Wie gehen Religionsvertreter mit der Theodizee-Frage um? Wenn es einen allmächtigen, allgütigen und allwissenden Gott gibt, wie kann es dann Leid und Elend auf der Erde geben?
Ab und zu versuchen evangelische wie katholische Verkünder und Medien, eine Antwort auf diese, für Gläubige nach wie vor nicht befriedigend lösbare Frage zu geben.
Dabei habe ich verschiedene Strategien beobachtet, von denen ich im Folgenden einige beispielhaft vorstellen werde.
Mir geht es hier hauptsächlich um die rhetorischen und journalistischen Strategien; wer tiefer ins Thema Theodizee einsteigen möchte, dem sei das Buch** „Theodizee“*** von Prof. Dr. Klaus von Stosch empfohlen.
Der katholische Theologe bietet in diesem Werk eine Übersicht der Bewältigungsstrategien, mit denen Menschen schon versucht haben, das Theodizee-Problem zu lösen. Und er erläutert, woran alle diese Begründungen scheitern. Sein Fazit: Ohne Gott wird’s auch nicht besser…
Vorab: Das grundlegende Problem
Laut christlicher Lehre ist Gott ja allmächtig, allwissend und allgütig. Das täglich beobachtbare Leid auf Erden beweist, dass es einen Gott mit diesen Eigenschaften nicht geben kann. Diese Eigenschaften schließen sich gegenseitig logisch aus.
Diese Erkenntnis ist nicht neu. Der griechische Philosoph Epikur soll das schon 300 Jahre vor Jesus erkannt haben. Epikur wird dieses Zitat zugeschrieben:
- „Entweder will Gott das Böse nicht verhindern, dann ist er nicht allgütig. Oder er kann es nicht verhindern, dann ist er nicht allmächtig. Oder er kann und will nicht, dann ist er schwach und neidisch zugleich. Oder er kann und will – und dies allein ist Gott angemessen -. woher kommt dann aber das Böse, und warum hebt er es nicht auf?“ (Zitat aus J.B. Bratschen, Gott und das Böse, 43; in: Herderkorrespondenz 33 (1979))
Was also tun?
Um trotzdem irgendwie an diesem Gott mit diesen Eigenschaften festhalten zu können, ist eine Umdefinierung verschiedener Begriffe erforderlich:
Wenn zum Beispiel göttliche „Güte“ auch beinhalten kann, dass Gott Millionen Menschen in Konzentrationslagern ermorden oder sie durch Naturkatastrophen umkommen lässt ohne einzugreifen, dann wird damit der Begriff „Güte“ sinnentleert.
Beispiel: Dietrich Bonhoeffer hatte das Gedicht „Von guten Mächten wunderbar geborgen…“ im KZ verfasst. Wo er später umgebracht worden war.
Wenn “Geborgenheit” und “gute Mächte” auch die Ermordung im KZ beinhalten können, ist es sinnlos, von „Güte“ und „Geborgenheit“ zu sprechen.
Hier aber nun einige Varianten von zwei Strategien, die mir in der letzten Zeit in religiösen Medien begegnet sind.
Strategie 1: Flucht nach vorne
Variante 1: Wir geben zu: Wir haben keine Antwort (die uns gefällt)
Nicht selten räumen religiöse Verkündiger freimütig ein, dass sie auf die Theodizee-Frage keine Antwort wissen. Jedenfalls keine, in der ihr Gott noch eine Rolle spielt.
Interessanterweise argumentieren Christen ja gerne nach dem Schema: „Wir wissen es nicht, deshalb war es Gott.“ Dieses „Argumentum ad ignoratiam“, dem der „Gott der Lücke“, auch bekannt als „god of the gaps“ seine virtuelle Existenz verdankt, ist zur Beantwortung der Theodizee-Frage freilich ungeeignet.
Das liest sich dann zum Beispiel so:
- Die Beantwortung [der Frage, ob man Gott für Unrecht und Leid verantwortlich machen kann] ist schwer, kann nicht pauschal gegeben werden, sondern erfordert seelsorgerliches Gespür und Einfühlen in die jeweilige Situation und Person. […]
- Mir ist bewusst, dass diese Darstellung neben dem Versuch einer Beantwortung auch eine Menge neuer Fragen aufwerfen kann. Vielleicht tragen die anderen Artikel des Themas dazu bei, Licht in dieses Dunkel zu bringen. (Quelle: erf.de)
Variante 2: Wir haben keine Lust (uns mit absurden Argumenten aus den eigenen Reihen auseinanderzusetzen)
In der aktuellen Chrismon-Ausgabe vom Oktober 2017 befasst sich ein längerer Artikel mit der Theodizee-Frage.
