Unworte – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Freiheit

Lesezeit: ~ 10 Min.

Unworte – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Freiheit, verkündigt von Christian Rommert, veröffentlicht am 18.01.2020 von ARD/daserste.de

Darum geht es

Herr Rommert kritisiert pauschale Gut-Böse-Vereinfachungen und erklärt anschließend, dass „wirkliche“ Freiheit für ihn bedeute, auf Freiheit zu verzichten, wenn es „dem Guten“ diene. Zwischendurch erfahren wir noch, dass Christen „erlöst“ und deshalb „absolut frei“ seien.

Ich trenne Müll. Ich fahre Bahn und ich achte auf meinen Fleischkonsum – weil ich mich als Christ verantwortlich für die Schöpfung fühle. Bin ich hysterisch? Bin ich klimahysterisch?
(Quelle der so als Zitat gekennzeichneten Abschnitte: Unworte – Das Wort zum Wort zum Sonntag, verkündigt von Christian Rommert, veröffentlicht am 18.01.2020 von ARD/daserste.de)

Nein, Herr Rommert. Als hysterisch würde Ich Sie deswegen nicht bezeichnen. Und wenn es Ihr archaischer Schöpfungsglaube ist, der bei Ihnen dazu führt, dass Sie sich für den Erhalt Ihres Lebensraumes verantwortlich fühlen, dann ist meines Erachtens daran (neben der intellektuellen Armseligkeit) nur zu kritisieren, dass Sie damit eine Glaubenslehre künstlich am Leben erhalten, mit der andere Anhänger Ihres Gottes zum Beispiel die unwiederbringliche Vernichtung von Lebensräumen und alle möglichen anderen Verbrechen rechtfertigen.

Andererseits: Manchmal muss ich einfach fliegen. Der öko-faire Kaffee ist mir zu teuer – und ganz auf Fleisch verzichten? Bin ich ein Sünder? Ein Klimasünder?

Nein, Herr Rommert. Höchstens ein Heuchler, je nachdem was Sie unter „Gut“ verstehen. Denn am Ende Ihrer heutigen Fernsehverküdigung werden Sie behaupten, dass Ihr Maßstab für Ihr Handeln sei, ob dieses „zum Guten“ diene oder nicht.

Lieber Klimasünder als gar keine Sünder mehr…

Freiheit das Richtige zu tunFür Berufsgläubige gibt es wohl nichts Schöneres, als wenn es Begriffe religiösen Ursprungs in den Wortschatz der Umgangssprache schaffen. Wo sie womöglich sogar die Zeit überdauern, aus der sie stammen (Bestes Beispiel: Unsere Wochentage, nur dass hier heute niemand mehr etwas davon hat, weil mit den hier beteiligten Gottheiten heute kaum noch Geld verdient wird).

„Klimasünder“ ist ein gutes Beispiel, das Christentum betreffend: Mit dem Begriff der „Sünde“ ist heute im allgemeinen Sprachgebrauch ein zunächst nicht näher definiertes Fehlverhalten gemeint. Erst am Kontext lässt sich erkennen, ob damit zum Beispiel ein Verstoß gegen gesetzliche („Temposünder“) oder ethische bzw. gesellschaftliche Normen („Klimasünder“) gemeint ist.

Wenn heute außerhalb eines religiösen Rahmens von „Sünde“ die Rede ist, dann ist damit in den seltensten Fällen das gemeint, was das Konzept der Sünde im christlichen Sinn bedeutet: Eine mit göttlicher Strafandrohung bewehrte Verfehlung gegenüber göttlichen Regeln.

Schöpfungsmythos vs. Klimakrise

Ich mache mir Sorgen um die trockenen Sommer und die warmen Winter. Dass die Erde, Gottes Schöpfung, kaputtgeht. Klimahysterisch?

