Und täglich grüßt das Murmeltier – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Gereon Alter, veröffentlicht von ARD/daserste.de am 29.12.2018
In seinem aktuellen „Wort zum Sonntag“ versucht Herr Alter einmal mehr, die Relevanz der von ihm vertretenen Glaubenslehre anhand der Komödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Die Handlung des Filmes dürfte den meisten Leserinnen und Lesern ja vermutlich bekannt sein.
Hier der Trailer zum Film:
https://www.youtube.com/watch?v=PjbruUtV4Fs
Religiöse Motive
Vorab: Tatsächlich finden sich in diesem Film etliche Motive, an die man diverse religiöse Vorstellungen anflanschen kann:
- Unvermeidlich hat der Film auch mythische Resonanzen und literarische Entsprechungen. Murrays Charakter ist wie alle Arten von Rettern und Helden in bekannten Geschichten, weltlich und religiös, die eine Kombination aus Leid und Mut erleben, bis sie eine Transformation zu einem neuen Wissensstand durchlaufen. Unter den religiösen und mythischen Elementen, die wir in der Geschichte erkennen können: Er bekämpft seine Dämonen; er wird durch eine Begegnung mit dem Tod verändert; er erlebt eine Art Wiedergeburt; er scheint den Menschen in der Zeit zu existieren, aber er existiert auch außerhalb der normalen Zeit; er zeigt tiefes Mitgefühl; er ist in der Welt, aber nicht davon, leidet mit einem besonderen Wissen, mit dem er die Menschen um sich herum rettet; und er erhält eine zweite Chance im Leben durch die Liebe zu einer schönen Frau. Er verdichtet Bilder von Buddha und dem Tier, Scrooge und Jesus.
(Quelle: http://www.transparencynow.com/groundhog.htm, übersetzt mit DeepL)
Und täglich grüßt das Murmeltier – der ultimative Buddhismus-Film?
So erstaunt es kaum, dass gleich mehrere Religionen in diesem Film eine Darstellung ihrer Lehre behaupten. „Und täglich grüßt das Murmeltier“ sei der ultimative Buddhismus-Film, heißt es da zum Beispiel:
- Der Film spiegelt die buddhistischen Praktiken wider. Im wirklichen Leben folgen wir nahezu identischen Zeitplänen. Obwohl die Routine die gleiche ist, ist jeder Moment einzigartig. Es ist wichtig zu beachten, dass Phil Connors den Samsara-Zyklus unterbricht, wenn er es nicht mehr versucht. Dies ermöglicht es ihm, wahre Teilnahme und wahren Genuss zu genießen. Jeder Moment seines Tages wird bedeutungsvoll. (Quelle: worldreligionnews.com, übersetzt mit DeepL)
Für eine solche Interpretation ist die für das christliche Heilsversprechen zwingend vorausgesetzte jenseitige Ewigkeit bedeutungslos. Darüberhinaus existieren auch noch weitere Interpretationsmöglichkeiten zum Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“, wie zum Beispiel hier beschrieben.
Herr Alter verschweigt die Ausgangssituation
Aber zurück zum „Wort zum Sonntag.“ Interessanterweise erwähnt Herr Alter mit keinem Wort die Eigenschaften des Protagonisten, die für die Story des Filmes aber von großer Bedeutung sind.
Vor seiner „Transformation“ ist Connors nämlich ein zynischer und arroganter Misanthrop. Ohne diese Ausgangssituation würde die Geschichte gar nicht funktionieren. Denn ganz offensichtlich steckt hinter der ominösen Zeitschleife eine nicht näher beschriebene Absicht, aus dem Menschenhasser einen Menschenfreund zu machen.
Wohl aber, weil Herr Alter sein Publikum nun bittet, sich in den Filmhelden hineinzuversetzen, lässt er dessen negative Eigenschaften weg. Und fragt stattdessen die Zuschauer, ob sie auch das Gefühl kennen, dass sich alles irgendwie gleich anfühlt. Bei ihm ist Connors einfach nur das Opfer der Alltagsmonotonie.
A propos Monotonie: Ein quasi zeitloser Dauerzustand, bei dem immer alles so bleibt wie es ist? Da sollte man doch meinen, dass Herr Alter auch auf das biblisch-christliche Belohnungs-Bestrafungskonzept zu sprechen kommt. Denn schließlich besteht die „Frohe Botschaft“ seiner Religion doch gerade im Versprechen eines solchen Zustandes:
Geheiligt werde dein Pelz…
Wer sich zu Lebzeiten dem „richtigen“ Gott unterworfen hat, darf vielleicht darauf hoffen, täglich vom himmlischen Murmeltier gegrüßt zu werden. „Gegrüßet seiest du, oh Murmeltier, geheiligt werde dein Pelz, dein Schatten komme, wie in Punxsutawney, so im Himmel…“, könnte dann ein täglich zu wiederholendes Gebet beginnen. Und das himmlische Murmeltier grüßt liebevoll, aber extrem gelangweilt zurück. Wie jeden Tag.