Der Schweizer Theologe Fulbert Steffensky räumt ein, dass er „keine Lust“ habe, seinen Gott zu verteidigen, indem er das Leid als Teil von Gottes allmächtigen Heilsplan rechtfertigen würde (Hervorhebung von mir):
- Ich habe keine Lust, ihn zu verteidigen und zu behaupten, dass er uns auf höhere Weise erhört und auf andere Weise rettet, als wir es sehen und wünschen. Die Menschen, die auf Sumatra von den Wellen verschlungen wurden und die in Haiti unter ihren Häusern begraben wurden, wollten nicht auf höhere Weise erhört und gerettet werden. Sie wollten atmen, und sie sind erstickt. Sie wollten leben, und sie sind ertrunken, und ihre Leiber wurden von den Fischen gefressen. Ihre Leiden waren sinnlos, und ich weigere mich, diesen Leiden einen höheren Sinn unterzuschieben. Je älter ich werde, umso mehr höre ich auf, die Welt zu er klären. Auch unser Glaube erklärt nichts. (Quelle: Fulbert Steffensky in Chrismon Oktober 2017, Seite 38)
Dass der Glaube nichts erklärt, ist nur eine Erkenntnis. Die nächste Frage, die sich daraus zwangsläufig ergibt ist: Woran liegt es wohl, dass der Glaube nichts erklären kann?
Und welche Folge hat, ja muss das redlicherweise für die Annahme eines allmächtigen, allwissenden, allgütigen Gottes haben? Welche Antwort ist wohl die Plausibelste zur Beantwortung der Theodizee-Frage?
Klar: Gott existiert nicht. Schon gar nicht einer mit diesen Eigenschaften. Nur – ohne den Allmächtigen wären seine Anhänger natürlich, biblisch gesprochen, allein auf weiter Flur.
Was bleibt von einem desillusionierten Gottesbild?
Deshalb belässt es Herr Steffenski zunächst bei diesem Widerspruch:
- Eine Antwort gibt es nicht, aber ein Gebet und einen Preis Gottes aus den Tiefen der Untergänge. Widersprüche, über die man nicht hinwegkommt. (Quelle: Fulbert Steffensky in Chrismon Oktober 2017, Seite 38)
Und trifft damit einen Hauptkritikpunkt an der Methode des Glaubens: Etwas wider besseres Wissen für wahr, wirk- oder bedeutsam zu halten. Dies scheint Herr Steffenski aber gar nicht mehr von Gläubigen zu verlangen. Sein Fazit:
- „Hoffnung lernen heißt auch Illusionen verlernen, auch die Illusionen über Gott.“ (Quelle: Fulbert Steffensky in Chrismon Oktober 2017, Seite 38)
Weder verrät er, worin denn dann die Hoffnung besteht, wenn die hoffnungsvolle Gottesillusion weggefallen ist. Noch erfährt man, was von einem „desillusionierten“ Gott denn dann überhaupt noch übrigbleibt.
Variante 3: Wir lassen jemand anderen die unangenehme Wahrheit verkünden
Oder man lässt rational denkende Menschen zu Wort kommen, die die unangenehme Wahrheit verkünden dürfen. So zum Beispiel ebenfalls in der aktuellen Chrismon-Ausgabe:
- Wo kein Gott, da keine Theodizee. Oder wie es Odo Marquard ausgedrückt hat: Theodizee gelungen, Gott tot. Aber nun sitzt halt eben der Mensch selbst auf der Anklagebank – und das ist gut so.
- Und was ist mit den Naturkatastrophen, den Unwettern, Vulkanausbrüchen und Erdbeben, die wir nicht verursachen, aber auch nicht verhindern können? Nicht ihr Vorkommen ist von Interesse – sie sind Teil der Welt, die uns gegeben ist und in die wir als Mängelwesen geworfen sind. Keinen wehleidigen Jammergedanken über die metaphysischen Ursachen dieser Übel sollen wir verschwenden. Wir brauchen unsere Kräfte, um in Solidarität gegenwärtiges Leid zu lindern und zukünftiges Unglück zu verhindern. Ja, das ist ein Plädoyer für die Überwindung des Religiösen und damit für eine Verabschiedung der Theodizeefrage. Nur erscheint leider das Religiöse immer wieder in neuem Gewand und nicht immer riecht es entlarvend nach Weihrauch. (Quelle: Jonas Lüscher in Chrismon)
Strategie 2: Verteidigung
Hier gibt es natürlich eine riesige Vielfalt an möglichen Varianten. Nochmal sei auf das oben genannte Buch „Theodizee“ von Prof. Dr. Klaus von Stosch verwiesen. Exemplarisch hier nur vier Beispiele, die mir kürzlich begegnet sind:
Variante 1: An allem Leid ist der Mensch selber Schuld.