Nicht hysterisch, Herr Rommert. Aber womöglich religiös verstrahlt: Wer als erwachsener, ansonsten sicher vernünftig denkender Mensch allen Ernstes behauptet, die Erde sei die Schöpfung des Wetter-Wüsten-Berge-Kriegs-Rache-und-Vergeltungsgottes Jahwe, den sich ein einfaches Wüstenvolk in der ausgehenden Bronzezeit ausgedacht hatte, dem könnte man schon einen religiös verursachten Realitätsverlust attestieren.

Dagegen ist freilich grundsätzlich nichts einzuwenden: Die Gedanken sind dank Aufklärung und Säkularisierung heute freier denn je. Auch religiöse Gedanken.

Problematisch ist jedoch die Vermischung von religiösen Wunschvorstellungen und der irdischen Realität:

Die Sorge darum, ob die Erde auch in Zukunft noch ein geeigneter Lebensraum für Sauerstoff verstoffwechselnde Wasser- und Landlebewesen sein wird, hat mit der irdischen natürlichen Wirklichkeit zu tun.

Der Schöpfungsmythos hingegen ist ein Phantasieprodukt von Menschen, die sich diesen Schöpfergott einschließlich seiner angeblichen Eigenschaften, Absichten und Handlungen zusammenfabuliert hatten. Aus Unwissenheit, Angst, Hoffnung. Und immer zu bestimmten Zwecken.

Herr Rommert, könnten Sie jemanden ernst nehmen, der wie Sie offensichtlich nicht in der Lage oder willens ist, zwischen irdischer Wirklichkeit und magisch-esoterischer Fiktion zu unterscheiden?

So einfach ist das nicht

[…] Längst geht es bei der Diskussion über das Klima nicht mehr um die Suche nach Lösungen. Richtig oder falsch. Gut oder böse, das sind die Kategorien, in denen wir denken. Und argumentieren. Doch gut oder böse, Klimapanikmacher oder Klimaleugner – so einfach ist das nicht für mich, obwohl mir Klimaschutz wichtig ist.

Obwohl? Sollte das nicht eher heißen: Gerade eben deshalb, weil mir der Klimaschutz wichtig ist, setze ich mich für eine evidenzbasierte, wissenschaftliche Herangehensweise ein, obwohl das aufwändiger ist als eine ideologisch-dualistische Herangehensweise?

Indem Sie die pauschale Behauptung aufstellen, es gehe „bei der Diskussion über das Klima nicht mehr um die Suche nach Lösungen“, liefern Sie ein Paradebeispiel für eine Vereinfachung, wie Sie sie hier gerade kritisieren, Herr Rommert.

Und wenn Sie schon richtig erkannt haben, dass dualistisches Schwarz-Weiß-Denken zur Lösung komplexer Probleme ungeeignet ist: Wieso vertreten Sie dann weiterhin ein Glaubenskonstrukt, dessen grundlegender Zweck es ist, die Welt nach als göttlich legitimierten, in Wirklichkeit aber natürlich von Menschen selbst festgelegten Maßstäben in „Gut“ (=wir, die Guten, die von Gott Geliebten und Erlösten) und „Böse“ (=ihr, die Bösen, die von Gott wegen ihres Un- oder Andersglaubens ewig Verdammten) einzuteilen?

Ideale Grundlage für Vereinfachungen

Gerade die monotheistischen Buchreligionen mit ihrem absolutistischen Wahrheitsanspruch bieten die ideale Grundlage für solche Vereinfachungen. Aus Sicht des Gläubigen und energetisch gesehen sicher eine sinnvolle Sache: Glauben braucht weniger Energie als Denken, weil es dem Gläubigen einen Denkverzicht ermöglicht.

Er führt aber auch zu nichts, außer vielleicht zu einem irgendwie wohligen und irgendwie erhabenen Gefühl. Eine Einbildung, die allerdings nur so lange anhält, wie die Glaubensgewissheit besteht.

Der Frage, warum die Menschheit ohne Moral besser dran wäre, hat Michael Schmidt-Salomon sein lesenswertes Buch „Jenseits von Gut und Böse“ gewidmet.

Einmal mehr fällt auch hier auf, wie sehr sich religiöse, politische, aber auch andere Ideologien ähneln. Abgesehen von der Besetzung des Chefpostens bedient man sich hier wie dort der selben Tricks und Methoden, um das eigene Verhalten zu legitimieren und um Menschen dazu zu bringen, sich den eigenen Vorgaben entsprechend zu verhalten.

Und da weder Machthaber Götter, noch Götter Machthaber tatsächlich zu fürchten haben, ergänzen sich beide hervorragend. Nicht unbedingt immer (bzw. selten bis nie) zum nachhaltigen Wohl ihrer Anhänger bzw. Untertanen. Wohl aber immer zu ihrem eigenen Wohl.

Manchmal gut und manchmal… sprachlos

Beruflich muss ich demnächst nach Wien. Hin und zurück: 22 Stunden Bahn fahren. Das ist mir dann doch zu viel. Ich habe einen Flug gebucht. Ich bin wohl beides als Mensch, als Christ, als Pastor: Manchmal gut und manchmal… Selbstbeherrschung, Maß halten, verzichten… das Alles fällt mir schwerer, als ich mir selber eingestehen will.

Herr Rommert, wieso legen Sie jetzt doch den Gut-Böse-Maßstab an sich selbst an, nachdem Sie ihn doch gerade selbst noch als unbrauchbar entlarvt haben? Wieso behaupten Sie erst von sich, Bahn zu fahren, obwohl Sie schon für 750 Kilometer das Flugzeug vorziehen?

Und wieso vermeiden Sie es, Ihr Verhalten, das nicht in Ihre Kategorie „gut“ fällt auch als „böse“, „falsch“ oder „schlecht“ zu benennen?

Ein fürchterlicher innerlicher Kampf – um Schokoladenraub

Immer wieder fühle ich mich wie damals, als ich als kleiner Junge den Adventskalender meines älteren Bruders entdeckte. In mir tobte ein fürchterlicher Kampf. Aber nicht lange. Dann waren alle Türchen auf und die Schokolade in meinem Bauch. Freiwillig Maß halten? Ich bin kein Held, was das angeht.

Aber Herr Rommert, als Christ können Sie (sogar als Protestant!) bei Bedarf doch jederzeit auf die Beichte zurückgreifen! Wenn Sie Ihrem (eigentlich ja sowieso schon allwissenden) Allmächtigen erstmal das, was Sie als Fehlverhalten empfinden gebeichtet haben, dann dürfen Sie sich dessen Vergebung einbilden. Sie gehören damit, bis zum nächsten Fehltritt, wieder zu den „Guten.“

Als Christ sind Sie ja geradezu verpflichtet, zu sündigen. Denn würden Sie es nicht tun, hätte der Herr Jesus ja ganz umsonst den (vorübergehenden) Kreuzestod für Sie durchlitten…

Und das Heilsversprechen Ihrer Religion besteht ja schließlich aus der Erlösung, oder?

Nein, Sie müssen schon dafür sorgen, möglichst dauerhaft erlösungsbedürftig zu bleiben. Oder sind Sie vielleicht schon erlöst? Und wenn ja, wie zeigt sich das und was bedeutet das für Sie?

Ausgerechnet Paulus als Protagonist für Freiheit?

Die Bibel gibt eine überraschende Antwort auf den Umgang mit der Selbstbeherrschung und dem Maßhalten: „Es ist alles erlaubt!“, schreibt Paulus. Christen sind absolut freie Menschen. Sie sind erlöst! Aber dann weist er auch hin auf die Gefahr eines Missverständnisses und er ergänzt: „Es ist alles erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten!“.

Ausgerechnet den biblischen Paulus („[…] Es ist gut für den Mann, keine Frau zu berühren. Aber um Unzucht zu vermeiden, soll jeder seine eigene Frau haben und jede Frau ihren eigenen Mann“ – 1. Kor. 7, 1-2 LUT), als Protagonisten für individuelle Handlungsfreiheit anzuführen erscheint reichlich bizarr.  Wenn man sich die verqueren Ansichten und absonderlichen Vorstellungen betrachtet, die von diesem Menschen in der biblischen Geschichtensammlung nachzulesen sind.

Freiheit à la Paulus

Um die Weltanschauung und Wertevorstellungen des angeblichen Verfassers des von Herrn Rommert zitierten Satzes besser einschätzen zu können, lohnt sich ein Blick auf den Korintherbrief, aus dem die Worte herausgepickt worden waren. Hier verrät Paulus, wie er selbst es mit der Freiheit hält (Hervorhebung von mir):

  1. Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, auf dass ich möglichst viele gewinne.
  2. Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne. Denen unter dem Gesetz bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin –, damit ich die unter dem Gesetz gewinne.
  3. Denen ohne Gesetz bin ich wie einer ohne Gesetz geworden – obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin im Gesetz vor Christus –, damit ich die ohne Gesetz gewinne.
  4. Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne. Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette.
  5. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, auf dass ich an ihm teilhabe.
    (Quelle: 1. Kor 9, 19-23 LUT)

Verdacht auf ekklesiogene Psychose…

Der biblischen Beschreibung zufolge dürfte der Epileptiker und Religionsfanatiker Paulus (neben einigen anderen Krankheiten) wohl auch an massiven religiösen Wahnvorstellungen gelitten haben.

Dazu kommt, dass er natürlich nur die gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen seiner Zeit wiedergeben kann. So zum Beispiel in seinen detaillierten Ausführungen zu Themen wie „Haarlänge bei Männern und Frauen“ oder „Die Überlegenheit des Mannes über die Frau“.

Diese Geschichten mögen heute vielleicht noch einen gewissen Unterhaltungswert haben und einen Einblick in die Weltanschauung eines komischen Kautzes von vor rund 2000 Jahren gewähren können.

Als Grundlage für ethische Standards, die für die Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert gelten sollen, sind diese Überlieferungen, die im Kern auf magisch-esoterischen Fiktionen beruhen irrelevant.

…und Stockholm-Syndrom

Die Vorstellung, Christen seien „absolut freie Menschen“, weil sie „erlöst“ seien, würde heute vermutlich in die Kategorie „Stockholm-Syndrom“ fallen.

Wenn, wie im Falle des biblisch-christlichen Belohnungs-Bestrafungskonzeptes der Gebrauch dieser angeblich „absoluten Freiheit“ tatsächlich die dort angedrohte zeitlich unbegrenzte Dauerbestrafung durch psychische und physische Höllenfolter bei vollem Bewusstsein zur Folge hätte, dann kann kaum von „absoluter Freiheit“ die Rede sein.

Das Verhalten dieses Gottes wäre dann vergleichbar mit dem eines Geiselnehmers, der zu seinem Opfer sagt: „Du kannst natürlich jederzeit aufstehen und gehen, wohin du möchtest. Aber dann erschieße ich dich.“ Musikliebhabern fällt hier sicher unweigerlich die entsprechende Zeile aus „Hotel California“ ein: „You can checkout any time you like, but you can never leave.

Auch diverse Diktaturen hatten ihren Untertanen schon vorgegaukelt (bzw. tun das bis heute), dass diese nicht trotz, sondern gerade wegen der Beschränkung ihrer Freiheit ja „absolut freie Menschen“ seien.

Unerlöst = weniger frei?

Und noch ein anderer Aspekt zu dieser Aussage: Wenn der Weg zur „absoluten Freiheit“ das Christsein und die damit verbundene „Erlösung“ sein soll, dann würde das das implizieren, dass Menschen, die keine Christen und deshalb unerlöst sind weniger frei sind.

Die Freiheit, die wir in offenen und freien Gesellschaften heute genießen dürfen, haben wir maßgeblich Menschen zu verdanken, die diese freiheitlichen Werte gegen den erbitterten Widerstand des Christentums erkämpft hatten. Schon allein deshalb erscheint eine solche Behauptung wahlweise naiv – oder höchst zynisch.

Übrigens: Zur Religionsfreiheit gehört auch die Freiheit von Religion.

Gottes Liebesangebot erfüllt den Straftatbestand der Nötigung

Dass das göttliche Heilsversprechung der Erlösung an mindestens eine Bedingung geknüpft ist (nämlich die uneingeschränkte Anerkennung und exklusive Verehrung dieses Gottes), verschweigen Mainstream-Prediger gerne. Viel lieber stellen sie ihren Gott als ein bedingungsloses und eigentlich nur optionales Liebesangebot dar.

Diejenigen, die auch die unmenschliche und unmoralische Kehrseite der biblisch-christlichen Medaille glauben und verkünden, sind sogar den eigenen Glaubensbrüdern und -schwestern (also den gemäßigten, „liberaltheologischen“) oft suspekt und/oder peinlich.

Weist man als Glaubensfreier auf den Umstand hin, dass dem biblisch-christlichen Heilsversprechen aber doch auch die Androhung einer detailliert beschriebenen, unvorstellbar sadistischen und brutalen Bestrafung gegenübersteht, empören sich teilaufgeklärte Christen nicht selten: „Das ist ja eine völlig fundamentalistische Auslegung der Bibel, die du da präsentierst…“

Dass in Wirklichkeit sie es sind, die sich dieses nun mal vorhandene biblische Fundament so zurechtgebogen haben, dass es etwas weniger unmenschlich und unmoralisch erscheint, oder auch, dass eben schon das Fundament (bzw. eine „heilige Schrift“ generell) das Problem ist, wollen sie meist nicht wahrhaben.

Wer wurde/wird wann, wie, wo, warum und wovon erlöst?

A propos Erlösung: Auch über die Frage, wer denn eigentlich nun tatsächlich wann, wie, wovon erlöst wurde (bzw. wird oder werden wird) und welche Folgen das konkret hatte (bzw. hat oder haben wird), herrscht unter Christen nicht mal der selben Konfession alles andere als Einigkeit.

Sehr zur Freude der Theologen, die u. a. mit dem Beackern solcher absurden und objektiv betrachtet unsinnigen Ideen ihr Geld verdienen. Letztlich läuft ihre Arbeit darauf hinaus, die biblischen Narrative irgendwie als halbwegs zum jeweiligen Erkenntnis- und kulturellem Entwicklungsstand passend aussehen zu lassen.

Ein riesiger Aufwand, vor allem, wenn man bedenkt, wie vergleichsweise wenig Menschen heute überhaupt noch diesen Gott (bzw. Götter allgemein) als Moralinstanz anerkennen.

Einschränkung von Freiheit = Freiheit?

Also: Habe ich die Freiheit, das größte Auto zu fahren? Habe ich! Aber habe ich nicht auch die Freiheit, darauf zu verzichten, weil es so besser ist? Darf ich wirklich alles sagen, was ich denke? Ja, die Freiheit habe ich! Aber habe ich nicht auch die Freiheit, es zu lassen – auf Wörter und Unwörter zu verzichten?

Klar, ich habe sogar die Freiheit, die Einschränkung von Freiheit als Freiheit zu deklarieren. Nur liefere ich damit kein gültiges Argument, mit dem ich jemanden davon überzeugen könnte, das ebenfalls so zu sehen.

Persönliches Freiheitsempfinden kann kein Maßstab für ethische Standards sein: Ob es jemand als Freiheit oder als Zwang empfindet, mich nicht zu erschießen, ist mir ziemlich egal, solange er davon absieht, dies zu tun.

Die eigene Freiheit endet da, wo die Freiheit Anderer verletzt wird.

Was ist „das Gute“?

Dass ein Reframing von Freiheitseinschränkung als Freiheit nur zirkulär und deshalb unsinnig und damit kein bisschen überzeugend ist, scheint auch Herrn Rommert aufgefallen zu sein. Deshalb merkt er zum Abschluss seiner Fernsehpredigt schnell noch an:

Die wirkliche Freiheit ist nicht die Freiheit zu tun, was ich will. Die wirkliche Freiheit ist vor allem die Freiheit, Dinge lassen zu können. Etwas nicht machen zu müssen. Weil es zerstörerisch ist. Kaputt macht. Andere in ihrer Freiheit verletzt. Der Maßstab, nach dem ich mich richte, ist nicht: darf ich das oder darf ich das nicht, sondern: „Dient es zum Guten?“

Herr Rommert, gerade hatten Sie doch behauptet, als Christ genieße man sowieso schon „absolute Freiheit“? Weil man als solcher ja „erlöst“ sei?

Jetzt sprechen Sie plötzlich von einer „wirklichen“ Freiheit. Ist die vorher beschriebene „absolute“ Freiheit des Christen demzufolge unwirklich? Welche Bedeutung haben diese Narrative dann überhaupt noch, bei Licht betrachtet?

WWJD vs. Freiheit von Religion

Lack of empathyWie gerade schon geschrieben: Als Maßstab für eine ethische Bewertung von menschlichem Verhalten spielt es keine Rolle, ob jemand die Einschränkung seiner Freiheit als Freiheit empfindet oder nicht.

Weiter oben hatten Sie doch gerade noch auf die Problematik einer dualistischen Kategorisierung in „Gut“ und „Böse“ hingewiesen. Und jetzt soll Ihr Maßstab plötzlich doch die Frage sein, ob Ihr Verhalten „zum Guten“ dient?

Könnte es sein, dass Sie hier gerade in Ihre eigene Falle getappt sind? Vielleicht deshalb, weil Sie eine Ideologie vertreten, die nach wie vor ganz selbstverständlich die Deutungshoheit über die Begriffe „Gut“ und „Böse“ für sich beansprucht? Und weil Ihnen vielleicht noch gar nicht aufgefallen ist, dass auch mit Ihrer Glaubenslehre quasi alles Beliebige als „Gut“ definiert werden kann?

Eine Religion, von deren Anhänger nicht wenige meinen, alle gegenwärtigen ethischen Fragen sinnvoll mit den in der Bibel gesammelten Gottessohn-Narrativen beantworten zu können, Stichwort: WWJD?

Hoffnung Mensch – Hoffnung Humanismus

Weder biblische Narrative, noch Gut-Böse-Dualismen und auch nicht das individuelle Freiheitsempfinden taugen als Moralquelle für moderne ethische Standards, die für die Weltbevölkerung im 21. Jahrhundert verbindlich vereinbart werden können.

Die gesellschaftlichen Normen, Gesetze und ethischen Standards in offenen und freien Gesellschaften orientieren sich nicht an Märchen über fiktive magische Himmelswesen. Sondern an der Würde und Freiheit des Menschen als oberstem Wert.

Und dafür spielt es keine Rolle, ob sich jemand von irgendwem von irgendwas irgendwie erlöst fühlt. Oder ob er die Einschränkung seiner persönlichen Freiheit im Interesse seiner Mitmenschen zur persönlichen Freiheit umdeklariert.

Der evolutionäre Humanismus schlägt diese Formulierung quasi als „kleinsten gemeinsamen Nenner“ vor:

  • Tue was du willst, ohne gleichberechtigte Interessen Anderer zu verletzen.

Die Freiheit, nach „Höheren Zielen“ zu streben

Herr Rommert, hätten Sie Ihren ethischen Maßstab geringfügig anders formuliert, würde ich zustimmen. Auch ich halte den Appell, sich über die unmittelbar eigenen Interessen hinausgehend dafür zu engagieren, dass die Welt friedlicher, gesünder, glücklicher und vor allem fairer wird für sinnvoll und unterstützenswert.

Ich kann mir vorstellen, dass Sie womöglich ebenfalls mehr oder weniger genau dies mit „zum Guten“ gemeint haben könnten. Allerdings halten andere Menschen ganz andere Dinge für „gut.“ Und deshalb halte ich „zum Guten“ als ethischen Maßstab für menschliches Handeln nicht nur für untauglich, sondern sogar für gefährlich.