Ich frage mich immer wieder, wie Menschen das Versprechen eines solchen Zustandes als „Frohe Botschaft“ bezeichnen können.
Denn die in Aussicht gestellte himmlische Ewigkeit wäre doch mindestens genauso nervtötend langweilig wie das höllische Gegenstück, wo der liebe Gott laut biblischer Aussage Un- und Andersgläubige für ihren Un- oder Andersglauben mit ewiglicher Höllenqual dauerbestraft.
Einen Unterschied gibt’s dann doch zwischen der Zeitschleife in der christlichen Mythologie und im Film. Denn im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ hat der Hauptdarsteller immerhin die Chance, diese zeitlose Ewigkeit doch noch zu durchbrechen. Sowas gibts im Christentum höchstens in Form des Fegefeuer-Narrativs.
Die Endgültigkeit des Todes
[…] Ein letzter Versuch. Connors vertraut sich einer Freundin an. Und die hilft ihm, das Entscheidende zu lernen: zu lieben! Sich wirklich auf einen anderen Menschen einzulassen. Ihn zu sehen, ihn zu schätzen und ihm Gutes zu wollen. Das ist der entscheidende Schlüssel. Je mehr Connors es lernt zu lieben, umso mehr entkommt er dem täglich grüßenden Murmeltier und umso zufriedener ist er mit seinem Leben.
Auch hier lässt Herr Alter wieder einen, wie ich finde wichtigen Aspekt einfach weg. Vielleicht ahnt er schon, dass sich hier ein möglicher Widerspruch zu der von ihm vertretenen christlichen Lehre auftun könnte.
Ein wichtiger Schritt bei der „Läuterung“ des Filmheldens ist nämlich, dass sich dieser seine Machtlosigkeit dem Tod gegenüber eingesteht. Denn alle seine Versuche, den Tod eines Obdachlosen zu verhindern, scheitern. Jeden Tag aufs Neue.
Nun ist die Überwindung des Todes ja das key feature im christlichen Heils-Portfolio. Da ist mit dem Tod eben noch nicht alles vorbei. Im Gegenteil: Erst postmortal wird munter auferstanden, auferweckt, aufgefahren, gerichtet, gesühnt, erlöst, belohnt, bestraft… Das irdische Dasein verkommt da bestenfalls noch zur Bewährungsprobe für die Ewigkeit.
Nicht so im Film. Da bedeutet, zumindest für den (offenbar schon geläuterten) Obdachlosen: Tot ist tot. Jedenfalls bis zum nächsten Tag, an dem dann aber wieder gestorben wird.
Alte christliche Weisheit?
Bevor nun die Wort-zum-Sonntag-Zeitschleife für nächsten Samstagabend zurückgespult wird, ist es jetzt aber höchste Zeit für Herrn Alter, schnell noch seine christliche Message in seinen Text zu packen:
Es scheint also doch etwas dran zu sein an der alten christlichen Weisheit, dass die Nächstenliebe das Entscheidende ist. Dass die Liebe zum anderen mich befreien und lebendig machen kann. Das Schöne am Film ist: dass er diese alte christliche Weisheit nicht mit erhobenem Zeigefinger verkündet, sondern auf eine sehr humorvolle und leichte Weise. Du musst nicht ein Held der Nächstenliebe sein. Du musst auch nicht immer nur an andere denken. Probier es mit ganz kleinen Schritten in deinem Alltag.
„Es scheint also doch etwas dran zu sein…“ ist nun wahrlich kein Ausdruck unerschütterlichen Gottvertrauens. Vielleicht ahnt Herr Alter aber auch schon, dass ihm immer weniger Menschen noch die Legende von der christlichen Moral abkaufen.