In der Extremform behaupten christliche Religionsvertreter, ausnahmslos alles Leid auf Erden hätten sich die Menschen selbst zuzuschreiben.
Da wird dann schnell mal ein zerstörerischer Hurrican als „Strafe Gottes“, etwa für Homosexualität oder andere „Vergehen“ bezeichnet. Außerhalb von christlich-fundamentalistischen Kreisen stoßen solche Behauptungen allerdings nur selten auf offenen Zuspruch.
Und trotzdem gibt es auch 2017 noch hochrangige christliche Kirchendiener, die genau solches öffentlich verkünden: Der „freie Wille“, den Gott den Menschen gnädigerweise verliehen haben soll (um sie dann zu bestrafen, wenn sie von ihm Gebrauch machen) und den es so, wie im Christentum angenommen nicht gibt, sei die Ursache für Leid und Elend.
Variante 2: Am Leid in der Welt sind „Böse Mächte“ Schuld.
Bei dieser Strategie führen die Verkünder eine meist nicht näher definierte Größe ein, die sie als den Verursacher des irdischen Leids behaupten: „Böse Mächte“ oder auch einfach nur „das Böse.“
Was sonst nur in Science Fiction- oder Phantasyromanen oder in populistischen Reden bestimmter Machthaber vorkommt, scheint auch in der christlichen Vorstellungswelt einiger Zeitgenossen (wie zum Beispiel in der des Fuldaer Bischofs Algermissen) zu existieren.
Je nach bevorzugter Konnotation kann mit „das Böse“ zum Beispiel die Schlechtigkeit und Sündhaftigkeit der Menschen gemeint sein. Genauso darf aber mitunter auch mal ein „gefallener Engel“ aka Lucifer diese Rolle übernehmen.
Die Fragen, die sich daraus in Bezug auf die angebliche Allmächtigkeit und Allgüte Gottes ergeben, bleiben – wen wunderts – dann zumeist unbeantwortet. Oder man bekommt ein vernebelndes, verunklarendes theologisches Geschwurbel präsentiert, das ebenfalls nur weitere Fragen aufwirft, als auch nur eine zu beantworten.
Variante 3: An menschlich verursachtem Leid ist der Mensch selber Schuld.
Klingt erstmal wie „hölzernes Holz“ und ist natürlich eine Tautologie, ist aber durchaus eine immer wieder verwendete Taktik. Natürlich gibt es Leid und Ungerechtigkeit, das von Menschen verursacht wird. Aber das trifft eben längst nicht auf alles Leid zu.
Fragt man hier dann nach, wie es denn mit Tsunami- oder Erdbebenopfern aussieht, bekommt man in der Regel keine Antwort mehr.
Es gibt wirklich Menschen, die mit diesem offensichtlichen Widerspruch keine Probleme haben. Indem sie so tun, als sei mit einem Teilaspekt schon die ganze Frage beantwortet. Den nicht religionskompatibel beantwortbaren Rest ignorieren sie.
Variante 4: Gott hilft nicht, weil Menschen sich nicht helfen lassen wollen
Eine ähnliche Strategie liegt auch dem „Frisör-Argument“ zugrunde:
- Ich glaube schon, dass es Gott trotz Ungerechtigkeit in der Welt geben kann. Es gibt ja auch einen Friseur und trotzdem Leute, die mit einer schlechten Frisur rumlaufen.
(Quelle: Fatma Gezerler, studiert in Eichstätt Psychologie – in: Chrismon Ausgabe Oktober 2017, Seite 38)
Dieser Vergleich tut das, was viele Vergleiche machen: Er hinkt. Und zwar gewaltig. Nicht nur verglichen mit den anderen Beiträgen, die Chrismon zum Thema Theodizee zusammengestellt hat, ist dieser geradezu hirnrissig.
Ist das der Grund, warum ausgerechnet dieser Abschnitt nur in der Print-, nicht aber in der Onlineausgabe zu finden ist?
Offenbar ist Frau Gezerler nicht bewusst, was dieses „Gleichnis“ eigentlich aussagt: Nämlich, dass die Menschen ja selbst schuld sind, wenn sie nicht zum Frisör gehen. Der ihnen natürlich jederzeit gerne die Haare schneiden würde – wenn die Zerzausten und Langhaarigen nur zu ihm kämen.
