Suche Frieden – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Katholikentag 2018 in Münster

Lesezeit: ~ 6 Min.

Suche Frieden – Das Wort zum Wort zum Sonntag, gesprochen von Gereon Alter (kath.) live auf dem Katholikentag 2018 in Münster, veröffentlicht am 11.5.2018 von ARD/daserste.de

[…] Hier auf dem Katholikentag haben sich etwa 70.000 Menschen versammelt. Sie singen, feiern, sind ausgelassen – genauso, wie ihr das gerade in Hamburg erlebt. Und: sie machen sich Gedanken darüber, wie unsere Welt friedlicher werden kann.*

Natürlich ist der Weltfrieden ein vielschichtiges Thema. Einer der vielen Aspekte dürfte auf dem Katholikentag kaum im Vordergrund gestanden haben: Nämlich der Umstand, dass die Welt umso friedlicher wird, je weniger Macht Kirchen haben. Und je weniger die Anhänger, vor allem die der monotheistischen Religionen, ihre Glaubensgrundlagen ernst nehmen.

Ich finde es grundsätzlich begrüßenswert, wenn sich Menschen Gedanken darüber machen, wie unsere Welt friedlicher werden kann. Allerdings hatte sich das Christentum in den rund 1000 Jahren, in denen es die Macht dazu gehabt hätte, keineswegs als Friedensstifter profiliert. Ganz im Gegenteil: Diese Epoche ist als das „finstere Mittelalter“ in die Menschheitsgeschichte eingegangen.

Das Gefahrenpotential monotheistischer Religionen

Und selbst heute, nachdem die Kirche durch Aufklärung und Säkularisierung weitgehend entmachtet worden war und immer mehr Kirchenfunktionäre dazu übergegangen sind, ihren Kirchenkonzern als Friedensbewegung darzustellen, birgt der Glaube an archaische Wüstenmythologie eines Hirtenvolkes aus der Bronze- und Eisenzeit ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotential. Pfarrer Meurer brachte es so auf den Punkt: „Religion ist saugefährlich.“

Was sagt es über das Fundament aus, wenn selbst die (gemäßigten) Anhänger einer Glaubenslehre große Probleme mit ihren fundamentalistischen Glaubensbrüdern und -schwestern haben? Ist nicht schon allein das ein deutliches Zeichen dafür, dass mit dem Fundament ganz offensichtlich etwas nicht stimmt?

Die biblisch-christliche Glaubenslehre eignet sich aus verschiedenen Gründen denkbar schlecht als Grundlage für eine friedlichere Welt. Kein Wunder: Dazu war sie ja auch gar nicht ersonnen worden.

Diese Lehre ist ein Musterbeispiel für eine Ideologie, die auf Abgrenzung, Überhöhung der eigenen Gruppe (ingroup, auserwähltes Volk Gottes, die Gläubigen, die Guten) gegenüber allen Anderen (outgroup, Un- und Andersgläubige, die Bösen, die Gott dereinst bestrafen wird) aufbaut. Gerade die monotheistischen Religionen sind darauf ausgelegt, eine abgegrenzte, durch den „richtigen Glauben“ definierte Gruppe einfacher zu führen.

Das einzige Kriterium, das für das christliche Belohnungs-Bestrafungskonzept eine Rolle spielt, ist letztlich die Frage, ob jemand bereit ist, sich dem einzigen, wahren Gott zu unterwerfen. Oder eben nicht.

Schritt eins: Abschied von religiöser Mythologie

Die ethischen Standards, Rechte und Gesetze von offenen und freien Gesellschaften basieren nicht auf dem erfundenen Willen von ebenso erfundenen Göttern. Mit anderen Worten: Wir sind längst schon viel weiter. Statt in eine ansonsten humanistisch-säkulare Einstellung noch fragwürdige Göttermythen und -Legenden hineinzubasteln, kann und sollte man zunächst aufhören, diesen Geschichten eine übergeordnete, höhere Bedeutung zuzuschreiben. Und ehrlicherweise (an-)erkennen, dass es sich dabei um nichts weiter als um menschliche Fiktion handelt.

Wenn man schon dabei ist, dann könnte man sich auch mal fragen, warum bei so überproportional vielen Konflikten Religionen eine direkte oder indirekte negative Rolle spielen:

