Das Jüngste Gericht: Was erwartet Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, nach dem Tod?
Auf der evangelischen Fragenbeantwortungsseite fragen.evangelisch.de wollte ein Nutzer in diesem Beitrag wissen, was Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, nach dem Tod erwartet.
Pfarrer Frank Muchlinsky, der kritische Fragen oft mal als Provokation auffasst und solche nur sporadisch (nach eigener Aussage einmal pro Jahr) beantwortet, stellte sich diesmal der Herausforderung und klärte den Nutzer auf.
Und zwar deshalb, weil er mutmaßte, dass der Frager möglicherweise Angst vor einer Hölle haben könnte. Dabei kann man sich den evangelisch-christlichen Glauben doch problemlos so schönreden, dass er auf den ersten Blick ganz harmlos erscheint.
Gott richtet über alle Menschen
Meinem christlichen Glauben nach, werden alle Menschen – ganz gleich, ob sie in ihrem [Leben, Anm. von mir] Christen waren oder nicht – am Jüngsten Tag mit Gott eine eingehende Unterredung haben.*
Wer das glaubt, muss die folgenden Voraussetzungen für wahr halten:
- Menschen müssen in irgendeiner Form ihren eigenen Tod überleben können.
Nach aktuellem Wissens- und Erkenntnisstand deutet nichts darauf hin, dass Lebewesen ihren eigenen Tod überleben können. Ein Jenseits im christlichen Sinn ist bis zum Beweis des Gegenteils nichts weiter als eine Fiktion, erfunden von Menschen aus bestimmten Ängsten, Wünschen, Hoffnungen – und aus Unwissenheit. - Der in den biblischen Mythen und Legenden beschriebene Gott existiert, mit den dort genannten Eigenschaften und Absichten.
Die Existenz eines solchen Gottes mit den in der Bibel behaupteten Eigenschaften kann bis zum Beweis des Gegenteils außerhalb menschlicher Phantasie ausgeschlossen werden. - Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt müssen sich alle Menschen vor diesem Gott verantworten.
Auch so etwas kann man sich natürlich ausdenken, einbilden und auch aufschreiben. Aber ausdenken, einbilden und aufschreiben kann man alles Beliebige. Plausibel, wahrscheinlich oder gar wahr wird es dadurch freilich noch lange nicht.
Eingehende Unterredung mit dem Allwissenden
Einmal mehr frage ich mich: Warum um alles in der Welt sollte man sowas für wahr halten? Oder auch nur für irgendwie ernsthaft bedeutsam?
Und ist die Formulierung „eingehende Unterredung“ nicht eine geradezu widerwärtig euphemistische Umschreibung für das, was die Bibel über die göttlich-willkürliche Verhängung zeitlich unbegrenzter physischer und psychischer Dauerbestrafung durch Höllenqualen für das Vergehen des Un- oder Andersglaubens so zu bieten hat?
Nix Unterredung. Nix Gericht im Sinne von gerechter Verhandlung. Gott verdammt Menschen, die sich nicht von ihm lieben lassen wollen. Und zwar für ewig. Wenn es um ihn selbst geht, ist der Allgnädige gnadenlos.
- Christen, lest’s euere Bibel! (Dr. Andreas Edmüller)
Das Jüngste Gericht im evangelisch-christlichen Glauben
In der Folge erklärt Herr Muchlinsky, wie er sich diese groteske letzte Gerichtsverhandlung vorstellt:
[…] Wie auch immer, ich bin mir sicher – und auch das entspricht meinem evangelisch-christlichen Glauben –, dass niemand in diesem Moment Gott vollständig zufrieden machen wird. Jeder Mensch ist wertvoll und geliebt, aber kein Mensch ist vollkommen gut. Wir alle machen, auch gegen besseres Wissen, Fehler.
Tja, da hat er sich wohl verschöpft, der unzufriedene allmächtige Allgütige. Selber schuld.
Was ist das für ein Gott, der ein Universum erschafft, um dann auf einem kleinen Staubkorn irgendwo im All eine bestimmte Trockennasenaffenart evolvieren zu lassen, deren Vertreter nicht in der Lage sind, sich so zu verhalten, wie er sich das vorstellt, um es dann von seiner Gnade abhängig machen zu können, ob sie irgendwann und irgendwo dann zeitlich unbegrenzt von ihm belohnt oder bestraft werden? Wie kann mein einen solchen Gott als „lieb“ bezeichnen?
Wenn Gott allwissend ist, dann weiß er auch, dass Menschen Fehler machen.
Das alles ist einfach nur… bar jeder Vernunft. Und wie eine solche Vorstellung glücklich machen soll, erschließt sich mir beim besten Willen auch nicht. Aber das scheint auch nicht der Sinn der Sache zu sein.
Was der Allwissende so alles wissen möchte – und woher Herr Muchlinsky das wissen will
Ich denke, dass es ein Fehler ist, der Gemeinschaft der Christinnen und Christen den Rücken zu kehren, darum glaube ich ja auch, dass Gott Sie danach fragen wird.
Was ist mit den Menschen, die vor der Erfindung des Bibelgottes gelebt haben und die deshalb gar keine Chance hatten, Schaf in der christlichen Herde zu werden? Und was ist mit denen, die zeitlebens nie von diesem Gott gehört haben? Von dessen Gnade allein es abhängen soll, wie sich deren angebliche Ewigkeit gestaltet? Was ist mit den Menschen, die zum „Jüngsten Gericht“ noch leben?
Dieser Glaube impliziert dermaßen viele Widersprüche und unbeantwortbare Fragen, dass man fast meinen könnte, Menschen mit vergleichsweise geringem Wissens- und Erkenntnisstand hätten ihn sich vor langer Zeit ausgedacht. Kaum vorstellbar, wie ein Erwachsener gesunden Verstandes heute noch sowas ernsthaft für wahr oder zumindest für bedeutsam halten kann. Religiöser Glaube korrumpiert nicht nur Vernunft und Verstand, sondern auch die intellektuelle Redlichkeit des Gläubigen. Der es in Kauf nehmen muss, die noch so absurdesten Dinge für wahr zu halten.
Wer sich mit dieser Einschätzung womöglich angegriffen fühlt, möge in den Jenseitsvorstellungen von Herrn Muchlinsky einfach mal kurz ihren eigenen geglaubten „Gott“ durch eine beliebige andere Gottheit ersetzen. Und überlegen, wie plausibel diese Geschichte dann klingt.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die vielen tausend Götter menschliche Hirngespinste sind, ausgerechnet der Wetter-Berge-Kriegs-Rache-Wüsten-Lieber-Gott Jahwe aber nicht?
Warum sollte man das glauben?
Nochmal: Warum sollte man das glauben? Nur, weil (in den allermeisten Fällen) die eigenen Vorfahren in einer Gegend gewohnt haben, die irgendwann mal von einem Machthaber regiert wurde, der ihnen diesen Glauben verordnet hatte? Oder (in den seltensten Fällen), weil man sich diesen Glauben aus welchen Gründen auch immer irgendwann mal selbst angeeignet hatte?
Aber ich maße mir nicht an zu entscheiden, ob dieser Fehler [nicht an Gott zu glauben, Anm. von mir] vor Gott schwerer wiegt als andere Fehler, die man begehen kann. Das ist Gottes Sache allein.
Na, dann schauen Sie sich mal die ersten der 10 Gebote Ihres eifersüchtigen Gottes an. Un- oder Andersglaube wiegt nicht nur schwerer als andere „Vergehen.“ Genaugenommen ist dies das einzige „Verbrechen“, das Gott auf jeden Fall bestraft. Auf den Punkt gebracht in der Bibelstelle Mk 16,16.
Glauben was gefällt – über den Rest kann man nichts sagen
Einen oft anzutreffenden rhetorischen Trick gibts auch bei dieser Antwort von Herrn Muchlinsky zu beobachten: Der evangelische Pfarrer hat einerseits erstaunlich detaillierte Vorstellungen von den Dingen, die er glaubt. Sobald es aber „ans Eingemachte“ geht, da maßt er sich natürlich nicht an zu entscheiden, wie Gott beim Jüngsten Gericht über Atheisten wohl urteilen wird.
Kein Wunder: Wer will schon ernsthaft eine göttliche postmortale Dauerverdammnis postulieren, der gleichzeitig erwartet, danach noch irgendwie ernst genommen zu werden?
Dabei sind es die schrecklichen Konsequenzen von Un- und Andersglaube, die in der Bibel detailliert beschrieben werden.
Mit anderen Worten: Ihnen [dem Glaubensfreien, Anm. von mir] und mir [dem gläubigen Christ, Anm. von mir] geschieht nach dem Tod genau das Gleiche. Beide werden wir uns nicht selbst rechtfertigen können. Beide werden wir hoffentlich dennoch gerettet.
Ja, schön. Und jetzt? Stimmt diese Annahme, dann ist das Jüngste Gericht für uns Menschen völlig irrelevant. Genauso wie alles andere, was Menschen angeblich nach dem Tod erwarten soll:
- Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.
– Epikur (* um 341 v. Chr. auf Samos; Δ 271 oder 270 v. Chr. in Athen) Brief an Menoikeus, 125
Antwort aus säkularer Sicht
Wenn es tatsächlich nicht mal einen Unterschied macht, ob jemand zeitlebens an diesen Gott geglaubt hat oder nicht, dann sehe ich erst recht keinen einzigen vernünftigen Grund, an diesen Gott zu glauben. Die Bibel jedenfalls gibt keinen Grund zur Hoffnung auf Erlösung unabhängig vom „rechten“ Glauben:
- Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden. (Mk 16,16 LUT)
Über Dinge, die Menschen irgendwann nach ihrem Tod angeblich widerfahren, lässt sich wohl spekulieren, vernünftiger- und redlicherweise aber nichts Verbindliches sagen.
Deshalb halte ich diesen Glauben für unvernünftig und für unredlich.
Und trotzdem sei es natürlich jedem selbst überlassen, wovor er sich fürchtet oder worauf er hofft. Vernunft und intellektuelle Redlichkeit sind nicht zwingend vorgeschrieben. In offenen und freien Gesellschaften sind die Gedanken frei.
Dennoch sind diese Narrative scharf zu kritisieren. Wenn man bedenkt, wieviele Generationen von Menschen, insbesondere im Kindesalter, mit dem höchst inhumanen und erniedrigenden religiös legitimierten Hirngespinst vom Jüngsten Gericht verängstigt und unterdrückt worden waren.
In einem Punkt stimme ich Herrn Muchlinsky zu: Auch ich gehe davon aus, dass ausnahmlos alles Leben nach dem Tod das Gleiche erwartet. Allerdings nicht das Jüngste Gericht in Form einer Unterredung mit seinem Gott.
*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Thema: Das Jüngste Gericht: Was erwartet Atheisten?
Herr Muchlinsky schwadroniert offensichtlich über eine Bibel, deren Text er nicht kennt. Dieses Phänomen ist ja bekanntlich oft zu beobachten; es scheint auf eine Kernkompetenz für den Theologenberuf hinzuweisen.