Eignet sich die Bibel für Kinder?

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Das Buch der Liebe ist zu grausam für Kinder, wie eine FAZ-Autorin jetzt herausfand. Hier sind die Gründe.

ACHTUNG: Dieser Beitrag enthält Original-Bibelzitate, die auf nicht religiös indoktrinierte Menschen verstörend (oder gestört) wirken könnten.

In der FAZ vom 1. Januar 2019 schreibt Anna Wronska über ihre Erfahrungen, dem vierjährigen Sohn aus der Bibel vorzulesen. Dies geschah aus ihrem Bedürfnis, dem Sohn „von Gott zu erzählen“.

Der Plan war nicht, ihren kleinen Sohn möglichst früh auf das Christentum zu prägen. Sondern sie wollte ihm „ein paar Orientierungspunkte, ein paar Skizzen für ein erstes Weltbild“ geben, bis er sich sein eigenes zeichnet.

Vermutlich befinden sich viele Eltern in dieser Situation. Es geht ihnen nicht um detaillierte Gebote oder Regeln. Denn diese wären für kleine Kinder ohnehin zu kompliziert.

Sondern es geht ihnen um ein paar Anhaltspunkte für ein gutes, menschliches Weltbild, eine Unterscheidung zwischen Gut und Böse, einen festen Anker. Was könnte sich dazu besser eignen als die bildhafte, poetische Darstellung in der Bibel? Gerade die märchenhafte Bildsprache der Genesis müsste sich doch für Kinder eignen?

Doch das Experiment lief anders als erwartet:

„Beim Vorlesen kam ich bei der Sache mit Adam und Eva und der Schlange noch einigermaßen durch. Bei Kain und Abel formulierte ich bereits etwas um („Er ging mit Abel aufs Feld und… äh… schimpfte mit ihm“). Bei der Arche Noah kam ich vollends ins Schwimmen. […] Komisch, kurze Zeit später verschwand das Buch.“

Es lohnt sich (und macht Spaß), diese Erfahrung näher zu untersuchen. Wie entstand überhaupt die Idee, es mal mit der Bibel zu versuchen?

Eine mögliche Antwort darauf beschreibt Heinz-Werner Kubitza in seinem empfehlenswerten Buch „Der Glaubenswahn“ (Hervorhebung von mir):

  • „Viele Christen haben irgendwann in ihrem Leben eine fromme Idee: Es wäre doch schön, die Bibel einmal von Anfang bis Ende durchzulesen. […] Bei der Umsetzung dieses Plans erleben sie dann aber nicht selten unangenehme Überraschungen. Denn die so verehrte »Heilige Schrift« zeigt sich widerspenstiger und im Verstehen hinderlicher, als sie dies erwartet hatten. […] Warum so viel Gewalt? Warum so viele Kriege? Warum so viel Blut? Wie soll man das verstehen? In den Predigten der Kirchen war davon doch kaum die Rede?“ (Quelle: Heinz-Werner Kubitza: Der Glaubenswahn)

Das bringt es auf den Punkt. Nicht nur erzählt die Bibel von zahlreichen Legenden — sie ist selbst eine Legende. Die schöne und poetische Bibel ist nämlich ein Märchen. Sie existiert nicht. Jedenfalls nicht, wenn man sie vollständig betrachtet. Dann bleibt von Schönheit und Poesie nicht viel übrig.

Die Goldene Rosine am Band

Goldene Rosine am BandDie Legende von der weisen Bibel entsteht dadurch, dass man in den Kirchen (oder im „Wort zum Sonntag“) immer nur einzelne Verse predigt. Die dann wortreich glorifiziert werden, oft völlig aus dem Kontext gerissen.

In vielen Artikeln auf AWQ.DE liefern wir Beispiele für dieses „Rosinenpicken“ und verleihen immer wieder mal die „Goldene Rosine am Band.“ Warum die Bibel das wohl am meisten überschätzte Buch der Welt ist, hatten wir in diesem Artikel beschrieben.

Die Bibel als Ganzes, so wie sie geschrieben wurde und heute vorliegt, ist in Wahrheit abscheulich. Wer denkt, diese Bezeichnung sei eine Übertreibung, braucht nur selber nachzulesen.

Hier wiedermal eine kleine Auswahl an Bibelstellen, die eher selten von Religionsverkündern herausgepickt werden:

Schönheit, Poesie und Weisheit des Wort Gottes

  • „So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind; aber alle Mädchen, die unberührt sind, die lasst für euch leben.“ (4. Mose 31, 17-18)
  • „Wenn jemand einen widerspenstigen und ungehorsamen Sohn hat, der der Stimme seines Vaters und seiner Mutter nicht gehorcht und auch, wenn sie ihn züchtigen, ihnen nicht gehorchen will, […] so sollen ihn steinigen alle Leute seiner Stadt, dass er sterbe.“ (5. Mose 21, 18-21)
  • „Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert!“ (Psalm 137,9)
  • „So zieh nun hin und schlage [das Volk] Amalek und vollstrecke den Bann an ihm und an allem, was es hat; verschone sie nicht, sondern töte Mann und Frau, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel.“ (1. Samuel 15,3)
  • „Es sollen auch ihre Kinder vor ihren Augen zerschmettert, ihre Häuser geplündert und ihre Frauen geschändet werden.“ (Jesaja 13,16)
  • „Da nahmen wir zu der Zeit alle seine Städte ein und vollstreckten den Bann an allen Städten, an Männern, Frauen und Kindern, und ließen niemand übrig bleiben. Nur das Vieh raubten wir für uns und die Beute aus den Städten, die wir eingenommen hatten.“ (5. Mose 2, 34-35)
  • „Und die ganze Beute dieser Städte und das Vieh teilten die Israeliten unter sich; aber alle Menschen erschlugen sie mit der Schärfe des Schwerts, bis sie vertilgt waren, und ließen nichts übrig, was Odem hatte.“ (Josua 11,14)
  • „Erwürgt Alte, Jünglinge, Jungfrauen, Kinder und Weiber.“ (Hesekiel 9,6)
  • „Jeder erwürge seine Leute, die dem fremden Gott gefolgt sind!“ (4. Mose 25, 1-5)
  • Der gute Jesus: „Wer einen einfachen Gläubigen ärgert, sollte mit einem Mühlstein am Hals im tiefsten Meer ersäuft werden.“ (Matthäus 18,6)
  • „Ja, ich will die Leichen der Kinder Israels vor ihre Götterbilder hinwerfen und will ihre Gebeine um eure Altäre her zerstreuen.“ (Hesekiel 6,5)
  • „Da nahm Jaël, die Frau Hebers, einen Pflock von dem Zelt und einen Hammer in ihre Hand und ging leise zu ihm hinein und schlug ihm den Pflock durch seine Schläfe, dass er in die Erde drang.“ (Richter 4,21)
  • „Da liessen sie die siebzig Kinder des Königs enthaupten, packten ihre Köpfe in Körbe und liessen sie [dem König] bringen“ (2. Könige 10, 6-11)

(Zitiert nach der Lutherbibel, revidierte Fassung 1984, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2002)

Die Bibel ist kein Märchenbuch

Drei Dinge sind bei dieser Auflistung zu beachten:

  • Erstens: Diese Liste ist keineswegs eine besonders bösartige Auswahl an Ausrutschern, sondern lässt sich beliebig erweitern. Jeder kann per Google mühelos hunderte solcher Textstellen finden.
  • Zweitens: Der Witz dieser Zitate besteht darin, dass sie gerade keine Ausrutscher sind. Die Geschichten handeln gerade nicht von bösen Menschen, die als schlechtes Beispiel vorgeführt und später zur Rechenschaft gezogen werden. Sondern hier handelt und befiehlt Gott persönlich. Zum Vergleich: Auch Märchen sind oft grausam, aber Grausamkeit wird nicht als gute Tat gepriesen.
  • Drittens: Alle diese Zitate haben ein starkes Element der Schadenfreude und der Häme. Die Gewalt kommt ohne Bedauern. Sie bejubelt nicht den eigenen Sieg, sondern prahlt mit der Vernichtung der anderen. Sie vergnügt sich an der schrecklichen Inszenierung: Die Opfer werden hinterrücks ermordet, im Schlaf überrascht oder in einen Hinterhalt gelockt. Mitleid sucht man vergebens. Es geht um die niedersten Instinkte, die so niedrig sind, dass sie selbst im Tierreich nicht anzutreffen sind. Tiere töten nicht zum Vergnügen. Sie brüsten sich nicht mit der Zahl der Opfer.

Wenn es einen Punkt gibt, bei dem alle Menschen ungeachtet ihrer Religion übereinstimmen, dann ist es der, dass wehrlose Frauen, Kinder und Greise nicht die Opfer einer kriegerischen Auseinandersetzung sein dürfen. Niemand würde sich dafür rühmen, Greise oder Säuglinge erwürgt zu haben.

Aber die Bibel unterschreitet selbst dieses minimale Niveau. Und das nicht nur an einer Stelle. Sondern so oft, dass es ein zentrales Element der Verkündigung darstellt.

Die Bibel:  Nicht für Kinder geeignet.

Nun könnte man annehmen, dass die gute Moral der Bibel eben in drastische Worte verpackt wurde, damit es jeder versteht. Aber was die Bibel vor allem disqualifiziert, ist nicht die Verpackung. Sondern ihre Botschaft, ihre Moral.

Zwar erzählt sie zum Beispiel auch die Geschichte vom barmherzigen Samariter, der seinen Mantel teilt. Aber diese schöne Legende steht gleichberechtigt neben vielen, vielen grausamen Geschichten mit einer höchst verwerflichen Moral.

Anstatt also den Kindern beizubringen, Gutes von Bösem zu unterschieden, verwirrt die Bibel genau diesen Unterschied. Sie fördert nicht die ethische Bildung, sondern sie beschädigt sie.

…auch nicht die „Kinderbibel“

Bibel für Kinder ungeeignetUnd das gilt auch für so genannte „Kinderbibeln“, die religiöse Erwachsene gerne an ihre Kinder, Nichten, Neffen oder Enkel verschenken. Fest davon überzeugt, damit etwas Sinnvolles getan zu haben. Beim oberflächlichen Durchblättern erscheinen hier auch die grausamsten Geschichten harmlos, ja geradezu niedlich:

Eines der beliebtesten Motive für Kinderbibeln scheint die Geschichte von der „Arche Noah“ zu sein.  Grinsende Tiere auf der einem Holzboot zieren nicht wenige Cover solcher Bücher. Darüber sieht man meist noch ein Regenbogen. Aber niemals die Berge von Kadavern und Leichen derer, die beim göttlichen Tobsuchtsanfall ums Leben gekommen waren.

Oder auch der kleine David mit seiner Steinschleuder: Um zu zeigen, dass auch ein Schwächling Sieger sein kann, wenn er nur auf Gott vertraut. Von den nach Davids Sieg von dessen Stammeskriegern entgegen der Abmachung erschlagenen Philister, die am Weg  von Schaarajim bis nach Gat und Ekron lagen, erfahren Kinder höchstens in den Kinderbibel-Ausgaben von fundamentalistischen christlichen Gruppierungen. Also von denen, die ihre biblische Glaubenslehre tatsächlich noch wortwörtlich ernst nehmen, wie es die Bibel ja eigentlich vorschreibt.

Angeblich soll es sogar Kinderbibeln geben, in denen den kleinen Leserinnen und Lesern auch der weitere Verlauf der Geschichte nicht erspart bleibt:

  • Da machte sich David auf und zog hin mit seinen Männern und erschlug unter den Philistern zweihundert Mann. Und David brachte ihre Vorhäute dem König in voller Zahl, um des Königs Schwiegersohn zu werden. Da gab ihm Saul seine Tochter Michal zur Frau. (1. Samuel 18,27 LUT)

Die biblischen Mythen und Legenden sind zur Vermittlung moderner ethischer Standards denkbar ungeeignet.

Ein kluges Buch für Kinder böte anschauliche Geschichten darüber, was ein ethisches Verhalten ist und warum es eine gute Idee wäre, sich daran zu orientieren. Und ein kluges Buch würde Gebote und Moral erläutern, statt sie nur zu verordnen. Denn Kinder wollen begreifen und nicht nur befolgen.

Eine kluges Buch würde ermutigen, statt einzuschüchtern. Und ein kluges Buch würde die Kinder auf das Leben vorbereiten. Nicht auf das Jenseits.

Ein kluges Buch wäre interessant und nicht gähnend langweilig.

Was sollten Kinder stattdessen lesen?

Die Geschichte vom frechen Hund
Die Geschichte vom
frechen Hund

Es gibt viele schöne Märchen und Erzählungen, die menschlich, unterhaltsam und lehrreich sind. Es ist nicht schwierig, sie zu finden. Andere Märchen ermöglichen es auch, Kindern schwierige oder traurige Themen näherzubringen, und zwar in einer Art abgesichertem Modus. Denn bei Märchen können Kinder meist schon erstaunlich früh zwischen Fiktion und Realität unterscheiden.

Es müssen aber nicht immer Märchen sein: Zu meiner Kinderzeit gab es die tollen „Was ist was?“-Bücher (es gibt sie immer noch!), in der man über Raumfahrt, den Wilden Westen, Dinosaurier oder über Unterwasser-Fische staunen konnte. All diese Bücher übertreffen die Bibel an Nützlichkeit und Weisheit bei weitem. Und man kann sie gemeinsam mit seinen Kindern lesen, ohne ihnen dabei Angst zu machen und ohne sie auf eine falsche Fährte zu führen.

Weitere lesens- und empfehlenswerte Kinderbücher gibts in der gleichnamigen Rubrik beim Alibri-Verlag. Hier zwei Beispiele:

Ethische Grundlagen für Kinder

Warum es zum Beispiel klug ist freundlich zu sein, erfahren Kinder im Buch „Die Geschichte vom frechen Hund„:

  • Der Freche Hund wird von allen gefürchtet. Denn vor seinen Frechheiten ist niemand sicher. Aber eines Tages hat der Freche Hund ein Problem…
    Nach dem provozierenden „Ferkelbuch“ haben Michael Schmidt-Salomon und Helge Nyncke nun gemeinsam ein Buch gemacht, das Kindern im Alter von 3 bis 6 Jahren grundlegendes ethisches Verhalten vermitteln soll. Anknüpfend an die Erkenntnisse über die „Evolution der Kooperation“ wird Kindern gezeigt, daß ein fairer Umgang mit anderen letztlich auch Vorteile für einen selbst bringt.
    Ein Buch für alle Eltern, die ihren Kindern soziales Verhalten vermitteln wollen, ohne dabei auf Konzepte von Schuld oder schlechtem Gewissen zurückzugreifen. (Quelle: alibri-verlag.de)

Evolutionsgeschichte statt Schöpfungsmythen

Big Family
Big Family

Um Lichtjahre spannender und faszinierender als alle biblischen Schöpfungsmythen und erfundene Gottessohnlegenden ist – wer hätte es gedacht – das, was wir heute über die Entstehung des Lebens auf der Erde wissen. Im Kinderbuch „Big Family – Die phantastische Reise in die Vergangenheit“ erfahren Kinder (aber natürlich auch Erwachsene) anschaulich und verständlich, wie das mit der Evolution funktioniert.

  • „Hast du schon gehört, dass T-Rex ein Verwandter von dir war? Dass einige deiner Ur-Ur-Ur…Großmütter als Fische durch die Meere schwammen? Dass wir Menschen nicht nur von Affen, sondern auch von Echsen und Bakterien abstammen? Nein? Dann komm‘ mit auf eine phantastische Reise in die Vergangenheit und finde heraus, wie deine Vorfahren lebten!“ Das aufwändig illustrierte Kinderbuch von Michael Schmidt-Salomon und Anne-Barbara Kindler erzählt die Geschichte der Evolution auf noch nie dagewesene Weise, nämlich als Familiengeschichte der jungen Leserinnen und Leser, die über ihre Mutter, Großmutter und Urgroßmutter zu ihren Vorfahren zurückreisen – von ihrer „Steinzeit-Oma“ zu „Oma Spitzmaus“, von „Oma Echse“ über „Oma Fischmaul“ bis zu „Omapa Bakteria“, dem Ursprung allen Lebens auf der Erde. (Quelle: evokids.de)

Natürlich gibt es noch viele weitere wertvolle Kinderbücher, die keine Anerkennung religiöser Scheinwirklichkeit als wahr voraussetzen. Und denen moderne ethische Standards bzw. aktuelles Wissen zugrunde liegen.

Ein Gastbeitrag von Jörn; wir haben keinen materiellen Nutzen von Buchtipps.

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