Übertragen auf Gott würde das bedeuten, dass Gott Menschen in Not ja gerne helfen würde – wenn sie dies denn wünschten.
Ein Blick in die irdische natürliche Wirklichkeit zeigt, dass auch Menschen, die voll und ganz und vielleicht sogar schon ein Leben lang auf göttliche Hilfe vertraut haben, genauso leiden und verunglücken können wie Menschen, die das nicht tun oder getan haben.
Und natürlich sind Frisöre, anders als der Allmächtige, genau das nicht: Allmächtig. Einen ordentlichen Haarschnitt mit der existentiellen Not eines Ertrinkenden, Verschütteten oder Verhungernden zu vergleichen, ist geradezu zynisch. Das müsste eigentlich auch ohne Psychologiestudium zu erkennen sein.
Biblischer Fun Fact am Rande: Geht man nach der Bibel, sollten zumindest Priester den Frisör tunlichst meiden:
- Ihr sollt den Rand eures Haupthaares nicht rundum abschneiden, auch sollst du den Rand deines Bartes nicht beschädigen. (3. Mo 19,27 Schlachter 2000)
Wie ist das Theodizee-Problem aber nun denn tatsächlich zu lösen?
Es gibt auf die Theodizee-Frage eine ganze Reihe guter Antworten,* die das Problem auch wirklich lösen:
- Gott existiert nicht. Problem gelöst.
- Gott ist nicht allmächtig – er ist nicht einmal mächtig genug, Leid zu verhindern.
- Gott ist nicht allwissend. Er weiß nichts von unserem Leid.
- Gott kümmert es nicht, dass wir leiden. Wir sind ihm gleichgültig.
- Es gibt mehrere Götter, die sich mit ihrer Macht gegenseitig in Schach halten, die weder allwissend noch allmächtig sind.
- Gott ist nicht moralisch gut. Wir verurteilen moralisch nicht nur das Böse, das jemand tut, sondern auch das Gute, dass er unterlässt.
Analogie zum Theodizee-Problem
Ich kann es z. B. nicht verstehen, dass Christen einen Reichen verurteilen, der keinen Cent für Andere ausgibt und niemandem hilft, obwohl er könnte.
Er verhält sich doch exakt so wie ihr Gott, und der soll doch gut sein…?
Die einzige Lösung, die wirklich Sinn ergibt, ist die Antwort Nummer 1.
Und Jori Wehner ergänzt:
Gläubige verwenden selbst Logik, wenn sie über Gott nachdenken. Gott sei ein Etwas mit stabiler Identität und stabilen Eigenschaften. Gott habe Eigenschaften, die sich von ihrem Gegenteil abgrenzen lassen. usw.
Gläubige haben Ansichten und Erwartungen an Gott, die einer stabilen Logik unterliegen (Gott sei existent, gütig, gerecht usw.).
Nur wenn eine konsequente Anwendung der Logik zeigt, dass ihre Überzeugungen selbstwidersprüchlich sind, dann werfen sie die Logik weg. […] (Quelle: Jori Wehner via Facebook)
*Unter Verwendung eines Facebook-Beitrages von Volker Dittmar, mit freundlicher Genehmigung des Autors
**Wir haben keinen materiellen Nutzen von verlinkten oder eingebetteten Inhalten oder von Buchtipps.
***Klaus von Stosch: Theodizee. Verlag Schöningh/UTB 1. Auflage 2013, ISBN 9783825238674
Ich danke Dir für Deine Unermüdlichkeit, ständig und immer wieder die Inkonzinenz des Glaubens und der Religionen nebst deren Organisationen ans Tageslicht zu zerren und zu demaskieren.
Ich verfolge Deine meist recht gelungenen Bemühungen inzwischen schon recht lange, und nochmal:
Danke dafür!
Vielen Dank für die Blumen! Wenn dir ein Beitrag mal nicht so gelungen erscheinen sollte, freue ich mich immer über konstruktive Kritik und Verbesserungsvorschläge.
Hallo,
ich bin wegen der Theodizeefrage auf awq gestoßen.
Der Artikel ist noch gut akzeptabel.
Ansonsten finde ich eher Blogs wie von Hugo Stamm https://blog.tagesanzeiger.ch/hugostamm/
ansprechend. Dort werden die Themen tiefsinnig mit einer gewissen neutralen Distanz behandelt.
Das hier Vorgefundene birgt einen Touch zu viel Missionseifer.
Mats