Gedanken zu: Sebastianstag auf dem Kreuzberg – Schutzpatron der Wald- und Forstleute auf dem Kreuzberg geehrt

Lesezeit: ~ 7 Min.

Gedanken zu: Sebastianstag auf dem Kreuzberg – Schutzpatron der Wald- und Forstleute auf dem Kreuzberg geehrt, Originalbeitrag von Marion Eckert, veröffentlicht am 23.1.2019 von osthessennews.de

Wenn es mal gelingt, offenbar aus ganz Unterfranken so viele Menschen in eine kleine Kirche zu locken, dass die Plätze nicht reichen, dann scheint das so außergewöhnlich zu sein, dass diese Meldung als Aufmacher für eine kirchliche Pressemitteilung ausreicht.

Alter Vadder…

[…] Doch dass am Sebastianstag Axt und Säge ruhen, um dem Schutzheiligen für ein unfallfreies Jahr zu danken und ihn weiterhin um Schutz zu bitten, stammt aus alter Väter Zeit.

Soo alt, wie hier dargestellt, sind die Väter in diesem Fall nicht. Wie der Leser erfährt, war der Sebastiantag auf dem Kreuzberg in der Bayerischen Rhön erst vor 50 Jahren eingeführt worden.

A propos unfallfrei: Wie wir später noch erfahren, gibt es allein im bayerischen Forstbetrieb im letzten Jahr 8 Tote zu beklagen. Wie viele leichte und schwerwiegende Unfälle es zusätzlich noch gegeben hatte, geht aus dem Artikel nicht hervor. Hier hilft ein Blick in die Unfallstatistik 2018 der Bayerische Staatsforsten weiter:

  • Insgesamt ereigneten sich im Geschäftsjahr 2018 in den bayerischen Staatswäldern 110 Arbeitsunfälle. (Quelle: forstpraxis.de)

Sebastianstag 2019Das waren zwar erfreuliche 20% weniger als der Durchschnittswert der vergangenen 5 Jahre. Aber trotzdem steht fest: Bei 110 Unfällen und 8 Toten kann von einem unfallfreien Jahr keineswegs die Rede sein.

Ganz offenbar hatten die bisherigen Anrufungen bezüglich Verschonung vor Unfällen im Forst den lieben Gott noch nicht wirklich umgestimmt, seinen allgnädigen Allmachtsplan zu ändern. Jedenfalls nicht im Interesse der Forstmitarbeiter, die ihn darum jedes Jahr zum Sebastianstag bitten.

Sebastianstag: Religiös verpackter Betriebsausflug

In Zeiten, in denen wegen des eigentlichen Zwecks (das Feiern eines Gottesdienstes) kaum noch Menschen eine Kirche aufsuchen und in denen sich 4 von 10 Katholiken vorstellen können, aus der Kirche auszutreten, muss man nehmen was man kriegt. Fasching, Fussball oder – Forstwirtschaft:

[…] Dass die Waldarbeiter und Forstleute, den freien Tag aber nicht nur zum einem Ausflug zum Klosterbier, zu Haxen und Schweinebraten nutzen, bewies die voll besetzte Kirche. Wieder einmal reichten die Sitzplätze nicht aus, viele mussten in den Gängen und im hinteren Bereich der Kirche mit einem Stehplatz vorlieb nehmen.*

Was tut man nicht alles für einen freien Tag. Und wenn’s dann auch noch lecker Essen und 1,2,3 Maß Bier gibt – da kann man auch mal ein Stündchen katholisches Geschwurbel in der geheizten Kirche über sich ergehen lassen…

Oder auch: Mein Chef scheint da tatsächlich dran zu glauben… Da mache ich mal lieber mit, bevor es noch Ärger gibt… Und schließlich: Kann ja nicht schaden…

Es dürfte kaum eine Unterstellung sein, dass wohl viele, wenn nicht die meisten der Teilnehmer zumindest insgeheim so oder so ähnlich gedacht haben dürften.

Denn wer wird heute schon noch ernsthaft behaupten wollen, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Wirken mythologischer Phantasiefiguren und der Unfallstatistik im Forstbetrieb gibt?

Schon die Prämissen wären grotesk absurd

Genau diese Annahme wäre allerdings Voraussetzung, dass die am Schluss des Beitrages zitierte Bitte irgendeinen Sinn ergeben würde:

„Heiliger Sebastian, bitte, dass uns Gott verschone.“

GebetslogikWenn ich hier auf die eigentlich so offensichtliche, groteske Absurdität allein dieses kleinen Satzes hinweise, dann sicher nicht, um den Forstleuten ihren als religiöse Zeremonie getarnten Tagesausflug madig machen zu wollen.

Vielmehr möchte ich dazu anregen, sich einmal kurz zu überlegen, wovon jemand ausgehen müsste, der diese Bitte im Besitz seiner geistigen Kräfte und tatsächlich ernst gemeint äußert:

Es gibt da also einen Gott, der Menschen unter bestimmten Umständen vor Unfällen verschonen kann. Trotz Allmacht, Allwissenheit und Allgüte tut er das allerdings nicht von sich aus. Nicht mal bei denen, die bereit sind, sich ihm unterwerfen.

Nein, der liebe Gott scheint ein eitler Geselle zu sein: Er lässt sich bitten.

Und dabei scheint er sogar noch einen Unterschied zu machen, ob sich die Vertreter seiner eigentlich ja von ihm bevorzugten und nach seinem Vorbild von ihm erschaffenen Trockennasenaffenart direkt an ihn wenden. Oder ob sie eine mythologische Phantasiefigur vorschicken, um ihre Bitten am Sebastianstag vorzutragen.

Mit solchen Überlegungen muss sich der durchschnittliche Wischi-Waschi-Christ freilich nicht herumplagen. Als Christ hat man (meist vom Babyalter an) gelernt, bestimmte Behauptungen ungefragt für wahr zu halten.

Und man hat über die Jahre immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es für das irdische Geschehen faktisch keinen Unterschied macht, ob man sich einen göttlichen Einfluss darauf einbildet oder nicht.

Hat’s denn wenigstens geholfen?

Wenn die Gläubigen jetzt wenigstens einen Anhaltspunkt hätten, an dem sie verbindlich festmachen können, ob ihre Gebete erhört wurden oder nicht!

Bei 8 Toten im Forstbetrieb allein in Bayern im letzten Jahr lässt sich schwer sagen, ob die beim lieben Gott unter „normaler Schwund“ laufen. Oder ob letztes Jahr vielleicht einfach nur zu wenig inbrünstig gebetet und/oder zu wenig an die Kirche gespendet worden war.

Die tatsächlichen Gründe für den erfreulichen Rückgang der Arbeitsunfälle erfahren wir im schon erwähnten Artikel auf forstpraxis.de:

  • Die Bayerischen Staatsforsten waren und sind Vorreiter bei der Ausstattung ihrer Forstwirte. Die Persönliche Schutzausrüstung wird laufend weiterentwickelt. So sind Sicherheit und Tragekomfort nach dem aktuellen technischen Stand gewährleistet. Alle in der Holzernte tätigen Forstwirte werden zudem in Kürze mit hochmodernen Funkgeräten ausgestattet. Die Forstwirte können somit künftig auch bei schwierigen Sichtbedingungen ständig Kontakt zu ihren Arbeitskollegen halten und werden elektronisch automatisch gewarnt, wenn ein Arbeitskollege außerhalb ihres Sichtfeldes verunglückt. Auf diese Weise kann künftig nach einem Unfall noch schneller reagiert und rasch Hilfe geholt werden.
  • Zusätzlich arbeiten die Bayerischen Staatsforsten mit ihren Forstwirten kontinuierlich am verhaltensbedingten Unfallschutz. So werden im Vorfeld von Hiebsmaßnahmen Waldflächen intensiv begutachtet und bei erkennbaren Gefahren Forstmaschinen anstelle von Waldarbeitern zur Holzernte eingesetzt. Wenn die Holzernte dagegen von Waldarbeitern mit der Motorsäge erledigt wird, werden vor Beginn der Einschlagsmaßnahme die besonderen Gefahren intensiv besprochen und notwendige Gegenmaßnahmen festgelegt. (Quelle: Beitrag auf forstpraxis.de vom 21.08.2018)

Dass in dieser Aufzählung keine Götter oder Heilige vorkommen, sollte denen eigentlich zu denken geben, die so tun, als hätten diese etwas mit der Arbeitssicherheit im Wald zu tun.

Entkernte folkloristische Tradition

Der Sebastianstag ist ein schönes Beispiel dafür, wie eine (wenn auch noch recht junge) folkloristische Tradition selbst dann noch am Leben erhalten werden kann, wenn der eigentliche Anlass schon längst für die meisten Teilnehmer völlig bedeutungslos geworden ist. Gleiches gilt auch für ursprünglich mal religiös vereinnahmte Veranstaltungen mit längerer Tradition und größerer Verbreitung. Wie zum Beispiel Weihnachten und Ostern.

„Ich bin stolz darauf, dass wir erreicht haben, dass diese Tradition an die Jugend weitergegeben wird“, so Schwender.

Der Initiator könnte noch stolzer sein, wenn es ihm gelänge, die Tradition eines jährlichen Treffens ohne das Element religiöser Realitätsverweigerung aufrecht zu erhalten und an die Jugend weiterzugeben.

Wie lange es wohl dauern wird, bis die Veranstalter sich und den Teilnehmern eingestehen, dass es zumindest für die Unfallstatistik faktisch keinen Unterschied macht, ob sie ihren überbetrieblichen Betriebsausflug in die Rhön durch magischen Hokuspokus verzieren oder nicht?

Und bis sie dazu übergehen, die sinn- weil nachweislich wirkungslose religiöse Zeremonie zum Beispiel durch eine Fortbildungsstunde im Bereich Arbeitssicherheit zu ersetzen?

Aufklärung und Fortbildung statt Fürbitte und Dank für nichts

Der Toten des vergangenen Jahres könnte man genauso feierlich und aufrichtig auch ohne religiöse Phantastereien gedenken. Und sie „ehren“, in dem man die Unfallursachen analysiert und in dieser Fortbildungstunde kurz erläutert, wie diese Unfälle hätten vermieden werden können.

[…] Doch der Heilige Sebastian habe an der Hoffnung auf Jesus Christus festhalten, dass dieser auch im Dunkel der Welt da sei, halte, trage und die Verletzungen heile – dieses Vorbild gebe er auch heute noch.

Laut christlicher Mythologie war es nicht Jesus, der die Verletzungen des Sebastians heilte. Sondern die Witwe Irene. Und in dem Moment, als Sebastian dann totgeprügelt in die römische Kläranlage geworfen worden war, hatte Jesus offenbar gerade auch anderes zu tun als ihn zu tragen und im Dunkel der Welt für ihn da zu sein.

Aber nicht nur, was die Unfallstatistik angeht scheinen die bisherigen Gebete versagt zu haben. Im Beitrag kommt der Sebastianstag-Organisator zu Wort. Durch den langen und heißen Sommer habe es Schäden und Ernteausfälle gegeben. Dazu jetzt noch die Schneemassen im südbayerischen Raum…

Tatsächliche Gründe und Zusammenhänge sind bekannt

Natürlich kennt der Forstfachmann die tatsächlichen Ursachen für die jüngsten Ernteausfälle:

Die Natur habe ihren eigenen Willen, die veränderten Wettereinflüsse bringe immer wieder neue und unvorhersehbare Situationen für alle, die im Wald arbeiten mit sich. Die kleinste Unachtsamkeit könne da fatale Folgen haben. Beim Forstberuf handele es sich um einen der gefährlichsten Beruf überhaupt, im vergangenen Jahr haben allein in Bayern acht Menschen ihr Leben im Wald verloren.

Kurz zusammengefasst: Der Forstbetrieb ist stark wetterabhängig und birgt trotz hoher Sicherheitsstandards und positiver Entwicklung immernoch ein großes Unfallrisiko für die Forstarbeiter.

Auch in dieser Analyse kommen wieder keine Götter, Geister, Gottessöhne oder sonstige mythologische Phantasiewesen vor.

Alle Vorstellungen, diese Fakten mit einer göttlichen Absicht und/oder Einflussnahme zu erklären oder in Verbindung zu bringen, entsprechen dem beschränkten Wissens- und Erkenntnisstand eines vergleichsweise primitiven Wüstenvolkes etwa zur Bronzezeit.

Wann hörte man auf, dem Sonnengott Menschen zu opfern? Und warum?

GebetslogikEs gab ganze Epochen in der Menschheitsgeschichte, in denen man es für unerlässlich hielt, dem Sonnengott täglich einen Menschen zu opfern. Um so sicherzustellen, dass die Sonne am nächsten Tag wieder aufgehen möge.

Irgendwann hat man dann herausgefunden, dass es zwischen der tagtäglich beobachtbaren Wirklichkeit und der magischen Vorstellung keinen Wirkzusammenhang gibt. Weil die Sonne auch dann aufgeht, wenn kein Mensch zu diesem Zweck geopfert wird.

Wie lange wird es noch dauern, bis die Sebastianstag-Veranstalter einsehen, dass ihre Bitte um Fürbitte genauso absurd ist wie die Vorstellung, ein Menschenopfer sei erforderlich, damit die Sonne am nächsten Tag wieder aufgeht?

Klar: Die Kirchenfunktionäre, die mit religiösem Aberglauben ihr Geld verdienen, werden auf die Behauptung der Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit von Bittgebeten kaum verzichten können.

Aber Forstarbeiter, die mit GPS-gestützten, hochmodernen forstwirtschaftlichen Gerätschaften arbeiten und die über ein nie dagewesenes Wissen über die meteorologischen, biologischen und ökologischen Zusammenhänge und Hintergründe der Waldwirtschaft verfügen, könnten und sollten sich von der Irrationalität religiöser Einbildungen befreien.

Vertrauen auf Dinge, die funktionieren

Die eigene und die Sicherheit der Kolleginnen und Kollegen ist ein viel zu wichtiges Thema, als dass man hier auf magisch-mythologisch-esoterisches Denken und auf die Wirksamkeit von Bittgebeten vertrauen sollte.

Im Interesse dieser Sicherheit sollten Menschen stattdessen auf Techniken und Verhaltensweisen vertrauen, die tatsächlich funktionieren. Was sie das restliche Jahr über vermutlich ja auch tun, statt auf göttliches Wohlwollen in ihrem Interesse zu hoffen.

Hoffentlich haben sich wenigstens einige der Teilnehmer beim Sebastiangstag 2019 wenigstens mal kurz gefragt, was wohl in den Köpfen der Angehörigen der 8 tödlich verunfallten Kollegen vor sich geht. Wenn diese Angehörigen darüber nachdenken, was das für ein Gott sein soll, der Menschen vor Unfällen verschont, wenn man ihn darum bittet?

Und der aber trotzdem hin und wieder mal eine Ausnahme macht, was die Verschonung angeht?  So wie bei ihren Angehörigen? Die er eben nicht vor einem tödlichen Unfall verschont hatte?

Fazit: Der Sebastianstag kommt auch bestens ohne einen „Heiligen Sebastian“ aus. So wie auch die Sonne ohne Menschenopfer auskommt.

*Die als Zitat gekennzeichneten Abschnitte stammen aus dem eingangs genannten und verlinkten Originalbeitrag zum Sebastianstag 2019 auf dem Kreuzberg.

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