  • Die politikwissenschaftliche Forschung hat eine Reihe von plausiblen Erklärungen für die konfliktverschärfende Wirkung von Religionen hervorgebracht. Obwohl religiöse Differenzen allein keine hinreichende Ursache für das Aufflammen von Konflikten und Gewalt darstellen, so ist die demographische Verteilung religiöser Zugehörigkeiten – beispielsweise die Polarisierung zwischen zwei religiös definierten Gruppen oder die Dominanz einer Gruppe – doch eine Voraussetzung für eine mögliche Politisierung von Religion (Montalvo/Reynal-Querol 2005).
  • Der von der konstruktivistischen Friedens- und Konfliktforschung in den Vordergrund gerückte Begriff der Identität ist dabei von zentraler Bedeutung: Die religiöse Zugehörigkeit stellt eines der wichtigsten Unterscheidungsmerkmale bei der Konstruktion kollektiver Identitäten dar. Anhand ihrer Religion nehmen Gruppen ihre Selbstbeschreibung, aber auch ihre Abgrenzung zu anderen Gruppen vor (vgl. den Überblick bei Choijnacki/Namberger 2013). Der „richtige“ Glauben wird zu Bedingung der Zugehörigkeit zur Gruppe. Abweichler werden ausgegrenzt. Nach außen wird die religiöse Differenz zu einer zentralen Erklärung für die Andersartigkeit des „Feindes“. Solche „in-group/out-group“-Mechanismen sind konstitutiv für das Konfliktgeschehen, weil sie erst die Kollektive hervorbringen, die dann einander feindlich gegenüberstehen. (Quelle: hpd.de: Religionskonflikte zu Beginn des 21. Jahrhunderts, von Claudia Baumgart-Ochse)

Und schließlich könnte man überlegen, warum die friedlichsten und wohlhabendsten Gesellschaften mit den höchsten Lebensstandards (bis auf wenige Ausnahmen) in den Ländern leben, die am wenigsten unter religiösem Einfluss stehen. Während das Christentum derzeit gerade dort so erfolgreich ist, wo die Aufklärung die Menschen noch nicht erreicht hat oder wo es Fundamentalisten für ihre Ziele instrumentalisieren.

Kriegstreiber und Friedensstifter

Münster, das ist die Stadt des „Westfälischen Friedens“. Hier ist einer der schrecklichsten Kriege der Menschheitsgeschichte beendet worden: der „Dreißigjährige Krieg.“

Auf der Webseite theologe.de stellt der Autor eine interssante Frage. Er beschreibt den Dreißigjährigen Krieg als

  • […] einen Krieg, in dem sich katholische und evangelische Heere gegenseitig massakrierten, angetrieben von den jeweiligen Päpsten, Bischöfen, Priestern und Pfarrern, die den Soldaten wie gewohnt die ewige Seligkeit versprachen. Muss dann nicht aber die Frage erlaubt sein: Wann haben denn die Kirchen zum Beispiel ihr eigenes 30-jähriges Kriegstreiben verurteilt? (Quelle: theologe.de)

Und jetzt wird’s hochaktuell: Dieser Krieg ist ausgebrochen, weil Vertreter verschiedener Religionen und Kulturen sich nicht mehr in der Lage sahen, miteinander zu reden. Nur der eigene Glaube und die eigene Weltsicht zählten, das Andere und Fremde wurde diffamiert. Heute würden wir sagen: da waren Diskriminierung und Populismus im Spiel. Und die haben noch nie etwas Gutes gebracht.

Die hervorragende Eignung von religiösen Ideologien zur Abgrenzung von Menschen untereinander ist bis heute zu erkennen. Der Aufklärung und Säkularisierung haben wir es zu verdanken, dass sich Anhänger verschiedener Konfessionen zumindest hierzulande heute kaum noch die Köpfe einschlagen, weil sie ihren Mythen- und Legendenschatz unterschiedlich interpretieren.

Aufschwung dank Populismus

Für viele Jahre war Religion als identitätsstiftendes Merkmal schon praktisch mehr oder weniger in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. Und ausgerechnet mit erneutem Erstarken von Populisten weltweit erfährt auch das Christentum wieder einen gewissen Aufschwung.

Zusätzlich zur Diskriminierung, die die Kirchen nach wie vor von sich aus betreiben (Frauen, Homosexuelle, Anders- und vor allem Ungläubige…) spannen gerade die Populisten weltweit wieder die Religion vor ihren Karren. Sie rechtfertigen allen möglichen Unsinn damit, dass dieser dem Willen Gottes entspreche. Wie zum Beispiel Trump, wenn er erklärt, das Recht, Waffen zu tragen, stamme von Gott persönlich.

Und auch andere Populisten, aber auch Politiker_innen, die man eher nicht als Populisten bezeichnen würde, nutzen immer wieder gerne das noch in der Gesellschaft vorhandene Restpotential christlichen Glaubens für ihre Zwecke.

So auch beim Katholikentag 2018 in Münster: Außer der AfD nutzten auch Angela Merkel, Winfried Kretschmann und Jens Spahn (als Ersatzmann für Horst Seehofer, der „aufgrund der Verkehrslage“ kurzfristig abgesagt hatte) die ihnen gebotene Bühne, um deutlich zu machen, was sie unter staatlicher Neutralität verstehen.

Eckengespräche und Millionensubventionierung vom Staat

Dass und wie es anders gehen kann, erlebe ich hier auf dem Katholikentag. Denn der ist beileibe nicht nur ein Katholikentag. Hier kommen Menschen aus den unterschiedlichsten Ecken unserer Gesellschaft miteinander ins Gespräch.