Trotzdem wiederholt er diese Legende immer wieder. Und täglich grüßt das Murmeltier…
Wer ****** will, muss freundlich sein
Über die Problematik der christlichen Nächstenliebe gibt’s bereits viel zu lesen, zum Beispiel hier oder hier. Eine kurze Zusammenfassung der Kritik an der christlichen Nächstenliebe findet sich auch in dem sehr lesenswerten Buch „Argumente kontra Religion“:
- Zwar predigt Jesus die Nächstenliebe, aber gegenüber „Ungläubigen“ zeigt er ganz offen Hass, siehe z. B. Matthäus 18,6. Viele Autoren gehen sogar davon aus, dass Nächstenliebe nur gegenüber anderen gläubigen Juden geboten war. Wirkliche Nächstenliebe ist aber unabhängig vom jeweiligen Glauben; sie ist eine Grundkonstante der Menschheit. Geradezu sprichwörtlich sind auch die zahlreichen Verbalattacken Jesu auf friedliche Pharisäer und Schriftgelehrte. Und noch wichtiger: Die Behauptung, erst Jesus habe das Gebot der Nächstenliebe erfunden, wird sogar durch die Bibel selbst widerlegt: Die Nächstenliebe wird nämlich (zusätzlich zu vielen anderen vorchristlichen Schriften) schon im Alten Testament (3. Mose 19,18) gefordert, ja sogar auch die Feindesliebe (Klagelieder 3,30).
(Quelle: Gottfried Beyvers: Argumente kontra Religion, S. 111)
Dass es für in Gruppen lebende empfindungs- und empathiefähige Lebewesen sinnvoll ist und sogar evolutionär überlebenswichtig sein kann, sich seinen Mitlebewesen gegenüber fair und grundsätzlich freundlich zu verhalten, ist beileibe keine christliche Erfindung. Auch wenn Kirchenangestellte immer und immer wieder versuchen so darzustellen.
Praktisch alle Zivilisationen, von denen wir heute noch wissen, hatten solche und ähnliche Regeln in ihrem Repertoire.
Und auch der bekanntermaßen gerne mal vulgäre Volksmund wusste es schon immer, wenn er die „Goldene Regel“ so formuliert: Wer ****** will, muss freundlich sein! Oder, weniger schlüpfrig: Wie man in den Wald ruft, so schallt es zurück.
Ethische Standards sind Sache der Menschen
Der biblischen Vorstellung von Nächstenliebe liegt die Annahme zugrunde, dass dereinst Gott persönlich für die eigentlich erhoffte ausgleichende Gerechtigkeit sorgen wird. Für moderne ethische Standards spielen solche Fiktionen keine Rolle mehr. Es ist Sache der Menschen, gemeinsam auszuhandeln, wie sie miteinander leben möchten.
Vorschlag: Tue was du willst, ohne gleichberechtigte Interessen Anderer zu verletzen und trage dazu bei, dass die Welt friedlicher und fairer wird.
Statt die biblisch-christliche Lehre bis zur Unkenntlichkeit so zu verbiegen, dass sie einen halbwegs humanen Anschein erweckt, kann man sie auch einfach gleich ganz weglassen. Und sich stattdessen auf die Herausforderungen, aber natürlich auch auf die Möglichkeiten konzentrieren, die die Menschheit im Diesseits zu meistern bzw. zur Verfügung hat.
Nicht, um sich damit einen Platz in einer in Aussicht gestellten ewigen himmlischen Zeitschleife zu verdienen oder einer ebenso zeitlich unbegrenzten postmortalen Dauerbestrafung zu entgehen. Sondern einfach um seiner selbst und um seiner Mitlebewesen willen.
Nächstenliebe – oder Opportunismus?
Connors bringt zwei Arbeitskollegen, die ihn am Tag zuvor noch fürchterlich genervt haben, einen Kaffee mit. Mit Milch und Zucker, so wie sie ihn mögen. Und mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht. Das ist eine der berührendsten Szenen des ganzen Films.
Nachdem Phil Connors im Film erkannt hat, dass er offenbar unsterblich ist („Ich bin Gott… ich bin ein Gott, nicht der Gott“), ist seine hauptsächliche Motivation, seine Kollegin Rita ins Bett zu bekommen. Dazu perfektioniert er die Fähigkeit, ihr genau das zu sagen was sie hören möchte und sich genau so zu verhalten, wie es ihr gefällt.
Somit ist die Story also nicht unbedingt als Beispiel für Nächstenliebe geeignet, sondern eher für die Wirksamkeit von Opportunismus: Wenn du etwas von jemandem willst, erzähle ihm (oder ihr) das, was er oder sie hören möchte. Und das funktioniert auch ganz ohne Liebe.
Nicht zu vergessen die Schlussszene: Nachdem Phil Connors seine Kollegin Rita schlussendlich doch noch „erkannt“ hatte (um den Geschlechtsverkehr mal biblisch zu umschreiben) und beide beschließen, in das Provinznest Punxsutawney zu ziehen, hält sich der Protagonist doch noch ein Hintertürchen offen: „Vielleicht ja erstmal nur zur Miete…“
*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag „Wort zum Sonntag: Und täglich grüßt das Murmeltier“.
Bitte beachte beim Kommentieren: