Wer ist besser? Gedanken zu Nachgedacht… (242) zum Thema Würde, Originalbeitrag verfasst von Christina Lander, veröffentlicht am 15.10.2017 von osthessennews.de
Vergleichen Sie sich gern mit anderen? Der hat aber das und ich habe jenes, die ist aber hübsch, bin ich es genauso?*
Nö.
[…] Es ist einfacher für uns, wenn wir nach simplen Maßstäben vergleichen können. Auch in Gruppen zu denken und zu pauschalisieren ist einfacher für uns.
Diesen Effekt machen sich auch die meisten Religionen zunutze. Sie schaffen eine klare Abgrenzung zwischen den Menschen: Die Zugehörigen sind die „Guten“, die von Gott geliebt und erlöst werden.
Alle anderen sind pauschal die „Bösen“ oder zumindest die, die von Gott nicht so innig geliebt werden wie man selbst. Nicht, weil die Anderen irgendwie schlechter wären. Sondern nur, weil sie den jeweiligen Gott nicht anerkennen.
Diese Vereinfachung durch eine pauschalisierende Unterteilung in ingroup und outgroup ist eine grundlegende Eigenschaft gerade von monotheistischen Religionen wie dem Christentum.
Damit bieten solche Lehren einen (freilich nur rein fiktiven) Faktor für pauschale, allerdings ganz reale, handfeste Abgrenzung: Nicht das Verhalten des Einzelnen, sondern lediglich die (Nicht-)Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft ist das Kriterium, nach dem Menschen bewertet werden können. Ein simpler, erfundener Maßstab zur einfacheren Pauschalisierung.
Und das gilt nicht nur für Angehörige unterschiedlicher Religionen: Man denke nur daran, dass etwa eine Hochzeit zwischen katholischen und evangelischen Christen vielerorts noch vor wenigen Jahrzehnten (mancherorts bis heute) wegen der unterschiedlichen Konfession praktisch unmöglich, zumindest aber höchst skandalös gewesen wäre.
Heutzutage spielt die Religions- oder Konfessionszugehörigkeit praktisch keine Rolle mehr. Außer freilich für Kirchen: Die bewerten Menschen auch heute noch nach ihrer Religionszugehörigkeit, etwa bei der Entscheidung über Arbeitsverhältnisse.
Menschenwürde, weil Gott uns sieht?
Doch es ist nicht der bessere Weg: Jeden individuell zu betrachten, jeden nach seinen Talenten und Chancen anzublicken, das vermag vielleicht nur Gott.
Vielleicht? So richtig sicher scheint sich Frau Lander offenbar nicht zu sein, was der von ihr geglaubte Gott tatsächlich vermag. Oder besteht die liberale Theologie, der sich die Autorin zugehörig fühlt, darin, alle Aussagen über Glaubensinhalte mit einem Fragezeichen und mit Einschränkungen zu versehen? Jedenfalls gibt sie trotzdem vor, Dinge zu wissen, die sie nicht wissen kann:
Er sieht uns, wie wir sind, was in uns ist, was uns auszeichnet. So erhält jeder Mensch seine eigene Würde. Sollten wir uns und andere nicht auch so betrachten?
Offenbar stellt sie sich ihren Gott so vor, wie er in der christlichen Lehre beschrieben wird: Allmächtig, allwissend und allgütig. Denn schließlich soll er ja alle Menschen in- und auswändig kennen und wissen, was sie auszeichnet. Und zusätzlich bekomme dadurch jeder Mensch seine eigene Würde.
Kurz zur Erinnerung: Allmacht, Allwissenheit und Allgüte schließen sich gegenseitig aus. Eine kurze Zusammenfassung zu diesem Thema gibts zum Beispiel in diesem Beitrag des MGEN-Blogs. Und ausführlicher in diesen Beiträgen von Volker Dittmar.
Ich fände es interessant zu erfahren, ob sich Frau Lander schon mal gefragt hat, warum die täglich beobacht- und erlebbare irdische Wirklichkeit so gar nicht danach aussieht, als sei sie von einem übernatürlichen Wesen mit diesen Eigenschaften erschaffen worden. Oder als stünde sie gar unter dem Einfluss eines solchen Wesens. Frau Lander, wie bewältigen Sie das Theodizee-Problem?
Was sagt die Bibel zum Thema Würde?
Natürlich können wir mal für einen Moment außer Acht lassen, dass nichts für die Existenz eines, noch dazu in sich vollkommen unlogischen Götterwesens spricht. Und überlegen, wie es denn um die Würde des Menschen bestellt wäre, wenn dieser sie wie von Frau Lander behauptet durch die Allwissenheit ihres Gottes bekommen soll.
Da Götter mangels Existenz per se keine tatsächlichen Eigenschaften haben, bleibt nur eine Untersuchung der biblischen Mythen und Legenden als Grundlage, um etwas über die dort behaupteten Eigenschaften des Gottes herauszufinden, den sich ein Wüstenvolk in der Bronzezeit ausgedacht hatte.
Gott selbst lassen die anonymen Bibelverfasser nur im „Alten Testament“ zu Wort kommen. Der dort beschriebene Gott gibt nur den Menschen ihre „eigene Würde“, die bereit sind, sich ihm bis zur Selbstaufgabe zu unterwerfen. Alle anderen sind gnadenlos und nach Möglichkeit vollständig zu vernichten.
Dazu greift Gott wahlweise selbst ins Geschehen ein. Oder er fordert seine Anhänger dazu auf, Angriffs- und Vernichtungskriege in seinem Namen zu führen. Hier nur eine Geschichte von quasi beliebig vermehrbaren ähnlichen Textstellen, die beispielhaft zeigen soll, dass sich mit dem Alten Testament ein Gott, der Menschen individuelle Würde verleiht, weil er sie alle persönlich kennt, nicht darstellen lässt:
Menschenwürde im Alten Testament
- Der Herr schlug die Benjaminiter vor den Augen Israels und die Israeliten machten an jenem Tag fünfundzwanzigtausendundeinhundert Mann aus Benjamin nieder, alles mit Schwertern bewaffnete Krieger. Die Benjaminiter sahen, dass sie geschlagen waren. Die Israeliten gaben Benjamin weiteres Gelände preis; denn sie vertrauten auf den Hinterhalt, den sie bei Gibea gelegt hatten. Die Leute im Hinterhalt stürmten nun schnell auf Gibea los. Sie kamen aus dem Hinterhalt hervor und erschlugen alles in der Stadt mit scharfem Schwert. Die Israeliten hatten mit den Männern im Hinterhalt verabredet, dass sie eine Rauchwolke aus der Stadt aufsteigen lassen sollten. Als nun die Israeliten im Kampf kehrtmachten und Benjamin anfing, etwa dreißig Israeliten zu erschlagen, weil sie sagten: Sicher wird Israel von uns völlig geschlagen wie beim ersten Kampf!, da begann aus der Stadt eine hohe Rauchsäule aufzusteigen. Als die Benjaminiter sich umwandten, sahen sie, dass die Stadt wie ein Ganzopfer zum Himmel emporflammte.
…aber damit nicht genug:
- Als dann die Israeliten wieder kehrtmachten, gerieten die Benjaminiter in Verwirrung; denn sie erkannten, dass das Unglück sie ereilt hatte. Sie zogen sich vor den Israeliten in Richtung auf die Wüste zurück, konnten aber dem Kampf nicht entrinnen. Denn nun kamen auch die Männer (Israels) aus der Stadt, nahmen die Benjaminiter in die Zange und vernichteten sie. Sie umzingelten die Benjaminiter und verfolgten sie von Noha [zertraten sie] bis in die Gegend östlich von Gibea. Achtzehntausend Mann aus Benjamin fielen, alles kampferprobte Männer. Die Übrigen wandten sich um und flohen auf die Wüste zu, nach Sela-Rimmon. Die Israeliten hielten Nachlese und vernichteten auf den Straßen noch einmal fünftausend Mann. Bei der Verfolgung, die sich bis nach Gidom hinzog, erschlugen sie nochmals zweitausend von ihnen. Die Gesamtzahl der Gefallenen aus Benjamin betrug an diesem Tag fünfundzwanzigtausend, lauter mit dem Schwert bewaffnete Krieger. (Ri 20, 35-47 EU)
Die Aussage ist klar: Das von Gott auserwählte Volk ist anderen Völkern weit überlegen. Ein Gott, der seine Macht und Stärke gerne auch mal dadurch demonstriert, dass er ein anderes Volk nieder macht und seine Anhänger dabei unterstützt, ihrerseits 25.100 bewaffnete Krieger an einem Tag zu eliminieren.
10 Gebote: Brauchbare Grundlage für Menschenwürde?
Und auch in den 10 Geboten, die auch von überraschend vielen nicht religiös gläubigen Menschen als wertvolle Richtschnur für das Leben der Menschen im 21. Jahrhundert angesehen werden, stellt Gott seinen absolutistischen Allmachtsanspruch unmissverständlich klar.
Nicht nur, dass der Allmächtige es offenbar nötig hat, die ersten seiner Gebote dem Schutz und der Anerkennung seiner eigenen Macht und Alleinstellung zu widmen, wie zum Beispiel hier:
- Du sollst dich nicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen zu dienen. Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, die mir Feind sind, verfolge ich die Schuld der Väter an den Söhnen und an der dritten und vierten Generation; bei denen, die mich lieben und auf meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld. (5. Mo 5, 9-10 EU)
Würde eines jeden einzelnen Menschen? Fehlanzeige. Stattdessen gibts für das Vergehen des Un- oder Andersglauben Sippenhaft über vier Generationen hinweg. Gott bestraft Söhne, Enkel, Urenkel und Ururenkel von Menschen, weil diese an andere Götter als Jahwe geglaubt haben.
Zur Würde des Menschen gehört auch, dass er die Freiheit seiner Gedanken und seiner Meinungsäußerung genießt. Diese grundlegenden Bestandteile menschlicher Würde schließt Gott ebenfalls in den 10 Geboten ausdrücklich aus:
- Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr lässt den nicht ungestraft, der seinen Namen missbraucht. (5. Mo 5,11 EU)
Der eifersüchtige biblische Gott schreibt den Menschen vor, was sie zu denken und zu sagen haben. Und bestraft die, die sich nicht daran halten.
Die Würde des Menschen im Neuen Testament
Anders als Jesus, der im Neuen Testament die Anordnungen aus dem Alten Testament sogar noch verschärft hatte, weisen Christen heutzutage gerne darauf hin, dass das Alte Testament ja durch das Neue Testament „aufgehoben“ worden sei.
Dieser Versuch, das absurde und geradezu widerwärtige Gottesbild des Alten Testaments zu bewältigen, schlägt freilich fehl. Denn die Stellen, auf die die gläubigen Bibelleser nicht verzichten können, sollen selbstverständlich auch weiterhin gültig sein. Und nicht aufgehoben. Ohne Absurditäten wie die der Erbsünde
Aber wie siehts nun mit der menschlichen Würde durch Gottes Allwissenheit im Neuen Testament aus? Kurz gesagt: Nicht besser. Sondern sogar noch schlimmer.
Im zweiten Teil der biblischen Geschichtensammlung übernimmt der Sohn (wahlweise auch das 2. Drittel) Gottes die göttliche Sprecherrolle.
Und auch hier ändert sich an der Grundaussage nichts: Aussicht auf Würde haben Menschen wenn überhaupt nur, wenn sie bereit sind, sich bedingungslos dem richtigen Gott zu unterwerfen. Das scheint überhaupt das einzige Kriterium zu sein, auf das es Gott ankommt. Und dessen Nichtbeachtung klare Konsequenzen hat: Ewige Bestrafung.
Einzig wirklich relevantes Kriterium: Gläubig oder nicht?
Das hat zur Folge, dass die biblische Moral katastrophal schlecht abschneidet. Denn selbst ein Mensch, der sein Leben lang seinen Mitmenschen oder seiner Umwelt nur geschadet hat, erhält nach biblischer Aussage eine Eintrittskarte für die ewige himmlische Herrlichkeit, wenn er sich wenigstens in der letzten Minute seines Lebens zu Gott bekennt.
Und umgekehrt landen nach ebendieser Aussage un- oder andersgläubige Menschen, die ein Leben lang nur Gutes getan und die sich stets mitmenschlich verhalten haben, in der zeitlich unbegrenzten physischen und psychischen Dauerbestrafung durch Höllenqualen – dafür, dass sie nicht oder nicht an den richtigen Gott geglaubt haben.
Ein Un- oder Andersgläubiger, der alles in seiner Macht Stehende unternimmt, um zum Beispiel ein Kind vor dem Ertrinken zu retten, verhält sich zweifellos ethischer als der tatenlos zusehende allmächtige Gott. Ob und wenn ja wie Götter oder andere Phantasiewesen Menschen „betrachten“ ist schlicht irrelevant.
A propos Individualität: Kurioserweise passt das Gebaren der undemokratischen katholischen Kirche genau nicht zur hier behaupteten individuellen Betrachtung von einzelnen Menschen. Nicht zufällig bezeichnen sich Bischöfe als Oberhirten und die Gläubigen als ihre Schafsherde. Individualismus gehört wahrlich nicht zu den key features von monotheistischen Religionen.
Religiöser Wunsch und irdische Wirklichkeit
Die These der Autorin, alle Menschen würden dadurch an Würde gewinnen, dass der allwissende Christengott sie kennt, ist biblisch nicht darstellbar.
Hier kommt es Frau Lander zugute, dass auch sie sich ihren Gott natürlich ganz nach ihren persönlichen Wünschen und Vorstellungen zusammenphantasieren kann. Gläubige Christen sind oft wahre Meister darin, die biblische Grundlage ihres Glaubens entweder zu ignorieren. Oder sie so umzudefinieren und zu selektieren, dass sie das jeweils gewünschte Gottesbild liefert.
Das kann man natürlich machen – die Gedanken sind frei. Aufgrund eines solchen Phantasiekonstruktes aber Aussagen über die Würde aller Menschen zu machen, halte ich für reichlich fragwürdig.
Eine solche Annahme würde noch viele weitere Fragen aufwerfen, auf die Christen selten Antworten zu bieten haben, zum Beispiel:
- Nach welchen bzw. wessen Maßstäben beurteilt Gott Menschen?
- Wenn alle Menschen dadurch Würde erhalten, dass ein allmächtiger, allwissender Gott sie kennt, wieso kann es dann sein, dass so viele Menschen ein Leben „unter aller Würde“ führen müssen?
- Wenn Gott eine bestimmte Vorstellung davon hat, wie sich Menschen richtig verhalten sollten, wieso sorgt er dann nicht einfach dafür, dass sie es tun?
- Wieso sehen die moralischen Standards des biblischen Gottes denen eines rachsüchtigen, sehr schwachen und despotischen, menschenfeindlichen Psychopathen mit dem Wissens- und Erkenntnisstand eines Wüstenbewohners aus der Bronzezeit zum Verwechseln ähnlich?
- Wie kann man überhaupt sinnvolle Aussagen über die Eigenschaften von jemand oder etwas machen, der oder das sich per Definition der menschlichen Erkenntnis entzieht?
Im Zusammenhang mit dem Thema Würde kommt mir noch einer der wohl bizarrsten, absurdesten Sätze, die die christliche Liturgie zu bieten hat in Erinnerung:
- Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach. Aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.
Wie kommen Menschen nun tatsächlich zu ihrer Würde?
Die Antwort liefern zum Beispiel die Menschenrechte: Die Würde des Menschen setzt lediglich voraus, dass jemand Mensch ist. So einfach ist das. Götter, Geister und Gottessöhne haben damit nichts zu tun.
Die Menschenrechte gelten ausnahmslos für alle Angehörigen der Trockennasenaffenart Homo sapiens. Wobei es auch durchaus interessante Ansätze gibt, diese Rechte auf andere oder auch gleich auf alle Lebewesen auszuweiten.
Denn der Mensch ist keinesfalls die „Krone der Schöpfung“, wie es ihn die biblischen Texte Glauben machen. Er ist lediglich ein Angehöriger einer vergleichsweise hoch entwickelten Säugetier-Spezies, der es gelungen war, physische Defizite hauptsächlich durch Teamwork und Intelligenz zu kompensieren. Menschen sind die Tiere mit den wohl größten Chancen – und gleichzeitig Risiken.
Die Würde des Menschen, die auch in modernen ethischen Standards vereinbart und in Rechtsordnungen wie etwa in unserem Grundgesetz garantiert wird, umfasst selbstverständlich auch die Gedanken- und Meinungsfreiheit.
Somit gewähren diese Standards und Gesetze Gläubigen die Freiheit, beliebige Götter zu verehren. Und auf Wunsch sogar einen, der ihre Würde in seinem eigenen Interesse nicht nur antastet, sondern massiv beeinträchtigt. Klingt paradox, ist aber so.
Dem Vorschlag der Autorin, Menschen individuell zu betrachten, schließe ich mich an. Allerdings nicht, weil ihr Gott das angeblich auch tut. Sondern weil Pauschalisierungen schnell zu Vorurteilen und Fehleinschätzungen führen können.
*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag.
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