In diesem Zusammenhang sei nochmal auf zwei Bücher hingewiesen, zum Einen das oben schon erwähnte Buch „Jenseits von Gut und Böse – Warum wir ohne Moral die besseren Menschen sind“ von Michael Schmidt-Salomon, zum Anderen das Buch „Die Legende von der christlichen Moral – warum das Christentum moralisch orientierungslos ist“ von Dr. Andreas Edmüller.

Ich fände es interessant, Ihre Gedanken dazu zu erfahren, Herr Rommert. Vielleicht haben Sie ja während Ihrer nächsten beruflich bedingten Kurzstreckenflüge (oder doch Bahnfahrten?) mal Zeit zur Lektüre…

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6 Gedanken zu „Unworte – Das Wort zum Wort zum Sonntag zum Thema Freiheit“

  1. Das ganze Konzept, mit der Erlösung (nur durch Jesus Christus), habe ich auch nicht verstanden.
    Ähnlich, wie eine Mischung aus Versicherungskaufmann und Gebrachtwagenhändler (das soll keine Diffamierung der Berufe sein), werden von den Glaubensgemeinschaften hier einem nur die Sahnestücke präsentiert. Über das „Kleingedruckte“, herrscht erst einmal Stillschweigen. Von was, werde ich denn nun konkret erlöst? Von mir selbst? Gott hat mich doch so, wie ich bin, gewollt, oder? Oder, werde ich von der schlimmen, bösen, ungerechten Welt erlöst, die letztendlich auch von Gott geschaffen wurde?
    Das ist eben eines der Probelem, wenn wir an ein höheres Wesen glauben: Wir können nur vermuten, wass es von und will.

    Antworten
  2. Ich tue mich schwer damit, christliche Bedenken bezüglich einer möglichen Klimakatastrophe zu verstehen. Angesichts des rapide um sich greifenden Unglaubens, frecher Religionskritik allerorten und skandalösem Sittenverfall liegt es doch nahe, dieses Klima-Szenario in Analogie zur Sintflut zu verstehen – als reinigendes Gewitter, liebevolle Züchtigung durch Jahve oder so. Oder als Jüngstes Gericht. Und das sind doch Dinge, die Christen akzeptieren müssten und auf die sie sich von ganzem Herzen freuen sollten … schließlich steckt ihre Dreifaltigkeit dahinter.

    Antworten
    • Hallo Herr Edmüller

      ich möchte Ihnen mal ganz ausdrücklich danken für ihr Buch über die orientierungslose „christlichen Moral“!
      Ich hab es innerhalb kurzer Zeit (einige Tage) gelesen, und es hat ALLE meine Bedenken (sehr zurückhaltend formuliert) ggü religiösen und gläubigen Konzepten *nochmal* heftig verstärkt. Und es hat mir *einige* neue Argumente geliefert für Diskussionen mit Gläubigen.

      Vielen Dank dafür!

      Antworten
  3. „Deutungshoheit über die Begriffe “Gut” und “Böse”“

    Ja, das ist u.A. das, worum die Kirche(n) heute -aussichtslos- immer noch zu kämpfen versuchen. Und allenfalls bei den Strenggläubigen, den selbsternannten Schäfchen (zB Kommentare bei kath.net!), haben sie noch Erfolg.

    Ich plädiere dafür, ihnen (den Kirchen) die Deutungshoheit wegzunehmen, und zwar, indem ihnen ihre wesentlichsten (gesellschaftsweit offen wirkenden) Symbole dafür bestritten bis eliminiert werden:
    — Glockenläuten (jegliches!)
    — TV/RF Sendungen (für sie kostenlos): so massiv angreifen, daß sie es fallen lassen müssen – oder eben komplett bezahlen, wie jeder andere Werbekunde.
    — religiöse Gehirnwäsche (KiTa, KiGa, Schule) unterbinden, mit Ethik für ALLE ersetzen.
    Dafür werbe ich, weil es die Ideologie und ihre Verbreitung im Kern trifft.

    Antworten
  4. Das ist nur möglich, wenn wir eine absolute säkulere Staatsform haben.
    Religion sollte völlige Privatsache sein und auch bleiben. Das hat im öffentlichem Leben nichts verloren.

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