoch etwas beschäftigt, dem könnte hier die ein oder andere Überraschung begegnen. Dies gilt zumindest für den Teil der Bevölkerung, der möchte, dass seine Kinder frei von Ideologien und Dogmen gebildet werden und der darauf vertraut, dass den Sprösslingen in der Schule evidentes Wissen vermittelt wird.
Die Thematik ist zurzeit noch aus weiteren Gründen von Bedeutung.
In den letzten Jahren sind zahlreiche Menschen zu uns gekommen, die nicht christlichen Glaubensgemeinschaften angehören. Das Thema Religion ist u.a. deswegen mehr in den Fokus gerückt. Vom islamistischen Terror ist Deutschland zwar nicht gänzlich verschont geblieben, jedoch hat dieser eher eine globale Dimension, wenn man an den sogenannten „Islamischen Staat“ denkt. Nun taucht durch die Flüchtlingswelle relativ plötzlich Konkurrenz für den christlichen Glauben und seine Institutionen bei uns auf. Flüchtlingskinder müssen schulisch versorgt werden, um deren Integration zu gewährleisten.
Ein weiterer Bereich betrifft die immer weiter um sich greifende Problematik von Fake News, also das bewusste Verbreiten von falschen Nachrichten, auch durch staatliche Stellen oder hochgestellte Politiker (Trump, Putin, Erdogan etc.). Es gehört zu den Schlüsselqualifikationen, die Bildungseinrichtungen Schülern vermitteln müssen, Wege zu erlernen, wahr von unwahr zu unterscheiden.
Bereiteten die Schulen unsere Kinder gut auf diese Situationen vor?
Ich habe den Eindruck, dass die Vorbereitung grundsätzlich in Ordnung ist, wenn da nicht der Religionsunterricht wäre. Was irritiert daran?
Die Bildung der Kinder ist staatliche Aufgabe und an einer staatlichen Schule dürfte man eigentlich davon ausgehen, dass Inhalte nicht direkt und staatlich gefördert und finanziert durch eine Interessengemeinschaft bestimmt werden. Man stelle sich vor, dass die Unterrichtsgestaltung über die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 von der CDU oder der SPD gesteuert wird. Das wäre natürlich undenkbar. Im Bezug auf den Religionsunterricht ist dies allerdings anders.
Um die Zusammenhänge in der Praxis zu verstehen, muss man die rechtlichen Regelungen kennen. Diese sind von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Eine Übersicht gibt es auf Wikipedia unter https://de.wikipedia.org/wiki/Religionsunterricht_in_Deutschland
Im Weiteren möchte ich beispielhaft die Situation in Schleswig-Holstein (SH) beschreiben.
Rechtlich hergeleitet wird die Sonderstellung des Religionsunterrichts aus dem Grundgesetz (GG). Die Regelungen sind unter den Gegebenheiten und den Eindrücken der Zeit des zweiten Weltkrieges und des Naziregimes zustande gekommen. Damals (nach 1945) war fast die gesamte Bevölkerung Mitglied einer christlichen Kirche. Außerdem verfügten die Kirchen nach dem Krieg über weitestgehend funktionierende Institutionen. Dieses Gewicht spiegelt sich im GG an einigen Passagen wieder.
Der Artikel 7 Absatz 3 GG betrifft unser Thema. Dieser lautet:
- „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.“
Religionsgemeinschaften sind hier allgemein genannt. Jedoch sind nur mit den beiden christlichen Großkirchen weitergehende Vereinbarungen in SH geschlossen worden, so dass nur diese die Grundsätze mitbestimmen.
Aber zunächst der Reihe nach.
Das Schulgesetz
Rechtsgrundlage für den Religionsunterricht in Schleswig-Holstein ist der §7 des Schulgesetzes (SchulG). Darin ist, gleichlautend wie im GG, geregelt, dass der Religionsunterricht an öffentlichen Schulen ordentliches Lehrfach ist. Außerdem steht Eltern das Recht zu, ihre Kinder vom Unterricht abzumelden. Die Kinder sollen für diesen Fall einen gleichwertigen Unterricht erhalten.
Der Auftrag der Schulen ist in §4 SchulG beschrieben. Einige unser Thema betreffende Formulierungen sind im Folgenden aufgelistet.
- Absatz 2 Satz 2: „Der Bildungsauftrag der Schule basiert auf den im Grundgesetz verankerten Menschenrechten, den sie begründenden christlichen und humanistischen Wertvorstellungen und auf den Ideen der demokratischen, sozialen und liberalen Freiheitsbewegungen.“
Hier stellt sich die Frage, welche der im GG verankerten Menschenrechte denn aus christlichen Wertvorstellungen abgeleitet wurden. Mir fallen zahlreiche humanistische Werte (Gleichberechtigung, Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, Recht auf körperliche Unversehrtheit, Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit etc.) ein, die passend wären. In der Regel sind dies Werte, die in der Zeit der Aufklärung gegen die christlichen Kirchen für die Gesellschaft erkämpft werden mussten und die sich keinesfalls aus der Bibel (Glaubensfreiheit!!) ableiten lassen.
Möglicherweise werden hier christliche mit humanistischen Werten verwechselt. Dieser Irrtum (absichtlich oder aus Unkenntnis?) bildet so etwas wie das moralische Fundament für die Sonderrechte der Kirchen.
- Absatz 3: Die Schule soll jungen Menschen kulturelle und gesellschaftliche Orientierung vermitteln. Sie soll dazu ermuntern, eigenständig zu denken und vermeintliche Gewissheiten und gesellschaftliche Strukturen auch kritisch zu überdenken. Die Schule soll die Bereitschaft zur Empathie und die Fähigkeit fördern, das eigene Weltbild in Frage zu stellen und Unsicherheiten selbstvertrauend auszuhalten.
Kritisches und eigenständiges Denken, das eigene Weltbild in Frage stellen. Diesem Auftrag kann man nur zustimmen. Das Handwerkszeug zur Unterscheidung von Wahr und Unwahr ist eine wesentliche Grundlage, um in der Gesellschaft zu bestehen. Als eine sehr erfolgreiche Vorgehensweise zur Erlangung unserer aktuellen Lebensqualität hat sich die wissenschaftliche Methode zum Erkenntnisgewinn gezeigt. Wie kommt man von einer Annahme (Hypothese) zu einer Theorie, die mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen ist? Man muss sein Aussagen für Dritte überprüfbar belegen können. Erst dann kann man vernünftigerweise darauf vertrauen, dass die Aussage wahr ist.
Wie passt aber dazu die Struktur des Religionsunterrichtes, wenn man an die Einflussnahme der christlichen Interessengruppen denkt. Wird etwa z.B. die Existenz vom biblischen Gott kritisch untersucht, die Auferstehung von Jesus angezweifelt oder das in der Bibel versprochene Leben nach dem Tod neurowissenschaftlich hinterfragt?
- Absatz 8: Bei der Erfüllung ihres Auftrages hat die Schule das verfassungs- mäßige Recht der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder (Artikel 6 Abs. 2 GG) zu achten. Sie darf die religiösen und weltanschaulichen Grundsätze nicht verlet- zen, nach denen die Eltern ihre Kinder erzogen haben wollen.
Hier tut sich ein Problem auf. Steht das Erziehungsrecht der Eltern grundsätzlich über dem staatlichen Bildungsauftrag? Man stelle sich vor, Eltern sind junge Erde Kreationisten und die Schule muss diese Vorstellung hinnehmen und den Kindern die äußerst wichtigen Informationen zur Evolutionstheorie vorenthalten, sofern die Eltern dies verlangen. Im Bereich des muslimischen Glaubens kommt es schon jetzt vor, dass Mädchen z.B. die Teilnahme am Schwimmunterricht von Seiten der Eltern untersagt wird.
- Absatz 12: Die Schule darf Sachverhalte nicht politisch einseitig behandeln. Sie muss sich parteipolitisch neutral verhalten.
Die politische Neutralität ist gesetzlich verankert, was eine Selbstverständlichkeit ist. Im Bereich der Religion macht sich der Staat bzw. die staatlichen Schulen allerdings zum Erfüllungsgehilfen zweier großer christlicher Interessenvertretungen.
Verträge mit den christlichen Kirchen
Das Land SH hat mit der evangelischen Landeskirche und dem heiligen Stuhl Verträge geschlossen, in denen die Beziehungen und insbesondere zahlreiche Sonderrechte (z.B. kirchlicher Dienst ist öffentlicher Dienst!) für die Kirchen geregelt sind.
Ein entsprechendes Gesetz ist für den Vertrag mit der evangelischen Landeskirche 1957 durch den Landtag in Kiel beschlossen worden.
Im Artikel 6 des Gesetzes werden Einzelheiten zum Religionsunterricht geregelt. So heißt es in Absatz 4: „Der Religionsunterricht wird in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der evangelisch-lutherischen Kirche erteilt. Die Lehrplanrichtlinien für den evangelischen Religionsunterricht, die auch die Wochenstundenzahlen festsetzen sollen, werden im Einvernehmen mit den Kirchen aufgestellt und die Lehrbücher im Einvernehmen mit ihnen zugelassen.“
Erlass der Bildungsministerin
Konkretisiert wird diese vertragliche bzw. gesetzliche Regelung in einem Ministerialerlass zum Religionsunterricht an den Schulen in Schleswig-Holstein, zuletzt geändert am 03. Juni 2010. Ein Erlass ist die Anordnung einer höheren Behörde (hier Ministerin für Bildung) an eine ihr untergeordnete Dienststelle, die die innere Ordnung der Behörde oder das sachliche Verwaltungshandeln betrifft.
In diesem Erlass wird auf das Grundgesetz und das Schulgesetz Bezug genommen und zum Teil zitiert. So wird in §1 wiederum auf christliche und humanistische Wertvorstellungen hingewiesen, die angeblich (für den humanistischen Teil ist der Hinweis korrekt) die Menschenrechte begründen. Der Irrtum zieht sich somit bis zu den zuständigen Behörden durch.
Dadurch lässt sich nachvollziehen, dass im Erlass darauf hingewiesen wird, dass der Religionsunterricht als Fach, das sich mit den Grundlagen, Bedingungen und Möglichkeiten menschlicher Existenz beschäftigt, seinen fachspezifischen Beitrag leistet, indem er aus dem christlichen Glauben heraus zu verantwortlichem Denken und Verhalten befähigen soll (§1 (1) S.2).
Eins drauf gesetzt wird dann in Abs. 2, Satz 2. Hiernach soll eine Schule, die sich der Gesellschaft und der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler öffnet, auch die Zusammenarbeit von Schule und Kirchen fördern. Das wird in §6 weiter verstärkt. Dort heißt es: „In einer Schule, die sich zur Gesellschaft hin öffnet, kann besonders der Religionsunterricht neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit den Kirchen nutzen.“ Die Anweisung der Ministerin macht also nicht beim Religionsunterricht halt. Die Schule insgesamt wird zur Zusammenarbeit mit den christlichen Kirchen aufgefordert.
Wie passt dies zum staatlichen Neutralitätsgebot?
Immerhin ist festgelegt, dass Eltern ihre Kinder vom Religionsunterricht abmelden können (§4 (2)) und dass diese Schüler einen anderen Unterricht erhalten, der zum Religionsunterricht thematisch vergleichbare Erziehungs- und Bildungsziele (Philosophie) verfolgt.
Man sollte sich aber nicht zu früh freuen, denn der Philosophieunterricht hat keinen Freibrief. Vielmehr wird er in eine Fächergruppe mit dem Religionsunterricht zusammengefasst und („in stärkerem Maße als bisher“) zur Zusammenarbeit mit dem Fach Religion vergattert (§1 (2) S.1). Der lange Arm der Kirchen reicht also auch in den Ersatzunterricht.
Außerdem scheint es Praxis zu sein, dass in Grundschulen ein Ersatzunterricht gar nicht angeboten wird, da z.B. keine ausgebildeten Lehrkräfte vorhanden sind. So ist uns angeboten worden, dass unsere Kinder in einer anderen Klasse am gerade parallel zum Religionsunterricht stattfindenden Unterricht teilnehmen könnten. Wobei hinzugefügt wurde, dass es zur Ausgrenzung kommen könnte. Da schlägt man als Eltern doch gerne ein, oder?
Mit anderen Worten, es existiert ein Erlass, den die Schulen nur unvollständig umsetzen und es interessiert die Überwachungsbehörde nicht bzw. diese bekommt es nicht mit.
Noch erstaunlicher ist dieser Umstand, da das Oberverwaltungsgericht Schleswig am 7. Dezember 2001 (Az 3L 6/00) urteilte, dass in Schleswig-Holstein nur ein gleichwertiger Unterricht, etwa Philosophie oder Ethik, angeboten werden darf.
Die Schulen handeln rechtswidrig und die zuständigen Behörden dulden diesen Zustand.
Der Lehrplan
Was sind aber nun die Inhalte des Religionsunterrichts? Ist es möglicherweise ein religionskundlicher Unterricht, der unvoreingenommen Inhalte, Geschichte der Religionen vermittelt und auch gleichberechtigt Kritik zulässt?
Da es nicht einfach so möglich ist, die praktische Vermittlung durch einzelne Religionslehrer zu untersuchen, werfen wir einen Blick auf den Lehrplan. Beispielhaft blicken wir dazu auf den Lehrplan für evangelische Religion für Grundschulen in Schleswig-Holstein.
Um es vorweg zu nehmen, wir haben es hier nicht mit einem neutralen Unterricht zu tun, der Vermittlung von evidentem Wissen zur Erlangung von Schlüsselqualifikationen zum Inhalt hat. Das kann man aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen auch nicht erwarten.
Gemäß dem ersten Absatz des Lehrplans leistet das Fach einen grundlegenden Beitrag zur Bildung, zur Auseinandersetzung mit den Kernproblemen (welche eigentlich?) und zum Erwerb von Schlüsselqualifikationen. Zu den Schlüsselqualifikationen scheint der Autor des Lehrplans die persönliche religiöse Orientierung und Bildung der Schüler und Schülerinnen zu zählen.
Der dann folgende Absatz macht deutlich, dass der Religionsunterricht eine sehr wichtige Aufgabe für den Erhalt der Religiosität in Deutschland einnimmt. Man hat erkannt, dass Grundschulkinder in einer wichtigen Phase ihrer Entwicklung sind und (dank der fortschreitenden Säkularisierung!) vermehrt erst im Religionsunterricht dem Christentum begegnen.
Dieser Entwicklung soll der Religionsunterricht entgegenwirken, deshalb lernen die Kinder die Sprache und die Vorstellungswelt der Bibel zu verstehen. Dies soll ihnen dabei helfen, sich selbst besser zu verstehen. Was das genau bedeuten soll wird nicht weiter erläutert, auch werden keine Belege für die Behauptung erbracht.
Der Missionsauftrag wird anschließend recht offensichtlich verkündet. Es soll ein „besonderes“ Vertrauensverhältnis zwischen Schülern und Lehrkraft geschaffen werden. Die Schüler sollen das Gefühl des Angenommenseins erfahren und zu Wort kommen (was denn sonst?). Die Erfahrungen und Fragen der Kinder sollen mit den christlichen Traditionen verbunden werden. Kann es deutlicher formuliert werden?
Als Lehrkraft eines anderen Fachs würde ich mich allerdings fragen, ob der Autor des Lehrplans wirklich der Meinung ist, dass der Religionsunterricht ein besonderes Verhältnis zwischen Kindern und Lehrkraft zum Ziel haben sollte, das für andere Fächer nicht erforderlich ist. Ein besonderes Verhältnis, das über das normale Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer hinausgehen soll. Dieser Auftrag könnte durch einige Lehrkräfte missverstanden werden.
Der Missionsauftrag wird im Folgenden weiter ausformuliert. Schauen wir uns noch einige Absätze beispielhaft an.
Fünf Themenbereiche werden identifiziert:
- Menschen vor Gott: Es soll Mut gemacht werden, sich auf Gott und Jesus einzulassen. Die Existenz des christlichen Gottes Jahwe und seines Sohnes Jesus wird vorausgesetzt, obwohl es auch nach 2.000 Jahren keine überprüfbaren Belege für diese Annahme gibt. Die Kinder werden aufgefordert, die Lehren Gottes und seines Sohnes (also die biblischen Glaubensinhalte), Wesen die nicht existieren, zu übernehmen und damit „Mut“ zu beweisen. Statt eines vernünftigen und logischen Vorgehens bei der Beurteilung von Sachverhalten wird Irrationalität staatlich legitimiert und für gutgeheißen.
- Feste: Die menschliche Gemeinschaft sei auf Feste angewiesen. Dem kann man soziologisch möglicherweise folgen. Dass der protestantische Teil des Christentums allerdings auch Wunder für zentral hält, war mir zumindest für Deutschland nicht bekannt. Allen Ernstes wird dem Handeln Gottes eine heilende Wirkung zugesprochen (2. Satz). Mit anderen Worten, wenn wir z.B. Christi Himmelfahrt feiern, werden wir gesund. Bemerkenswert, oder?
- Schöpfung/Leben: Das (auch das eigene) Leben sei eine Gabe bzw. ein Geschenk in Folge der göttlichen Schöpfung (s. Genesis). Die Kinder sollen lernen, dafür dankbar zu sein. Die Dankbarkeit kann demnach nur dem Schöpfer, also dem christlichen Gott, gegenüber erbracht werden.Einen besonderen Beigeschmack erhält dieses Themenfeld, wenn man weiß, dass die Evolutionstheorie in den Grundschulen nicht auf dem Lehrplan vorgesehen ist. Die Schüler erhalten somit in der staatlichen Bildungseinrichtung über vier Jahre (die Grundschulzeit) lediglich Informationen über eine nachweislich falsche Sichtweise einer weltanschaulichen Gemeinschaft auf die Entwicklung der Erde und der Lebewesen. Zumindest lässt sich aus dem Lehrplan nichts Anderes ableiten. Es ist völlig unverständlich und unverantwortlich, den Schülern Informationen zu einer der wichtigsten wissenschaftlichen Theorien zumindest für einige Jahre vorzuenthalten und gleichzeitig bronzezeitliche Vorstellungen der Entstehung der Erde zu vermitteln.
- Frieden: Gegen Frieden auf der Welt ist natürlich nichts einzuwenden und auch der Einsatz im wohltätigen Bereich ist nicht zu kritisieren.
Zu hinterfragen ist allerdings, ob die christlichen Kirchen aufgrund ihrer gewalttätigen Vergangenheit geeignet sind, diese Werte zu vermitteln bzw. durch die Verknüpfung mit religiösen Themen den Schülern vorzugaukeln, dass der Frieden zur christlichen Grundausstattung gehört. Allenfalls gehört dies Thema zur Sonderausstattung der evangelischen Kirche in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg und hat einen hohen Aufpreis. - Sich selbst in der Gemeinschaft erfahren: Was will der Autor uns mit dieser theologisch verschwurbelten Aussage mitteilen?
Aus meiner Sicht geht es dabei um die Verknüpfung von schwierigen Lebenssituationen mit christlichen Lösungsvorschlägen. Ein wenig klingt auch die früher populäre Drohkulisse von Schuld und Sühne durch, hier mit Schuld und Vergebung bezeichnet. Für Abschiedsschmerz und Trauer gibt es den Trost und die Hoffnung des christlichen Glaubens. Schließlich erwartet den guten Christen ein Leben nach dem Tod, das besser ist als das irdische Leben.
Positiv besetzte Signalworte
Im folgenden Text werden viele positiv besetzte Signalworte verwendet. So soll zu mehr Toleranz und Dialogbereitschaft erzogen werden. Man soll nach Gerechtigkeit streben, gemeinsam handeln, miteinander reden, sich auf neue Wege begeben usw.
Das sind alles Erziehungsziele, die sich durch einen Ethikunterricht, der für alle Schüler verbindlich ist und insbesondere die universellen Menschrechte, die Demokratie und den Rechtsstaat, den Vorrang der rationalen Entscheidung, sowie alle Freiheitsrechte beinhalteten könnte, erreichen ließe. Stattdessen wird diese Thematik einer weltanschaulichen Interessengruppe überlassen, die es, wie zu erwarten war, benutzt, um die eigenen Anliegen zu fördern.
Der letzte Absatz im ersten Kapitel stellt eine Verdrehung der Realität dar, so wird behauptet, dass der Religionsunterricht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit verhilft und die Schüler befähigt ihre Religionsfreiheit wahrzunehmen. Da bleibt einem die Spucke weg.
Der Religionsunterricht stellt vielmehr eine Missachtung der Religionsfreiheit der Schüler dar. Die, im Grundschulalter noch intellektuell hilflosen Kindern, werden, wie wir oben gesehen haben, mit christlichen Glaubensinhalten konfrontiert. Mit Freiheit hat das wenig bis gar nichts zu tun.
Kein Wunder, dass darauf hingewiesen wird, dass der evangelische Standpunkt der Lehrkraft gesichert sein muss.
Erstaunlicherweise, nach all den eindeutigen Ansagen für die Schulen und Lehrkräfte, ist am Ende des ersten Absatzes der Hinweis zu finden, dass das Fundament des Religionsunterrichtes das Evangelium und das Reformationsbekenntnis ist. Dieser Rückbezug soll jedoch kritisch erfolgen. Diese Offenheit für Kritik steht hier allerdings allein auf weiter Flur und wird nicht weiter ausgeführt.
Im zweiten Kapitel werden den Leitthemen dann fachspezifische Themen zugeordnet. So kann der Schüler sich offensichtlich besser in Raum und Zeit orientieren, wenn er weiß, dass Noah in großer Not Gottes Hilfe erfahren hat. Ob dabei im Unterricht auch darauf hingewiesen wird, dass in Folge dieser Hilfe, der Großteil der Menschheit und der Tierwelt durch den christlichen Gott ausgerottet wurden?
Lebensräume und Zeiten können besser begriffen werden, wenn man die Geschichte von Abraham kennt, der auf Gottes Fürsorge vertraut, was soweit geht, dass er bereit ist, seinen eigenen Sohn umzubringen, weil sein Gott es von ihm verlangt. Immerhin ist ihm dann ein langes Leben vergönnt, nämlich 175 Jahre. Das ist doch ein Ziel.
Die Verbundenheit mit dem eigenen Bundesland darf nicht fehlen und an dieser Stelle kann man auch mal etwas Schleichwerbung für den hauseigenen Konzern, die Diakonie, machen, deren Menschen durch liebendes Helfen zum sozialen Frieden beitragen. Das schaffen nur Menschen christlichen Glaubens, oder?
Das dritte Kapitel (Fachübersicht) ordnet die Themen grob den Schuljahren zu. Interessant ist hier der Hinweis auf die spiralcurricular, das heißt sich wiederholende, Themen.
Es lässt sich anhand der folgenden Zeitgrafik ablesen, welche Themen einen besonders hohen Stellenwert haben.
So haben vier (verbindlich zu behandeln!) Kreuzchen die Themenbereiche: Jesus, Weihnachten (auch Jesus), die Schöpfung (dem Menschen ist Gottes Schöpfung anvertraut!).
Das vierte und letzte Kapitel behandelt die Lernentwicklung und die Bewertung. Hier wird nochmals deutlich, dass der missionarische Charakter einen wesentlichen Anteil des Religionsunterrichts darstellt.
Der Religionsunterricht sucht die religiöse Entwicklung, den religiösen Bewusstseinsprozess und das religiöse Wissen und Verhalten der Kinder zu fördern. Der Autor scheint davon auszugehen, dass die christliche Religion sozusagen Teil der Erbinformationen von Homo Sapiens ist und nur bewusstgemacht und entwickelt werden muss.
Des Weiteren werden die Grundlagen für die weitere religiöse Bildung gelegt. Die symbolhafte Sprache der Bibel soll verstanden werden. Schließlich versuchen christliche Exegeten die recht eindeutigen Inhalte der Bibel, sofern sie ethisch unvertretbar sind, umzudeuten, damit der Text in unsere Zeit gerettet werden kann. Dem Schüler wird schon in der Grundschule suggeriert, dass vieles gar nicht so gemeint war, wie es in der Bibel steht.
Wichtig ist dem Autor außerdem, dass die Schüler lernen, biblische Geschichten auf die eigene Lebenssituation zu beziehen und in eigenen Erlebnissen religiöse Erfahrungen zu beschreiben. Klingt schon ziemlich nach Gehirnwäsche.
Fazit
Der Religionsunterricht in unserem Beispiel hat den Auftrag den christlichen Glauben zu fördern. Eine kritische Auseinandersetzung ist nicht vorgesehen. Man kann durchaus davon ausgehen, dass der ein oder andere Lehrer kritische Fragen zulässt und möglicherweise auch Diskussionen dazu nicht abwürgt. Angesichts des institutionellen Drucks zur Verkündung der christlichen Botschaft wird dies aber zu vernachlässigen sein.
Ist unsere Ausgangsfrage, ob unsere Kinder im Religionsunterricht indoktriniert werden, zu bejahen oder nicht?
Indoktrination (lateinisch doctrina ‚Belehrung‘) ist eine besonders vehemente, keinen Widerspruch und keine Diskussion zulassende Belehrung. Dies geschieht durch gezielte Manipulation von Menschen durch gesteuerte Auswahl von Informationen, um ideologische Absichten durchzusetzen oder Kritik auszuschalten (aus Wikipedia).
Die Vermittlung von ideologischen bzw. religiösen Glaubensinhalte durch eine staatliche Bildungsinstitution in der beschriebenen Form erfüllt aus meiner Sicht den Tatbestand einer vehementen Belehrung. Allenfalls könnte man einschränkend anmerken, dass Kritik und Diskussion grundsätzlich zugelassen ist. Wie dies aber in der Praxis durch 6 bis 10-jährige Kinder geleistet werden soll, ist mir schleierhaft.
Die Frage kann deshalb aus meiner Sicht mit Ja beantwortet werden.
Im Sinne einer weltanschaulich neutralen, evidenten Bildung unserer Kinder kann die Forderung nur lauten, den konfessionsgebundenen Religionsunterricht durch einen verbindlichen Ethikunterricht für alle Schüler zu ersetzen.
Quellen
- Grundgesetz
- SchulG SH
- Gesetz zu dem Vertrag zwischen dem Land Schleswig-Holstein und den evangelischen Landeskirchen in Schleswig-Holstein
- Religionsunterricht an den Schulen in Schleswig-Holstein, Runderlaß der Ministerin für Frauen, Bildung, Weiterbildung und Sport vom 21. Februar 1995
- Verfahren vor dem OVG: Sigmar Salzburg klagte 1999 im Namen dreier Kinder vor dem Verwaltungsgericht Schleswig gegen den beliebigen Ersatzunterricht für vom Religionsunterricht abgemeldete Kinder. Die Klage hatte erst in der Revision durch das Oberverwaltungsgericht Schleswig am 7. Dezember 2001 Erfolg (Az 3L 6/00). Seither darf in Schleswig-Holstein nur ein gleichwertiger Unterricht, etwa Philosophie oder Ethik, angeboten werden.
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