Unklar ist, was genau Herr Alter hier mit „unterschiedlichste Ecken“ meint. Offenbar möchte er hier den Eindruck erwecken, der Katholikentag sei kein einseitig katholisches Glaubensfest, sondern eine Veranstaltung, die für die ganze Gesellschaft von Bedeutung sei. Gerade in Anbetracht der Tatsache, dass der Katholikentag auch diesmal wieder Millionenschwer vom Staat finanziert worden war, kann eine solche Darstellung nicht schaden.

Der Kritik und Aufklärung zum Thema „Finanzierung von religiösen Veranstaltungen mit öffentlichen Mitteln“ hat sich die Kunstaktion 11tes-gebot.de gewidmet. Unter dem Motto „Du sollst deinen Kirchentag selbst bezahlen“ machen die Künstler mit ihrer Moses-Statue auf die gravierenden Missstände aufmerksam.

Auch wenn die Veranstalter des Katholikentages offenbar nach Kräften versuchten, die Künstler an der Präsentation ihrer Kritik zu hindern, war es Letzteren doch gelungen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Dann hieß es aber schnell einpacken und weiterfahren, um in Erfurt gegen die geplante Subventionierung des nächsten geplanten katholischen Sommerfestes 2024 in Höhe von 1,2 Millionen Euro zu protestieren.

Etliche Aktionen von säkular-humanistischer Seite

Gesprächsbereitschaft zeigten auch die Vertreter von „Religionsfrei im Revier“ mit ihrer Initiative „Gottlos glücklich„:

  • Zudem versucht die Initiative der „Gottlos glücklich“-Kampagne von Religionsfrei im Revier, in der Fußgängerzone mit Menschen zu den verschiedensten Themen ins Gespräch zu kommen. Dazu gehören beispielsweise die Teilfinanzierung des Katholikentags durch öffentliche Mittel, religiöse Diskriminierung am Arbeitsplatz, Chancen und Herausforderungen einer säkularen Flüchtlingshilfe und vieles mehr. Negative Reaktionen zu dem Stand der „Gottlos glücklich“-Kampagne seien die Ausnahme. Viele Menschen zeigten sich bisher sehr interessiert an dem säkular-humanistischen Alternativangebot. Dies ist vermutlich auch dadurch zu erklären, dass ein beachtlicher Teil der Münsteraner Bevölkerung vom Katholikentag genervt ist. (Quelle: hpd.de)

Ketzertag 2018: Suche StreitDer Ketzertag, eine Veranstaltungsreihe des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) e.V. sowie der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) setzte sich an mehreren Tagen in Vorträgen, Diskussionen und künstlerischen Beiträgen unter dem Motto „Suche Streit“ für eine vernünftige Streitkultur ein.

Etliche lesenswerte Beiträge, u. a. zu diesen Aktionen hat der Humanistische Pressedienst hpd hier veröffentlicht.

Kaum Teilnehmer aus „unterschiedlichsten Ecken“ beim Katholikentag 2018

Allerdings ist das Interesse von Nichtchristen am Katholikentag tatsächlich wesentlich niedriger als von den Kirchenfunktionären mitunter gerne suggeriert:

  • Neun von zehn Teilnehmern (89 Prozent) sind katholisch, 8 Prozent evangelisch und knapp 3 Prozent anderen Glaubens oder konfessionsfrei. Das ist über die Jahre von 1998 bis 2016 weitgehend gleich geblieben. (Quelle: fowid.de)

Es sind also nur knapp 3% der Besucher, die sich nicht der christlichen Herden zugehörig fühlen. Wobei davon wiederum schon allein die anwesenden Vertreter der Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters einen gewissen Anteil gehabt haben dürften 🙂

Suche Frieden?

Unklar ist auch, ob sie denn jetzt ihren Frieden gefunden haben, die Katholiken. Ergebnisse oder Beschlüsse, die im Rahmen dieser Großveranstaltung gefasst worden wären, scheint es jedenfalls nicht zu geben.

Und somit dürfte es sich wohl auch beim Katholikentag in Münster 2018 in erster Linie um eine, zum größten Teil von der Öffentlichkeit bezahlte religiöse Selbstvergewisserungsveranstaltung gehandelt haben.

Zur Würdigung der herausragenden Leistungen in der Disziplin „Rosinenpicken“ haben wir dem Katholikentag 2018 die Goldene Rosine am Band im Mai 2018 verliehen. Denn der Psalm, aus dem die beiden unverfänglichen Worte „Suche Frieden“ gepickt worden waren, erklärt auch, warum man Frieden suchen solle: Weil sich Gott dereinst um die angemessene Bestrafung der „Frevler“, also derer, die sich ihm nicht untergeordnet hatten, kümmern würde.

Mit solchen Vorstellungen lässt sich heute freilich kein vernünftiger Diskurs über so wichtige Themen wie Frieden führen. Aber wozu soll das biblisch-christliche Belohnungs-Bestrafungssystem dann überhaupt noch gut sein? Wenn sich sowieso nur einzelne, aus dem Zusammenhang gerissene Wörter daraus heute noch sinnvoll verwenden lassen?

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Orignalbeitrag von Herrn Alter live vom Katholikentag 2018 in Münster.

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